6 Kirche aktuell Die Tagespost Donnerstag, 8. Oktober 2015 Nr. 120 Missionar, Häftling und Zwangsarbeiter Eine Hommage an das Leben: Wie der Jesuit Walter Ciszek sein Schicksal im Vertrauen auf Gottes Vorsehung meisterte VON KORDULA KRANZDORF Das Leben des polnisch-amerikanischen Jesuiten Walter Ciszek (1904–84) ist einzigartig. Lange Zeit galt er als verstorben, doch zurückgekehrt in seine Heimat Amerika, schrieb er seine Erlebnisse während der Jahre der Haft auf. Seit 2012 liegen die Dokumente zu seiner Seligsprechung in Rom vor. Nun ist sein autobiografischer Bericht erstmals ins Deutsche übersetzt worden. Spiritualität ist kein rosa Wölkchen. Folgt man dem geistlichen Rat des heiligen Ignatius von Loyola, geht es vielmehr darum, „Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden“ und das gilt für alles Schöne, als auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern. Fesselnd, nüchtern und in einer eindrucksvoll wahrhaftigen Art und Weise gibt Walter Ciszek davon in seinem autobiografischen Bericht „Mit Gott im Gulag“ Zeugnis. Unter den Arbeitern war kein Apostolat möglich Bereits kurz nach seinem Eintritt in den Jesuitenorden folgte Ciszek 1929 dem Ruf Papst Pius XI., sich für die „Russlandmission“ ausbilden zu lassen. Aber erst nach einem Zwischenstopp in Polen ging es für ihn und einen weiteren Mitbruder als Hilfsarbeiter in einem Holzlager auf nach Russland. Die Euphorie, dass der lang gehegte Traum endlich in Erfüllung ging, fand jedoch ein abruptes Ende angesichts der Realität. Dabei waren es weder die anstrengende körperliche Arbeit, noch die mangelnde Privatsphäre oder der ständige Hunger, welche die große Enttäuschung bewirkten, sondern die Erkenntnis, dass ihnen unter den Arbeitern gar kein Apostolat möglich war. Zwar war den beiden Jesuiten vor ihrer Abreise theoretisch bewusst gewesen, dass die sowjetische Staatsverfassung prinzipiell die Religionsfreiheit garantiere, faktisch aber jeder, der Glaubenswahrheiten verbreitet, Unannehmlichkeiten zu befürchten habe. Nach der Ankunft erfuhren sie jedoch hautnah die beklemmende Angst der Menschen, die unter diesen Umständen nichts von Gott hören wollten. Pater Ciszek gibt in dieser Situation das Zeugnis eines Glaubens, der nicht in eine bessere Welt fliehen will, sondern der angesichts der Realität der Welt standhält und diese mit hineinnimmt in die Beziehung zu Gott. Die Versuchung war für die beiden Jesuiten da, der gescheiterten Mission ein Ende zu bereiten, aber sie wurde von Pater Cis- Der Zaun des Straflagers Perm 36. Manchen Häftlingen gelang es, in einem solchen Lager den Platz zu erkennen, an dem Gott sie haben wollte. Foto: dpa Pater Walter Ciszeks Lebenszeugnis liegt erstmals in deutscher Sprache vor. Foto: IN zek als „nicht einzigartig“ enttarnt. Es war vielmehr die Versuchung, die im Alltag anklopft, wenn sich die Dinge anders als erhofft zeigen und sie war es, die Pater Ciszek schließlich zu einer alles entscheidenden Einsicht für sein weiteres Leben führte: „Gottes Wille war nicht irgendwo ,außerhalb‘ der Situationen, in denen ich mich vorfand, sondern die Situationen selbst waren Gottes Wille für mich“. Auch wenn er die Lage, in der er sich befand, nicht ändern konnte, so konnte er einen anderen Blickwinkel darauf einnehmen. Der Alltag und seine Banalität hatten sich für Pater Ciszek und seinen Mitbruder nicht geändert und dennoch hatte sich alles geändert: „Wir sollten lernen, unser Alltagsleben, alles, was uns an diesem Tag über den Weg kam, mit den Augen Gottes zu sehen; wir sollten seine Sicht der Dinge, der Orte und vor allem der Menschen lernen; wir sollten erkennen, dass er ein Ziel und eine Absicht verfolgte, wenn er uns mit diesen Dingen und diesen Menschen in Kontakt brachte.