KVB FORUM Ausgabe 10.2015 - Kassenärztliche Vereinigung Bayerns

R e ch t int e r e ssa n t
„Recht ärgerlich ...“
... hat der Autor diesen 70. Beitrag der Rechtsabteilung für die Rubrik „Recht interessant“ überschrieben.
Was ist der Anlass für das Ärgernis? Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur steuerlichen Behandlung angestellter Ärzte konterkariert die von der verfassten Ärzteschaft und dem Bundesgesetzgeber
veranlasste Liberalisierung des Berufs- und Vertragsarztrechts aus den vergangenen Jahren.
Der Grundsatz der persönlichen
Leistungserbringung
Berufsrechtlich und ergänzend auch
vertragsarztrechtlich muss der Arzt
seine (vertrags-) ärztliche Tätigkeit
persönlich ausüben [1]. Ärztliche
Leistungen, die ein bei ihm angestellter Arzt erbringt, werden dem
Arzt grundsätzlich – unter Beachtung der spezifischen Voraussetzungen – als eigen erbrachte Leistungen zugerechnet, wenn er die
Praxis leitet [2].
Liberalisierung des Berufs- und
Vertragsarztrechts
Der Grundsatz der persönlichen
Leistungserbringung und die Zurechnung von Leistungen von angestellten Ärzten wurden im Zuge der Fortentwicklung beziehungsweise der
Liberalisierung des Berufsrechts
durch die deutsche Ärzteschaft
und der Änderungen des Vertragsarztrechts durch den Bundesgesetzgeber des SGB V unter anderem in zwei Punkten erweitert:
Dem anstellenden Arzt werden als
Eigenleistung auch Leistungen zugerechnet, die selbstständig
„„ von einem angestellten Arzt
eines fachfremden Gebietes [3]
oder
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„„ in der Nebenbetriebsstätte der
Praxis in Abwesenheit des
Vertragsarztes [4]
erbracht werden.
Beide Regelungen sind das Ergebnis intensiver und auch kontroverser Debatten in der deutschen Ärzteschaft im Zusammenhang mit der
Diskussion und dem Beschluss der
Muster-Berufsordnung auf dem
107. Deutschen Ärztetag 2004 in
Bremen. Dabei ist zu beachten, dass
es sich bei der vom Deutschen Ärztetag beschlossenen (Muster-) Berufsordnung – wie die Bezeichnung
bereits zum Ausdruck bringt – um
eine Vorlage für „eine möglichst einheitliche Regelung der ärztlichen
Berufspflichten und der Grundsätze für die ärztliche Tätigkeit“ handelt [5]. Rechtswirkung entfaltet
eine Berufsordnung erst, wenn sie
von der Delegiertenversammlung
der jeweiligen Landesärztekammer
als Satzung beschlossen und vom
zuständigen Aufsichtsministerium
genehmigt wurde. Dies ergibt sich
aus der Zuständigkeit der Länder
für Regelungen der Berufsausübung.
Demzufolge hat auch im Anschluss
an den Deutschen Ärztetag eine intensive Diskussion in den Gremien
der einzelnen Landesärztekammern
darüber stattgefunden, unter wel-
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chen Bedingungen Leistungen, die
Ärzte durch angestellte Ärzte erbringen, nach dem Selbstverständnis der Ärzteschaft den niedergelassenen Ärzten als Eigenleistungen zuzurechnen sind. Für die vertragsärztliche Versorgung wurden
diese Probleme mit den Partnern
des Bundesmantelvertrags, das
heißt zwischen Kassenärztlicher
Bundesvereinigung und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen, intensiv erörtert und das Konsentierte im BundesmantelvertragÄrzte (BMV-Ä) mit dem dargestellten Ergebnis festgeschrieben.
Urteil des Bundesfinanzhofs
vom 16. Juli 2014
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in
seiner jüngsten Entscheidung zur
steuerlichen Behandlung von Ärzten mit angestellten Ärzten [6] folgende Leitsätze vorangestellt:
1. Selbstständige Ärzte üben ihren
Beruf grundsätzlich auch dann
leitend und eigenverantwortlich
aus, wenn sie ärztliche Leistungen von angestellten Ärzten erbringen lassen.
2. Voraussetzung dafür ist, dass
sie aufgrund ihrer Fachkenntnisse durch regelmäßige und
eingehende Kontrolle maßgeblich auf die Tätigkeit ihres ange-
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stellten Fachpersonals – patientenbezogen – Einfluss nehmen, sodass die Leistung den
Stempel der Persönlichkeit des
Steuerpflichtigen trägt.
3. Führt ein selbstständiger Arzt
die jeweils anstehenden Voruntersuchungen bei den Patienten
durch, legt er für den Einzelfall
die Behandlungsmethode fest.
Behält er sich die Behandlung
„problematischer Fälle“ vor, ist
die Erbringung der ärztlichen
Leistung durch angestellte Ärzte regelmäßig als Ausübung leitender eigenverantwortlicher
beruflicher Tätigkeit im Rahmen
des § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG
anzusehen [7].
