Das Vorlesebuch für kleine starke Helden Mit Bildern von Dirk Hennig Thienemann Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 1 21.08.15 12:54 Weitere »starke« Vorlesebücher: Das Vorlesebuch für kleine starke Jungs Das Vorlesebuch für kleine starke Mädchen Das Vorlesebuch für kleine starke Freunde Das Vorlesebuch von kleinen starken Tieren Das Vorlesebuch für starke Familien Mehr über unsere Bücher, Autoren und Illustratoren auf: www.thienemann.de Rothmund, Sandra (Hrsg.): Das Vorlesebuch für kleine starke Helden ISBN 978 3 522 18407 6 Gesamtausstattung: Dirk Hennig Einbandtypografie: Michael Kimmerle Innentypografie: Bettina Wahl Reproduktion: HKS-Artmedia, Leinfelden-Echterdingen Druck und Bindung: Livonia Print, Riga © 2015 Thienemann Verlag in der Thienemann-Esslinger GmbH, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten. Printed in Latvia. Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 2 21.08.15 12:54 Inhaltsverzeichnis Otfried Preußler: Sechshundertsiebenundachtzig Schafe Hortense Ullrich: Leanders Mutprobe Dagmar H. Mueller: Johnnie will bei Mama schlafen Martin Baresch: Didi entdeckt Amerika Renate Ahrens-Kramer: Wie der kleine Lachs das Springen lernte Marliese Arold: Der Wetter-Wettbewerb Maja von Vogel: Der kleine Räuber kommt groß raus Achim Bröger: Mein Teddy, dein Teddy Daniel Napp: Schnüffelnasen an Bord Joachim Friedrich: Der klitzekleine Zauberer und die wunderschöne Prinzessin Cornelia Funke: Glück Jo Pestum: Der mutige Kunibert Martina Gürth: Die Abenteuergeschichte Dorothee Haentjes: Der Sturm Michael Ende: Filemon Faltenreich Sigrid Heuck: Emilio Feuerohr Jo Pestum: Der nigelnagelneue Ball Heinz Janisch: Herr Zibrillo fliegt Luise Holthausen: Schatzhüter und Schatzsucher Brigitte Kolloch: Heute schlaf ich ohne Licht! Astrid Krömer: Murmel will sich wieder vertragen Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 3 5 10 20 27 31 36 43 52 56 64 75 82 90 94 98 112 118 125 130 137 142 21.08.15 12:54 Manfred Mai: Nur Mut, Kilian Annie M.G. Schmidt: Der Riese und der Drache Rebecca Hohlbein: Max und das Bettkastenmonster Käthe Recheis: Der allerkleinste Wolf Petra Wiese: Ritter Konni und das große Turnier Rafik Schami: Der fliegende Baum Max Kruse: Urmel fliegt zum Mond 148 152 162 176 182 189 201 Quellenverzeichnis 208 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 4 21.08.15 12:54 Sechshundertsiebenundachtzig Schafe von Otfried Preußler 5 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 5 21.08.15 12:54 Es war einmal ein Schäfer, der zog mit seiner Schafherde über Land, von einem Dorf zum andern. Bei Tag weideten die Schafe auf den Bauernwiesen das Gras ab, und der Schäfer ging langsam hinterher und gab acht, dass die Tiere brav beisammenblieben. Von Zeit zu Zeit stopfte er sich eine Pfeife und blies schöne blaue Rauchkringel in die Luft. Zu Mittag trieb er die Herde an einen Wassergraben oder an einen Weiher zur Tränke. Dann zog er aus seiner ledernen Hirtentasche ein Stück Schwarzbrot und je nachdem einen Zipfel Pfefferwurst, ein paar Scheiben Speck oder einen Käse. Wenn er gegessen hatte, trank er aus der Feldflasche zwei Schluck Kümmel, breitete an einer windgeschützten Stelle den Mantel aus, legte sich darauf und hielt in aller Seelenruhe sein Mittagsschläfchen. Das konnte er sich ohne Weiteres