“ Die Frage, die Pater Ciszek wohl am häufigsten nach seiner Rückkehr in die USA gestellt wurde war, wie er es geschafft hat zu überleben. „Dank der Vorsehung Gottes“ war seine immer gleiche Antwort. Aber das Vertrauen und das Hoffen auf Gottes Vorsehung hat er sich stets neu erringen müssen. In dieses innere Ringen nimmt Pater Ciszek den Leser mit hinein. Manchmal sind es nur scheinbare Kleinigkeiten, wenn er beispielsweise davon berichtet, wie er nach und nach lernte, auch für seine Vernehmungsbeamten zu beten. Ebenso gewährt er dem Leser dann einen Einblick in sein Inneres, im Moment der größten Selbstenttäuschung, als er nämlich vor solch einem Vernehmungsbeamten einknickt und, unter Androhung des Todes, die angeblichen Verhörprotokolle unterschreibt, um sich ein Leben in Freiheit zu erkaufen. Pater Ciszek bekennt: „Ich hatte versagt und ich war bis in meine Tiefe hinein erschüttert; aber es war eine heilsame Erschütterung.“ Heilsam deshalb, weil er dadurch erkennen Doch diese Erkenntnis war keine ein für allemal gegebene Tatsache. Als 1941 die deutsche Armee in Russland einfiel, nahm die sowjetische Geheimpolizei unmittelbar alle potenziell verdächtigen Personen fest. Darunter befand sich auch Pater Ciszek, dem Spionage im Dienst des Vatikans zum Vorwurf gemacht wurde. Nach einem Zwischenaufenthalt im Gefängnis von Perm wird Pater Ciszek in das Moskauer Lubjanka-Gefängnis verlegt. „Geschichten von Terror, Folter und Hinrichtungen ohne Prozess wurden von Lubjanka wie ganz normale Ereignisse berichtet.“ Fünf Jahre verbrachte Pater Ciszek dort in Isolationshaft, in einer Zelle ohne Tisch, ohne Stuhl und ohne Sitzgelegenheit, allein mit einem Bett, auf dem er wie alle Gefangenen nur zu den zum Schlafen vorgesehenen Stunden liegen durfte. In den nächtlichen Verhören kam der immer gleiche Katalog an Fragen, stets in der Hoffnung, dass der Häftling sich irgendwann selbst verraten oder aufgeben würde. konnte, dass er diese Prüfung nicht aus eigener Kraft bestehen musste. Fortan sollte er sich ganz auf Gott stützen, damit er ihm hilft, damit er ihn trägt, damit er ihn rettet. Schritt für Schritt gibt Pater Ciszek so Zeugnis von seinem geistlichen Wachstum und hat auch keine Scham davor, dem Leser seine Rückschritte und Fehler zu zeigen. Aus der Isolationshaft entlassen, folgten fünfzehn Jahre Zwangsarbeit im Gulag in arktischer Kälte. Die Lebensumstände waren widrig, der Umgang der Häftlinge untereinander ruppig, aber Pater Ciszek gelingt es, dort den Platz zu sehen, an dem Gott ihn haben möchte, damit er auch dort durch ihn anwesend sein kann. Immer wieder ringt Pater Ciszek darum, den Willen Gottes zu erkennen und ihn zu erfüllen: „Ich wollte nicht nur passiv überleben wie die Kinder dieser Welt, sondern mit Gottes Gnade und Hilfe aktiv an seinem Werk mitwirken. So würde ich überleben.“ Es ist ein scheinbares Paradox, dass er in der Unfreiheit des Gulags seine Freiheit wiederfindet, allein Gott zu gehorchen und zu dienen. Zum ersten Mal war es ihm dort möglich, als Priester zu wirken. Er spendete Sakramente, stand zum geistlichen Gespräch bereit und hielt sogar Exerzitien, ignatianisch natürlich. Auch wenn die Bedingungen anders waren als erhofft, ist Pater Ciszek in seiner Mission angekommen. Umstände sind einzigartig, Versuchungen nicht So schwer und bedrückend teilweise die Schilderungen der äußeren Lebensumstände sind, so ist dieser autobiografische Bericht dennoch im Tiefsten eine Hommage an das Leben, das Leben mit Gott. Pater Ciszek nimmt seine Leser mit in die Schule des Gebetes, öffnet die Augen für die Tiefe seiner Gegenwart in allen Situationen des Lebens und schärft dem Leser den Blick dafür, dass alle Menschen Kinder Gottes sind. Dies tut er nicht abstrakt, sondern ganz konkret und zeigt so, dass der Glaube