Leitlinien zur didaktischen Strukturierung von

Leitlinien zur didaktischen
Strukturierung von
umweltgeschichtlichen
Lernprozessen
Sonderausgabe
im Wochenschau Verlag
Auszug aus:
Dietmar von Reeken,
Indre Döpcke,
Britta Wehen-Behrens (Hrsg.):
Umweltgeschichte
lehren und lernen
Wenn Schüler denken, früher war alles besser …115
4.2 Wenn Schüler1 denken, früher war alles besser … –
Leitlinien zur didaktischen Strukturierung von umwelt­
geschichtlichen Lernprozessen (Britta Wehen-Behrens)
Der vorliegende Beitrag skizziert anhand zweier exemplarischer Denkmuster von Schülern zur Umweltgeschichte didaktische Leitlinien zur Strukturierung von umweltgeschichtlichen Unterrichtssequenzen, die dazu geeignet sind, die Vorstellungen der Schüler anzureichern. Verweise auf konkrete Unterrichtsperspektiven im vorliegenden Band
ermöglichen eine praktische Umsetzung der Leitlinien.
Schülervorstellungen
Unter „(Schüler-)Vorstellungen“ oder „conceptions“ versteht die fachdidaktische Forschung lebensweltliche Begriffe, Konzepte und Theorien, mit denen sich Sachverhalte
erklären lassen und die meist im Alltag erworben wurden und sich bewährt haben (vgl.
Jenisch 2004, S. 265; Günther-Arndt 2009).2 Daher sind sie in der Regel sehr stabil
und bleiben „oft auch neben den schulisch erworbenen, wissenschaftsförmigen Vorstellungen bestehen“ (Günther-Arndt 2009, S. 27). Vorstellungen werden so unter anderem
durch Wissen aus dem Unterricht, mediale Erfahrungen, Eindrücke aus Familiengesprächen etc. gebildet (vgl. Limón/Mason 2002, S. 264).
Dem Interesse an diesen „conceptions“ liegt die Annahme zugrunde, dass Schüler
vielfältige Alltagsvorstellungen und -konzepte bzw. Denkweisen und Erklärungsmuster
in den Unterricht mitbringen. Diese entsprechen allerdings oft nicht dem (geschichts)wissenschaftlichen Verständnis der Begriffe und Konzepte. Die empirische Forschung
hat ermittelt, dass sich Schülervorstellungen häufig als sehr resistent erweisen, selbst
durch jahrelangen Unterricht sind sie kaum zu ändern (vgl. Günther-Arndt 2009, S. 27).
Vielfach bestehen daher Alltagswissen und Schulwissen nicht nur unverbunden nebeneinander, die Schüler greifen im Geschichtsunterricht auf solche Alltagskonzepte zurück,
wenn sie historisch denken.
In diesem Zusammenhang wird diskutiert, ob und wie ein Wechsel von den Alltagsvorstellungen hin zu wissenschaftlichen Vorstellungen erfolgen sollte. Hierbei geht es
also um die Frage des „conceptual change“, d. h. um die Frage, wie gedankliche Vorstellungen, Ideen und Begriffe entwickelt oder verändert werden können. Dabei soll kein
1 Das Wort Schüler wird als generisches Maskulinum verwendet und bezeichnet sowohl Schülerinnen
als auch Schüler.
2 Neben dem fachdidaktischen Begriff „Schülervorstellungen“ werden zur Beschreibung dieser Konzepte zahlreiche andere Begriffe verwendet, wie Alltagstheorien bzw. naive, subjektive oder implizite Theorien, Vorverständnis, Vorwissen, Präkonzepte oder Fehlvorstellungen. Im vorliegenden
Beitrag wird der Terminus „Schülervorstellungen“ beibehalten.
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radikaler Wechsel zu ‚adäquaten‘ Vorstellungen erfolgen, sondern ein „conceptual enrichment“ (vgl. Günther-Arndt 2006; Möller 2007, S. 260). Bestehende Schülervorstellungen sollen demnach nicht vollständig ersetzt, sondern vielmehr angereichert werden,
da die Verarbeitung von neuen Informationen wesentlich von den bereits vorhandenen
Denkstrukturen beeinflusst wird und neues Verständnis nur aus dem Kontext von verfügbaren Vorstellungen entwickelt werden kann (vgl. Gropengeißer 2001, S. 24). Nur
wenn die Vorstellungen von Lernenden bekannt sind, können diese zielgerichtet durch
neue Informationen modifiziert oder revidiert werden. Schülervorstellungen sind insofern sehr bedeutsam für das Gelingen von Lernprozessen, da ohne sie gar kein neues
Wissen generiert werden kann.