leisten, denn er hatte ja zwei Hunde bei der Herde, den Treff und den Treibauf, die in der Zwischenzeit dafür sorgten, dass keines von seinen sechshundertsiebenundachtzig Schafen verloren ging. Ja, sechshundertsiebenundachtzig Schafe hatte der Schäfer damals, und das sind eine ganze Menge. Nach dem Mittagsschlaf zog der Schäfer mit seiner Herde weiter. Oft begegneten sie stundenlang keinem Menschen. Aber manchmal kamen sie unterwegs an die Landstraße, und dann mussten alle Fußgänger und Radfahrer, aber auch die Bauern auf ihren Leiterwagen und Zugmaschinen, die Frachter mit den schweren Lastzügen, die Omnibusse, die Personenwagen und sogar die feinen Herrschaften in den funkelnagelneuen Zweisitzern warten, bis der Schäfer mit seinen Hunden und allen sechshundertsiebenundachtzig Schafen die Landstraße überquert hatte. Da wurden die Leute oft ungeduldig und riefen dem Schäfer zu: »Mann Gottes, geht das nicht ein bisschen schneller? Du hast wohl sehr viel Zeit?« Dann nickte der Schäfer freundlich und blies ein paar besonders schöne 6 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 6 21.08.15 12:54 Rauchkringel in die Luft, denn er hatte wirklich sehr viel Zeit und konnte sich gar nicht erklären, weshalb sich die fremden Leute darüber aufregten. Jeden Abend stellte der Schäfer am Rand eines Dorfes aus lauter kurzen Zaunstücken, die man mit Haken und Ösen aneinander befestigen konnte, einen Garten auf. Er nannte den Garten »Pferch«, das ist ein Wort aus der Schäfersprache. Da hinein trieb er die Schafe, und wenn alle sechshundertsiebenundachtzig darin waren, schloss er den Pferch hinter ihnen zu. Er selbst kroch in seinen Schäferkarren, streckte sich auf den Strohsack, bedeckte sich mit dem Mantel und schlief auf der Stelle ein. Die Schafe im Pferch schliefen ebenfalls. Sie hatten sich eng aneinandergekuschelt und wärmten sich gegenseitig mit ihrer Wolle. Die Hunde aber, der Treff und der Treibauf, bewachten die ganze Nacht lang den Hirten und seine Herde. Eines Tages aber geschah etwas Sonderbares. Da kam der Schäfer mit seiner Herde am späten Nachmittag unversehens an einen Bach. Der Bach war nicht übermäßig breit, aber so reißend und tief, dass die Schafe ihn nicht durchwaten konnten. »Da müssen wir eben eine Brücke suchen«, brummte der Schäfer. Er zog eine volle Stunde am Bach entlang, es wurde schon langsam dämmerig, aber von einer Brücke war nichts zu sehen. Endlich fand er am Ufer ein altes Brett. Das mochte wohl jemand vergessen haben. »Sieh da!«, sagte der Schäfer. »Da hätten wir ja, was wir brauchen!« Er legte das Brett über den Bach, und nun konnte er mit seinen sechshundertsiebenundachtzig Schafen hinüberziehen. Weil aber das Brett sehr schmal war, mussten die Tiere einzeln über den Steg gehen, und das nächste durfte ihn erst betreten, wenn das vorige bereits wieder festen Boden unter den Hufen hatte. Das war eine langwierige Geschichte, du musst dir das vorstellen: Als Erster läuft Treff 7 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 7 21.08.15 12:54 hinüber, dann Treibauf. Dann folgt ihnen zögernd und misstrauisch der Leithammel. Wie er endlich drüben ist, treibt der Schäfer das nächste Schaf auf den Steg. Das braucht auch wieder eine ganze Weile, bevor es am anderen Ufer ankommt, denn vorsichtig setzt es Schritt vor Schritt. Und