Die Beteiligung von Ärzten an Unternehmen nichtärztlicher Leistungserbringer – Praxistauglichkeit von § 128 SGB V? Dr. iur. Constanze Püschel Übersicht I. Berufsrechtliche Ausgangslage II. BGH Hörgeräteversorgung II 2011 III. Landesberufsgericht Heilberufe beim OVG NRW 2011 IV. LG Frankfurt 2014 V. Bundesärztekammer 2013 VI. § 128 SGB V 2009/2009/2012 VII. § 128 SGB V Anfang 2016 - Praxistauglichkeit ? Berufsrechtliche Ausgangslage § 30 MBO-Ä: Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit § 31 MBO-Ä: • Abs. 1: Verbot der Zuweisung gegen Entgelt • Abs. 2: Empfehlungs- / Verweisungsverbot § 32 MBO-Ä: Zuwendungsverbot (Cave: ausreichend ist, dass der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird), aber Privilegierungen: • Abs. 1 S. 2: Zuwendung auf sozialrechtlicher Grundlage und medizinisches Primat • Abs. 2: sog. „Fortbildungssponsoring“ • Abs. 3: sog. „Veranstaltungssponsoring“ § 33 MBO-Ä: Angemessenheits- und Schriftlichkeitspostulat bei vertraglichen Kooperationsbeziehungen mit der Industrie. Vorlagegebot („soll“). Berufsrechtliche Ausgangslage § 31 Abs. 1 MBO-Ä „Ärztinnen und Ärzten ist es nicht gestattet, für die Zuweisung von Patientinnen und Patienten …. oder für die Verordnung von Arzneioder Hilfsmitteln oder Medizinprodukten ein Entgelt oder andere Vorteile zu fordern, sich oder Dritten versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren.“ Schutzgütertrias Primat der medizinischen Entscheidung Der Patient soll sich darauf verlassen können, dass der Arzt die gesamte Behandlung einschließlich etwaiger Empfehlungen anderer Leistungserbringer allein an medizinischen Erwägungen im Interesse des Patienten ausrichtet. Wahlfreiheit der Patienten Unbeeinflusste Wahlfreiheit des Patienten in Bezug auf Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen Vermeidung ungerechtfertigter Wettbewerbsvorteile gegenüber ärztlichen Berufskollegen Vorteil „Vorteil für die Zuweisung/für die Verordnung“ Berufsrechtswidriger Konnex (“Unrechtsvereinbarung”) Zuweisung / Verordnung Die „Hörgeräteversorgung-II-Entscheidung“ des BGH BGH, Urt. v. 13.01.2011 – I ZR 112/08 Rn. 69 (juris): „Vorteile im Sinne von § 31 NdsBOÄ können auch Gewinne oder sonstige Einnahmen aus einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung sein.“ Verstoß immer (+), wenn Verweisung kausal für dem Arzt zufließenden Vorteil Daher Verstoß (+), wenn Gewinnbeteiligung oder sonstige Vorteile des Arztes unmittelbar von der Zahl seiner Verweisungen oder dem damit erzielten Umsatz abhängen. Rn. 70 (juris): „Differenzierter zu beurteilen sind Fälle, in denen der Arzt nur mittelbar, insbesondere über allgemeine Gewinnausschüttungen, am Erfolg eines Unternehmens beteiligt ist.“ Verstoß idR (-) bei Beteiligung des Arztes „an einem größeren pharmazeutischen Unternehmen, wenn bei objektiver Betrachtung ein spürbarer Einfluss der Patientenzuführungen des einzelnen Arztes auf seinen Ertrag aus der Beteiligung ausgeschlossen erscheint.