Jahrestagung SSA 2015_Schweigepflicht und Datenschutz

Datenschutz und Schweigepflicht in der
Schulsozialarbeit
Datenschutz
Schweigepflicht
„Darf ich personenbezogene
(Sozial-) Daten weitergeben?“
„Darf ich anvertraute
Geheimnisse weitergeben?“
Schweigen in der Sozialen
Arbeit / Vertrauensschutz
Jahrestagung Schulsozialarbeit 2015 | Prof. Patjens
www.dhbw-stuttgart.de
Datenschutz
Schweigepflicht
„Darf ich personenbezogene
(Sozial-) Daten weitergeben?“
„Darf ich anvertraute
Geheimnisse weitergeben?“
Primär Organisationsverpflichtung an
den Träger bzw. die Einrichtung.
Strafrechtich sanktioniertes
Verbot, das sich an ein
Individuum richtet.
Verbot unbefugter Übermittlung:
Befugnis aus Gesetz/Einwilligung.
Darüber hinaus ggf. Owi/Straftat.
Verbot unbefugter Offenbarung:
es gelten strafrechtiche
Rechtfertigungsgründe.
Schutz „erhobener“ Daten.
Schutz „anvertrauter“ Daten.
Zeugnisverweigerung
Anzeigepflicht
„Darf ich vor Gericht schweigen?“
„Muss ich Straftaten
anzeigen?“
Teil I:
Schweigepflicht nach § 203 StGB
(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen
Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder
Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als
(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen
Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder
Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als
1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker …,
2. Berufspsychologen …,
3. Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Verteidiger …,
4. Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für
Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder
Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist,
4a. Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den
§§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes,
5. staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem
Sozialpädagogen oder
6. Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder
Lebensversicherung oder einer privatärztlichen, steuerberaterlichen oder
anwaltlichen Verrechnungsstelle
1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker …,
2. Berufspsychologen …,
3. Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Verteidiger …,
4. Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für
Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder
Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist,
4a. Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den
§§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes,
5. staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem
Sozialpädagogen oder
6. Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder
Lebensversicherung oder einer privatärztlichen, steuerberaterlichen oder
anwaltlichen Verrechnungsstelle
anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe
bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe
bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
1
(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich
ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein
Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als
1. Amtsträger,
…
anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist.
 Gemäß § 11 Nr. 2a ist Amtsträger, wer nach deutschem Recht
verbeamtet ist!
Offenbaren
 Unter Offenbaren ist jede Mitteilung über die geheimzuhaltende
Tatsache an einen Dritten zu verstehen, der das Geheimnis noch
nicht oder noch nicht sicher kennt (Lackner, StGB, 20. Aufl., § 203
Rdnr. 17; Dreher/Tröndle, StGB, 46. Aufl., § 203 Rdnr. 26
m.w.Nachw.).
 (P) Supervision, Teambesprechungen: Mitteilung an andere
schweigepflichtige Personen?
 Supervisionsentscheidung des BayObLG, NJW 1995, S. 1623 ff.:
„Es versteht sich von selbst, daß von dieser Definition auch die Weitergabe des
Geheimnisses an einen Schweigepflichtigen erfaßt wird. Angesichts der nicht
eingrenzbaren Vielzahl von Personen, die einer Schweigepflicht unterworfen sind,
wäre im übrigen der Schutz des § 203 StGB illusorisch, wollte man die Mitteilung
an jede von ihnen als nicht tatbestandsmäßig ansehen.“
Konsequenzen der Supervisionsentscheidung
Offenbarungsbefugnisse
 Auch innerhalb von Supervisionsgruppen oder Teambesprechungen kann die
Schweigepflicht verletzt werden.
 Anonymisierung
 (P) „Anonymisieren ist das Verändern von Sozialdaten derart, dass die
Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse nicht mehr
oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten
und Arbeitskraft einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person
zugeordnet werden können.“
 In einer Einrichtung kaum zu gewährleisten!