so geht das nun weiter. Aber der Schäfer hat ja viel Zeit, er hat sehr viel Zeit. Geduldig schickt er ein Schaf nach dem anderen über das Brett, alle sechshundertsiebenundachtzig. Es ist unterdessen schon dunkel geworden, der Mond steht am Himmel, die Sterne blicken herunter, der Nebel steigt aus den Wiesen auf. Nun müssen auch wir Geduld haben, du und ich. 8 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 8 21.08.15 12:54 Denn ehe nicht alle sechshundertsiebenundachtzig Schafe den Bach überquert haben, geht die Geschichte nicht weiter. Du fragst mich, wie lang das dauert? Ich glaube, du kannst es dir ausrechnen! Wenn du die Augen zumachst und dir die sechshundertsiebenundachtzig Schafe vorstellst, wie sie der Reihe nach über das Brett ziehen, graue und weiße und schwarze, dann wirst du ja merken, wenn alle drüben sind. Aber verzähl dich nicht! Wenn du darüber einschlafen solltest – was tut es? Morgen ist auch ein Tag, und da werden wir sehen, wie die Geschichte weitergeht. 9 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 9 21.08.15 12:54 Leanders Mutprobe von Hortense Ullrich 10 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 10 21.08.15 12:54 Leander stand im Eingang einer Höhle. Er lugte vorsichtig nach draußen. Die Situation war sehr gefährlich. Wenn die Raubmöwen ihn entdeckten, wäre er ein Mann in Not. Oder besser: ein Pinguin in Not. Denn Leander ist ein Pinguin. Und das ist gut so, denn Leander lebt am Südpol. Und am Südpol ist es kalt. Eisekalt. Lause-mause-kalt. Pinguin-kalt eben. Leander schaute nach links. Er schaute nach rechts. Er schaute nach oben. Und er schaute nach ... Nein, er schaute nicht nach unten. Er hielt nämlich Ausschau nach den Raubmöwen. Und die sind meistens oben in der Luft. Vor denen musste Leander sich in Acht nehmen. Es waren keine Raubmöwen in Sicht. Sehr gut. Leander schlich in die Höhle. Da hörte er sie, die Raubmöwen. Sie waren in ihrer geheimen Schatzhöhle. Dort hatten sie eine geheime Versammlung. Leander war sehr neugierig. Und auch ein bisschen mutig. Er schlich vorsichtig weiter. Immer tiefer in die Höhle. »Erwischt!«, rief plötzlich eine Stimme. Leander erschrak. Es war Ronn. Er gehörte zur Bande der Raubmöwen. Leander würde auch gerne zur Raubmöwen-Bande gehören. Denn Leander wollte einen Freund haben. Oder besser noch: ganz viele. »Was suchst du hier?«, wollte Ronn wissen. Leander antwortete nicht. Da packte Ronn Leander und schleppte ihn zu Rick. Rick war der Anführer der Raubmöwen. Zu Ricks Bande gehörten: Ronn, Ross, Ralf und Rolf. »Du hast uns belauscht! Warum?«, schnauzte Rick Leander an. »Ich will auch zu deiner Bande gehören«, sagte Leander. Denn er war ja ein bisschen mutig. Rick schüttelte den Kopf »Das geht nicht. Dein Name fängt nicht mit R an.« 11 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 11 21.08.15 12:54 »Das weiß ich. Aber er hört mit R auf!« »Das gilt nicht«, meinte Rick. »Dann schreib ich meinen Namen eben rückwärts: Rednael.« Aber Rick sagte wieder: »Das gilt nicht. Außerdem kannst du nicht fliegen.« Das stimmte leider. Pinguine können nicht fliegen. Aber man muss fliegen können, wenn man zur Raubmöwen-Bande gehören will. Denn die Raubmöwen fliegen in der ganzen Welt umher und rauben Schätze. Diese Schätze verstecken sie dann in ihrer Höhle. Deshalb ist ihre Höhle eine echte Schatzhöhle. Zumindest sagen das die Raubmöwen. »Verschwinde!