“ Die „Hörgeräteversorgung-II-Entscheidung“ des BGH BGH, Urt. v. 13.01.2011 – I ZR 112/08 Beurteilungskriterien für Zulässigkeit/Unzulässigkeit eines Beteiligungsmodells Gesamtumsatz des Unternehmens Anteil der Verweisungen des Arztes an Gesamtumsatz Höhe seiner Beteiligung Gesamtwert der Rückflüsse (wenn „spürbar“ beeinflussbar) Beteiligung Onkologe an Herstellungsbetrieb Landesberufsgericht Heilberufe beim OVG NRW Urt. v. 06.07.2011 – 6 t 1816/09.T Arzt nimmt VO an ist an Herstellungsbetrieb beteiligt beauftragt AM ausschließlich beim Herstellungsbetrieb Apotheker Herstellungsbetrieb stellt VO über AM aus ist an Herstellungsbetrieb beteiligt Beteiligung Onkologe an Herstellungsbetrieb Landesberufsgericht Heilberufe beim OVG NRW Urt. v. 06.07.2011 – 6 t 1816/09.T Zuweisung der Patienten (+), da Empfehlung sich für Apotheke zu entscheiden Vorteil (+), da auch Gewinne oder sonstige Einnahmen aus einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung Vorteile sind im Anschluss an OLG Stuttgart …“dass der beitretende Arzt, soll sich die Beteiligung für ihn auszahlen, in seinem ureigenen Interesse handele, wenn er nicht andere gleich- oder möglicherweise besserwertige Laborunternehmen als Adressaten seines Untersuchungsauftrages ins Kalkül ziehe, sondern ausschließlich die Gesellschaft beauftrage, an der er solchermaßen beteiligt ist.“ Beteiligung Onkologe an Herstellungsbetrieb Landesberufsgericht Heilberufe beim OVG NRW Urt. v. 06.07.2011 – 6 t 1816/09.T kein Zweifel an einem spürbaren Einfluss der Patientenzuführungen auf Höhe des Gewinns aus der Beteiligung Gesellschaftsvertrag: keine Gewinnverteilung nach Zuweisungsvolumen der Ärzte, sondern Ausschüttung nach Kapitalanteil Ziel und Zweck der gesellschaftlichen Verbindung einzig darin, Gewinn aus AM-Verordnung zu realisieren „… wirtschaftliche Verknüpfung bleibt jedoch offenkundig, da diese dem Beteiligungsmodell immanent ist und die alleinige wirtschaftliche Rechtfertigung für einen Beitritt (der Ärzte) darstellt. Gewinne können durch das bloße Innehaben eines Kapitalanteils selbst nicht erwirtschaftet werden.“ Beteiligung Onkologe an Herstellungsbetrieb Landesberufsgericht Heilberufe beim OVG NRW Urt. v. 06.07.2011 – 6 t 1816/09.T Konstruktion bietet Arzt Vorteile, die ihm beim Direktbezug untersagt wären Arzt kann als Zuweiser/Verordner den Wert seines Kapitalanteils direkt/unmittelbar steuern tatsächlich nur Beteiligung Onkologen, andere Ärzte hätten nach dem Geschäftsmodell auch keinen Sinn gemacht Ärzte werden für ihre ärztliche Tätigkeit „Verordnung eines Medikaments“ zweimal entlohnt: Abrechnung ggü KV/Patient und Gewinnausschüttung Herstellungsbetrieb Verknüpfung zw. wirtschaftlichem Erfolg und Verweisungsverhalten: Ertrag ca. 90% des eingesetzten Kapitals Beteiligung HNO-Arzt an Hörgeräteakustikerbetrieb LG Frankfurt, Urt. v. 01.07.2014, Az. 2/3 O 284/13 Rn. 41 (juris): „Ob ein gesellschaftsrechtlich an einem Hilfsmittellieferanten beteiligter Arzt gegen § 31 BO Hessen 2010 verstößt, wenn er Patienten an diesen Anbieter verweist, bestimmt sich danach, ob die Verweisung kausal für einen dem Arzt zufließenden Vorteil ist. …“ Rn. 42 (juris): Arzt einer von zwei Kommanditisten der fraglichen KG beide hielten je eine Einlage von € 25.000,Komplementär-GmbH hielt nach dem Registerauszug keinen Kapitalanteil Gewinne und Verluste werden im Verhältnis der Kapitalanteile verteilt. „Bei einem Kommanditisten, der wie der Beklagte seinerzeit 50 % der Kapitalanteile hält, wirkt sich - anders als es etwa bei einem Aktionär einer im pharmazeutischen Bereich tätigen AG bei einem Arzneimittelrezept der Fall wäre - der Gewinn aus jedem Hörgeräteverkauf spürbar aus.