 Externe Supervision (Teilnehmer aus unterschiedlichen Einrichtungen).
 Einwilligung der Betroffenen.
Tatbestandausschießende Einwilligung
Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB
Gesetzliche Offenbarungspflichten
 Im Rahmen von Vertragsvereinbarungen: in den Vertrag/AGB/Behandlungsordnung etc. aufnehmen.
Wirksamkeit der Einwilligung
Einwilligungserklärung
 Erklärung vor der Tat (auch konkludent). Dokumentation!
Wesentliche Inhalte - die 6 W´s:
 Einwilligungsfähigkeit (≠ Geschäftsfähigkeit): maßgebliche ist der
individuelle Reifegrad an, wobei die Frage der Urteilsfähigkeit nicht
generell, sondern in Bezug auf den konkreten Eingriff zu bemessen ist.
Kann die minderjährige Person die Folgen ihres Handelns realistisch
einschätzen? Auch Minderjährige können generell einwilligen!
1. Wer erteilt die Schweigepflichtentbindung?
 Sofern Unsicherheiten über die Einwilligungsfähigkeit der
minderjährigen Person bestehen, sollte auch die Einwilligung der
Personensorgeberechtigten eingeholt werden!
2. Wen entbindet der Erklärende von der Schweigepflicht?
 Namentliche Nennung, ggf. auch mehrerer Personen.
3. Wofür wird die Erklärung erteilt?
 Allgemeine Entbindungserklärungen sind unzulässig! Der
Entbindungskontext ist genau zu erfassen, z. B. Notenangelegenheiten etc.
 Ernsthaft und frei von Willensmängeln (insbesondere Irrtümern)
2
Einwilligungserklärung
4. Wem gegenüber dürfen die Empfänger Mitteilung machen?
 Sofern eine anonymisierte Teamberatung nicht möglich ist,
sollten hier auch die Teammitglieder erfasst werden.
5. Wovon entbindet der Erklärende?
 Regelmäßig von der strafrechtlichen Schweigepflicht und der
Weitergabe von „anvertrauten Geheimnissen“.
6. Wie lange gilt die Schweigepflichtentbindung?
 Regelmäßig unbefristet, aber widerrufbar. Im Einzelfall kann eine
Befristung notwendig sein (z. B. bei Langzeitberatungen).
Rechtfertigender Notstand
Rechtfertigender Notstand
§ 34 StGB
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben,
Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat
begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt
nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen,
namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen
drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte
wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein
angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Gesetzliche Offenbarungspflichten
§ 34 StGB (zivilrechtlich: §§ 228, 904 BGB)
§ 138 StGB
 Notstandslage: gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben, Ehre etc.
(1) Wer von dem Vorhaben oder der Ausführung
 nicht anders abwendbar: geeignetes, sicherstes und mildestes Mittel
im Hinblick auf die Abwendung der Gefahrwesentliches
 Wesentliches Überwiegen des bedrohten Interesses ggü. dem
beeinträchtigten Interesse
 sozialethische Angemessenheit (S.2): Gesamturteil über die Tat, d.h.
das Verhalten des Notstandstäters muss nach anerkannten
Wertvorstellungen der Allgemeinheit als eine sachgemäße und dem
Recht entsprechende Lösung des Konfliktes angesehen werden.
