R e ch t int e r e ssa n t „Recht ärgerlich ...“ ... hat der Autor diesen 70. Beitrag der Rechtsabteilung für die Rubrik „Recht interessant“ überschrieben. Was ist der Anlass für das Ärgernis? Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur steuerlichen Behandlung angestellter Ärzte konterkariert die von der verfassten Ärzteschaft und dem Bundesgesetzgeber veranlasste Liberalisierung des Berufs- und Vertragsarztrechts aus den vergangenen Jahren. Der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung Berufsrechtlich und ergänzend auch vertragsarztrechtlich muss der Arzt seine (vertrags-) ärztliche Tätigkeit persönlich ausüben [1]. Ärztliche Leistungen, die ein bei ihm angestellter Arzt erbringt, werden dem Arzt grundsätzlich – unter Beachtung der spezifischen Voraussetzungen – als eigen erbrachte Leistungen zugerechnet, wenn er die Praxis leitet [2]. Liberalisierung des Berufs- und Vertragsarztrechts Der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung und die Zurechnung von Leistungen von angestellten Ärzten wurden im Zuge der Fortentwicklung beziehungsweise der Liberalisierung des Berufsrechts durch die deutsche Ärzteschaft und der Änderungen des Vertragsarztrechts durch den Bundesgesetzgeber des SGB V unter anderem in zwei Punkten erweitert: Dem anstellenden Arzt werden als Eigenleistung auch Leistungen zugerechnet, die selbstständig von einem angestellten Arzt eines fachfremden Gebietes [3] oder K V B F O R U M 10/2015 in der Nebenbetriebsstätte der Praxis in Abwesenheit des Vertragsarztes [4] erbracht werden. Beide Regelungen sind das Ergebnis intensiver und auch kontroverser Debatten in der deutschen Ärzteschaft im Zusammenhang mit der Diskussion und dem Beschluss der Muster-Berufsordnung auf dem 107. Deutschen Ärztetag 2004 in Bremen. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der vom Deutschen Ärztetag beschlossenen (Muster-) Berufsordnung – wie die Bezeichnung bereits zum Ausdruck bringt – um eine Vorlage für „eine möglichst einheitliche Regelung der ärztlichen Berufspflichten und der Grundsätze für die ärztliche Tätigkeit“ handelt [5]. Rechtswirkung entfaltet eine Berufsordnung erst, wenn sie von der Delegiertenversammlung der jeweiligen Landesärztekammer als Satzung beschlossen und vom zuständigen Aufsichtsministerium genehmigt wurde. Dies ergibt sich aus der Zuständigkeit der Länder für Regelungen der Berufsausübung. Demzufolge hat auch im Anschluss an den Deutschen Ärztetag eine intensive Diskussion in den Gremien der einzelnen Landesärztekammern darüber stattgefunden, unter wel- RECHT INTERESSANT 30 chen Bedingungen Leistungen, die Ärzte durch angestellte Ärzte erbringen, nach dem Selbstverständnis der Ärzteschaft den niedergelassenen Ärzten als Eigenleistungen zuzurechnen sind. Für die vertragsärztliche Versorgung wurden diese Probleme mit den Partnern des Bundesmantelvertrags, das heißt zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen, intensiv erörtert und das Konsentierte im BundesmantelvertragÄrzte (BMV-Ä) mit dem dargestellten Ergebnis festgeschrieben. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 16. Juli 2014 Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seiner jüngsten Entscheidung zur steuerlichen Behandlung von Ärzten mit angestellten Ärzten [6] folgende Leitsätze vorangestellt: 1. Selbstständige Ärzte üben ihren Beruf grundsätzlich auch dann leitend und eigenverantwortlich aus, wenn sie ärztliche Leistungen von angestellten Ärzten erbringen lassen. 2. Voraussetzung dafür ist, dass sie aufgrund ihrer Fachkenntnisse durch regelmäßige und eingehende Kontrolle maßgeblich auf die Tätigkeit ihres ange- R e ch t i nt er es sant stellten Fachpersonals – patientenbezogen – Einfluss nehmen, sodass die Leistung den Stempel der Persönlichkeit des Steuerpflichtigen trägt. 