Denkmuster I: Umwelthygienisches Denkmuster
Im Rahmen des Projektes „Mensch und Umwelt. Pilotprojekt zur Vernetzung von Forschung, museologischer Dokumentation und Didaktik“ wurde eine explorative Studie
zur Erfassung von Schülervorstellungen zur Umweltgeschichte durchgeführt (vgl. Wehen-Behrens 2014). In den Aussagen von Schülern der Jahrgangsstufen 8-12 spiegelte
sich tendenziell der umwelthygienische Ansatz als prägendes Denkmuster. In diesem
Muster wird davon ausgegangen, dass der ökologische Wandel seit der Industriellen
Revolution besonders radikal sei. Die Zeit vor der Industriellen Revolution wird als
deutlich naturverbundener betrachtet als die Gegenwart und fungiert als Gegenmodell
zum heutigen Industriezeitalter mit seinen massiven Umweltfolgen (vgl. Borries 1996
sowie Grewe 2014). Dieses ursprünglich von Rolf Peter Sieferle als umwelthygienischer
Ansatz bezeichnete Muster enthält normative Vorstellungen eines harmonischen Gleichgewichts der Natur, das in zunehmendem Maße vom Menschen gestört werde.3
Auch von den befragten Schülern wurde dieses Bild der ‚guten, alten Zeit‘ bemüht.
Insbesondere zu Beginn des Projektes bzw. zu Beginn einer intensiven Auseinandersetzung mit umweltgeschichtlichen Themen glaubten die Schüler nach ihren Aussagen,
dass in der vorindustriellen Zeit ‚alles besser‘ gewesen sei. Umweltprobleme vor der Industriellen Revolution wurden, wenn überhaupt, nur von Schülern der Oberstufe angesprochen, die sich bereits im Unterricht explizit mit solchen Themen (wie Konflikten um
die Holznutzung) auseinandergesetzt haben.
Leitlinien und Materialhinweise
Die Ergebnisse der Erhebung legen nahe, dass Schüler, die sich noch nicht explizit mit
umweltgeschichtlichen Themen befasst haben, über Alltagsvorstellungen nach diesem
Muster verfügen. Als inhaltliche Leitlinie für den Unterricht kann hieraus abgeleitet
3 Die Ausführungen beziehen sich auf Bernd-Stefan Grewes Überlegungen zum Konzept von Sieferle, siehe hierzu Sieferle 1997, S. 17.
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werden, dass es zunächst darum gehen sollte, das idealisierte Bild von der ‚guten, alten‘
(vorindustriellen) Zeit aufzubrechen, da das inhärente normative Leitbild eines nichtanthropozentrischen Verhältnisses zur Natur, etwa durch Unterordnung des Menschen
unter die Natur, fachwissenschaftlich nicht haltbar und in der Vergangenheit prinzipiell
nicht zu identifizieren ist. So reicht die flächendeckende Umweltveränderung (z. B. durch
Brandrodung, Waldweide, Übernutzung von Böden) durch den Menschen schon Jahrtausende zurück (vgl. Radkau 1997). Auch die vielfach zum Öko-Vorbild erhobene indigene Bevölkerung (vgl. Borries 1989) sowie andere Naturvölker zeigten nicht nur
Respekt vor ‚Mutter Erde‘, sondern veränderten diese beispielsweise durch Brandrodung
entscheidend.
Diese Erkenntnisse können den Schülern bspw. anhand des Bausteins Landwirtschaft
im vorliegenden Band vermittelt werden. Konkrete Materialien und Aufgabenstellungen
verdeutlichen, dass der Mensch auch in der vorindustriellen Zeit bereits darum bemüht
war, den Ertrag aus der Natur zu steigern. Die Vorstellung von einer Unterordnung des
Menschen unter die Natur vor der Industrialisierung kann dadurch revidiert werden.