Keine gewerbesteuerpflichtige
Tätigkeit
Die in den Leitsätzen zu 2. und 3.
formulierten extensiven Anforderungen waren in dem streitgegenständlichen Fall erfüllt:
Die Gesellschafter betreiben eine
Gemeinschaftspraxis für Anästhesie in der Rechtsform einer BGBGesellschaft. Ihre Berufstätigkeit
üben sie als mobilen Anästhesiebetrieb in den Praxen von Kollegen aus, die Operationen unter
Narkose durchführen. Die Gemeinschaftspraxis hat eine angestellte Ärztin, die solche Anästhesien nach den Voruntersuchungen
der Gesellschafter vornimmt.
Der BFH hat eingangs festgestellt,
dass sich an der Freiberuflichkeit
im Bereich der ärztlichen Tätigkeit
auch dann nichts ändert, wenn Ärzte angestellt werden. Entscheidend
sei, dass der Berufsträger stets in
allen Fällen leitend und eigenverantwortlich tätig bleibe. Hierfür
reiche es aus, dass die Tätigkeit
des angestellten Fachpersonals regelmäßig und eingehend kontrolliert werde. Diese Voraussetzung
sei im konkreten Fall erfüllt, da die
Gesellschafter die Voruntersuchungen ausschließlich selbst durchgeführt und die Behandlungsmethoden festgelegt haben. Erst dann
sei die angestellte Ärztin zum Einsatz gekommen und das auch nur
in unproblematischen Fällen – eine sicher außergewöhnliche Konstellation.
Divergenz zwischen Berufsund Vertragsarztrecht einerseits und Rechtsprechung des
BFH andererseits
Wird ein fachfremd angestellter
Arzt oder ein angestellter Arzt in
einer Filiale in Abwesenheit des
Vertragsarztes tätig, sind diese
extensiven Anforderungen des
BFH so nicht erfüllbar. Passt der
BFH für diese (bislang nicht entschiedenen) Konstellationen seine
Rechtsprechung nicht an, besteht
das Risiko, dass er diese ärztliche
Tätigkeit als eine gewerbliche ansieht und in der Folge zu einer Gewerbesteuerpflichtigkeit gelangt
[8]. Damit würde er sich jedoch in
Widerspruch zu dem vom Gesetzgeber sowie von der verfassten
Ärzteschaft und darauf basierend
von den Partnern der gemeinsamen Selbstverwaltung im Vertragsarztrecht Gewollten und Geregelten setzen [9].
Die Definitionshoheit für das, was
ärztliche Tätigkeit ist, muss aber –
schon unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – bei den
Genannten verbleiben und darf
nicht der Finanzgerichtsbarkeit
überlassen werden. Zudem wäre
das Ergebnis im Vergleich zu anderen Freiberuflern (Steuerberatern, Rechtsanwälten, Architekten) ungleich restriktiv.
Empfehlung
Bis diese drohende Divergenz – am
besten durch den Gesetzgeber –
bereinigt wird, muss den (Vertrags-)
Ärzten, die einen Arzt anstellen
wollen, dringend geraten werden,
vor der Realisierung dieses Vorhabens einen Steuerberater zu konsultieren, damit er die (gewerbe-)
steuerrechtlichen Konsequenzen
prüft.
Dr. Herbert Schiller
(Justitiar und Leiter der
Rechtsabteilung der KVB)
[1] § 19 Abs. 1 Satz 1 (Muster-) Berufsordnung
für die in Deutschland tätigen Ärztinnen
und Ärzte - M-BO-Ä 1997 in der Fassung
des Beschlusses des 118. Deutschen
Ärztetags 2015 in Frankfurt/Main; § 19
Abs. 1 Satz 1 der Berufsordnung für die
Ärzte Bayerns in der Fassung der Änderungsbeschlüsse vom 25. Oktober 2014; §
15 Abs. 1 Satz 1 BMV-Ä.
[2] § 15 Abs. 1 Satz 3 BMV-Ä; § 32 Abs. 1 Satz
1 Ärzte-ZV
[3] § 19 Abs. 2 M-BO, § 19 Abs. 2 BayBO und
§ 15 Abs. 1 Satz 4 BMV-Ä
[4] § 15 Abs. 1 Satz 3 BMV-Ä
[5] so § 2 der Satzung der Bundesärztekammer
[6] Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) zur
steuerlichen Behandlung von Ärzten mit
angestellten Ärzten vom 16. Juli 2014, Az.:
VIII R 41/12
[7] BFH-Urteil vom 22. Januar 2004, Az.: IV R
51/01, BFHE 205,151, BStBl. II 2004, 509
[8] Je nach Höhe des Gewerbesteuerhebesatzes kann dies erhebliche finanzielle Auswirkungen haben, weil nur in Höhe von 380
Prozent des Gewerbesteuermessbetrags
eine Anrechnung auf die Einkommensteuer
möglich ist und der Hebesatz beispielsweise in München 490 Prozent beträgt.
[9] Auf diese Konsequenz weisen auch Karch/
Kuhnert, Angestellte Ärzte im Steuerrecht,
hin. In: Halbe/Schirmer (Hrsg.) Kooperationen im Gesundheitswesen Beitrag A 1300.1
(Stand 2014) Rn. 13
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