 Gefahrenabwendungswille
1. einer Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80),
2. eines Hochverrats …,
3. eines Landesverrats ..,
4. einer Geld- oder Wertpapierfälschung …,
5. eines Mordes (§ 211) oder Totschlags (§ 212) …,
6. einer Straftat gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 232 Abs. 3, 4 oder Abs. 5,
des § 233 Abs. 3, jeweils soweit es sich um Verbrechen handelt, der §§ 234, 234a, 239a oder
239b,
7. eines Raubes oder einer räuberischen Erpressung (§§ 249 bis 251 oder 255) oder
8. einer gemeingefährlichen Straftat in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3,
des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 310, 313, 314 oder 315 Abs. 3, des §
315b Abs. 3 oder der §§ 316a oder 316c
zu einer Zeit, zu der die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann,
glaubhaft erfährt und es unterläßt, der Behörde oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu
machen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Gesetzliche Offenbarungspflichten
Gesetzliche Offenbarungspflichten
Informationsrecht der Eltern §§ 1626 ff. BGB
Informationspflicht der Eltern §§ 1626 ff. BGB



Elterliche Sorge enthält eine Informationsrecht der Eltern
gegenüber dem öffentliche Träger der Jugendhilfe hinsichtlich
aller Beratungsprozesse beim Kind. (vgl. BVerfGE 59, 360:
Ausnahme nur, wenn durch Information der Eltern bei
gegenwärtiger Gefahr einer körperlichen oder seelischen
Schädigung des Kindes wahrscheinlich ist).







Bisherige Rspr.: Enge Auslegung
Kunkel: Mutmaßliche Einwilligung
Fieseler (GK-SGB VIII), Heußner (juris-PK): Weite Auslegung, im Rahmen
der Diskussion um die Einführung von Kinderrechten im GG kann mit einer
Neuorientierung der Rspr. gerechnet werden.
(P) Informationsrecht oder Informationspflicht?

Konsequenz: Informationsrecht geht dem Datenschutz vor
(Befugnis).
Informationsrecht gilt nur ggü. öffentlichen Trägern, freie Träger
insoweit nicht erfasst (Lehre strittig, keine Rspr.).
Ausnahme: Beratung in Not- und Konfliktlagen, § 8 III SGB VIII
Kunkel (LPK-SGB VIII): Beratung nur mit Kenntnis der Eltern (insoweit
Pflicht), Relativierung jedoch über § 1626 Abs. 2 BGB.
Elterliche Sorge grds. als Recht ausgestaltet (z.B. das Kind von
unberechtigten Personen heraus zu verlangen, vgl. § 1632 Abs. 1 BGB).
(P) Bindung von freien Trägern nur, insoweit sie die Beratung
nicht „eigenständig“ vornehmen.
3
 Bei der Schweigepflicht gem. § 203 StGB
geht es um die persönliche Strafbarkeit.
Teil IV:
Datenschutz in der Schulsozialarbeit, Mobilen und Offenen JA
 Von der Strafbarkeit erfasst werden nur
Geheimnisse erfasst, die anvertraut worden
sind.
 Sofern man befugt zur Weitergabe des
Geheimnisses ist, liegt kein
tatbestandsmäßiges Handeln vor. Dies ist
insbesondere der Fall bei der Einwilligung
und beim rechtfertigenden Notstand.
Begriff Datenschutz
Grundsätze BVerfGE 65, 1
 Sammelbegriff für alle gesetzlichen Regelungen, die das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleisten
sollen
 Informationelle Selbstbestimmung (BVerfGE 65, 1): Befugnis
des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann
und innerhalb welcher Grenzen persönliche
Lebenssachverhalte offenbart werden
 Mensch darf nicht zum „Objekt“ des Staates werden, daher
darf er nicht in seiner ganzen Persönlichkeit „registriert und
katalogisiert“ werden (BVerfGE 6, 32, 41)  Schutz vor
staatlichen Eingriffen
Grundsätze BVerfGE 65, 1
(Volkszählungsurteil)
 Zweckbindung
Bei der Datenverarbeitung (§§ 67 Abs. 6, 67b ff. SGB X) ist der
Erhebungszweck zu beachten. Der Erhebungszweck muss vor der
Verarbeitung bestimmt und dokumentiert worden sein. Beispiel: § 67c
Abs. 2 und 3 SGB X, 64 Abs. 1 SGB VIII
 Verhältnismäßigkeit
Jegliches Handeln der Verwaltung unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und muss daher geeignet (mit dem gewählten Mittel muss sich
das Ziel/der Zweck erreichen lassen), erforderlich (es darf keine mildere
Alternative geben, die aber gleichermaßen geeignet ist) und angemessen
(zwischen dem eingesetzten Mittel und dem angestrebten Zweck darf bei
sozialethischer Betrachtung kein krasses Missverhältnis bestehen) sein.