«, fuhr Rick Leander an. »Nein«, sagte Leander, »ich will auch zur Bande gehören!« Rick schnappte nach Luft. Er rief Ronn, Ross, Ralf und Rolf heran. Sie tuschelten leise miteinander. Leander konnte nichts verstehen. Nach einer Weile drehte sich Rick zu Leander um. »Okay, du willst also Mitglied in meiner Bande werden?« Leander nickte. »Ja!« Rick grinste. »Dann musst du eine Mutprobe bestehen.« »Was soll ich tun?«, fragte Leander. 12 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 12 21.08.15 12:54 Rick grinste noch breiter. »Fliege nach Australien und bring uns einen Schatz für unsere geheime Schatzhöhle.« »Kein Problem!«, sagte Leander und ging fröhlich pfeifend aus der Höhle. Rick staunte. Dieser Leander! Der hatte wohl vor gar nichts Angst. Auch Ronn, Ross, Ralf und Rolf sagten keinen Piepston mehr. Draußen setzte sich Leander auf den nächsten Eisblock. Diese Raubmöwen hatten ihm eine sehr schwere Aufgabe gestellt. »Als Erstes muss ich fliegen lernen«, entschied Leander. Er kletterte einen Eisberg hoch. Bis ganz oben auf die Spitze. Dann holte er tief Luft und sprang. Platsch! Leander landete im eise-lause-mause-kalten Wasser. Mit dem Bauch zuerst. Aua! Das tat weh. »Nur nicht aufgeben«, sprach er sich selbst Mut zu. Er kletterte wieder hoch. Platsch! Wieder fiel er ins Wasser. Wieder mit dem Bauch zuerst. Wieder tat es weh. »Tut das nicht weh?«, fragte eine Stimme hinter Leander. Leander drehte sich um. Es war Herr Schnabelhorst. Herr Schnabelhorst ist ein Drache und wohnt in einem Vulkan. Schon seit vielen tausend Jahren. Vulkandrachen werden nämlich sehr alt. »Allerdings tut das weh«, gab Leander zu. »Hast du vergessen, wie man einen Kopfsprung macht?«, fragte Herr Schnabelhorst. »Ich mache keinen Kopfsprung. Ich übe fliegen«, entgegnete Leander. »Warum willst du denn fliegen können?«, fragte Herr Schnabelhorst. Leander seufzte. »Weil ich nach Australien muss.« Er war ein bisschen mutlos. »Hmm«, machte Herr Schnabelhorst und strich sich über die Schnauze. »Ich kann fliegen.« 13 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 13 21.08.15 12:54 »Das glaube ich nicht. Dafür sind Drachen viel zu groß, zu schwer und zu dick«, stellte Leander fest. Herr Schnabelhorst war kein bisschen beleidigt. Er sagte: »Alle Vulkandrachen können fliegen.« Und Herr Schnabelhorst flog eine Runde um den Eisberg. Leander war begeistert. Er hatte eine Idee. »Können Sie bis nach Australien fliegen?«, fragte er. »Australien? Da war ich noch nie. Aber ich kann es versuchen«, sagte Herr Schnabelhorst. Herr Schnabelhorst landete und Leander kletterte flugs auf seinen Rücken. »Auf nach Australien!«, befahl Leander. »Moment, nicht so schnell. Was willst du überhaupt in Australien?«, fragte Herr Schnabelhorst. »Einen Schatz finden«, antwortete Leander. Herr Schnabelhorst nickte. »Das ist ein guter Grund, um nach Australien zu fliegen.« Und Herr Schnabelhorst flog los. »Was genau ist eigentlich ein Schatz?«, wollte Leander unterwegs wissen. »Ein kleiner Vogel«, antwortete Herr Schnabelhorst. »Wirklich?«, wunderte sich Leander. »Ja.« Herr Schnabelhorst nickte. »Ein Spatz ist ein kleiner Vogel.« Leander schüttelte den Kopf. »Schatz! Nicht Spatz!« »Ach so.