“ Beurteilungskriterien für Zulässigkeit eines Beteiligungsmodells – BÄK (1) I. Allgemeine Kriterien • Medizinisches Primat und ärztliche Unabhängigkeit • Trennungsgebot (sachlich/räumlich) • Gebot der gewissenhaften Berufsausübung • Transparenzgebot • Empfehlungs-/Verweisungsverbot • „Spürbare“ Einflussnahmemöglichkeit auf Ertrag • Marktüblichkeit der Konditionen • Beachtung der berufsrechtlichen Werbeverbote • Konsultation von LÄK oder KV Quelle:http://www.aerzteblatt.de/archiv/149174/Unternehmerische-Betaetigungen-von-Aerztinnen-und-Aerzten-und-Beteiligungan-Unternehmen Beurteilungskriterien für Zulässigkeit eines Beteiligungsmodells – BÄK (2) Bezug zum Arztberuf (-) Grds. zulässig, soweit mit ethischen Grundsätzen des ärztlichen Berufs vereinbar Bezug zum Arztberuf (+) Gesetzliche ausdrücklich erlaubte Tätigkeit (z. B. Kooperation in MVZ) Sachliche Trennung: Beteiligung von HNO-Arzt an Physiotherapieeinrichtung oder von Orthopäden an Hörgeräteakustiker Räumliche Trennung: Orthopäde aus M beteiligt sich an Physiotherapieeinrichtung in B § 128 SGB V Einführung des § 128 SGB V durch das GKV-OrgWG v. 05.12.2008 Regelung beschränkt auf Hilfsmittelbereich Änderung / Ergänzung durch „15. AMG-Novelle“ vom 17.07.2009 u. a. Erstreckung auf Arzneimittelbereich durch sog. „Pharmaklausel“ Änderung / Ergänzung durch GKV-VStrG vom 22.12.2011 u. a. Erstreckung auf Heilmittelbereich, Erweiterung um Beteiligung Inhalte • Depotverbot (§ 128 Abs. 1 SGB V) • Beteiligungsverbot (§ 128 Abs. 2 Satz 1, 1. Fall SGB V) • Zuwendungsverbot (§ 128 Abs. 2 Satz 1, 2. Fall SGB V) • „IGeL-Verbot“ (§ 128 Abs. 2 Satz 2 SGB V) § 128 Abs. 2 S. 1 SGB V „Leistungserbringer dürfen Vertragsärzte sowie Ärzte in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen nicht gegen Entgelt oder Gewährung sonstiger wirtschaftlicher Vorteile an der Durchführung der Versorgung mit Hilfsmitteln beteiligen (Beteiligungsverbot) oder solche Zuwendungen im Zusammenhang mit der Verordnung von Hilfsmitteln gewähren (Zuwendungsverbot).“ Ziele des § 128 SGB V Unterbindung von Fehlentwicklungen in der Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten Schutz des Wahlrechts von Versicherten Unabhängigkeit der Verordnungspraxis der Vertragsärzte von wirtschaftlichen Anreizen Verhinderung nicht gerechtfertigter Wettbewerbsvorteile nichtärztlicher Leistungserbringer (Gesetzesbegründung GKV-OrgWG, BT-Drs.: 16/10609, 15.10.08) Zuwendungsverbot des § 128 Abs. 2 S. 1, 2. Fall SGB V Nach § 128 Abs. 2 Satz 1 2. Fall SGB V ist die Gewährung sämtlicher Zuwendungen in Form von Geld oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteilen „im Zusammenhang“ mit der Verordnung von Hilfs-, Heil und Arzneimitteln unzulässig. Beispiele für „unzulässige Zuwendungen“ in § 128 Abs. 2 S. 3 SGB V: …. Einkünfte aus Beteiligungen an Unternehmen von Leistungserbringern, die Vertragsärzte durch ihr Verordnungsoder Zuweisungsverhalten selbst maßgeblich beeinflussen Qualität der „Unrechtsvereinbarung“ Was heißt „in Zusammenhang mit der Verordnung“? Konkrete Unrechtsvereinbarung Gelockerte Unrechtvereinbarung § 299 StGB: §§ 331, 333 StGB: „als Gegenleistung dafür“ §§ 332, 334 StGB: „als Gegenleistung dafür“ § 31 Abs. 1 MBO-Ä: „für die Zuweisung (…)“ § 73 Abs. 7 SGB V: „für die Zuweisung (…)“ „für die Dienstausübung“ § 32 Abs. 1 MBO-Ä: „wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird“ § 128 SGB V: „im Zusammenhang mit der Verordnung“ Tatsächliche Einflussnahme vs. Potential? § 128 Abs. 2 S. 3 SGB V „Unzulässige Zuwendungen im Sinne des Satzes 1 sind auch (…) Einkünfte aus Beteiligungen an Unternehmen von Leistungserbringern, die Vertragsärzte durch ihr Verordnungs- oder Zuweisungsverhalten selbst maßgeblich [Anm.: Berufsrecht: „spürbar“] beeinflussen können.“ Beschlussempfehlung des 14. Gesundheitsausschusses zur Streichung des Wortes „können “ iRd Gesetzgebungsverfahrens zum GKV-VStrG (BT-Drs. 17/8005; S. 119, zu Nummer 46; Buchst. a) „Mit der Streichung des Worts „können“ wird klargestellt, dass das Zuwendungsverbot auf eine tatsächliche Beeinflussung des Verordnungs- oder Zuweisungsverhaltens von Vertragsärztinnen und -ärzten abstellt. Dies trägt zur Rechtssicherheit bei.“ Was bedeutet „Einkünfte selbst maßgeblich beeinflussen“? (+), bei fachverwandten und räumlich nahen Leistungserbringerunternehmen, da hier rein faktisch ein Großteil der Verordnungen des Arztes eingelöst werden Orthopäde - physiotherapeutisches Unternehmen eine Ecke weiter HNO-Arzt - Hörgeräteakustiker im Haus (+), in Modellen, die nahezu zwangsläufig zu Gewinnen durch Verordnung/Zuweisung führen („Selbstbelohnungssystem“) verkürzte Versorgung kombiniert mit Beteiligung des Arztes an Leistungserbringer, der Hilfsmittelleistungen erbringt Beteiligung Arzt an Herstellungsbetrieb in der Onkologie Kritik in der Literatur geht über Hörgeräteversorgung II des BGH hinaus erfordert mehr als Verordnung/Zuweisung – ein jeweils darauf bezogenes „Verhalten“ man müsse „ohne sachlichen Grund“ mitlesen Ungleichbehandlungen drohen, da bestimmte Beteiligungen erlaubt sind (Arzt beteiligt sich an MVZ) Was bedeutet „Einkünfte selbst maßgeblich beeinflussen“? BT-Drs. 16/10609, S. 58 (2008) Was bedeutet „Einkünfte selbst maßgeblich beeinflussen“? Noch einmal BÄK 2013 Praxistauglichkeit § 128 SGB V im Kontext der Beteiligungsmodelle? Praxistauglichkeit § 128 SGB V im Kontext der Beteiligungsmodelle? Kernfrage: Soll der Arzt in der GKV nur durch seine diagnostische/therapeutische Tätigkeit, in die das Verschreiben von AM/Hilfsmitteln eingeschlossen ist, verdienen oder darf er auch an den Verordnungen an sich verdienen? Wertung des § 128 Abs. 2 S. 1 SGB V klar: keine Vorteile an Arzt für Gegenstand der Verordnungen Auch konsistent wenn man BGH-Rechtsprechung zur Empfehlung des Arztes ggü. Patient mitdenkt. Arzt darf empfehlen, wenn Patient um Rat fragt. Ist er gleichzeitig an einem Leistungserbringer beteiligt, ist Interessenkonflikt vorprogrammiert. Warum gibt es hier keine Entscheidungen der Gerichte? Rechtsunsicherheiten/Nachweisschwierigkeiten? Hat niemand einen wirtschaftlichen Schaden? Gibt es keine Fehlanreize für Verordnungen? Gibt es keine Beteiligungen (mehr)? Dr. iur. Constanze Püschel Fachanwältin für Medizinrecht Kurfürstendamm 195 | 10707 Berlin 030 327 787 0 | [email protected]
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