(Volkszählungsurteil)
 Datenvermeidung und –sparsamkeit
Daten dürfen nur erhoben werden, soweit sie für die Aufgabenerfüllung
erforderlich sind. Beispiel: §§ 67a Abs. 1 SGB X, 62 Abs. 1 SGB VIII
 Direkterhebung
Eine Datenerhebung, also das Beschaffen von Daten, ist nur beim
Betroffenen unmittelbar selbst zulässig. Beispiel: § 67a Abs. 2 SGB X, 62
Abs. 2 S. 1 SGB VIII
 Transparenz
Jeder Betroffene muss wissen, dass Daten über ihn erhoben werden ,
welche Daten über ihn erhoben werden als welche Daten zu welchem
Zweck bei welcher Stelle für wie lange und aus welchem Grund gespeichert
werden. Beispiel: § 67a Abs. 3 S. 1, Abs. 5 SGB X, 62 Abs. 2 S. 2 SGB VIII
Rechtsquellen im Datenschutz
Bundesdatenschutzgesetz
Adressat:
Behörden des Bundes
sowie nicht-öffentliche
Stellen, z. B.
Unternehmen, freie
Träger etc. §§ 27 ff.
BDSG.
Bei freien Trägern ergibt
sich außerdem der
Datenschutz aus
vertraglichen
Nebenpflichten.
Landesdatenschutzgesetz
Adressat:
Behörden und sonstige
öffentliche Stellen des
Landes, der Gemeinden
und Gemeindeverbände
sowie nichtöffentliche
Stellen, die hoheitliche
Aufgaben der öffentlichen
Verwaltung wahrnehmen.
Aber: § 2 Abs. 5 LDSG
Ba-Wü (Subsidiarität)!
Sozialrecht
SGB I, X, bes. Teile
Adressat:
Sozialleistungsträger.
Freie Träger nur soweit
vom öffentlichen Träger in
Anspruch genommen und
eine Datenschutzvereinbarung geschlossen
wurde (z. B. § 61 Abs. 3
SGB VIII, § 21 Abs. 1 Nr.
5 SGB IX).
4
Rechtsquellen in der Schulsozialarbeit
Öffentliche und freie Träger
 Schulen:
LDSG, VwV Datenschutz an öffentlichen Schulen
 Jugendamt / Leistungsträger:
§ 35 SGB I, §§ 67 ff. SGB X, §§ 61 ff. SGB VIII
§ 61 SGB VIII:
(3) Werden Einrichtungen und Dienste der Träger der freien
Jugendhilfe in Anspruch genommen, so ist sicherzustellen,
dass der Schutz der personenbezogenen Daten bei der
Erhebung und Verwendung in entsprechender Weise
gewährleistet ist.
 Freie Träger / Leistungserbringer:
Soweit im Auftrag des JA tätig siehe Jugendamt, §
61 Abs. 3 SGB VIII
§ 78 SGB X
Ansonsten:§§ 27 ff. BDSG
Damit wird der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zum Garant dafür,
dass der Datenschutz bei den Trägern der freien Jugendhilfe das gleiche
Schutzniveau besitzt, wenn sie vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe in
Anspruch genommen werden. (h.M., vgl. Hoffmann/Proksch in: Frankfurter Komm., SGB VIII, § 61 Rn. 25 f.; Mann in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, §§ 61-68 Rn. 18; Kunkel in: Kunkel, SGB VIII,
§ 61 Rn. 298; Mörsberger in: Wiesner, SGB VIII, § 61 Rn. 8)
Öffentliche und freie Träger
Öffentliche und freie Träger
 (P) Inanspruchnahme der freien Träger?
 Intention des Gesetzgebers: Die Inanspruchnahme soll nicht
dazu führen, dass der Schutz personenbezogener Daten
abgeschwächt wird.
