Interview mit W. Hilliger, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der KDK Automotive GmbH, Wächtersbach Die ungewisse Situation vor der Insolvenz Herr Hilliger, wie hat sich die Unternehmenskrise bemerkbar gemacht? Wir hatten über eine lange Zeit hohe Verluste erwirtschaftet. Irgendwann kam es dann zu einer angespannten Liquidität. Die schlechte Informationslage und stetig verschobene Wirtschaftsausschusssitzungen ließen viel Raum für Spekulationen. Unsere Informationsanforderungen wurden ignoriert. Als dann doch Informationen flossen, zeigte die Geschäftsplanung eine sehr schlechte Auftragslage und bereits deutliche Verluste, die in der Zukunft rapide zunehmen sollten. Betriebswirtschaftliche und arbeitsrechtliche Unterstützung wurden durch den Gesamtbetriebsrat eingeschaltet. Was waren die Befürchtungen? Wir hatten keine Ahnung, was folgen könnte. Eine Insolvenz wurde zu diesem Zeitpunkt vom Arbeitgeber nie offen kommuniziert, aber die Gefahr war uns allen bewusst. Wir wussten nicht, in wieweit die Liquidität noch reicht und wie weit bereits unsere Lieferanten und Kunden alarmiert waren. Wir befürchteten jedoch, dass der Gang zum Insolvenzgericht bald bevor stand. Von einer schnellen Geldspritze gingen wir nicht aus. Die Angst vor Entlassungen oder gar ein Ausverkauf des Unternehmens geisterte natürlich in unseren Köpfen. Dieses Thema wurde untereinander viel diskutiert. Was ist in dieser Zeit wirtschaftlich geschehen, welche Informationen drangen durch? Der bisherige Eigentümer hatte die Firma an einen Investor abgeschoben und diesem sogar noch Geld als Anschubfinanzierung mit auf den Weg gegeben. Die Investoren wollten einen wichtigen Kunden unter Druck setzten, was aber natürlich nicht funktionierte. Aufgrund der immer weiter steigenden Verluste und fehlender Liquidität drohte dann die Zahlungsunfähigkeit. Die neuen Investoren hatten dann einen Standort der Gruppe verkauft. Dies brachte kurzfristig eine bessere Liquiditätslage. Doch durch die geringen bzw. negativen Margen und das nicht für das operative Geschäft genutzte Darlehen des ehemaligen Eigentümers hatte sich die Lage schnell wieder verschlechtert. Unser Absatz ging Monat für Monat dramatisch zurück und unser Vertrieb konnte nicht ausreichend profitable Neuaufträge heranziehen. In der vorläufigen Insolvenz und in der Insolvenz Was ist in der Phase der absehbaren Zahlungsunfähigkeit passiert? Irgendwann war es dann soweit. Die Geschäftsführung hatte aber die Möglichkeit unter dem Schutzschirmverfahren zu agieren. Die Sanierungspläne sind im Wesentlichen bei unseren Kunden nicht auf Gefallen gestoßen. Sie hatten kein Vertrauen in die alte Geschäftsführung und deren Sanierungsplan. Nach der zunächst beantragten Selbstverwaltung ging es deshalb schnell in ein „normales“ Verfahren über. Der Insolvenzverwalter hatte damit also alles in den Händen. Viele Berater des Insolvenzverwalters und der OEM kamen nun ins Unternehmen. Die Buchhaltung, die Rechnungslegung und die Vermögens- und Finanzlage wurden penibel überprüft. Mit welchen Positionen sind die Betriebsratsgremien in das Insolvenzverfahren eingestiegen? Im Vordergrund stand die Beschäftigungssicherung. Im gesamten Verfahren gab es glücklicherweise keine Forderungen bzw. Verhandlungen zu Lohn- und Gehaltskürzungen, was den Mitarbeitern Sicherheit gab. Probleme gab es anfangs mit Zulieferern, die nur noch per Vorkasse lieferten bzw. vereinzelt drastischere Maßnahmen einleiteten. Was war Ihre Rolle im Gläubigerausschuss, welche Unterstützung hatten Sie? Im Gläubigerausschuss sitzen vor allem erfahrene Vertreter der Kunden, sogenannte Risk-Manager. Für einen Betriebsrat ist das dort Neuland. Wir – ein