Zu diesem H eft Magazin Notizen 2 Die Prüfung Bolko Bullerdiek 5 Produktionsorientierter Umgang m it L iteratu r in der Schule „Geschundene“ G edichte? G eschundene Schüler? Gerhard Haas 6 Handeln als K ategorie individueller und sozialer Selbsterfahrung und Praxis im L iteratu ru n terrich t Gerhard Rupp 8 Produktiver Umgang m it L iteratu r und lite ra risch e K rim in alität Günter Waldmann 11 Kurz-Rezensionen 14 Basisartikel Textanalyse im U nterricht Herausgeber des Thementeils: A lle H erausgeber von PRAXIS DEUTSCH Kaspar H. Spinner 19 Ansichten zur Textan alyse Statements der Herausgeber von PRAXIS DEUTSCH 24 Modelle 2.-4. Schuljahr „Von dem Fischer und seiner Frau“ Möglichkeiten analytischer Textarbeit in der Primarstufe Hans Kügler 5.-7. Schuljahr 27 W as eine G eschichte spannend m acht Textanalyse und Schreiben Wolfgang Menzel 38 Krolow und Trakl: Z w e i H erbstgedichte 6. Schuljahr Textanalyse durch operative Formen des Umgangs mit Literatur Gerhard Haas 42 7.-10. Schuljahr G edankenw iedergabe in E rzähltexten Zur Erarbeitung erzähltheoretischer Begriffe Kaspar H. Spinner Sekundarstufe 47 „War m al ne D ickm adam e...“ Aneignung und Aktualisierung des Märchens „Von dem Fischer und seiner Frau" in G. Grass' Roman „Der Butt“ Hans Kügler 51 J. W. Goethe: „Auf dem S ee“ Zum Verhältnis von Kommentar, Textanalyse und Interpretation Klaus Gerth 58 Die Textanalyse ist umstritten! Für die einen ist sie das Fundament des Literaturunter richts - exakt, objektiv, durchschaubar und überprüfbar, womit sie den Zielen von Schule sicher entgegenkommt. Für die an deren ist sie die eher „lästige Nebensache“, die zwar auch gelehrt werden muß, die aber von den eigentlichen Zielen ihres Literatur unterrichts - der Lust am Lesen und an der engagierten Auseinandersetzung mit und über Gelesenes - ablenkt. Die Kontroverse spaltet die Lehrerschaft und reicht bis in die Literaturdidaktik hinein. Eine Neubestimmung der Textanalyse ist notwendig. Deshalb folgt auf PRAXIS DEUTSCH 81 Interpretieren nun das Heft Textanalyse. Bei der Arbeit stellte sich schnell heraus, daß auch unter den Herausgebern von PRAXIS DEUTSCH die Textanalyse unter schiedlich eingeschätzt und gehandhabt wird, daß der Zusammenhang von Analyse und Interpretation, ihr Ort und Stellenwert im Literaturunterricht unterschiedlich gese hen werden. Gibt es ein Minimalprogramm von Kategorien, das bei der Analyse von Texten anzuwenden ist? Gibt es ein be stimmtes Verfahren, das auf alle Texte anwendbar ist? Bedroht die Analyse das Leseerlebnis? Müssen analytische Verfah ren Teil jeder Texterschließung sein, oder sind auch Formen des Umgangs mit Texten ohne analytische Schritte möglich und sinn voll? Antworten auf diese Fragen finden sich im Heft in zweifacher Form, als kurze State ments im Anschluß an den Basisartikel und konkret in den Modellen. Hier stellen die Herausgeber in der Theorie und in der praktischen Umsetzung Beispiele dafür vor, was Textanalyse für sie bedeutet, wie sie sie einsetzen und in welchem Zusam menhang sie zur Interpretation steht. Fragen des Umgangs mit Literatur im Unter richt sind