 „Nicht anwendbar ist § 61 Abs. 3 SGB VIII dagegen, wenn der Träger der
freien Jugendhilfe eine Leistung erbringt, ohne von einem Träger der
öffentlichen Jugendhilfe dazu beauftragt worden zu sein. Dies ist etwa der
Fall, wenn ein freier Träger ohne Einschaltung des Jugendamtes direkt von
einem Klienten auf eigene Kosten um Hilfe gebeten wird.“ (Kirchhoff in:
jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 61 SGB VIII Rz. 44).
 Vorliegen von Kostenvereinbarungen nach § 77 SGB VIII haben
Indizwirkung!
Rechtsquellen im Sozialdatenschutz
§ 35 SGB I
„Jeder hat Anspruch darauf, daß die ihn betreffenden Sozialdaten (§ 67 Abs. 1 Zehntes
Buch) von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden
(Sozialgeheimnis)“
„Eine Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten ist nur unter den
Voraussetzungen des Zweiten Kapitels des Zehnten Buches zulässig.“

§§ 67 ff. SGB X (z. B. Übermittlungsbefugnisse)

Klammerprinzip/Spezialität
§§ 61 ff. SGB VIII
„Für den Schutz von Sozialdaten bei ihrer Erhebung und Verwendung in der
Jugendhilfe gelten § 35 des Ersten Buches, §§ 67 bis 85a des Zehnten
Buches sowie die nachfolgenden Vorschriften.“
 Möglich durch Vereinbarung, Verwaltungsakt, Zusicherung oder
Selbstverpflichtung.
 Zwingende Verpflichtung zur Sicherstellung - der Verstoß gegen
diese Pflicht zur Einhaltung des Sozialdatenschutzes beim freien
Träger kann als Amtspflichtverletzung i. S. d. § 839 BGB
i.V. m. Art. 34 GG zu Schadensersatzansprüchen führen (vgl.
Kunkel, Lehr- und Praxiskommentar SGB VIII, 4. Aufl. 2011, §
61 Rz. 304).
Sozialdaten
Legaldefinition § 67 Abs. 1 S.
1 SGB X:
„Sozialdaten sind Einzelangaben
über persönliche oder sachliche
Verhältnisse einer bestimmten
oder bestimmbaren natürlichen
Person (Betroffener), die von einer
in § 35 des Ersten Buches
genannten Stelle im Hinblick auf
ihre Aufgaben nach diesem
Gesetzbuch erhoben, verarbeitet
oder genutzt werden.“
z.B. Name, Geburtsdatum,
Krankheiten; Kein Sozialdatum ist
eine „Negativinformation“ (z. B.
eine Person besitzt keine Rentenversicherungsnummer).
z.B. Telefonnummer, Kontodaten,
E-Mailadresse, IP-Adresse.
Fachlicher Bezug fehlt, wenn das
Datum zwar personenbezogene
Einzelangaben enthält, jedoch diese nichts mit der unmittelbaren
Aufgabenstellung des Leistungsträgers zu tun haben.
5
Übermittlungsgrundsätze
Erheben von Sozialdaten
 Grundsatz: Ein Übermittlung ist nur zulässig, soweit der
Betroffenen eingewilligt hat oder eine gesetzliche Befugnis
vorliegt!
 Das Beschaffen der Sozialdaten kann mündlich oder schriftlich
geschehen (z.B. telefonische Befragung, Ausfüllen eines
Formulars).
 Erforderlich ist ein zielgerichtetes Beschaffen, d.h. Informationen, die ohne eigenes Zutun des Sozialversicherungsträgers
diesem bekannt gegeben werden, wurden nicht „erhoben“.
 Ggf. hat die Stelle zu prüfen, ob sie diese „aufgedrängten
Informationen“ verarbeiten (speichern etc.) darf (z.B.
