Miriam Simon | Nadin Weber | Katharina Wischmeyer miriam.siemon

Miriam Simon | Nadin Weber | Katharina Wischmeyer
Universität Erfurt
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09.02.2016
Vom Nachrichtenbild zur Medienikone am Beispiel der Berichterstattung zur Berliner
Mauer
Ein Vorschlag zur theoretischen Modellierung des Ikonisierungsprozesses von
ereignisspezifischen Medienikonen
Hintergrund & Zielsetzung │ „Ein DDR-Soldat springt über den Stacheldraht beim Bau der
Berliner Mauer“ – „Ein kleines nacktes vietnamesisches Mädchen flieht vor einem NapalmAngriff“ – „Willy Brandt kniet vor den Stufen eines Denkmals nieder“. Diese politischen Medienbilder, „außergewöhnliche, emotionalisierende, meist schockierende Bilder“, die über
eine „besondere Erinnerungskraft“ verfügen, bleiben daher „im Gedächtnis haften“
(Grittmann & Ammann 2008: 319). Während in der Kunst- sowie in den Kultur- und Medienwissenschaften erste Ansätze vorliegen, die sich dem Phänomen aus theoretischer Perspektive nähern (z.B. Czech 2006; Paul 2008; Viehoff & Fahlenbrach 2003; Perlmutter 1998), hat
sich die empirische Kommunikationswissenschaft der Medienikone bisher nur im Ansatz gewidmet. Zwar liegen einige wenige kommunikationswissenschaftliche Arbeiten zu Medienikonen vor (vgl. insbesondere Grittmann & Ammann 2008; Knieper 2008), allerdings steht
der Verlauf des Entstehungsprozesses von Medienikonen hierbei nicht im Fokus (vgl. dazu
explizit Viehoff 2008 aus kulturwissenschaftlicher Perspektive). Die vorliegende Studie soll
eine erste empirische Annäherung an diese Thematik darstellen. Am Beispiel zweier bedeutender Schlüsselereignisse der deutschen Geschichte, zum einen des Mauerbaus und zum
anderen des Mauerfalls, soll der Entstehungsprozess ereignisspezifischer Medienikonen untersucht werden. Es lässt sich daher folgende zentrale Forschungsfrage formulieren:
Wie entstehen mediale ereignisspezifische Medienikonen und welche Faktoren nehmen dabei
Einfluss auf den Ikonisierungsprozess?
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Das Konzept der Medienikone | Als ereignisspezifische Medienikone verstehen wir eine visuell verdichtend darstellende Fotografie eines Schlüsselereignisses, die im medialen Diskurs
wiederholt publiziert beziehungsweise (re-)präsentiert wurde und dadurch über einen, möglicherweise über Generations- und Ländergrenze hinweg, hohen Bekanntheitsgrad verfügt. Neben der wiederholten medialen Publikation (quantitative Dimension der Medienikone) besitzt
sie gegenüber anderen Medienbildern auch herausragende qualitative Bildaspekte (qualitative
Dimension). Aufgrund ihres ‚ikonischen’ Potentials als visueller Stellvertreter des Ereignisses
kann davon ausgegangen werden, dass nicht nur das Medienbild selbst, sondern auch dessen
Ereignisreferenz als geläufig angenommen werden kann; die Ikone kann und wird daher auch
selbsterklärend, das heißt ohne detaillierte Explikation, verwendet. Dabei erfährt das ikonische Motiv häufig auch eine mediale Re-Kontextualisierung, d.h. es wird in anderen medialen
Zusammenhängen wie Kunst oder Werbung verwendet, woraus sich auch Bedeutungsverschiebungen ergeben (vgl. Viehoff 2003).
Überlegungen zum Ikonisierungsprozess | Während des Ikonisierungsprozesses innerhalb
der Presseberichterstattung erfolgt eine quantitative Verengung zahlreicher, zu einem
Schlüsselereignis publizierten, Nachrichtenbilder (NB) zu einigen wenigen Schlüsselmotiven
(SM) und noch weniger Medienikonen. Bei Schlüsselmotiven handelt es sich noch nicht um
einzelne Bilder, sondern lediglich um besonders prägnante Motive, die in einer bestimmten
Darstellungsweise auftreten (angelehnt an das Konzept der Bildtypen von Grittmann 2007).