auch Schwerpunkt des Magazins. Als Abschluß einer Kontroverse, die H. Kügler in den Heften 90 und 91 mit seiner scharfen Kritik am handlungs- und produk tionsorientierten Unterricht eröffnet hat, zeigen G. Haas, G. Rupp und G. Waldmann u. a. an praktischen Beispielen die Möglich keiten produktiver Verfahren. A ufsatzanalyse als T eil der A ufsatzbeurteilung Wären Handlungsanalysen nicht besser? Otto Ludwig 64 Redaktion PRAXIS DEUTSCH PRAXIS D EUTSCH wird herausgegeben vom Friedrich Verlag in Velber in Zusammenarbeit mit Klett und in Verbindung mit Jü r gen Baurmann, Klaus Gerth, Gerhard Haas, Hans Kügler, Otto Ludwig, Wolfgang Menzel, Henning Rischbieter, Kaspar H. Spin ner und Gerhard Voigt. Redaktion: Uwe Brinkmann (verantw.); Titel: Rolf Müller; Verkaufs-und Anzeigenleitung: Bernd Schräder; Anzeigenabwicklung: Telefon (0511) 4 00 04-22. Anzeigenpreisliste Nr. 9 vom 1.1. 1988. Vertrieb und Abonnement: Telefon (0511) 4 00 04-52. Verlag: Erhard Friedrich Verlag GmbH & Co. KG., Postfach 10 01 50, 3016 Seelze 6, Telefon (0511) 4 OO 04-0, Telex: 0922923. Redaktionssekretariat: Renate Hartmann, Tel. (0511) 4 00 04-33 und -27. Das Jahresabonnement für PRAXIS DEUTSCH besteht aus 6 Einzelheften und einem Jahresheft. Der Einzelheftbezugspreis im Abonnement beträgt DM 9,90, Jahresheft DM 18,40, ges. Inland DM 77,80, Ausland DM 79,60. Alle Preise verstehen sich zuzüglich Versandkosten. Die Mindestbestelldauer des Abonnements beträgt 1 Jahr. Es läuft weiter, wenn nicht 6 Wochen vor dem berechneten Zeitraum gekündigt wird. Bei Umzug bitte Nachricht an den Verlag mit alter und neuer Anschrift sowie der Abo-Nummer (steht auf der Rechnung). PRAXIS DEUTSCH ist zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter oder direkt vom Verlag. Auslieferung in Österreich durch ÖBV Klett Cotta, Hohenstauffengasse 5, A-1010 Wien. Auslieferung in der Schweiz durch Bücher Balmer, Neugas se 12, CH-6301 Zug. Weiteres Ausland auf Anfrage. © Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte Vorbehalten. Auch unverlangt eingesandte Manuskripte werden sorgfältig geprüft. Unverlangt eingesandte Bücher werden nicht zurückgeschickt. Die als Arbeitsblatt oder Material bezeichneten Unterrichtsmittel dürfen bis zur Klassen- bzw. Kursstärke vervielfältigt werden. Mitglied der Fachgruppe Fachzeitschriften im VDZ und im Börsenverein des Deutschen Buchhandels. ISSN 0341-5279. ISBN 3-617-02098-4. Herstellung: PädagogikaZenrale, Druck: Druckerei Schröer, Seelze. Einem Teil der Auflage liegt ein Prospekt des Seiler Verlages bei. 7. - 1 0 . Schuljahr Gedankenwiedergabe in Erzähltexten Kaspar H. Spinner Thema puswechsel erfolgt. Meist wird der innere ßen). Man könnte sagen, die erlebte Rede sei eine Zwischenform zwischen Erzähler Zu den charakteristischen Leistungen er Monolog in Anführungszeichen gesetzt. zählender Texte gehört zweifellos, daß sie Als erlebte Rede wird die Wiedergabe von rede und innerem Monolog. uns Denk- und Empfindungsweisen von Fi Gedachtem und Empfundenem im Erzähl Neben diesen drei Hauptformen der Ge guren mitvollziehen lassen. Wer erzählt, tempus und den Pronomina der Erzählerre dankenwiedergabe gibt es noch die Ge kann sich die Freiheit nehmen, nicht nur de verstanden. Beispiel: „Heinz' Wimpern dankenwiedergabe in indirekter Rede, also äußeres, beobachtbares Geschehen wie flatterten. - Heiliger Strohsack! Dieser Typ im Konjunktiv I, Beispiel: „Er dachte, der derzugeben, sondern das Innenleben der forderte ihn tatsächlich auf, die Spaghetti andere fordere ihn jetzt auf...