Kenntnis der Daten ist zur Aufgabenerfüllung erforderlich
und/oder es handelt sich um eine zulässige konkludente
Einwilligung).
 Unter Umständen müssen diese Daten zurückgegeben bzw.
gelöscht werden (vgl. § 84 Abs. 2 SGB X), da sonst eine
unzulässige Verarbeitung folgt.
 Die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung trägt
die übermittelnde Stelle.
 Die Stelle, an die die Daten übermittelt werden, darf sie nur
für den Zweck verarbeiten, zu dessen Erfüllung sie ihr
übermittelt worden sind.
Übermittlungsbefugnisse (Auswahl)
Erfüllung sozialer Aufgaben
 Datenschutzrechtliche Einwilligung (Schriftform zwingend
vorgeschrieben, § 67d Abs. 2 SGB X), Hinweis auf den Zweck
der Übermittlung und Folgen der Verweigerung der
Einwilligung!
Soweit erforderlich, dürfen Daten in diesen Fällen übermittelt
werden:
 § 68 SGB X: Übermittlung für die Aufgaben der Polizei und der
Staatsanwaltschaften.
 § 69 SGB X: Übermittlung für die Erfüllung sozialer Aufgaben.
 § 71 SGB X: Übermittlung für die Erfüllung besonderer
gesetzlicher Pflichten (insb. § 138 StGB).
 § 71 SGB X: Übermittlung zur Durchführung eines
Strafverfahrens
§ 69 SGB X
1. Übermittlung für die Zwecke, für die die Sozialdaten erhoben
worden sind (Absatz 1 Nr. 1 Alternative 1)
2. Übermittlung für die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe
der übermittelnden Stelle (Absatz 1 Nr. 1 Alternative 2)
3. Übermittlung für die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe
der empfangenden Stelle i.S.d. § 35 SGB I (Absatz 1 Nr. 1
Alternative 3)
Keine
Sachverhaltsauskünfte!
Auskünfte an die StA und Polizei
§ 68 SGB X
Übermittlung von Sozialdaten an Polizei, StA,
Gerichte, JVA zulässig, sofern
 dies zur Aufgabenerfüllung der Polizei/StA
dient.
Auskünfte an die StA und Polizei
§ 68 SGB X
Übermittlung zum Zwecke der Strafverfolgung
 Umfang der Datenübermittlung
 Name, Vorname,
 es sich um einen Einzelfall handelt.
 Geburtsdatum, Geburtsort
 Ersuchen nicht länger als 6 Monate
zurückliegt.
 derzeitige Anschrift/Aufenthalt des Betroffenen
 schutzwürdige Interessen des Betroffenen
nicht beeinträchtigt werden.
 die ersuchende Stelle sich die
Informationen nicht anders beschaffen
kann.
 derzeitiger Arbeitgeber
 Über das Übermittlungsersuchen entscheidet der Leiter
der ersuchten Stelle, sein allgemeiner Stellvertreter oder
ein besonders bevollmächtigter Bediensteter.
6
Übermittlung wegen gesetzlicher
Pflichten § 71 SGB X
Soweit erforderlich für die Erfüllung gesetzlicher Pflichten:
Übermittlung zur Durchführung eines
Strafverfahrens§ 72 SGB X
 § 138 StGB (Anzeigepflicht)
(1) Eine Übermittlung von Sozialdaten ist zulässig, soweit
sie zur Durchführung eines Strafverfahrens wegen
eines Verbrechens oder wegen einer sonstigen Straftat
von erheblicher Bedeutung erforderlich ist.
 Betreuerbestellung (Abs. 3)
…
(3) Die Übermittlung nach den Absätzen 1 und 2 ordnet der
Richter an.
Einschränkung der Datenübermittlung
Einschränkung der Datenübermittlung
§ 76 SGB X
§ 64 SGB VIII
 Die Übermittlung von Sozialdaten, die einem Leistungsträger von einer in § 203 Abs. 1 und 3 StGB genannten
Person zugänglich gemacht worden sind, ist nur unter den
Voraussetzungen zulässig, unter denen diese Person selbst
übermittlungsbefugt wäre.