IGBCE betreuter Standort - hatten professionelle Unterstützung von mehreren Seiten. Die IGBCE hat den Betriebsrat in dieser Phase super betreut. Wir konnten auf das gesamte Netzwerk der IGBCE zurückgreifen. Darüber hinaus hatten wir Sachverständige herangezogen. Unser Rechtsanwalt unterstützte uns tatkräftig im Rahmen unserer Rechte und Pflichten. Durch ihn hatten wir auch ein starkes Kommunikations- und Informationsinstrument gegenüber dem Insolvenzverwalter. Durch unseren betriebswirtschaftlichen Berater waren wir in der Lage die teils sehr komplexen Sachverhalte zur Liquidität und der Sanierungsplanung zu verstehen und entsprechend Positionen aufzubauen. Die Aufgaben unseres betriebswirtschaftlichen Beraters wurden später auf die Unterrichtung zu den Verkaufsverhandlungen erweitert. Somit waren auch die Standortbetriebsräte immer auf dem Laufenden. Wir haben regelmäßige Treffen des Gesamtbetriebsrates abgehalten. Es ging dabei um die aktuellen Stände und erwarteten Maßnahmen. Für uns war es sehr hilfreich, da wir so zwischen den Standorten eine inhaltliche Diskussion und eine einheitliche Strategie einschlagen konnten. Was waren hierbei wichtige Informationen? Wichtig waren vor allem der aktuelle Liquiditätsstatus und die Informationen über die Verlustübernahmen der Kunden. Des Weiteren war es für uns wichtig, den Sanierungsplan zu verstehen, um uns ein Bild der zukünftigen (Neu)Ausrichtung unserer Unternehmensgruppe und der daraus resultierenden Risiken zu machen. Es war ja nicht klar, ob alle Standorte und Bereiche zukunftsfähig aufgestellt waren. Später wurden dann die Kaufinteressenten beleuchtet. Hierbei konnten die wichtigsten Eckpunkte der Angebote der Interessenten für uns aufbereitet werden, so dass wir uns ein Bild der Interessenten machen konnten. Als Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates wurde ich in den Gläubigerausschuss berufen. Unser rechtlicher Berater - Rechtsanwalt Jürgen Walter - hat mich zu allen Sitzungen begleitet. Das war mir natürlich eine sehr große Hilfe. Ich denke wir haben als Arbeitnehmervertreter ganz schnell auf Augenhöhe mit den anderen Beteiligten gehandelt. Das wäre ohne die IG BCE, EWR Consulting und Rechtsanwalt Walter nicht möglich gewesen. Gab es Momente, in denen Sie dachten, nun entscheiden sich die Gläubiger doch gegen eine Rettung? Zu einer kritischen Phase in den Gläubigerausschuss-Gesprächen forderten unsere Hauptkunden die Abwicklung des Unternehmens. Die Hauptkunden wollten keine Verluste mehr übernehmen. Durch das Verhandlungsgeschick des Insolvenzverwalters wurde die Situation aber zum Glück wieder entspannt und die Verlustübernahmen mehrmals gesichert. Da habe ich ganz schön die Luft angehalten. Wenn Sie zurückschauen, wie sehen Sie heute die Insolvenzphase? Trotz der ganzen Unsicherheiten und Anspannungen ist der Prozess rückblickend sachlich und konstruktiv abgelaufen. Es gab während dieser Zeit sogar Boni für die Mitarbeiter, auch wurden Investitionen getätigt. Unsere Berater haben gesagt, dies wäre während einer Insolvenz nicht gerade üblich. Wie muss man sich die Mitbestimmung im Gläubigerausschuss und die Einbindung der GBR / BRGremien vorstellen? Die Rolle als Gläubigerausschuss-Mitglied unterscheidet sich stark von der eines Betriebsratsvorsitzenden. Der Informationsfluss zum BR ist begrenzt. Viele Informationen, die man im Gläubigerausschuss erhält sind vertraulich. Die Weitergabe schriftlicher Informationen an den Betriebsrat ist nicht erlaubt. Jedoch kann aber in eingeschränktem Maße eine Unterrichtung erfolgen. Zudem gibt es vereinzelt Treffen des Gesamtbetriebsrates mit dem Insolvenzverwalter. Bedauerlich war es, dass die Mitbestimmung in der