Kutteln und Trollinger

Kulinarik
Überraschend kombiniert
Kutteln und
Trollinger
Jeder kennt Geheimtipps bei der Kombination von
Wein und Speisen. Die originellsten Mariagen stellen wir
Ihnen in dieser Serie vor. Zu deftigen Kutteln serviert
Rudolf Knoll herzhaften schwäbischen Trollinger.
Text: Rudolf Knoll, Foto: Martin Hemmi
W
er nach Baden oder Württemberg
umzieht, muss sich nicht selten
einem Test unterwerfen, bevor
er von den Einheimischen einigermassen
als «Neigschmeckter» akzeptiert wird. Kann
er sich mit einem Kuttelgericht anfreunden,
hat er sofort Freunde gefunden. Wendet er
sich mit Entsetzen ab, ist er durchgefallen
und wird als kulinarischer Banause und
baden-württembergischer Fremdkörper eingestuft. In der Tat scheiden sich bei dieser
Innerei die Geister. Kutteln haben ihre Fans
und werden, obwohl einst ein Arme-LeuteGericht, sogar gelegentlich in der Sternegastronomie offeriert. In den gutbürgerlichen
Gaststätten im Schwabenland und im Badischen sowie auch in der Schweiz, Italien,
Frankreich und Spanien sind sie häufig auf
den Speisekarten zu finden, in unterschiedlichsten Varianten.
Die Kuttelgegner stören sich zunächst
einmal an der Optik. So berichtete die in
Württemberg gebürtige Kollegin Ursula
Geiger, dass sich ihre Mutter strikt weigerte,
diese «zusammengeschnittenen FrotteeHandtücher» zu kochen. In der Tat sehen die
in Streifen geschnittenen Pansen von Wiederkäuern in Rohform nicht sehr appetitlich
aus. Eine Kuttelliebhaberin ist die Rundfunkredakteurin Petra Klein, die für ihren
Sender SWR seit etlichen Jahren die herbstliche Serie «Pfännle on tour» moderiert, bei
der Tausende von Gästen mit regionaler
Küche vertraut gemacht werden. Als Kutteln
auf dem Programm standen, wurde sie von
ihren Kollegen in der Sendezentrale öffentlich bedauert: «Die arme Petra muss heute
Kutteln essen.» Dabei konnte die Ärmste
nicht genug davon kriegen und langte auch
bei der klassischen Beilage, den «Brägele»
(Bratkartoffeln aus gekochten Kartoffeln),
ausgiebig zu. Ein Glas kerniger, herber Trollinger war der geeignete Begleiter.
Kutteln wurden als Mahlzeit schon bei
Homer im 8. Jahrhundert v. Chr. erwähnt.
Im Mittelalter, als der Fleischverbrauch höher war als heute, aber sich viele arme Leute
kein Fleisch leisten konnten, waren die Innereien als sättigende Alternative begehrt.
Es gab sogar den längst ausgestorbenen
Berufsstand der «Flecksieder» (auch Kuttler
oder Kaldaunenkocher), die die Gedärme
der Wiederkäuer reinigten und brühten,
um daraus Kutteln zu gewinnen. Wegen der
«Unreinlichkeit» ihrer Arbeit waren sie, wie
die Gerber, innerhalb der Stadtmauern nicht
geduldet.
Die Bezeichnung entstand wohl aus dem
Wort «Kutel», mit dem man im 13. Jahrhundert «Eingeweide von Tieren» bezeichnete.
«Kaldaunen» leitet sich ab vom lateinischen
«calduna» (noch warme Eingeweide); das
war früher der Sammelbegriff für sämtliche essbaren Innereien von Schlachttieren.
Deshalb wurden arme Studenten, die von
Wohltätigkeitsorganisationen Mahlzeiten
aus billigen Zutaten erhielten, abfällig «Kaldaunenschlucker» genannt.
Versuchen Sie’s!
Die Speise
Man kann mit Kutteln ein Ragout, Eintöpfe
oder Suppen zubereiten. Für die Portugiesen gehören sie zum Bohneneintopf,
genannt Dobrada. In Ungarn werden sie
schon mal zu Gulasch verarbeitet. Die
Zahl der Rezepte ist gross. Wichtig ist vor
einer Verarbeitung eine gründliche Reinigung. Kutteln müssen mehrere Stunden
gewässert und dann etwa sechs bis zehn
Stunden in Salzwasser gegart werden. Die
Kochzeit hängt vom Alter des Tieres ab.
Am besten kauft man Kutteln beim Metzger, der sie bereits entsprechend vorbereitet hat, so dass man sich die langwierige
Prozedur erspart. Zwiebeln, Knoblauch,
Gewürzgurke, diverse Gewürze, Mehl zum
Binden und Fleischbrühe sind unverzichtbar bei der Zubereitung.
Der Wein
Das klassische Fünfgangmenü im Schwäbischen ist «vier Viertele Trollinger und
ein Rostbraten». Anstatt Fleisch dürfen es
auch Kutteln sein. Die in der Fläche wichtigste Sorte Württembergs (2350 Hektar)
neigt zu extremen Erträgen und liefert,
wenn man sie wuchern lässt, meist nur
dünne, hellfarbene Weine. In den letzten
Jahren wurde der Stellenwert des Trollinger (in Südtirol Vernatsch) deutlich
gesteigert und die Qualität auf breiter
Front verbessert. Früher hatten die Weine
meist ein fruchtiges Schwänzchen. Doch
inzwischen wagen sich die Weingärtner
wieder an die traditionelle Maischegärung,
den Ausbau im klassischen Holzfass und
verzichten auf fruchtige Kosmetik. Das gibt
den Weinen mehr Struktur und Dichte.
Die Mariage
Kutteln, egal wie zubereitet, sind meist
sehr herzhaft im Geschmack, mit gewisser
Schärfe und Würze. Ein knochentrockener
Trollinger ist als bodenständiger, geradliniger Wein mit sanften Gerbstoffen der
ideale Partner. Zudem kommt er aus der
Region der Speise – eine in der Regel meist
passende kulinarische Allianz. Da er nicht
unbedingt säurearm ist, passt er vor allem
zu sauren Kutteln, die mit Essig und Wein
(durchaus Trollinger) ihre Geschmacksdominanz bekommen. Zugleich aber kann
er den sauren Eindruck der Kutteln etwas
mildern.
VINUM
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