Erst am Ende des Prozesses ist die Einzelbildikone entstanden. Sie tritt entweder aus einer
Gruppe von Bildern, die alle das gleiche Schlüsselmotiv abbilden hervor oder ein einzelnes
Nachrichtenbild wird durch besonders häufige Verwendung zur Medienikone. Im Laufe des
Ikonisierungsprozesses wird die Varianz der Bilder, die bei der rückblickenden Berichterstattung beispielsweise an Jahrestagungen, zu einem vergangenen Schlüsselereignis publiziert
werden, folglich immer geringer. Theoretisch wird sich dabei auf Viehoffs (2005) Annahme
der sieben Schritte eines Prozesses zur Entstehung von ikonischen Medienbildern gestützt.
Diese Untersuchung widmet sich primär dem ersten Kanonisierungsschritt, der (Re)Inszenierung des Bildes in verschiedenen medialen Teilkulturen, als Anfang des
Ikonisierungsprozesses.
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Im Ikonisierungsprozess können einzelne Nachrichtenbilder eines Schlüsselmotivs (und damit
auch Medienmotiv-Ikonen) durch eine wiederholte mediale Repräsentation – auch unabhängig vom Schlüsselereignis und mit den entsprechenden Folgen für ihre Bekanntheit und visuelle ‚Eigenständigkeit’ – zu Medienbild-Ikonen „aufsteigen“. Daneben kann aber auch ein einzelnes Nachrichtenbild, das keinem Schlüsselmotiv zuzuordnen ist, zur Medienikone werden;
hierbei ergibt sich der ikonische Status aus der Ikonisierung des Einzelbildes. Medienikonen
lassen sich also in zwei Subtypen differenzieren: in die Medienmotiv-Ikone als Typus einer
Gruppe von ikonischen Medienbildern eines Schlüsselereignisses sowie in die MedienbildIkone als einzelnes, spezifisches ikonisches Medienbild (vgl. Perlmutters (1998) Differenzierung von generic und discrete icon). Die Medienmotiv-Ikone steht in ihrem ikonischen Status
gewissermaßen zwischen einem Schlüsselmotiv (das nicht über die entsprechende Publikationshäufigkeit
und
Bekanntheit
verfügen
muss)
und
einer
Medienbild-Ikone.
Der Journalist als Bildselekteur bestimmt diesen Prozess maßgeblich mit, indem er über die
Auswahl der Bilder, die in den medialen Bilderpool zu einem Ereignis eingehen und aus dem
schließlich Medienikonen hervorgehen, entscheidet. Welche Rolle diese Kriterien, die der
Journalist den Bildern zuschreibt, in Bezug auf Medienikonen spielen, ist Bestandteil der Studie.
Methodik | Um den Ikonisierungsprozess auf Medieninhaltsebene nachvollziehen zu können,
wurde eine im Querschnittdesign angelegte standardisierte Medieninhaltsanalyse (Bild und
Text) mit Elementen einer teilstandardisierten Bildtypenanalyse kombiniert. Für das Sampling
wurden sechs deutschen Printmedien ausgewählt, die eine vergleichende Analyse der Dimensionen 1) politische Ausrichtung, 2) Qualitäts- versus Boulevardpresse sowie 3) Vergleich
zwischen Ost- und Westdeutschland erlaubte.
Analysiert wurde die textliche und bildliche Berichterstattung zu zwei ausgewählten Schlüsselereignissen – den Bau der Berliner Mauer am 13.08.1961 sowie den Fall der Mauer am
9.11.1989 – und ihre jeweiligen Jubiläen im Zeitverlauf (von 1961 bis 2014).
In einem zweiten Schritt wurde die Medieninhaltsanalyse um eine qualitative Befragung von
fünf Bildredakteuren der untersuchten Medien ergänzt mit dem Ziel Rückschlüsse auf den
Selektionsprozess der Journalisten nachvollziehen zu können.
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Überblick über die empirischen Befunde | Auf einer übergeordneten Ebene hat die Medieninhaltsanalyse am Beispiel von zwei relevanten Schlüsselereignissen der deutschen Zeitgeschichte Einblick in den Prozess der Ikonisierung von Nachrichtenbildern zu Medienmotivund Medienbild-Ikonen gebracht. Es zeigte sich, dass sich aus der Summe der anfangs zu
einem Schlüsselereignis publizierten Nachrichtenbilder im Laufe der Berichterstattung ein
zunehmend verdichteter Bilderkanon entwickelt; aus dem sich Medienikonen identifizieren
lassen.