Folgt man dem umwelthygienischen Ansatz in seiner Argumentation, müsste es der
Natur zudem ohne Menschen am besten gehen, da der Mensch als Zerstörer zunehmenden Ausmaßes wahrgenommen wird. Die Überlegungen zum Thema „Wald im Mittelalter“, die dem Baustein „Ressourcen“ im vorliegenden Band zugeordnet sind, zeigen
jedoch, dass der Mensch keineswegs nur als Zerstörer auftritt. So gab es bereits im
Mittelalter Schutzbemühungen für Wälder, auch wenn diese zumindest teilweise auf
Nutzungswünsche in Gegenwart und Zukunft gründeten. Unabhängig von den Motiven
kann hieran jedoch aufgezeigt werden, dass der Mensch bereits vor 500 Jahren nicht nur
als rücksichtsloser Zerstörer der Natur auftrat.
Das Idealbild vom Gleichgewicht zwischen Natur und Mensch kann auch noch in
weiterer Hinsicht aufgebrochen werden. Angesichts aktueller und oftmals medienwirksamer Meldungen von „Jahrhundert-Fluten“, „Jahrhundert-Orkanen“, Tsunamis etc.
könnte man den Eindruck gewinnen, die Menschheit habe durch selbst verursachte
Klimaveränderungen Naturkatastrophen heraufbeschworen, die es ‚früher‘ so nicht gab.
Die Arbeit mit dem Baustein „Klimageschichte“ und dort insbesondere mit den Überlegungen zur „Tambora-Kälte“ kann verdeutlichen, dass es auch in vorindustrieller Zeit
gewaltige Naturkatastrophen gab, die nicht durch Menschen ausgelöst wurden, gleichwohl aber erhebliche Einflüsse auf ihre Lebensbedingungen hatten. Dieser Aspekt sollte
jedoch niemals losgelöst von den beiden zuerst genannten Aspekten erarbeitet werden,
da man sonst schnell dazu neigen könnte, Umweltgeschichte als bloße Geschichte von
Katastrophen (vgl. Radkau 1997) zu betrachten.
Die Leitlinie zur Strukturierung von umweltgeschichtlichen Lernprozessen sollte
daher das Verhältnis von Mensch und Umwelt in mehrere Richtungen differenzieren:
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Der Mensch hat die Natur auch schon in der (ferneren) Vergangenheit (negativ wie
positiv) beeinflusst und umgekehrt hat die Natur auch immer schon den Menschen
(positiv wie negativ) beeinflusst. Die Vorstellung eines Gleichgewichts bzw. einer harmonischen Koexistenz ist daher durch die Erkenntnis anzureichern, dass Mensch und
Natur in einem Wechselverhältnis zueinander stehen.
Denkmuster II: Historische Probleme und mögliche Handlungsoptionen4
Schüler, die sich eventuell schon mit umweltgeschichtlichen Aspekten beschäftigt haben
oder bereits über differenziertere Alltagsvorstellungen verfügen, könnten sich ähnlich
über Umweltgeschichte äußern wie zwei am Projekt beteiligte Schüler:
L: „Daraus lernt man ja. Man lernt ja, was man damals falsch gemacht hat und was man verbessern muss, z. B. auch […]“
J: „Und auch, was man richtig gemacht hat. Damals hatte man ja Holznot und darüber ist man
ja auch weggekommen. Und dann kann man heutzutage gucken, wie die da gehandelt haben
und wie man das heute machen kann. Selbst wenn sich die Probleme ja unterscheiden, aber man
kann schon gucken, wie das damals gelöst wurde. Die Probleme ähneln sich ja. Und wenn die
das damals nicht richtig gemacht haben, kann man sehen, wie man das nicht machen sollte.“
Schüler L äußert hier, dass man „damals“ bestimmte Dinge „falsch gemacht“ habe.
Hinter dieser Aussage scheint keineswegs die idealisierte Vorstellung zu stecken, dass der
Mensch in der vorindustriellen Zeit in harmonischem Einklang mit der Natur lebte.