« Herr Schnabelhorst hörte manchmal nicht so gut. Er dachte nach. »Ein Schatz ist etwas Besonderes. Etwas Einmaliges.« »Etwas, was es am Südpol nicht gibt?«, fragte Leander. »Ja, genau.« »Und was wäre das?«, wollte Leander wissen. »Weiß ich auch nicht. Wir fragen einfach die Australier. Die müssen das ja wissen.« 14 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 14 21.08.15 12:54 Schon bald landeten Leander und Herr Schnabelhorst in Australien. Da war es warm. Sehr warm. Brüll-warm. Bären-warm. Brüll-Bären-warm. »Hoppla«, rief etwas, als es Leander und Herrn Schnabelhorst sah. »Wer bist denn du?«, wollte Leander wissen. »Ich bin ein Känguru«, sagte das Etwas. »Und wer seid ihr?« »Oh, wir ...« »Aha. Und was wollt ihr hier?« »Oh, wir wollen ...« »So, so. Und woher kommt ihr?« »Jetzt lass uns doch mal ausreden!«, schimpfte Leander. »Na, dann rede doch, ich habe ...« »Südpol!«, rief Leander schnell. »Südpol?« 15 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 15 21.08.15 12:54 Leander nickte. »Wir kommen vom Südpol und suchen einen Schatz.« »Den sucht jeder«, meinte das Känguru und hüpfte weiter. Leander sah Herrn Schnabelhorst an. »Wie wäre es mit einem Känguru? So was gibt es am Südpol nicht! Wir nehmen es mit.« »Waaas?«, rief das Känguru und blieb stehen. »Hast du Lust, am Südpol zu wohnen?«, fragte Herr Schnabelhorst das Känguru. »Nie im Leben!«, rief das Känguru empört. »Außerdem wird mir immer schlecht beim Fliegen.« »Aber wir brauchen etwas, was es am Südpol nicht gibt«, erklärte Leander. Das Känguru schaute Leander an und überlegte. »Wie wäre es mit einem Schnabeltier?« Leander zuckte die Schultern. »Und was ist mit einem Koala?« Leander zuckte wieder die Schultern. »Oder ein Dingo vielleicht?« »Kenn ich alles nicht«, meinte Leander. »Ach so. Dann warte mal hier«, rief das Känguru. Hüpf, hüpf, hüpf, weg war es. Gleich darauf kam das Känguru wieder. Und mit ihm kamen ein Koala, ein Schnabeltier und ein Dingo. Leander sah die drei neugierig an. »Sollen wir alle mitnehmen?«, fragte er Herrn Schnabelhorst. »Wohin willst du uns mitnehmen?«, fragte das Schnabeltier. »Zum Südpol«, erklärte Leander. »Gibt es dort Bäume?«, fragte der Koala. »Ich esse nämlich nur Blätter, die nach Hustenbonbons schmecken! Und die wachsen auf Bäumen.« 16 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 16 21.08.15 12:54 Leander schüttelte den Kopf. »Am Südpol gibt es nur Eisberge.« »Schmecken Pinguine gut?«, fragte der Dingo. Herr Schnabelhorst schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.« Leander schaute ihn böse an. »Pinguine isst man nicht«, fügte Herr Schnabelhorst schnell hinzu. »Schade«, meinte der Dingo. »Ich will nicht zum Südpol. Da ist es mir bestimmt zu heiß«, jammerte das Schnabeltier. Leander und Herr Schnabelhorst schüttelten den Kopf. »Aber nein. Es ist kalt am Südpol. Eise-kalt. Lause-mause-kalt.« »Dann ist es mir bestimmt zu kalt!«, beschwerte sich das Schnabeltier. Leander und Herr Schnabelhorst schauten sich an. So kamen sie nicht weiter. Sie mussten einen Schatz finden, der nichts zu essen braucht. Und dem es egal ist, ob es am Südpol heiß oder kalt ist. Plötzlich rief der Dingo: »Achtung, in Deckung!« Alle warfen sich flach auf den Boden. Zisch! Etwas sauste über ihre Köpfe hinweg. Krach! Es landete in einem Baum. »Was war das?