den Unterschied macht, wie wir auf diese Welt schauen und die Ereignisse in ihr betrachten. Die Umstände sind einzigartig, aber die Versuchungen sind es nicht. „Mit Gott im Gulag“ ist ein beeindruckendes Glaubenszeugnis. Es ermutigt den Glauben im Hier und Jetzt zu leben. Walter J. Ciszek: Mit Gott im Gulag. Verurteilt als Spion des Papstes. Echter Verlag 2015, 224 Seiten, EUR 16,90 In der Tradition der Blutzeugen Zur Vorstellung von Wolfgang Boochs Buch über die Geschichte der Kopten VON KATRIN KRIPS-SCHMIDT Berlin (DT) „Obwohl wir in unserem Heimatland sehr verfolgt werden, obwohl unsere Kirchen in Ägypten in Brand gesetzt werden, erlauben wir in unserem Zentrum, dass eine Moschee stehen darf und dass die Menschen ihre Religion ausüben. Obwohl wir in unserem Heimatland verfolgt werden, üben wir Nächstenliebe an den Menschen, die in Not sind“, erklärte Anba Damian, Generalbischof der koptisch-orthodoxen Kirche in Deutschland kürzlich anlässlich der Vorstellung des Buchs „Die Kopten – Kirche der Märtyrer“ von Wolfgang Boochs in Berlin. Initiator der Veranstaltung war der Stephanuskreis, der sich als überkonfessionelles Gesprächsforum im Bundestag versteht, das für Toleranz und Religionsfreiheit eintritt und sich um die Situation verfolgter Christen in aller Welt kümmert. Er wünsche sich, dass in seinem Vaterland der Schutz auch für die Frauen und Mädchen gewährleistet sei, die kein Kopftuch tragen und all die niedergebrannten mehr als 94 Kirchen – wie versprochen – saniert würden und dass die dort ansässigen Christen ihre Religiosität ausüben dürften. Schon vor einem Jahr plädierte Bischof Damian dafür, die Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen waren, nach Religionen und Ethnien zu trennen. In Bor- gentreich im Kreis Höxter haben die Kopten seit Oktober 2014 600 Personen aus dem Nahen Osten aufgenommen – vorwiegend Muslime, relativ wenige Christen. In 29 Gebäuden in einer zentralen Unterbringungseinrichtung, die vom Malteser-Hilfsdienst und von ehrenamtlichen Mitgliedern der koptischen Gemeinde betreut werden, sei es dort bisher noch zu keinem einzigen ernsthaften Zwischenfall gekommen. Innenminister Thomas de Maizière lobte die Initiative als „Vorzeigeprojekt“. Mit Bedacht achte man auf eine möglichst homogene Zusammensetzung bei der Belegung der Räumlichkeiten. Bischof Damian berichtete davon, dass man Familien und alleinstehende Frauen mit ihren Kindern getrennt von den vielen jungen Männern untergebracht habe. Verfeindete Gruppen teilten nicht die Unterkunft miteinander, das heißt, ISIS-Opfer kämen nicht mit ISISSympathisanten zusammen, und sieben Muslime wohnten nicht gemeinsam in einem Zimmer mit einem einzelnen Christen. Bischof Damian: Jesus ist selbst Flüchtling gewesen Sorgen bereite ihm allerdings die enorm hohe Anzahl an Muslimen, die zu uns kämen, obwohl es doch in erster Linie Christen seien, die verfolgt werden. Er wünsche sich, dass es möglich sein könne, dass die Menschen in Schutz und Würde zurück in ihr Heimatland gehen könnten. Denn, so zitierte er Schenuda III., den Patriarchen von Alexandrien: „Ägypten ist ein Land, das in unserem Herzen lebt, es ist nicht nur ein Land, in dem wir leben dürfen.“ Der Vorsitzende des Stephanus-Kreises, der CDU-Bundestagsabgeordnete Heribert Hirte zitierte in seiner Einführung Papst Franziskus, der 2013 sagte: „Es ist nicht erforderlich, in die Katakomben oder ins Kolosseum zu gehen, um die Märtyrer zu finden: die Märtyrer leben jetzt, in zahlreichen Ländern.