Stattdessen werden an dieser Stelle historische Probleme im Mensch-Umwelt-Verhältnis
angedeutet. Umweltprobleme werden somit nicht mehr nur der Gegenwart, sondern auch
dem vorindustriellen Zeitalter zugewiesen. Hierin drückt sich allerdings keine allgemeine Geschichte des Niedergangs aus, da die Schüler auch auf Ansätze einer nachhaltigen
Nutzung der Umwelt verweisen. So sieht Schüler J, dass die Menschen „früher“ auch
über bestimmte Probleme „weggekommen“ seien (auf die Diskussion um die angebliche
Holznot im 18. Jahrhundert soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, siehe
hierzu aber den Baustein „Holz im Mittelalter“). Damit wird auch einem naiven ÖkoOptimismus5 widersprochen, nach dem sich die Natur vielleicht schon irgendwie selbst
helfen könne: Der Schüler erkennt, dass die Geschichte auch zahlreiche Beispiele für
Systeme einer nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen bereithält, aus denen man
lernen könne (vgl. Radkau 1997, S. 7). Insofern spricht die Textpassage dafür, dass die
4 Bei den hier vorgestellten Auszügen handelt es sich um ein Interview, das mit besonders
engagierten Schülern des 9. Jahrgangs einer Integrierten Gesamtschule durchgeführt wurde.
5 Der Begriff wurde in Deutschland zuerst geprägt von Maxeiner/Miersch 1996. Öko-Optimismus wendet sich gegen irrationale Ängste und dogmatischen Pessimismus in der Umweltdiskussion. In naiven Varianten wird hieraus die Schlussfolgerung gezogen, dass Umweltbelastungen auch
ohne menschliches Zutun überwunden werden.
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Schüler einen durchaus differenzierten Blick auf die Mensch-Umwelt-Beziehung in der
Vergangenheit haben.
Zudem wird deutlich, dass nicht zwangsläufige Verhaltenserwartungen für die Gegenwart abgeleitet werden können, da der Schüler darauf verweist, man müsse „gucken,
wie man das heute machen kann“. Im Ansatz ist darin auch die Vorstellung enthalten,
dass historische Analogien erst noch geprüft werden müssen und aufgrund der beispiellosen Geschwindigkeit anthropogener Transformationsprozesse nicht ohne Weiteres auf
die Gegenwart übertragen werden können (vgl. Borries 1996).
Die Überlegungen zur Mensch-Umwelt-Beziehung werden im weiteren Verlauf des
Interviews differenziert:
L: „Ich würde sagen, dass es [das Verhältnis von Mensch und Umwelt, B.W.-B.] schon näher
beieinanderlag als heute. Heute ist das alles mit den Maschinen, da steht immer was dazwischen.
Und früher da haben die Menschen selbst gearbeitet und haben sich auch mit der Umwelt beschäftigt und mit der Umwelt direkt gearbeitet.“
J: „Früher hat man miteinander gelebt und heute lebt man über der Umwelt. Man kann die
Umwelt formen und früher war das im Gleichgewicht. Aber ich denke, dass man die Umwelt
früher zwar geschätzt hat, aber weniger darüber nachgedacht. Und heute weiß ja jeder, dass zum
Beispiel viel Auto fahren schädlich ist. Früher hat man sich keine Gedanken gemacht, da gab es
das Problem auch nicht, dass die Umwelt so stark geschädigt wurde. Also vielleicht hatte mal ein
Fluss keine Fische, aber die Probleme waren nicht so groß wie heute.“
Schüler L sieht in der Gegenwart einen größeren Abstand zwischen Mensch und Umwelt
als vor der Industrialisierung. An dieser Stelle ist ein leichter ‚Rückfall‘ in das Erklärungsmuster der ‚guten, alten Zeit‘ zu erkennen. Dies verdeutlicht, wie schwer Alltagsvorstellungen häufig revidiert werden können. Zwar ist die Erklärung des Wandels mit
technisch-maschinellen Neuerungen durchaus korrekt, dieser Wandel wird jedoch vornehmlich negativ betrachtet.