Auswahl der potentiellen Käufer nicht möglich war und der Kontakt zu möglichen Käufern unterbunden wurde. Gab es gemeinsame Aktionen der betreuenden Gewerkschaften? Unsere beiden Standorte werden von unterschiedlichen Gewerkschaften betreut. Beide Gewerkschaften waren in diesen Prozess eingebunden. Anfänglich gab es gemeinsame Treffen und Informationsrunden, jedoch keine gemeinsamen Aktionen der Gewerkschaften. Im weiteren Verlauf kümmerten sich IGBCE und IGM sich primär um die „eigenen“ Standorte. Haben sich denn die Befürchtungen der Betriebsräte bewahrheitet? Grundängste der Betriebsratsgremien am Anfang und im Laufe der Insolvenz waren vor allem drohende Lohnkürzungen und Personalabbau bzw. die Abwicklung des Unternehmens und damit das Aus für unsere Arbeitsplätze. Die Ängste bestätigten sich aber nicht, es fand glücklicherweise kein Personalabbau und keine Lohnkürzungen statt. Am Ende der Insolvenzphase und der Neuanfang Wie verlief denn die Phase der Käufersuche? Es war eine spannende Phase! Es gab Anlaufschwierigkeiten in der Phase der Interessentensuche. Unter anderem hatte auch die stagnierende Marktentwicklung im Automotive-Bereich zur Zurückhaltung geführt. Zum anderen hatten wir Probleme in der Auftragsstruktur und der Auftragslage. Manche Kaufinteressenten hatten geringe Eigenmittel und eine fragwürdige Finanzierung, es war auch der obligatorische Finanzinvestor dabei. Es fanden sich jedoch glücklicherweise ernstzunehmende Interessenten. Darunter bekannte Automotive-Zulieferer mit Kenntnissen unseres Metiers. Teilweise waren die Kaufinteressenten nur an einzelnen Betrieben interessiert. Die Eigenkapitalausstattung der Interessenten war sehr unterschiedlich. Nach Abschluss der Due-Dilligence-Phase durch die Interessenten kristallisierten sich Favoriten heraus. Eine spannende Lektüre waren die Vorabangebote. Ein asiatischer Interessent, der anfangs nur Außenseiter war, hat sich letztendlich dann aber für uns entschieden und doch gekauft. Wie hat sich die Situation nach dem Verkauf entwickelt? Das Zusammentreffen von deutscher und koreanischer Kultur gestaltet sich nicht immer einfach. Zum einen herrscht eine ganz andere Kultur der Unternehmensführung als in unseren Gefilden anderseits kommt noch die Problematik der Kommunikation hinzu. Die operativ wirtschaftliche Situation hat sich noch nicht richtig verbessert. Wir haben weiterhin Probleme mit der Auslastung. Ein wichtiges Nachfolgeprodukt ging zum Wettbewerber. Dadurch besteht aktuell Unterauslastung und die Gefahr von Verlusten besteht. Die Möglichkeit zur Gewinnung neuer Kunden im angestammten Bereich aber auch in anderen Branchen gestaltet sich schwer. Eine regelmäßige Unterrichtung über die wirtschaftliche Situation unterbleibt auch unter der neuen Leitung. Es finden keine regelmäßigen Wirtschaftsausschusssitzungen mit dem Arbeitgeber statt. Der Arbeitgeber weigert sich tarifliche Regelungen einzuhalten. Unser Organisationsgrad ist in kurzer Zeit sehr stark angestiegen (wir liegen nun bei 85%) an unserem Standort. Hier haben sich auch unsere offene Kommunikation mit der Belegschaft und unsere klaren, sachlichen Standpunkte ausgezahlt. Wir stehen dafür, unsere tariflichen Zusagen als auch unsere Informationsrechte und unseren Mitbestimmungsanspruch mit den uns zu Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen. Wir halten nach der Insolvenz am eingeschlagenen Kurs fest, die Beschäftigung zu sichern, wie auch für die Standorte und dem Wohl der Belegschaft einzutreten. Jedoch ist uns klar, dass Personalabbau droht. Herr Hilliger, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg für die Zukunft.
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