 Bei der Datenübermittlung ist stets zu prüfen, ob dadurch
der Erfolg der gewährten Leistung in Frage gestellt wird.
 In der Praxis dürfen also die Daten, die mit Einwilligung von
anerkannten SozialpädagogInnen an das Jugendamt
weitergegeben wurden, von diesen wiederum nur
weitergeben werden, wenn sich die Einwilligung auch auf
die Weitergabe vom Jugendamt an Dritte erstreckt.
 Prognoseentscheidung, z. B. wenn wegen der Datenweitergabe der Klient nicht mehr mit dem Jugendamt zusammenarbeitet.
 Einschränkung von § 69 SGB X, Vorrang der Leistungen
nach dem SGB VIII vor einer Datenübermittlung für andere
Aufgaben.
Einschränkung der Datenübermittlung
Einschränkung der Datenübermittlung
§ 65 SGB VIII
§ 65 SGB VIII
 Strenge Einschränkung der Weitergabe von Daten, die zum
Zwecke persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut
worden sind.
Weitergabe zulässig in folgenden Fällen:
 Persönliche/erzieherische Hilfe: (P) Begriff unklar, bezieht
sich auf „Dienstleistungen“. Kriterium: Bestehen eine
Mitwirkungspflicht (insb. bei Tatbestandsvoraussetzungen)?
 Anvertraut: (P) tw. enge/weite Auslegung. Generell, wenn der
Mitteilende im Sinne einer subjektiven Zweckbindung von der
Verschwiegenheit des Mitarbeiters ausgeht und dies zumindest
aus dem Zusammenhang erkennbar ist (Wiesner/Mörsberger,
SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 65 Rz. 12)
 Vorliegen einer Einwilligung.
 Weitergabe an FamG wegen Herbeiführung einer
gerichtlichen Entscheidung in KW-Fällen.
 Wechsel der Fallzuständigkeit bei Kindeswohlgefährdung.
 Weitergabe an Fachkräfte wg. Einschätzung des
Gefährdungsrisikos nach§ 8a; Daten sind jedoch soweit
möglich zu anonymisieren/pseudonymisieren.
 Soweit eine strafrechtliche Befugnis vorliegt (insb.
Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB).
7
Einschränkung der Datenübermittlung
Verlängerter Datenschutz
§ 65 SGB VIII
§ 78 SGB X
 Weitergabe ausnahmslos nur in den gesetzlich aufgeführten
Fällen zulässig.
 Für Daten, die das Jugendamt an freie Träger weitergibt,
gilt der sog. „verlängerte Datenschutz“.
 Liegen keine der aufgeführten Gründe vor, dürfen die Daten
nicht – auch nicht im Team oder der Supervision –
übermittelt werden!
 Die übermittelten Daten dürfen vom freien Träger nur in
dem Rahmen verarbeitet und genutzt werden, zu dem sie
befugt übermittelt wurden.
 Insbesondere muss dafür gesorgt werden, dass niemand –
auch nicht der Vorgesetzte – Zugang zu diesen Daten hat!
 Für diese Daten gilt beim freien Träger der gleiche
Datenschutz, wie beim Jugendamt.
 (P) Es gilt nur für Datenübermittlung vom Jugendamt,
nicht jedoch für Datenübermittlung an das Jugendamt.
Übermittlungsbefugnis aus § 4 KKG
§ 4 KKG
Verpflichtung bestimmter Berufsgeheimnisträger zum
Kinderschutz, z. B. staatliche anerkannte SozialarbeiterInnen,
LehrerInnen
3-stufiges Verfahren:
Abs. 1: Erörterung der Gefährungslage mit Kind/PSB, Hinwirken
auf Hilfe
Abs. 2: Gefährdungseinschätzung mit Einholung von
Fachberatung
Abs. 3: Hinweis auf Einschalten des JA, Information des JA
8