“ . Figuren sichtbar zu machen, so als gäbe es mit ihm zu teilen!“ Die Worte „Heiliger Zu erwähnen sind die folgenden drei keine Beschränkung Aspekte, die bei der auf die eigene Wahr Analyse zu Verwirrun gen führen können: nehm ungsperspekti ve. Insbesondere inder 1. Gedankenwiederga schriftlichen Erzähllite be in Nebensätzen, die ratur werden Gedan mit Konjunktion oder ken und Empfindun Fragepronomen einge gen nicht nur genannt leitet sind, wird als und beschrieben, son Gedankenbericht be z e ic h n e t, w eil der dern mit Mitteln wie dem inneren Monolog Hauptsatz Erzählerre und der erlebten Rede de ist. Beispiel: „Er direkt wiedergegeben. dachte schon, daß der In der Erzähltextanaandere ihn auffordern lyse gehören diese würde. “ sp ra ch lich e n M ittel 2. Erzählerrede und er lebte Rede gehen oft deshalb zu den wich fließ end ine ina nd er tigen Untersuchungs aspekten. In ihrer ge über, so daß die Gren nauen fa c h w is s e n zen nicht immer scharf schaftlichen Definition zu ziehen sind. Die Au sind die einschlägigen toren erreichen damit Begriffe allerdings um eine schrittweise Annä herung an die Innen stritten; die folgenden B e g r iffs fa s s u n g e n perspektive. dürften aber weitge 3. In der Fachwissen hend ko nsensfähig schaft wird z. T. auch sein: die Auffassung vertre ten, daß mit dem Begriff Als Gedankenbericht werden Aussagen des des inneren Monologs nur längere Passagen Erzählers über Gedan ken von Figuren be oder sogar nur ganze Texte, die als direkte zeichnet, z. B. „Heinz faßte einen Entschluß“, Literatur schafft Zugänge zum Innenleben, zum Denken und Empfinden von Figuren Gedankenwiedergabe „S eine G edanken gestaltet sind, bezeich überstürzten sich“ u. ä. net werden sollen (ein Als innerer Monolog wird die (soweit das Strohsack“ usw. sind nicht ein Ausruf des berühmtes Beispiel: Leutnant Gustl von möglich ist) wörtliche Wiedergabe von Erzählers, sondern die Wiedergabe des Schnitzler). Ich folge hier dagegen der Auf Gedanken und Empfindungen bezeichnet. sen, was die Figur Heinz denkt und empfin fassung, daß jede, auch die kürzeste direk Das denkende/empfindende Subjekt wird det. Bis in die Ausdrucksweise hinein wird te Gedankenwiedergabe als innerer Mono dabeim it„/cft“ bezeichnet(lch-Form),z. B.: seine Sicht abgebildet - und trotzdem ist es log zu bezeichnen ist. - Zu beachten ist „Aber was soll ich jetzt sagen?“ Auf erzählte kein innerer Monolog, weil weder Ich-Form schließlich, daß hier vom inneren Monolog Gegenwart wird im inneren Monolog mit verwendet wird noch Tempuswechsel statt als einem erzählerischen Mittel die Rede ist. dem Präsens verwiesen, so daß bei Erzäh findet („ Dieser Typ fordert mich tatsächlich Zwar könnte man sagen, mit einem Satz wie lungen im Präteritum oder Perfekt ein Tem auf...