Prof. Dr. Spiecker gen. Döhmann, LL.M. Verwaltungsrecht I (Tutorium), SS 2015 Vorläufiger Rechtsschutz Fall 9: Gastwirt G betreibt eine Kneipe in Frankfurt. Über die letzten Monate hinweg hat er dabei mehrfach entgegen dem Verbot gem. § 9 I JuSchG alkoholische Getränke an Jugendliche verkauft. Nach vorheriger Anhörung untersagt die zuständige städtische Behörde B gem. § 4 I S. 1 HGastG dem G die Ausübung des Gaststättengewerbes. Zudem ordnet sie die sofortige Vollziehung gem. § 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO an und gibt für beide Maßnahmen eine Begründung an. G ist entsetzt und legt bei der B sogleich Widerspruch gegen den Bescheid ein. Später will er notfalls auch mit einer gerichtlichen Klage gegen den Bescheid vorgehen. Allerdings weiß er, dass das Widerspruchsverfahren und vor allem das Verwaltungsgerichtsverfahren sehr lange dauern können. Zumindest in der Zeit bis zum Abschluss dieser Verfahren würde er gerne seine Kneipe weiter betreiben. Schließlich bedeute es seinen wirtschaftlichen Ruin, wenn er über einen solch langen Zeitraum hinweg auf die Einkünfte seiner Kneipe verzichten müsse. Er hat von einem Bekannten gehört, § 123 VwGO könne ihm gegebenenfalls zu seinem Recht verhelfen. Fragen: 1. Darf G derzeit, also bis über seinen Widerspruch und eine spätere Klage entschieden ist, noch seine Gaststätte betreiben? 2. Falls nicht: welche rechtliche Möglichkeit gibt es, dieses Ziel zu erreichen? 3. Hat diese Möglichkeit Aussicht auf Erfolg? Auszug aus dem Hessischen Gaststättengesetz (HGastG): § 4 Untersagung gastgewerblicher Tätigkeiten (1) Wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Gastgewerbetreibende, ihre gesetzliche Vertretung oder Stellvertretung die erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzen, insbesondere befürchten lassen, dass sie dem Alkoholmissbrauch, übermäßigem Alkoholkonsum oder der Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten Vorschub leisten oder die Vorschriften des Gesundheits- und Lebensmittelrechts sowie des Arbeits- und Jugendschutzes nicht einhalten werden, hat die zuständige Behörde die Ausübung des Gaststättengewerbes zu untersagen. Ist der Ausschank alkoholischer Getränke beabsichtigt, hat die zuständige Behörde unter den Voraussetzungen des Satzes 1 bereits den Beginn des Gaststättengewerbes zu untersagen. (2) Wenn die auf den Betrieb eines Gaststättengewerbes bezogenen Gewerbeanzeigen nach § 14 Abs. 1 Satz 1 der Gewerbeordnung in Verbindung mit § 2, auch in Verbindung mit § 3 Abs. 1, und die Anzeigen nach § 5 Abs. 2 und § 6 Satz 1 nicht, nicht rechtzeitig, nicht wahrheitsgemäß oder nicht vollständig erstattet werden, kann die zuständige Behörde die Ausübung des Gaststättengewerbes untersagen. 1 Prof. Dr. Spiecker gen. Döhmann, LL.M. Verwaltungsrecht I (Tutorium), SS 2015 Fall 10: Die hessische Stadt X ist Alleingesellschafterin der „Stadtwerke X GmbH“ (S). Vor einem Jahr wurde der ehemalige Geschäftsführer der S aufgrund von Taten, die er in dieser Position begangen hatte, zu einer hohen Geldstrafe wegen Untreue verurteilt. Bis heute sind dieses und hiermit verwandte Themen Gegenstand öffentlicher Debatten. S ließ inzwischen ein Rechtsgutachten von einer Kanzlei erstellen, das klären sollte, ob sie Schadensersatzansprüche gegen den Aufsichtsrat (wegen etwaiger Verletzung von Kontrollpflichten) habe. J ist fest angestellter Journalist bei einer Frankfurter Tageszeitung. Mit Verweis auf § 3 I S. 1 Hessisches Pressegesetz (HPresseG) verlangt er von der Stadtwerke GmbH Auskünfte über den Inhalt des Gutachtens. Nachdem S diesem Anliegen nicht nachkommt, erhebt J eine Verpflichtungsklage. Zudem stellt er einen Antrag gem. § 123 I VwGO, da er nicht so lange warten könne, bis das öffentliche Interesse an dieser Thematik verflogen sei. S meint, der Antrag im vorläufigen Rechtsschutz sei schon deshalb unbegründet, weil er die Entscheidung des Hauptverfahrens irreversibel vorweg nehme; dies sprenge den Anwendungsbereich des § 123 VwGO, der nur für vorläufige Regelungen heran gezogen werden dürfe. Andernfalls würden die spezielleren Vorschriften des Hauptsacheverfahrens unterlaufen. Ist der Antrag nach § 123 I VwGO begründet? Gehen Sie davon aus, dass J einen Anspruch nach § 3 I S. 1 HPresseG gegen S hat. Auszug aus dem HPresseG - § 3 (1) Die Behörden sind verpflichtet, der Presse die gewünschten Auskünfte zu erteilen. Sie können eine Auskunft nur verweigern, 1. soweit durch sie die sachgemäße Durchführung eines straf- oder dienststrafgerichtlichen Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte, 2. soweit Auskünfte über persönliche Angelegenheiten einzelner verlangt werden, an deren öffentlicher Bekanntgabe kein berechtigtes Interesse besteht, und 3. soweit Maßnahmen, die im öffentlichen Interesse liegen, durch ihre vorzeitige öffentliche Erörterung vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnten. (2) Anordnungen, die einer Behörde Auskünfte an die Tagespresse überhaupt, an diejenige einer bestimmten Richtung oder an ein bestimmtes periodisches Druckwerk allgemein verbieten, sind unzulässig. (3) Der Verleger einer Zeitung oder Zeitschrift kann von den Behörden verlangen, dass ihm deren amtliche Bekanntmachungen gegen Vergütung der Übermittlungskosten nicht später als seinen Mitbewerbern zur Verwendung zugeleitet werden. Lesehinweis: Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 8. Aufl. 2011, §§ 32, 33 2
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