DieWahrheitlässtsichnichtorganisieren

Die Tagespost
Kirche aktuell
Samstag, 6. Juni 2015 Nr. 67 / Nr. 23 ASZ
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DieWahrheitlässtsichnichtorganisieren
Ein Gespräch mit Kardinal Gerhard Müller, Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, über die Ehe- und Familiendebatte in der Kirche
Eminenz, das Referendum in Irland hat bewiesen: Unter den Katholiken gibt es viele,
welche die kirchliche Lehre zu Ehe und
Familie im persönlichen und politischen Leben nicht mehr beachten. Muss sich die Kirche auf weitere Niederlagen auf diesem Gebiet einstellen?
Ich beglückwünsche alle, „die ihre Knie
nicht gebeugt haben“ (Röm 11, 4) vor den
Götzen der Selbsterschaffung und Selbsterlösung, die uns zielsicher in die Selbstzerstörung führen werden – wie andere politische Ideologien zuvor. Was ist nicht alles
schon schöngeredet worden! Tatsächlich
ging es aber nicht darum, dass homosexuell
empfindende Menschen nicht diskriminiert werden. Das ist eine Selbstverständlichkeit. „Nichtdiskriminierung“ war nur
die Schalmei, mit der sich die Naiven in
den Schlaf des Gewissens wiegen ließen.
Das Ziel des Ganzen ist die Diskriminierung
des Ehebundes von Mann und Frau und somit eben auch der Familie, die Lebensgemeinschaft von Vater und Mutter ist mit
ihren Kindern, die Gott ihnen geschenkt
und anvertraut hat. Die Kinder sind nicht
Eigentum der Gesellschaft und des Staates,
der sie bei Leuten, die sich einen Wunsch
erfüllen wollen, zur Pflege gibt, sondern sie
sind Eigentum Gottes, der die Menschen
nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen
hat. Insofern hat Kardinalstaatssekretär Parolin den richtigen Ausdruck gefunden:
eine Niederlage für die Menschheit und
nicht nur, wie die Medien triumphierten,
eine Niederlage für die katholische Kirche.
Die Mehrheit, die auf diese Weise organisiert wurde, sagt aber nichts über die Wahrheit aus. Die Wahrheit wird sich durchsetzen, wenn auch unter großen Opfern!
Wenn der Ehebund eine Lebensgemeinschaft von einem Mann und einer Frau ist,
kann die Ehe nicht auch mit dem gleichen
Wort die Bezeichnung für die Verhältnisse
von Menschen zueinander ganz anderer
Art sein.
Warum sind Sie so sicher?
Man kann auch nicht zuerst das Fundament eines Hauses umstürzen und dann in
dieses einziehen wollen. Die Ehe entsteht
ihrem Wesen nach aus dem freien Ja-Wort,
das ein Mann und eine Frau sich geben,
und besteht in der Tatsache, dass sie „ein
Fleisch sind“ (das unauflösbare Eheband)
und eine (natürliche und sakramenentale)
Lebenswirklichkeit bilden, die von Gott
selbst gestiftet ist (vgl. Mt 19, 6). Daraus ergibt sich die Offenheit für Kinder als Erweiterung dieser Liebe und die lebenslange
Treue zu dem einen Mann beziehungsweise
der einen Frau, zu dem oder zu der man Ja
gesagt hat mit der Konsequenz, dass Ehebruch eine schwere Sünde ist, die vom Gottesreich ausschließt (Gal 5, 19), solange der
Sünder nicht durch Reue, Bekenntnis, Wiedergutmachung und die Absolution die
Wiederversöhnung mit Gott und der Kirche erlangt hat. Das sind die wesentlichen
Grundlagen der Ehe. Ansonsten ist das
Wort Ehe nur noch eine Hülse, das man beliebig füllt mit beliebigen Inhalten. Wenn
man aber jede Beziehung von Menschen,
in welcher Weise und Zahl auch immer,
Ehe nennt, dann hat das Wort „Ehe“ jeden
Bezugspunkt verloren, nämlich die spezifische Differenz, ohne die eine Definition
nur eine Tautologie wäre. Deshalb ist es
wichtig, dass das Volk Gottes mit dem Papst
und den Bischöfen, denen die Führung der
Kirche anvertraut worden ist, klar einsteht
für die im Naturrecht und im Schöpfungswillen Gottes begründete Ehe von Mann
und Frau. Die Ehe als Lebensbund von
Mann und Frau ist die Keimzelle eines gesunden Wachstums von Gesellschaft und
Kirche. Wir treten hier übrigens nicht nur
für Inhalte ein, die sich unmittelbar aus der
übernatürlichen Offenbarung in Jesus
Christus ergeben, sondern für etwas, das
schon in der Schöpfung selbst grundgelegt
ist. Der Heilige Vater wird dieses Thema
auch in der kommenden Enzyklika klar ansprechen: Die Bewahrung der Schöpfung
bedeutet ja nicht nur Flora und Fauna, die
Grundelemente Feuer, Wasser, Erde, Luft
und Licht, sondern auch die Grundlage der
ganzen Anthropologie. Es geht um das
Menschenbild, den konstitutiven Aufbau
des Menschseins „als Person in Gemeinschaft“ im Licht von Schöpfung und Heilsgeschichte.