3. Führt ein selbstständiger Arzt die jeweils anstehenden Voruntersuchungen bei den Patienten durch, legt er für den Einzelfall die Behandlungsmethode fest. Behält er sich die Behandlung „problematischer Fälle“ vor, ist die Erbringung der ärztlichen Leistung durch angestellte Ärzte regelmäßig als Ausübung leitender eigenverantwortlicher beruflicher Tätigkeit im Rahmen des § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG anzusehen [7]. Keine gewerbesteuerpflichtige Tätigkeit Die in den Leitsätzen zu 2. und 3. formulierten extensiven Anforderungen waren in dem streitgegenständlichen Fall erfüllt: Die Gesellschafter betreiben eine Gemeinschaftspraxis für Anästhesie in der Rechtsform einer BGBGesellschaft. Ihre Berufstätigkeit üben sie als mobilen Anästhesiebetrieb in den Praxen von Kollegen aus, die Operationen unter Narkose durchführen. Die Gemeinschaftspraxis hat eine angestellte Ärztin, die solche Anästhesien nach den Voruntersuchungen der Gesellschafter vornimmt. Der BFH hat eingangs festgestellt, dass sich an der Freiberuflichkeit im Bereich der ärztlichen Tätigkeit auch dann nichts ändert, wenn Ärzte angestellt werden. Entscheidend sei, dass der Berufsträger stets in allen Fällen leitend und eigenverantwortlich tätig bleibe. Hierfür reiche es aus, dass die Tätigkeit des angestellten Fachpersonals regelmäßig und eingehend kontrolliert werde. Diese Voraussetzung sei im konkreten Fall erfüllt, da die Gesellschafter die Voruntersuchungen ausschließlich selbst durchgeführt und die Behandlungsmethoden festgelegt haben. Erst dann sei die angestellte Ärztin zum Einsatz gekommen und das auch nur in unproblematischen Fällen – eine sicher außergewöhnliche Konstellation. Divergenz zwischen Berufsund Vertragsarztrecht einerseits und Rechtsprechung des BFH andererseits Wird ein fachfremd angestellter Arzt oder ein angestellter Arzt in einer Filiale in Abwesenheit des Vertragsarztes tätig, sind diese extensiven Anforderungen des BFH so nicht erfüllbar. Passt der BFH für diese (bislang nicht entschiedenen) Konstellationen seine Rechtsprechung nicht an, besteht das Risiko, dass er diese ärztliche Tätigkeit als eine gewerbliche ansieht und in der Folge zu einer Gewerbesteuerpflichtigkeit gelangt [8]. Damit würde er sich jedoch in Widerspruch zu dem vom Gesetzgeber sowie von der verfassten Ärzteschaft und darauf basierend von den Partnern der gemeinsamen Selbstverwaltung im Vertragsarztrecht Gewollten und Geregelten setzen [9]. Die Definitionshoheit für das, was ärztliche Tätigkeit ist, muss aber – schon unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – bei den Genannten verbleiben und darf nicht der Finanzgerichtsbarkeit überlassen werden. Zudem wäre das Ergebnis im Vergleich zu anderen Freiberuflern (Steuerberatern, Rechtsanwälten, Architekten) ungleich restriktiv. Empfehlung Bis diese drohende Divergenz – am besten durch den Gesetzgeber – bereinigt wird, muss den (Vertrags-) Ärzten, die einen Arzt anstellen wollen, dringend geraten werden, vor der Realisierung dieses Vorhabens einen Steuerberater zu konsultieren, damit er die (gewerbe-) steuerrechtlichen Konsequenzen prüft. Dr. Herbert Schiller (Justitiar und Leiter der Rechtsabteilung der KVB) [1] § 19 Abs. 1 Satz 1 (Muster-) Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte - M-BO-Ä 1997 in der Fassung des Beschlusses des 118. Deutschen Ärztetags 2015 in Frankfurt/Main; § 19 Abs. 1 Satz 1 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns in der Fassung der Änderungsbeschlüsse vom 25. Oktober 2014; § 15 Abs. 1 Satz 1 BMV-Ä. [2] § 15 Abs. 1 Satz 3 BMV-Ä; § 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV [3] § 19 Abs. 2 M-BO, § 19 Abs. 2 BayBO und § 15 Abs. 1 Satz 4 BMV-Ä [4] § 15 Abs. 1 Satz 3 BMV-Ä [5] so § 2 der Satzung der Bundesärztekammer [6] Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) zur steuerlichen Behandlung von Ärzten mit angestellten Ärzten vom 16. Juli 2014, Az.: VIII R 41/12 [7] BFH-Urteil vom 22. Januar 2004, Az.: IV R 51/01, BFHE 205,151, BStBl. II 2004, 509 [8] Je nach Höhe des Gewerbesteuerhebesatzes kann dies erhebliche finanzielle Auswirkungen haben, weil nur in Höhe von 380 Prozent des Gewerbesteuermessbetrags eine Anrechnung auf die Einkommensteuer möglich ist und der Hebesatz beispielsweise in München 490 Prozent beträgt. [9] Auf diese Konsequenz weisen auch Karch/ Kuhnert, Angestellte Ärzte im Steuerrecht, hin. In: Halbe/Schirmer (Hrsg.) Kooperationen im Gesundheitswesen Beitrag A 1300.1 (Stand 2014) Rn. 13 K V B F O R U M 10/2015 31
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