Auch bei Schüler J rückt der umwelthygienische Ansatz vom Gleichgewicht in der
Natur, das durch den Menschen gestört wurde, an dieser Stelle wieder in den Vordergrund. Er verweist allerdings darauf, dass man „früher“ weniger über die Umwelt nachgedacht habe, was auf ein größeres Bewusstsein in der Gegenwart schließen lässt. Zudem
verweist J darauf, dass die heutigen Dimensionen von Umweltproblemen gestiegen seien
und größere Auswirkungen hätten. Diese Vorstellung deckt sich mit neueren Forschungsergebnissen und verdeutlicht, dass erst der historische Rückblick die Dimensionen und
Beispiellosigkeit der vom Menschen bewirkten Umweltveränderungen der letzten Jahrzehnte zeigt. Insofern hat Schüler J das „umwelthistorische Lernziel Nr. 1“ (Radkau 1997,
S. 9) erkannt.
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Leitlinien und Materialhinweise
Auch bei etwas differenzierteren Vorstellungen zeigt sich, wie schwer das Alltagskonzept
des ‚früheren‘ harmonischen Gleichgewichts von Mensch und Umwelt zu revidieren ist.
In Grundzügen gelten daher auch in diesem Fall die bereits skizzierten Leitlinien. Darauf aufbauend kann mit den Schülern aber auch thematisiert werden, dass bspw. die
anthropogenen Veränderungen von Klima und Umwelt im industriellen Zeitalter und
insbesondere seit den 1950er-Jahren ungekannte Dimensionen angenommen haben.
Hierzu können wiederum Materialien der Bausteine „Landwirtschaft“ und „Klimageschichte“ herangezogen und mit ihrer Hilfe erarbeitet werden, wie der menschliche
Einfluss auf die Umwelt im vorindustriellen Zeitalter aussah. Demgegenüber können
Materialien zu anthropogenen bzw. technisch-industriell bedingten Umweltbelastungen
herangezogen werden, die nahezu in jedem gängigen Schulbuch für die Fächer Erdkunde und/oder Geschichte (im Rahmen des Themas „Industrialisierung“) enthalten sind.
Um damit nicht erneut einem umwelthygienischen Ansatz zu verfallen, sollten auch
positive Neuerungen in Technik und Industrie erarbeitet werden. Im vorliegenden Band
finden sich im Baustein „Landwirtschaft“ Anregungen, um bspw. zu verdeutlichen, dass
(technische) Neuerungen nicht nur zum Zweck der rücksichtslosen Ausbeutung der
Natur entwickelt wurden. So dienten Düngeverfahren oder auch die Einrichtung der
Dreifelderwirtschaft der Ertragssteigerung, um einen erhöhten Nahrungsmittelbedarf
einer gestiegenen Bevölkerung zu decken. Negative Folgen, z. B. von Rodung oder Überdüngung, zeigten sich oft erst über einen langen Zeitraum. Darüber hinaus sollte berücksichtigt werden, dass mit größerem Wissen und neuen technischen Möglichkeiten
auch oftmals neue Schutzmaßnahmen für die Umwelt entwickelt werden konnten.
Gleichzeitig sollte parallel zu diesen Aspekten die Frage erörtert werden, inwiefern
man tatsächlich ‚aus der Geschichte lernen‘ kann. Zur Vielschichtigkeit des MenschUmwelt-Verhältnisses gehört auch die Erkenntnis, dass die Beziehung von den jeweiligen
historischen Kontexten abhing. Zwar können durchaus mögliche Lösungen für Umweltprobleme in der Vergangenheit (siehe hierzu bspw. den Baustein „Wald im Mittelalter“6)
erarbeitet werden, hierbei sollte aber immer diskutiert werden, inwiefern Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu gegenwärtigen – auf den ersten Blick ähnlichen – Phänomenen bestehen und ein Transfer von Handlungsoptionen überhaupt möglich ist.
Schlussbemerkung
Im Rahmen dieses Beitrags konnten nur exemplarische Leitlinien und Verknüpfungsmöglichkeiten zu Materialien dieses Bandes aufgezeigt werden. Zudem basieren die
6 Vgl. hierzu insbesondere den Aspekt der Wald- bzw. Holzschutzbemühungen, die allerdings
hauptsächlich durch zukünftige Nutzungsinteressen motiviert waren.
