Berlin u neues deutschland Donnerstag, 26. November 2015 11 * MEINE SICHT Module mit Fußbodenheizung Integration verbaut In Marzahn sollen die ersten Flüchtlingsheime entstehen Bernd Kammer fragt, warum es für Flüchtlinge keine Wohnungen gibt 65 000 Flüchtlinge hat Berlin in diesem Jahr bereits aufgenommen, täglich kommen 800 weitere hinzu. Derzeit werden sie in Sporthallen, leeren Bürohäusern, Flughafenhangars und demnächst auch Blumenhallen untergebracht. Das sind Notlösungen, die eigentlich niemanden zugemutet werden können. Deshalb war es eine hoffnungsvolle Entscheidung, für die Flüchtlinge an bis zu 60 Standorten in der Stadt 15 000 Wohnungen bauen zu wollen. Klar, dass es sich dabei um standardisierte und schmucklose Bauten aus Fertigteilen handeln würde, die schnell und preiswert zu errichten sind. Aber die Betonung lag auf Wohnungen, in die neben Flüchtlingen auch andere Familien einziehen können. Damit eben keine Flüchtlingsghettos entstehen, wie sie etwa auf dem Tempelhofer Feld drohen. Doch jetzt sind aus den Wohnungen Gemeinschaftsunterkünfte geworden, mit Einzel- und Doppelzimmern, separaten Küchen und Sanitäranlagenküchen. Natürlich ein großer Fortschritt gegenüber den menschenunwürdigen Behausungen derzeit. Aber in diesen Heimen werden Flüchtlinge wohnen, die bereits registriert sind und sich im Asylverfahren befinden, das sich manchmal jahrelang hinziehen kann. Für ihre Integration werden richtige Wohnungen gebraucht in Gebäuden, in denen sie mit Einheimischen zusammenleben können. Und auch die Berliner brauchen Wohnungen. Gemeinschaftsunterkünfte sind auch nur Provisorien und erschweren die Integration. Ihr Vorteil, dass sie relativ schnell und preiswert zu errichten sind, könnte sich als Nachteil erweisen, wenn sie tatsächlich zu Wohnungen umgerüstet werden sollen. Dann muss noch einmal investiert werden. Weil das oft schwerfällt, dauern Provisorien in Berlin bekanntlich oft länger. Bis Ende 2016 sollen die ersten Modularen Flüchtlingsunterkünfte entstehen. Wohnungen gibt es darin nur wenige. Von Bernd Kammer Lesegerät für Fingerabdrücke in der Registrierungsstelle für Flüchtlinge in der Bundesallee 171 Behörde sagt Nein Arbeitsmarktintegration für Geflüchtete gestaltet sich schwierig Arbeitssenatorin Dilek Kolat hat sich vorgenommen, jeden Flüchtling in einen Job zu vermitteln. Die Bürokratie hat andere Pläne. Von Josephine Schulz Zentrum für Flüchtlinge besetzt Linke Aktivisten der Initiative »Social Center 4 All« haben am späten Mittwochnachmittag ein leerstehendes ehemaliges PostGebäude in Neukölln besetzt – es ist bereits die zweite Aktion innerhalb weniger Wochen. »Bislang hat die Polizei keine Räumung angesagt«, sagte ein Sprecher der Initiative dem »nd«. Unmittelbar nach der Besetzung an der Ecke Karl-Marx-Straße/Anzengruberstraße rückten Beamte einer Einsatzhundertschaft der Polizei an. Nach der sogenannten Berliner Linie müssen Besetzungen innerhalb von 24 Stunden geräumt werden. Um sich mit den Besetzern zu solidarisieren, versammelten sich 70 Unterstützer. Hauptziel der Besetzung ist es, »eine politische Antwort auf die prekäre Situation, in der sich viele Geflüchtete in Berlin befinden, zu geben«, hieß es in einer Erklärung. Und: Die politischen Verantwortlichen in der Stadt würden es »seit Monaten nicht schaffen, den Menschen, die den lebensgefährlichen Weg in die Festung Europa auf sich genommen haben, auch nur minimale Versorgung zu garantieren«. Für Geflüchtete soll in dem Gebäude ein selbstverwalteter sozialer Raum entstehen. Bis zum Redaktionsschluss dieser Seite gab es keine Räumung. mkr Foto: nd/Ulli Winkler An einigen Stellen hängen noch Kabel aus der Decke und im Ruhebereich für Familien röhrt die Bohrmaschine. Dennoch: Im Vergleich zum Standort des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) in der Turmstraße wirkt die neue Registrierungsstelle in der Bundesallee nahezu luxuriös. Vor den Türen warten keine frierenden Menschen, auch die Wartesäle sind gegen Mittag nur halb gefüllt. Von Raum zu