“ müßte es als innerer Monolog hei „Er sprach Worte voller Verachtung zu sich F ederica de C esco Spaghetti fü r zw ei H einz w a r b a ld vierzehn u n d fü h lte sich seh r co o l. In d e r K la ss e und au f dem F u ßballplatz h a tte er d a s S agen . A b e r ric h tig sch ön w ü rd e das Leben erst w erd en , w enn e r im n ä ch sten J a h r sein en T ö ffb ek a m und den M ädchen zeigen konnte, w a s f ü r ein K e r l e r w a r. E r m och te M onika, die B lon de m it den langen H a a ren au s d e r P a ra lle lk la sse , und ärgerte sich ü b er sein e en tzü n deten P ick el, d ie e r m it sch m u t backen sch m erzten . D an n p a c k te e r en erg isch den L öffel, beugte sich ü b er den T isch und ta u ch te ihn in d ie S u ppe. D e r S ch w arze hob a b erm a ls d e n K o p f. S eku n den lan g sta rrte n sie sich an. Heim bem ü h te sich , d ie A u gen n ich t zu senken. E r fü h rte m it leicht zitte rn d e r H a n d den L ö ffel zum M u n d u n d tau ch te ihn zum zweiten M a l in d ie S u ppe. Seinen vo llen L öffel in d e r H a n d , fu h r der zigen N ägeln au sdrü ckte. Im U n terrich t m ach te e r g e rn e a u f Verweigerung. D ie L eh rer so llten b lo ß n ich t a u f den G edan ken kommen, d a ß e r sich an stren gte. S c h w a rze f o r t, ihn stum m zu b etra ch ten . D an n sen k te e r d ie Augen a u f sein en T eller un d a ß w eiter. E in e W eile verg in g . B e id e teilten M ittags konnte er nicht nach H au se, w e il d e r ein e B u s zu frü h , d e r andere zu sp ä t abfuhr. So a ß e r im S e lb stb ed ien u n g sresta u ra n t, gleich gegenü ber d e r Schule. A b e r an m anchen T agen sp a r te er lieber das G e ld und versch la n g einen H a m b u rg e r an d e r S teh bar. Sam stags leistete e r sich dann ein e neue K a sse tte , w a s d ie M u tter natürlich nicht w issen durfte. D o ch m an ch m al - so w ie h eu te - hing ihm d e r B ig M ac zum H a ls herau s. E r h a tte L u st a u f ein ric h tig e s Essen. Einen K augum m i im M u n d , sta p fte e r m it sein en C o w -B o y Stiefeln die T reppe zum R esta u ra n t hinauf. D ie R e iß v e rsc h lü sse seiner L ederjacke klim perten b e i je d e m S ch ritt. Im R e sta u ra n t trafen sich A rb e ite r au s d e r nahen M ö b elfa b rik , S ch ü ler un d Hausfrauen m it E inkaufstaschen und kleinen K in d ern , d ie U n m en gen C ola tranken, P om m es fr ite s verzeh rten und fe ttig e F in g e ra b drücke a u f den Tischen h interließen . Viel G eld w o llte H ein z n icht a u s g e b en ; e r sp a r te e s lie b e r f ü r d ie nächste K assette. „Italien isch e G e m ü se su p p e “ sta n d im M enü. Warum nicht? Im m er noch sein en K a u g u m m i m ah len d, nahm Heinz ein T ablett und stellte sich an. Ein sc h w itzen d e s F räu lein schöpfte die Su ppe au s ein em dam pfen den T o p f H ein z nickte zufrieden. D e r T eller w a r g a n z o rd en tlich voll. E in e S ch n itte B ro t dazu, und er w ü rde bestim m t satt. E rse tzte sich an einen fr e ie n Tisch, nahm den K