Stichwort Schöpfung: In Deutschland gibt
es mit dem Zentralkomitee der Katholiken
(ZdK) eine Einrichtung, die sich zu den Themen Homosexualität und Familie gern mit
kreativen Ideen zu Wort meldet. Die Segnung homosexueller Paare und der Zugang
wiederverheirateter Geschiedener zu den
Sakramenten wurde vorgeschlagen. Wie
stehen Sie dazu?
Das Zentralkomitee der deutschen Katholien ist ein Gremium, das den Laienapostolat fördern und auch in die öffentliche Diskussion hinein christliche Grundüberzeugungen einbringen soll für das Gemeinwohl der ganzen Gesellschaft, auch wenn
sie pluralistisch ist. Man hat dort keine
Kompetenz, anstelle des Lehramts wesentliche Inhalte der Offenbarung zu interpretieren oder ihres Inhaltes zu entleeren oder
gar im Namen eines säkularisierten Denkens „Forderungen“ an das Lehramt des
Papstes und der Bischöfe zu stellen. Das
ZdK kann sich auch nicht auf demokratische Legitimation berufen, wenn es darum
geht, die Vollmacht und die Mission der
ganzen Kirche, die Offenbarung in Jesus
Christus zu bewahren und zu vergegenwärtigen. Diese ist von Gott gegeben und nicht
ausgedacht wie ein Parteiprogramm von
einer Gruppe, die sich organisiert, die sozusagen die Offenbarung in die eigene Regie
nimmt und Gott am Ende belehren will,
was er eigentlich gemeint haben sollte, als
vor 2 000 Jahren in Jesus Christus, dem
Fleisch gewordenen Wort des Vaters, die geschichtlichen Offenbarung abgeschlossen
wurde und von nun an im Heiligen Geist
der Glaubensgemeinschaft für immer aufgeschlossen bleibt. Die Forderung, etwas zu
segnen, also von Gott her gut zu heißen,
was Gott selber in der Offenbarung nicht
gut nennt, und was einen Verstoß gegen
das sechste Gebot darstellt, ist ein schreiender Widerspruch zum Wort Gottes. Auch
mit Berufung auf die Psychologie und Soziologie ist hier keine Verringerung des Abstands zwischen Kirche und entchristlichtneuheidnischer Gesellschaft zu erreichen.
Statt mehr gesellschaftlicher Akzeptanz
wird man nur mehr Irrelevanz ernten in allen existenziellen Fragen. Humanwissenschaftliche Forschung kann durchaus in
der pastoralen Sorge um konkrete Menschen dienlich sein. Oft müssen aber die
weltanschaulichen Thesen, die aus empirischen Daten gewonnen oder gesponnen
Kardinal Gerhard Müller.
Foto: reg
sind, gereinigt werden von falschen anthropologischen
Annahmen,
besonders
wenn sie aus einem „Humanismus ohne
oder gegen Gott stammen“. Jedes Menschenbild ohne Gott und jeder Gesellschaftsentwurf gegen Gott ist zum Scheitern verurteilt. Schauen wir nur auf die katastrophalen Ergebnisse der Gesellschaftsexperimente in Ländern, die von gottlosen
Regimes durchgeführt worden sind, mit
Millionen von Menschen ohne Heimat
und Geborgenheit in Gott, ohne Erfahrung, „dass sie zur Freiheit und Herrlichkeit
der Kinder Gottes bestimmt sind“ (Röm
8, 21), sehen wir auf die Orientierungslosigkeit in religiösen, moralischen und kulturellen Fragen.