«, fragte Leander. Er blickte vorsichtig auf. Herr Schnabelhorst und das Känguru jammerten und rieben sich die Köpfe. Sie waren zusammengestoßen. Was war da durch die Luft gesaust? Leander rannte sofort los. Denn er war ja ein bisschen mutig. Und sehr neugierig. 17 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 17 21.08.15 12:54 Es war ein Stück Holz. Krumm wie eine Banane. Bananenkrumm. Nein, sogar noch viel krummer. Leander staunte. »So etwas habe ich noch nie gesehen.« »Du hast noch nie einen Bumerang gesehen?« Das Schnabeltier lachte. Leander hob den Bumerang auf und schaute ihn genau an. »Was kann der denn?«, fragte Leander. »Fliegen«, sagte das Känguru. »Ist ja toll!«, staunte Leander. »Ganz von allein?« Da lachte das Schnabeltier noch lauter. Und der Koala lachte auch. »Natürlich nicht«, erklärte das Känguru. »Du musst ihn werfen. Und wenn du ihn richtig wirfst, fliegt er wieder zu dir zurück.« »Das ist ja toll«, rief Leander begeistert. »Darf ich den behalten?« »Klar.« Das Känguru nickte. »Toll, danke! Ein Bumerang ist ein prima Schatz. So etwas gibt es am Südpol nicht!«, rief Leander aufgeregt. »Allerdings.« Herr Schnabelhorst nickte. Leander nahm den Bumerang und kletterte auf Herrn Schnabelhorsts Rücken. Er winkte zum Abschied mit dem Bumerang. Dann flogen sie zurück zum Südpol. Der Koala und das Schnabeltier wälzten sich vor Lachen am Boden. »Ein Bumerang soll ein Schatz sein! Hahaha. Hohoho.« »Hört auf zu lachen. Die sind vom Südpol«, schimpfte das Känguru. Der Dingo schaute Leander nach und überlegte, ob Pinguine wohl doch gut schmeckten. Am Südpol rannte Leander sofort in die Höhle der Raubmöwen. »He, was machst du denn hier?«, fauchte ihn Rick an. Leander sagte stolz: »Ich gehöre jetzt auch zur Bande.« 18 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 18 21.08.15 12:54 »Sagt wer?«, schimpfte Rick und schob Leander aus der Höhle. Leander hielt ihm den Bumerang hin. »Hier! Das ist ein Bumerang. Aus Australien. Ein Schatz für unsere Sammlung.« Rick staunte nicht schlecht. »Ist der wirklich aus Australien?« »Na klar!«, meinte Leander stolz. Rick war sprachlos. Dieser Leander! »Was ist denn nun? Gehöre ich jetzt zu deiner Bande?«, wollte Leander wissen. Rick schüttelte den Kopf. »Nein.« »Wieso nicht?« »Australien gilt nicht. Flieg nach Brasilien und bring von dort einen Schatz.« Und Rick flog davon. So eine Gemeinheit. »Und, was ist jetzt?«, fragte eine Stimme hinter Leander. Es war Herr Schnabelhorst. »Auf gar keinen Fall will ich zur Raubmöwen-Bande gehören. Ehrlich nicht«, schwindelte Leander. »Wer braucht schon solche Freunde? Ich nicht! Ganz bestimmt nicht!« Aber Herr Schnabelhorst ließ sich nicht täuschen. Er hatte gehört, was Rick gesagt halte. »Recht hast du. Aber sag mal, ich fliege morgen nach Brasilien. Einen Vetter besuchen. Hast du Lust mitzukommen?« Leander war begeistert. »Na klar. Ich kann Sie doch nicht alleine fliegen lassen.« »Sehr gut. Pünktlich um Viertel nach Hering geht‘s los.« Leander strahlte. So ein Glück! Morgen würde er nach Brasilien fliegen. Mit Herrn Schnabelhorst. Und er würde Herrn Schnabelhorst fragen, ob er vielleicht sein Freund sein wollte. Und wenn er rein zufällig einen Schatz fand, würde er ihn zum Südpol bringen. Nur so. 19 Rothmund_Vorlesebuch_Helden_final.indd 19 21.08.15 12:54
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