a u g u m m i au s d em M und und klebte ihn unter den Stuhl. D a m erk te er, d a ß e r den Löffel vergessen hatte. H ein z sta n d a u f u n d h o lte sich einen. A ls e r zu seinem Tisch zurückstapfte, tra u te e r sein en A u gen nich t: Ein Schw arzer sa ß an seinem P la tz und a ß seelen ru h ig sein e G e m ü se suppe! H einz stan d m it seinem L öffel fa s su n g slo s d a , b is ihn d ie W ut packte. Zum Teufel m it diesen A sy lb e w e rb ern ! D e r kam irg en d w o aus U agadugu, w o llte sich in d e r S c h w eiz b reitm a ch en , und je t z t fie l ihm nichts B esseres ein , a ls a u sg erech n et sein e G em ü sesu p p e zu verzehren! Schon m öglich , d a ß so w a s den afrik an isch en S itten entsprach, a b er hierzu lan de w a r d a s ein e b o d e n lo se U n versch ä m t heit! H einz öffnete den M und, um dem M en sch en la u tsta rk sein e M einung zu sagen, a ls ihm auffiel, d a ß d ie L eu te ihn kom isch ansahen. H einz w u rde rot. E r w o llte n ich t a ls R a ssist g elten . A b e r w as nun? P lötzlich fa ß te e r einen E ntschluß. E r rä u sp erte sich vern eh m lich , zog einen Stuhl zurück und se tzte sich d em S ch w a rzen g eg en ü b er. D ieser hob den K opf, b lick te ihn kurz an und sch lü rfte u n g e stö rt d ie Suppe w eiter. H einz p r e ß te d ie Z äh n e zu sam m en , d a ß sein e K in n sich d ie S u p p e, oh n e d a ß ein W o rt fie l. H ein z versu ch te nachzuden ken. „ V ie lle ic h t h a t d e r M en sch kein G eld , m u ß schon tagelang hungern. D a n n sah e r d ie S u ppe d a steh en und b ed ien te sich einfach. Schon m ö g lich , w e r w eiß ? V ielleich t w ü rd e ich m it leerem M a g en ä h n lich re a g ie re n ? U n d D eu tsch kann e r a n sch ein en d auch nicht, so n st w ü rd e e r d a n ich t sitzen w ie ein K lo tz. Is t d o ch peinlich, Ich an se in e r S telle w ü rd e m ich sch äm en . O b S ch w a rze w oh l rot w erd en k ö n n en ? “ D a s leich te K lirre n d e s L öffels, den d e r A frik a n er in den leeren T e lle r leg te, lie ß H ein z d ie A u gen heben. D e r S c h w a rze h atte sich zu rü ck g eleh n t und sah ihn an. H ein z konnte sein en B lick nicht d eu ten . In se in e r V erw irru n g leh n te e r sich eb en fa lls zurück. S ch w eiß tro p fen p e rlte n a u f se in e r O b e rlip p e , sein P u lli ju c k te , und d ie L e d erja c k e w a r v erd a m m t heiß! E r versu ch te, den Schwarzen a b zu sch ä tzen . „ Ju n ger K e rl. E tw a s ä lte r a ls ich. V ielleich t sech zehn o d e r so g a r sch on ach tzeh n . N o rm a l a n g e zo g e n : J ean s, Pulli, W in djacke. S ieh t eig en tlich n ich t w ie ein O b d a c h lo se r aus. Immer hin, d e r h a t m ein e h a lb e S u p p e a u fg eg essen und s a g t nich t einmal dan ke! V erdam m t, ich h a b e noch H u n g e r!