Vor wenigen Tagen hat in Rom ein diskretes
Treffen von Bischöfen, Theologen und Medienleuten aus Frankreich, Deutschland und
der Schweiz stattgefunden, sozusagen als
theologische Vorbereitung für die Synode
im Herbst. Ist das in Ordnung?
Es darf sich jeder mit jedem an beliebiger
Stelle über wichtige Fragen austauschen.
Aber vielleicht sollte nur das Sprichwort
bewahrheitet werden: „Alle Wege führen
nach Rom.“ Bekanntlich muss mit der römischen Kirche wegen ihrer einzigartigen
Gründungsautorität in Petrus und Paulus
jede andere Kirche in der Glaubens- und
Sittenlehre übereinstimmen. Schließlich ist
die römische Kirche Mutter und Lehrmeisterin aller Kirchen. Sie lehrt und wird nicht
belehrt. Sie braucht von niemanden, so
überlegen und zeitgemäß er sich auch vorkommen mag, erst auf den Begriff des rechten Glaubens gebracht zu werden, weil in
ihr die apostolische Tradition treu bewahrt
worden ist und immer bewahrt wird (vgl.
Irenäus von Lyon, Gegen die Häresien III,
3). Die Wahrheit, von der wir sprechen, ergibt sich aus dem Wort Gottes (in Schrift
und Tradition). Die Offenbarung treu und
vollständig zu bewahren ist der Kirche insgesamt anvertraut. Und alle haben hier
einen besonderen Auftrag: Laien, Ordensleute, das Lehramt des Papstes und der Bischöfe. Man kann die Wahrheit nicht organisieren. Wenn dieses Prinzip greifen würde, dass das in der Kirche als wahr gilt, was
über Meinungsmacher auf den Weg gebracht wird, die Bewusstseinsbildung betreiben, dann wäre die Kirche in ihren Fundamenten erschüttert. Der Begriff der Offenbarung mit seiner kirchlichen Vermittlung ist klar ausgesprochen in den beiden
Dogmatischen Konstitutionen Dei Filius
des I. Vatikanums und Dei Verbum des II.
Vatikanums. Die Lehre über die Ehe und
auch die Sexualmoral findet sich lehramtlich zusammengefasst in Gaudium et spes
47–52 und im Katechismus der Katholischen Kirche. Gewiss gibt es ein tieferes Verständnis der geoffenbarten Wahrheit und
auch die Notwendigkeit, pastoral und kirchenrechtlich auf die jeweiligen Situationen konkret einzugehen. Aber die Grundlagen sind ein für allemal gelegt. Die Wahrheit macht frei (vgl. Joh 8). Und die christliche Freiheit findet ihre Erfüllung in der
Liebe (vgl. Gal 5). Angesichts der Prinzipien
katholischer Theologie, die allen dualistischen Theoremen wie schon Irenäus von
Lyon gegen den Gnostizimus herausgearbeitet hat, widerstreben, ist es geradezu
absurd, der Theologie des Leibes von Johannes Paul II. eine Theologie der Liebe, mit
der dann die verbindliche Ehelehre etwas
elastischer und relativierter gemacht werden soll, entgegen (!) zu stellen, so als ob
die Ehe von Mann und Frau nicht eine integrale Gemeinschaft des Leibes, der Liebe
und des Lebens wäre.
Was spricht dagegen, mit den Bischofskonferenzen anderer Länder den Standpunkt
abzustimmen und ihnen die Lebenswirklichkeit zu erklären?
VON STEFAN MEETSCHEN
Die Synode ist nicht ein Zusammenschluss
von einzelnen Bischofskonferenzen, weil
die Weltkirche nicht einen Verbund von
autokephalen Nationalkirchen darstellt.
