Der Gebrauch des definiten Artikels bei Personenbezeichnungen in der mhd. Urkundensprache Christine Ganslmayer (Universität Erlangen) Die Entstehung des definiten Artikels im Deutschen wird mit verschiedenen grammatischen Faktoren wie Wortstellung, Thema-Rhema-Struktur, verbalem Aspekt, Kasusgebrauch u.a. in Zusammenhang gebracht (vgl. zusammenfassend Szczepaniak 2011: 63–69). Im Rahmen der Grammatikalisierungsforschung wird hinsichtlich der Entwicklung vom Demonstrativum zum Definitum ein Definitheitszyklus konstatiert, der vom „demonstrative[n] Determinierer“ hin zum „nominale[n] Marker“ führt (Szczepaniak 2011: 70). Der Weg führt „[v]on der pragmatischen zur semantischen Definitheit“ (Szczepaniak 2011: 71). Dass dabei ein Abbau deiktischer, situativer Komponenten erfolgt, wird klar herausgestellt. Vor diesem Hintergrund scheint eine Untersuchung des Artikelgebrauchs in der mhd. Urkundensprache lohnenswert: - Die frühen deutschen Originalurkunden (im Wesentlichen erfasst im „Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300“) gelten als Textsorte, die die situativen Rahmenbedingungen unmittelbar in die Textwelt umsetzt (vgl. Steinbauer 1989). - Da die Ausbildung des definiten Artikels in vormhd. Zeit zu datieren ist (vgl. Wegera/ Waldenberger 2012, 152f.), wurde der Artikelgebrauch im Mhd. in der aktuellen Forschung bislang nicht fokussiert (vgl. zum älteren Forschungsstand Paul 2007, passim). - Untersuchungen zum Mhd. berücksichtigen nach wie vor (auch überlieferungsbedingt) zu wenig Prosaquellen. Die Eignung des Friedrich-WilhelmCorpus für korpusbasierte Forschungen ist unbestritten und ermöglicht zudem explizite Aussagen zu regional gebundenem Sprachgebrauch (vgl. Ganslmayer 2012: 35–47). Die belegte Vielfalt der morphologischen Formen des definiten Artikels, die auch reduzierte Formen oder klitisierte Formen mit Präposition mit einschließt, ist im Teil A des WMU (1994, 365f.) erfasst. Daran können gezielte Gebrauchsuntersuchungen angeschlossen werden. - Unscharf bleibt in der aktuellen Forschung zur Entwicklung des Artikelgebrauchs zudem, wie sich der Artikelgebrauch in Verbindung mit Eigennamen, einer per se definiten semantischen Kategorie (vgl. Koß 2002, 73–77; Nübling 2012, 79–83), in die skizzierten Entwicklungen einordnen lässt. Auch hierfür bietet die Urkundensprache mit Einführung und Nennung der beteiligten Urkundenparteien ausgezeichnete Voraussetzungen. Im Vortrag können erste Ergebnisse zum Artikelgebrauch in der mhd. Urkundensprache vorgestellt werden. Der Schwerpunkt liegt auf dem Artikelgebrauch in Verbindung mit Personenbezeichnungen und Eigennamen sowie der textuellen Einbindung dieser Phrasen in das Urkundenformular. Von Interesse sind folgende Aspekte: Inwiefern hat die mhd. Urkundensprache ältere, deiktische Funktionen des Artikels bewahrt? In Verbindung mit welchen Bezeichnungskategorien (unter Berücksichtigung kognitiver Kategorien wie Belebtheit, Individualität etc.) sind solche nachweisbar? - - - - In welchen syntaktischen, semantischen und textuellen Kontexten wird bei Phrasen mit proprialen und appellativen Personenbezeichnungen im 13. Jh. der definite Artikel gesetzt? Welche Korrelationen bestehen zu informationensstrukturellen Parametern? Welche Rolle für die Setzung des definiten Artikels spielt das Urkundenformular, das bereits in den frühen deutschen Urkunden einen festen, informationsstrukturellen Rahmen maßgeblich vorgibt? Ist für die genannten Aspekte sprachlandschaftliche Variation im Artikelgebrauch nachweisbar? Inwiefern bestehen Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten mit dem gegenwartssprachlichen Artikelgebrauch? Literatur Ganslmayer, Christine (2012): Adjektivderivation in der Urkundensprache des 13. Jahrhunders. Eine historisch-synchrone Untersuchung anhand der ältesten deutschsprachigen Originalurkunden. (SLG 97). New York/Boston. Koß, Gerhard (2002): Namenforschung. Eine Einführung in die Onomastik. (Germ. Arbeitshefte 34). 3., aktual. Aufl. Tübingen. Paul, Hermann (2007): Mittelhochdeutsche Grammatik. (Sammlung kurzer Grammatiken germ. Dialekte A.2). Neu bearb. von Thomas Klein, Hans-Joachim Solms u. Klaus-Peter Wegera. 25. Aufl. Tübingen. Steinbauer, Bernd (1989): Rechtsakt und Sprechakt. Pragmalinguistische Untersuchungen zu deutschsprachigen Urkunden des 13. Jahrhunderts. (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Germ. Reihe 36). Innsbruck. Szczepaniak, Renata (2011): Grammatikalisierung im Deutschen. Eine Einführung. (narr studienbücher). 2., überarb. u. erw. Aufl. Tübingen. Wegera, Klaus-Peter/Waldenberger, Sandra (2012): Deutsch diachron. Eine Einführung in den Sprachwandel des Deutschen. (Grundlagen der Germanistik 52). Berlin. WMU = Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache. Auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300. 1. Bd. Unter Leitung von Bettina Kirschstein u. Ursula Schulze erarbeitet v. Sibylle Ohly u. Peter Schmitt. Berlin 1994.
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