“ D e r S ch w a rze sta n d auf. H ein z b lie b d e r M u n d offen. „H au t der ta tsä ch lich a b ? J e tz t ist a b e r d a s M a ß voll! So ein e F rechheit! Der so ll m ir w en ig ste n s d ie h a lb e G em ü sesu p p e bezah len ! “ E r wollte au fsp rin g en un d K ra ch sch la g en . D a sah er, w ie sich d e r Schwarze m it ein em T a b le tt in d e r H a n d w ie d e r a n ste llte. H ein z f i e l unsanft a u f sein en Stu h l zu rü ck u n d s a ß d a w ie ein Ö lg ö tze . „ A lso do ch : Der M en sch h a t G eld ! A b e r b ild e t d e r sich v ie lle ich t ein, d a ß ich ihm d en zw eiten G a n g b e z a h le ? “ H ein z g r iff h a stig nach se in e r S ch u lm appe. „ B lo ß w e g von hier, b e v o r e r m ich zu K a sse b ittet! A b e r nein, sich erlich nicht. Oder doch?“ H ein z lie ß d ie M a p p e lo s u n d k ra tzte n e rvö s an ein em Pickel. Irg en d w ie w o llte e r w issen , w ie es w eiterg in g . D e r S ch w a rze h a tte einen T a g e ste lle r b e stellt. J e tz t sta n d er vorder K a sse u n d -w a h r h a ftig - e r b eza h lte! H ein z sch n iefte. „ Verrückt! “ d a c h te e r . „ T o ta l g esp o n n en ! “ D a kam d e r S c h w a rze zurück. E r tru g d a s T a b lett, a u f dem ein g ro ß e r T eller S p a g h etti sta n d , m it T o m a ten sa u ce, vie r F leischbäll chen un d zw e i G a b eln . Im m er noch stum m , se tzte e r sich Heim g e g en ü b er, sch o b den T e lle r in d ie M itte d e s T isch es, nahm eine G a b e l und began n zu essen , w o b e i e r H ein z a u sd ru ck slo s in die A u gen sch a u te. H e in z’ W im pern fla tte rte n . H e ilig e r Strohsack! D ie s e r T yp fo r d e r te ihn ta tsä ch lich auf, d ie S p a g h etti m it ihm zu teilen! H ein z brach d e r S ch w eiß aus. W as nun? S o llte e r essen ? Nicht essen ? S ein e G edanken ü b erstü rzten sich. W enn d e r M en sch doch w en igsten s reden w ü rde! „N a gut. E r a ß d ie H ä lfte m ein er Suppe, je t z t e sse ich d ie H ä lfte se in e r S p a g h etti, dan n sin d w ir quitt! “ W ütend und b esch äm t g riff H ein z nach d e r G a b e l, ro llte d ie S paghetti a u f und steck te sie in den M und. S ch w eigen . B e id e verschlangen d ie Spagh etti. „E ig en tlich n e tt von ihm , d a ß e r m ir eine G a b e l b ra ch te “, d a ch te H ein z. „ D a kom m e ich noch zu einem guten S pagh ettiessen , d a s ich m ir h eute n ich t g e le iste t h ä tte. A b e r was s o ll ich je t z t sa g en ? D an ke ? Sau b lö d e! E inen V o rw u rf m achen kann ich ihm auch nicht m ehr. V ielleich t h at er g a r n ich t gem erk t, daß e r m ein e Su ppe aß. O d e r v ie lle ic h t is t e s üblich in A frika, sich das E ssen zu teilen ? Schm ecken gu t, d ie S p a g h etti. D a s F leisch auch. W enn ich nur n ich t so sch w itzen w ü rd e !“ D ie P o rtio n w a r seh r reich lich . B a ld h a tte H ein z keinen H u n g er mehr. D em S ch w arzen gin g e s eb en so . E r le g te d ie G a b e l aufs T ablett und p u tzte sich m it d e r P a p ie rs e rv ie tte den M u n d a b . H ein z räusperte sich und sch a rrte m it den F üßen. D e r S c h w a rze lehnte sich zurück, sch o b d ie D au m en in d ie J ea n sta sch en u n d sah ihn a n . U ndurchdringlich. H ein z k ra tzte sich u n ter d em R o llk ra g en , b is ihm d ie H a u t sch m erzte. „ H e ilig e r B im bam ! W enn ich n u r w ü ß te, was er denkt! “ V erw