Bei der Bischofssynode sind die Bischöfe als
Zeugen und Lehrer des geoffenbarten Glaubens eingeladen vom Papst, um über wichtige Fragen des Glaubens- und der Sittenlehre und des christlichen Verhaltens zu
sprechen, und nicht um die geoffenbarte
Wahrheit an irgendwelche Lebenswirklichkeiten anzupassen, das heißt hier konkret
den Prozess der Säkularisierung der Ehe seit
dem 18. Jahrhundert nun auch in die Kirche einmünden zu lassen. Es geht darum,
den Menschen in Christus das Heil zu bringen, Erneuerung und Versöhnung zu ermöglichen. So ist das Reich Gottes von
Jesus proklamiert worden: Wir sollen umkehren, unser Denken und Verhalten erneuern. Glauben an Jesus und Nachfolge
Christi, Bekenntnis zu Gott und ein neues
Leben sind untrennbar. Wenn man diese
sogenannte Lebenswirklichkeit jetzt auf
dieselbe Stufe stellen will wie Schrift und
Tradition, dann ist das nichts anderes als
die Einführung des Subjektivismus und der
Beliebigkeit, die sich sentimental und
selbstgefällig in fromme Worte hüllen.
Wenn man allerdings bedenkt, was schon
alles als Lebenswirklichkeit da war und gegolten hat, was die Sendung der Kirche
schrecklich verdunkelt hatte, dann sollte
man aus der Geschichte wirklich lernen.
Das germanische Eigenkirchenwesen und
die Feudalgesellschaft beispielsweise, an die
man sich so weltklug angepasst hatte, dass
die Bischöfe sich mehr als Landesfürsten
denn als geistliche Hirten gefühlt haben,
das ist auch eine Lebenswirklichkeit unserer deutschen Vorfahren gewesen. Die
Reichsbischöfe haben daran starr festgehalten, weil sie gemeint haben, es sichere ihnen einen großen gesellschaftlichen Einfluss, aber das Ganze war doch zum schweren Schaden für die Kirche und hat die Säkularisierung des Menschenbildes und der
Kultur, unter der wir jetzt leiden, mit herbeigeführt. Der antichristliche Furor der
französischen Revolution wäre ohne den
politischen Gallikanismus (die Kirche als
ideologischer Garant der Staatsräson im
Absolutismus, die gallikanischen Freiheiten
gegen Rom, dem König unterwürfige Bischöfe), geschichtlich so nicht möglich gewesen. Deshalb sollte man auch mit Blick
auf die Geschichte etwas klüger und vorsichtiger sein, wenn man irgendwelche Lebenswirklichkeiten heranzieht, um die
scheinbar nicht lebbare Sexualmoral zu relativieren. Warum lassen wir uns nur durch
die falschen Vorwürfe des Puritanismus
und der Gebots- und äußerlichen Gehorsamsmoral einschüchtern? Die Lebenswirklichkeit kann manchmal sehr heidnisch sein. Unser Glaube ist kein Kompromiss aus akzeptablen christlichen Ideen
und abstrakten Prinzipien und einer heidnischen Lebenspraxis. Die Freiheit und
Eigenverantwortung der Bischöfe wird von
Rom gestärkt, hingegen von staatskirchlichen Nostalgien und dem Feilschen um gesellschaftliche Akzeptanz bedroht.
Bei manchen Katholiken an der Basis breitet sich die Sorge aus, dass die Kirche
immer stärker von sozialen Projekten und
dem Zeitgeist bestimmt wird als von den
Dogmen und der Transzendenz. Sind solche
Sorgen berechtigt oder unberechtigt?
Die Geschöpfe tragen die Handschrift des Schöpfers, darum ist jedes Menschenbild ohne Gott zum Scheitern verurteilt. Im Bild: Die Erschaffung Evas, dargestellt am Dom von Orvieto.
Foto: KNA
Der Heilige Vater warnt immer davor, dass
wir eine Nichtregierungsorganisation werden, dass wir uns also in einer säkularisierten Welt auf säkularistische Weise legitimieren. Beispielsweise, indem wir sagen,
wir sind der größte Arbeitgeber nach dem
Staat, aber deshalb müssen wir auch unser
christliches Profil herabsenken, damit wir
unsere gesellschaftliche Position behaupten können. Ich glaube, dass der umgekehrte Weg richtig ist: Wir sind berufen, Salz der
Erde und Licht der Welt zu sein. Es ist
schön und aller Mühe wert, wenn viele dabei mitmachen, denn Gott will, dass alle
Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit
kommen und selig werden, das ewige Leben finden. Das Salz darf dabei aber nicht
schal werden, sonst wird es auf die Straße
geworfen und von den Menschen zertreten
(vgl. Mt 5,13).