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Überlegungen auf einer explorativen Studie und nicht repräsentativen Ergebnissen. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass konkrete Lerngruppen über andere Vorstellungen zur Umweltgeschichte verfügen. Aus lernpsychologischer Sicht ist es jedoch, wie
dargelegt wurde, in jedem Fall sinnvoll, die Alltagskonzepte zu Beginn von umweltgeschichtlichen Unterrichtssequenzen zu erfassen (z. B. im Rahmen eines individuellen
Brainstormings) und darauf aufbauend inhaltliche Ziele zu entwickeln, damit neue
Erkenntnisse mit bereits vorhandenen Wissensbeständen verknüpft und die Vorstellungen der Schüler angereichert werden können. Am Ende der Unterrichtseinheit ist ein
Vergleich mit den ursprünglichen Alltagskonzepten lohnenswert, um Reflexionsprozesse über mögliche Veränderungen zu initiieren (vgl. Freytag 2006, S. 406-407). Eine
weitere Option, um solche Reflexionsprozesse in Gang zu setzen, ist die Verständigung
darüber, was (und von wem) überhaupt unter den Begriffen Natur und Umwelt verstanden wird und ‚welche‘ Natur eigentlich als schützenswert gilt. Hierdurch können die
Schüler erkennen, dass Umweltthemen in hohem Maße affektiv aufgeladen sind und es
sich um Zuschreibungen ‚des‘ Menschen zur Natur handelt. So nehmen industrielle
Großkonzerne andere Positionen zur Natur ein als Greenpeace-Aktivisten, Forstwirte
wiederum andere als Landwirte usw., was auch historische Beispiele verdeutlichen können. Auf diese Weise können die Schüler erkennen, dass – auch jetzige – Vorstellungen
zeit- und perspektivgebunden sind. Nicht zuletzt kann eine intensive Auseinandersetzung
mit den historisch gebundenen Vorstellungen von ‚einer‘ schützenswerten Natur auch
einen Beitrag zur gegenwärtigen Umweltbildung bzw. Bildung für nachhaltige Entwicklung und insofern einen Brückenschlag zwischen Umweltgeschichte und anderen Disziplinen leisten.
Literatur
Borries, Bodo von (1989): Umweltgeschichte. Vergessene Einsichten und neuartige Herausforderungen.
In: Calließ, Jörg/Rüsen, Jörn/Striegnitz, Meinfried (Hrsg.): Mensch und Umwelt in der Geschichte.
Pfaffenweiler, S. 353-375, Wiederabdruck in diesem Band S. 30-50.
Borries, Bodo von (1996): Didaktische Möglichkeiten und Grenzen der Umweltgeschichte. In: Bayerl,
Günter/Fuchslock, Norman/Meyer, Torsten (Hrsg.): Umweltgeschichte – Methoden, Themen, Potentiale. Tagung des Hamburger Arbeitskreises für Umweltgeschichte. Münster, S. 309-324, Wiederabdruck in diesem Band S. 51-66.
Freytag, Nils (2006): Deutsche Umweltgeschichte – Umweltgeschichte in Deutschland. Erträge und
Perspektiven. In: Historische Zeitschrift 283/2006, S. 383-407.
Grewe, Bernd-Stefan (2014): Umweltgeschichte unterrichten: Für eine kritische Auseinandersetzung
mit umwelthistorischen Denkmustern. In: Düselder, Heike/Schmitt, Annika/Westphal, Siegrid
(Hrsg.): Umweltgeschichte. Forschung und Vermittlung in Universität, Museum und Schule. Köln
u. a., S. 37-54, Wiederabdruck in diesem Band S. 84-100.
Gropengießer, Harald (2001): Didaktische Rekonstruktion des Sehens. Wissenschaftliche Theorien
und die Sicht der Schüler in der Perspektive der Vermittlung. Oldenburg.
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Britta Wehen-Behrens
Günther-Arndt, Hilke (2006): Conceptual Change Forschung. Eine Aufgabe für die Geschichtsdidaktik? In: Dies./Sauer, Michael (Hrsg.): Geschichtsdidaktik empirisch. Untersuchungen zum historischen Denken und Lernen. Berlin, S. 251-277.
Günther-Arndt, Hilke (2009): Historisches Lernen und Wissenserwerb. In: Dies. (Hrsg.): Geschichtsdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin, S. 23-47.
Jenisch, Achim (2004): Erhebung von Schülervorstellungen zu historischem Wandel und curricularen
Konsequenzen. In: Handro, Saskia/Schönemann, Bernd (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Lehrplanforschung. Methoden – Analysen – Perspektiven. Münster, S. 265-276.
Limón, Margarita/Mason, Lucia (2002): Reconsidering conceptual change. Issues in theory and practice. Dordrecht u. a.