“ Bischof Damian verwies darauf, dass Jesus Christus selbst ein Flüchtling gewesen sei, der dreieinhalb Jahre lang Obdach in Ägypten gesucht und gefunden habe. Man habe ihm das „vorübergehende Asylrecht“ gewährt. Er lobte den Verfasser des Buches als ausgezeichneten Kenner der Materie, der Sprache, Mentalität und Kultur der Ägypter hervorragend kenne. Boochs studierte Jura und absolvierte ein Zweitstudium in Ägyptologie und Koptologie. Er promovierte in Ägyptologie. Die Unkenntnis von Freunden und Bekannten, die die Kopten oftmals für eine Sekte hielten, regte ihn zum Schreiben an. Denn die koptische Kirche sei älter als die katholische, sagt er. Die Kopten verehren den heiligen Evangelisten Markus als den Begründer ihrer Kirche, der, so berichten Eusebius, Hieronymus und Epiphanius, 44 n. Chr. nach Ägypten kam, um die Bevölkerung zu missionieren. „Die Kopten – ,Kirche der Märtyrer‘“ zeichnet die wechselvolle Geschichte der Kopten nach, die seit Beginn der Verfolgung durch die Römer jahrhundertelang bis in unsere Tage unter politischer Benachteiligung und Unterdrückung litten und immer noch leiden. Die Staatsreligion in Ägypten heute ist der Islam, derzeit sind etwa zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung koptische Christen. Der heilige Evangelist Markus ist einer der Märtyrer, der in der koptischen Märtyrerliste, dem „Synaxarium“ aus dem Mittelalter (das etwa dem römischen Martyrologium entspricht), verzeichnet ist. Er soll am Ostersonntag des Jahres 68 das Martyrium erlitten haben, nachdem er während der Christenverfolgung durch Kaiser Nero von Soldaten an einem Strick gebunden durch die Straßen Alexandrias geschleift wurde. Die schwerste Verfolgung gab es unter Diokletian In unterschiedlichen Ausprägungen der Verfolgung unter den jeweiligen römischen Herrschern richteten sich die von ihnen erlassenen Dekrete zuweilen nur gegen Kleriker, zuweilen gegen die gesamte Christenheit. Manche Verordnungen verboten das Feiern des Gottesdienstes, den Besuch der Friedhöfe, andere sollten die Christen zwingen, vor dem Bildnis des Kaisers und der römischen Götter zu opfern. Die schwerste Christenverfolgung war unter Diokletian zu verzeichnen, ihr sollen nach koptischen Angaben Hunderttausende koptischer Christen zum Opfer gefallen sein, weshalb die koptisch-orthodoxe Kirche sich von diesem Zeitpunkt an als „Kirche der Märtyrer“ bezeichnete. Diesen Feldzug gegen das Christentum nahm die koptische Kirche zudem zum Anlass, eine neue Zeitrechnung einzuführen: Das Jahr der Thronbesteigung Diokletians, 284, gilt als das Jahr 1 des koptischen Kalenders, sodass man sich 2015 in diesem Kalendersystem im Jahr 1732 befindet. Die Usurpation Ägyptens durch Mohammed im Jahr 622 brachte das Land und seine Bevölkerung in den nachfolgenden Jahrhunderten unter die Herrschaft des Islams. Die aufeinanderfolgenden arabischen Dynastien der Omaijaden (661–749), der Abbassiden (749–868) und weitere setzten die Kopten schon bald schweren Repressalien aus. Zunächst „nur“ mit der DhimmiSteuer für „Ungläubige“ belegt, wurden die Christen in den ersten Jahren noch verhältnismäßig milde behandelt, denn man brauchte die Kopten, die des Schreibens und Lesens kundig waren, zur Verwaltung der neuen Kolonie. Doch bereits Ende des siebten Jahrhunderts wurden sie zu Bürgern zweiter Klasse, ihre Kirchen und Klöster wurden geplündert und gebrandschatzt. Boochs lässt die politischen Ereignisse der letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte bis in die Gegenwart Revue passieren, sein Buch befasst sich in einem letzten Kapitel zudem mit der Verehrung der Märtyrer und ihrer Bedeutung für die koptische Kirche und führt einige Kurzbiografien der wichtigsten koptischen Blutzeugen an. Wolfgang Boochs: Die Kopten – Kirche der Märtyrer Bernardus Verlag Abtei Mariawald 2015, 175 Seiten, EUR 14,80. Der Erlös aus dem Verkauf des Buches geht an die Treuhandstiftung „Christen in Not“, die soziale Projekte der koptischen Kirche unterstützt.
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