Raum werden die Asylbewerber durch das Haus geführt, vom LAGeSo zum Bundesamt für Migration (BAMF), von dort zur Ausländerbehörde und zur Bundesagentur für Arbeit (BA). Im Idealfall soll die Registrierung an einem Tag erledigt sein. Bis Anfang des kommenden Jahres sollen 1000 Fälle am Tag bearbeitet werden. Von solchen Zielen ist das Behördenensemble allerdings noch weit entfernt. Thomas Schulze, der das Konzept Bundesallee mit entwickelt hat, geht derzeit von täglich 200 bis 300 Registrierungen aus. Auch können längst noch nicht alle am selben Tag ihr Asylge- such beim BAMF vortragen. Von der neuen Registrierungsstelle profitieren in erster Linie Asylbewerber mit hohen Anerkennungschancen. Das sind Menschen aus dem Irak, Iran, Syrien und Eritrea. Sie bekommen ein Schnellverfahren – Bearbeitungsdauer zwischen einem und drei Tagen. 345 solcher Direktverfahren hat das BAMF seit Arbeitsbeginn in der Bundesallee bereits abgeschlossen. Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD), die am Mittwoch verschiedene Projekte besuchte, die sich mit der Arbeitsmarktintegration Geflüchteter beschäftigen, ist stolz auf das »Berliner Modell«. Sie hofft vor allem auf einen schnellen Einstieg ins Arbeitsleben. In der Praxis begegnen den Menschen auf dem Weg in Arbeit oder Ausbildung jedoch enorme Hürden – besonders denen, die in Deutschland nur geduldet sind oder in einem längeren Asylverfahren stecken, da sie nicht aus Ländern mit hoher Anerkennungswahrscheinlichkeit kommen. Das Modellprojekt Arrivo gibt Asylbewerbern die Möglichkeit, in verschiedene Ausbildungsberufe hineinzuschnuppern und vermittelt Praktika und Ausbildungen. Rund 150 Berliner Betriebe haben Interesse für Geflüchtete bekundet. »Ich schätze den Berliner Arbeitsmarkt Parlament debattiert über Tempelhof Die Opposition will im Berliner Abgeordnetenhaus noch einmal über die Unterbringung von Flüchtlingen auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof diskutieren. Die LINKE hat die vom rot-schwarzen Senat vorgesehene Gesetzesänderung auf der Tagesordnung für diesen Donnerstag deshalb vorgezogen und zu ihrer Priorität gemacht. Die Landesregierung will das Tempelhof-Gesetz nur eineinhalb Jahre nach dem Volksentscheid gegen eine Bebauung wieder ändern. Am Rand der Freifläche sollen Notunterkünfte für Flüchtlinge entstehen. Die Opposition hatte kritisiert, so entstehe eine Massenunterkunft, die Probleme bringen könne. Eine knappe Mehrheit von 51 Prozent der Berliner sind einer Umfrage zufolge für Flüchtlingsunterbringung auf dem Feld. Eine Entscheidung wird für die letzte Plenarsitzung des Jahres am 10. Dezember erwartet. dpa/nd als aufnahmefähig ein«, so Kolat. Außerdem sehe sie bei vielen Arbeitgebern ein hohes Maß an sozialem Engagement. In den Werkstätten des Arrivo-Hauses in Kreuzberg durchlaufen die Flüchtlinge zuerst einen Parkours verschiedener Handwerksberufe. Die Aufnahme einer anschließenden Ausbildung scheitert jedoch oft an der Ausländerbehörde. Der junge Amir aus Afghanistan möchte Industriemechaniker werden. Er spricht fließend Deutsch und hat ein Unternehmen gefunden, das ihm einen Ausbildungsvertrag anbietet. Die Ausländerbehörde aber verweigert die Zustimmung. »Die Berliner Ausländerbehörde ist extrem restriktiv und schöpft ihre Spielräume kaum aus«, erklärt Arrivo-Projektleiter Anton Schünemann. Ähnliche Erfahrungen hat auch Alexander Fourestié vom Projekt Hospitality gemacht. Die Initiative ermöglicht Flüchtlingen Praktika im Gastgewerbe, nebenbei erhalten sie einen branchenspezifischen Deutschkurs. Fourestié erklärt, dass die politische und rechtliche Situation sich sehr negativ auf die Integrationsarbeit auswirke. »Wir hatten bereits drei unterschriebene Ausbildungsverträge«, sagt er. Zwei davon können jedoch nicht angetreten werden. In einem Fall verweigert die Ausländerbehörde die Zustimmung, im anderen befindet sich der Flüchtling bereits auf dem Rückweg Richtung Balkan. Asylbewerber und Geduldete aus sicheren Herkunftsstaaten darf das Hospitality-Projekt nicht mehr aufnehmen. Für viele Flüchtlinge ist der Weg auf den Arbeitsmarkt reine Reihe von Frustrationen. »Wir müssen viel Aufklärungsarbeit leisten«, sagt Bernd Becking, Geschäftsführer der Berliner BA. »Viele wollen sofort Geld verdienen und sind enttäuscht, wenn ihnen klar wird, dass sie erst Praktika und eine Ausbildung brauchen.