Maxeiner, Dirk/Miersch, Michael (1996): Öko-Optimismus. Düsseldorf.
Möller, Kornelia (2007): Genetisches Lernen und Conceptual Change. In: Kahlert, Joachim u. a.
(Hrsg.): Handbuch Didaktik des Sachunterrichts, Bad Heilbrunn, S. 258-266.
Radkau, Joachim (1997): Unbekannte Umwelt. In: Praxis Geschichte 4/1997, S. 4-10.
Sieferle, Rolf (1997): Rückblick auf die Natur. Eine Geschichte des Menschen und seiner Umwelt.
München.
Wehen-Behrens, Britta (2014): „Früher hat man mit der Umwelt gelebt, heute lebt man über ihr“ –
Schülervorstellungen zur Geschichte der Umwelt. In: Düselder, Heike/Schmitt, Annika/Westphal,
Siegrid (Hrsg.): Umweltgeschichte. Forschung und Vermittlung in Universität, Museum und Schule.
Köln u. a., S. 191-206.
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Inhalt
1.Einleitung................................................................................................................ 5
2. Über die Bedeutung der Natur für menschliche Gesellschaften –
eine kurze Einführung in die Umweltgeschichte (Dietmar von Reeken) ............. 8
3. Bewährtes zur Didaktik der Umweltgeschichte: Grundlegende konzeptionelle
Überlegungen seit den 1980er Jahren................................................................... 16
3.1 Umwelterziehung im Geschichtsunterricht (Paul Leidinger) ......................... 17
3.2 Umweltgeschichte: Vergessene Einsichten
und neuartige ­Herausforderungen (Bodo von Borries)................................... 30
3.3 Didaktische Möglichkeiten und Grenzen der Umweltgeschichte
(Bodo von Borries).......................................................................................... 51
3.4 Für eine Grüne Revolution im Geschichtsunterricht – für eine
Historisierung der Umwelterziehung: zehn Thesen (­Joachim Radkau) ......... 67
3.5 Umweltgeschichte unterrichten: Für eine kritische ­Auseinandersetzung
mit umwelthistorischen Denkmustern (Bernd-Stefan Grewe)........................ 84
4. Aktuelle Forschungen und Unterrichts­erfahrungen.......................................... 101
4.1 Mensch – Natur – Umwelt: Warum es sich lohnt, ‚völlig klare‘ B
­ egriffe vor
der Planung umweltgeschichtlicher Unterrichts­sequenzen zu reflektieren
(Indre Döpcke)............................................................................................. 104
4.2 Wenn Schüler denken, früher war alles besser … – Leitlinien zur
didaktischen Strukturierung von umwelt­geschichtlichen Lernprozessen
(Britta Wehen-Behrens)................................................................................. 115
4.3 Darstellung von Umweltgeschichte im Schulbuch – Empirische Befunde
(Sylvia Kasmann, in Zusammenarbeit mit Britta Wehen-Behrens) .............. 123
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Inhalt
4
4.4 Erfahrungsbericht zu dem Unterrichtsprojekt „Umgang mit und Nutzung
der Ressource Holz im Bereich des ­Fachwerkbaus im Nordwesten Deutschlands – Untersuchung, Berechnungen und Modellnachbau zweier Gebäude
aus dem Museumsdorf Cloppenburg“ (Frank Münchenhagen) ................... 130
4.5 Erfahrungsbericht zum Unterrichtsprojekt Landschaftsmalerei
(Sonja Boeckmann)....................................................................................... 144
4.6 Umweltgeschichte in der Sekundarstufe II: Chancen – Perspektiven –
Grenzen. Ein Erfahrungsbericht (Christoph Reinders-Düselder) ................ 153
5. Unterrichtsperspektiven: Didaktische Überlegungen und Materialien zur
Umweltgeschichte............................................................................................... 160
5.1 Klimageschichte (Britta Wehen-Behrens)..................................................... 163
5.2 Landwirtschaft und Ernährung von der Antike bis zur ­Gegenwart
(Indre Döpcke)............................................................................................. 184
5.3 Holz und Wald als Ressourcen (Sylvia Kasmann)......................................... 214
6. Verzeichnis der Autorinnen und Autoren........................................................... 238
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