Für den Analysezeitraum wurden dabei eine Medienmotiv-Ikone (Tanz auf der Mauer sowie
zwei Medienbild-Ikonen (Kampftruppen vor dem Brandenburger Tor und Sprung in die Freiheit) ermittelt. Daneben zeigte sich, dass die Medienikonen anfangs häufiger und besser platziert wurden als im späteren Zeitverlauf. Ebenfalls traten unterschiedliche Tendenzen bei der
Auswahl der Motive in Ost- und Westzeitungen sowie deren Konnotation deutlich hervor. So
lassen sich zum Mauerbau je eine eindeutige Ost- und Westikone festhalten. Die Bilder
Sprung in die Freiheit als Westikone und Kampftruppen vor dem Brandenburger Tor als
Ostikone sind fast zeitgleich entstanden und scheinen jeweils als Gegenbeispiel für das jeweils andere politische System verwendet worden zu sein. Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse
konnten durch die ergänzende JournalistInnenbefragung bestätigt, in qualitativer Dimension
auch ergänzt werden. So betonten die Journalisten die Bedeutung qualitativer Bildaspekte
(qualitative
ikonische
Dimension)
für
den
Selektions-,
Re-Präsentations-
und
Ikonisierungsprozess.
Ausblick│Interessant sind in diesem Zusammenhang deren weitere Verbreitung und
Reinszenierung über die Printmedien hinaus, beispielsweise in Kunst, und Werbung. Anschlussstudien zu dieser Thematik könnten sich im Printbereich deshalb auf Zeitschriftenjahresrückblicke, Kunstmagazine oder sogar Schulbücher beziehen. Eine Erweiterung auf verschiedene Medien ist ebenfalls denkbar, wie der Einbezug von Fernsehen und Internet sowie
Anschlussstudien an dieses Beispiel auf Rezipientenebene. Anzumerken ist, dass sich die herausgearbeiteten Eigenschaften von Bildikonen auf die Thematik der Berliner Mauer beziehen,
daher wird die Durchführung dieser Analyse an den Bildikonen eines themenentfernten
Schlüsselereignisses, zur Überprüfung der bisherigen Ergebnisse, empfohlen.
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Literaturverzeichnis
Czech, A. (2006). Bildkanon im Spannungsfeld zwischen individuellem und kollektivem Bildgedächtnis. In Bilder, die die Welt bedeuten. 'Ikonen' des Bildgedächtnisses und ihre Vermittlung über Datenbanken. München: kopaed, S. 11-40.
Grittmann, E. (2007). Das politische Bild. Fotojournalismus und Pressefotografie in Theorie
und Emperie. Köln: Herbert von Halem.
Grittmann, E. & Ammann, I. (2008). Ikonen der Kriegs- und Krisenfotografie. In E.
Grittmann, I. Neverla & I. Ammann (Hrsg.), Global, lokal, digital – Fotojournalismus heute.
Köln: Herbert von Halem, S. 296-325.
Knieper, T. (2008). Ikonen der Pressefotografie. In M. Haller (Hrsg.) Visueller Journalismus.
Beiträge zur Diskussion einer vernachlässigten Dimension. Berlin: LIT VERLAG, S. 59-67.
Paul, G. (2008). Das Jahrhundert der Bilder. 1949 bis heute. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Perlmutter, D. (1998). Photojournalism and Foreign Policy. Icons of Outrage in International
Crises. Westport: Praeger.
Viehoff, R. & Fahlenbrach, K. (2003). Ikonen der Medienkultur. Über die (verschwindende)
Differenz von Authentizität und Inszenierung der Bilder in der Geschichte. In M. Beuthner, J.
Buttler, S. Fröhlich, I. Neverla & S. A. Weichert (Hrsg.), Bilder des Terrors – Terror der Bilder?
Krisenberichterstattung am und nach dem 11. September. Köln: Herbert von Halem, S. 42-60.
Viehoff, R. (2005). Programmierte Bilder. Gedanken zur ritualisierten Zielstruktur von Wahrnehmung und Inszenierung durch Bild(schirm)medien. In: Fischer, L. (Hrsg.) Programm und
Programmatik. Kultur- und medienwissenschaftliche Analysen. Konstanz: UVK, S. 113-131.
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Der idealtypische Ikonisierungsprozess (eigene Darstellung)
Abbildung 2: Illustrationen des Konzepts „Nachrichtenbilder“ am Beispiel des „Kniefalls
von Willy Brandt“
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Abbildung 3: Illustrationen des Konzepts „Schlüsselmotiv“ am Beispiel des „Kniefalls
von Willy Brandt“
Abbildung 4: Illustration des Konzepts „Medienbild-Ikone“ am Beispiel des „Kniefalls
von Willy Brandt“
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