« Die ersten beiden Standorte für die sogenannten Modularen Unterkünfte für Flüchtlinge (MUFs) stehen jetzt fest: In der Märkischen Allee, Ecke Martha-Arendsee-Straße, sowie in der Wittenbergerstraße, beide in Marzahn-Hellersdorf, sollen die Neubauten für jeweils 450 Flüchtlinge errichtet werden, teilte Hermann Josef Pohlmann von der Senatsstadtentwicklungsverfaltung am Mittwoch im Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordnetenhauses mit. Jeweils 450 Menschen sollen in den Bauten unterkommen. Insgesamt sollen diese Unterkünfte für 24 000 Asylsuchende entstehen. 600 Millionen Euro hat Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) für den Bau eingeplant. Vergangene Woche lief die europaweite Ausschreibung für die Errichtung der ersten Modularen Unterkünfte aus, die an sechs bis sieben Standorten in Berlin errichtet werden sollen. Sechs Bauunternehmen haben ihre Angebote abgegeben, die jetzt gesichtet werden. Bis Ende 2016 sollen die ersten Unterkünfte stehen, sagte Senatsbaudirektorin Regula Lüscher im Ausschuss. Für diese erste Tranche stehen 80 Millionen Euro zur Verfügung. Eine weitere Ausschreibung über 100 Millionen Euro soll noch in diesem Jahr gestartet werden. Mit diesen Bauten will der Senat weg von den Notlösungen in Turnund Traglufthallen. Und sie sollen flexibel sein, um sie später als Studentenwohnheime oder auch als normale Wohnungen nutzen zu können. »Modulare Unterkünfte haben nichts mit Containern zu tun«, sagte Lüscher, denn sie sollen ja auch länger als 50 Jahre bestehen. Jetzt würden sie aber als Gemeinschaftsunterkünfte errichtet, sagte Lüscher. Katrin Lompscher von der Linksfraktion findet diesen Ansatz be- denklich. »Wir brauchen keine Gemeinschaftsunterkünfte, sondern Wohnungen für alle, das wäre auch für die Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft förderlich.« Die spätere Umrüstung würde teuer, und es bestehe die Gefahr, dass die Gemeinschaftsunterkünfte eine Dauerlösung bleiben. Der Bauverwaltung geht es vor allem um Schnelligkeit. Die geplanten Betonfertigteilbauten ermöglichten ein schnelles Genehmigungsverfahren, so Lüscher. Die Gebäude hätten flexible Innenwände, so dass sie später leicht umzurüsten seien. Sie wurden unabhängig vom Grundstück entworfen und sollen überall hinpassen, wie Pohlmann sagte. Es werde drei bis fünfgeschossige Grundmodule geben, die pro Etage 15 Bewohner aufnehmen können. Die Module können erweitert werden, so dass bis zu 450 Bewohner Platz haben. Wohnungen soll es nur im Erdgeschoss geben, darüber Einzel- und Doppelzimmer. Für eine Person stehen acht Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung, für zwei 16, für jede weitere sechs. Die Sanitärbereiche für Männer und Frauen sind getrennt, es gib Gemeinschaftsküchen und Aufenthaltsräume. Die Zimmer erhalte Fußbodenheizung, das spare Betriebskosten, hieß es. Vor den Modulen entstehen Flachbauten, in denen Freizeit- und Seminarräume eingerichtet werden. Andreas Otto (Grüne) monierte die Festlegung auf Stahlbetonbauten. Dadurch würden andere Anbieter und Baustoffe ausgeschlossen, Innovation und Wettbewerb behindert. Bei anderen Baustoffen, etwa Holz, gebe es Probleme mit dem Brandschutz, entgegnete Pohlmann. Mit Beton könne man schneller bauen. Auf der Suche nach Unterkünften hat der Senat unterdessen den Druck auf die Bezirke erhöht. Nach Informationen des »rbb« forderte der Staatssekretär für Flüchtlingsfragen, Dieter Glietsch, die Bezirksverwaltungen jetzt schriftlich auf, bis Freitag weitere mögliche Unterbringungsmöglichkeiten zu melden. So sollen die modularen Flüchtlingsbauten aussehen. ANZEIGE Simulation: Senstadtum
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