irrt, sc h w itze n d und e rb o s t ließ e r sein e B lick e um herwandern. P lö tzlich sp ü rte er ein K rib b e ln im N acken . Ein Schauer ja g te ihm ü b er d ie W irb elsä u le von den O h ren b is an s G esäß. A u f dem N eben tisch , an den sich b ish e r n iem a n d g e s e tz t hatte, sta n d - einsam a u f dem T a b le tt - ein T e lle r k a lter G em ü se suppe. H einz erleb te den p ein lich sten A u g en b lick sein es L eb en s. A m liebsten hätte er sich in ein M a u selo ch verkroch en . E s verg in g en zehn vo lle Sekunden, b is e r es en dlich w a g te , d em S ch w a rzen ins G esicht zu seh en . D e r sa ß d a , vö llig e n tsp a n n t und c o o le r, a ls H ein z es j e sein w ü rde, und w ip p te le ic h t m it d em Stu h l hin und her. „ Ä h ...“, sta m m elte H ein z, fe u e r r o t im G esich t. „E n tsch u ldigen Sie bitte. I c h ...“ Er sah d ie P u pillen d e s S ch w a rzen au fblitzen , sah den S ch alk in seinen A ugen schim m ern. A u f ein m al w a r f e r den K o p f zurück, brach in dröh n en des G e lä c h te r aus. Z u erst b ra c h te H ein z nur ein versch äm tes G lu cksen zu sta n d e, b is en dlich d e r B ann g eb ro ch en w ar und e r a u s vollem H a lse in d a s G e lä c h te r d e s A frik a n ers einstim m te. E ine W eile sa ß en sie d a , von L ach en gesch ü ttelt. D an n stand d e r S ch w arze auf, sch lu g H ein z a u f d ie Schulter. „Ich h eiße M a r c e l“, sa g te e r in b estem D eu tsch . „Ich esse je d e n Tag hier. Sehe ich dich m orgen w ie d er? U m d ie g leic h e Z e it? “ H einz A ugen tränten, sein Z w erch fell glü h te, und e r sch n a p p te nach Luft. „In O rdnung! “ keuch te er. „ A b e r dann sp e n d ie re ich d ie S p a g h e t ti!“ Aus: F ederica de C esco: F reundschaft h a t viele G esichter. L uzern und S tuttgart: R ex 1986, S. 79 - 84 selber“werde ein innerer Monolog bezeich net, erzähltechnisch liegt aber ein Gedan kenbericht vor. Während die Bestimmung der verschiede nen Typen der Gedankenwiedergabe in der Regel bei Erzähltexten in Er-Form nicht allzu schwer fällt, ergeben sich bei der IchForm Probleme. Strittig ist z. B., ob es erleb te Rede in Ich-Form gibt (als mögliches Beispiel wäre zu nennen: „Ich schaute ihn an. Dieser Typ forderte mich doch tatsäch lich auf..."). Auch sind Texte mit Präteritum als Erzähltempus einfacher zu analysieren als Texte im Präsens, weil bei letzteren der Tempuswechsel als Kennzeichen für den inneren Monolog wegfällt. Aus diesen Gründen habe ich für dieses Unterrichts modell, in dem es um die Einführung der Grundbegriffe gehen soll, einen Erzähltext in Er-Form mit Präteritum als Erzähltempus gewählt. Intentionen Die Beschäftigung mit den erzähltechni schen Mitteln der Gedankenwiedergabe vermittelt den Schülern einen Einblick in die spezifische Leistung fiktionaler Texte. Sie erkennen, warum Literatur uns die Innen welt von Figuren nachvollziehbar macht. Darüber hinaus können sie darauf aufmerk sam werden, daß literarische Texte manch mal sehr einseitig und intensiv nur eine einzige Perspektive vermitteln, daß sie aber auch mehrere Perspektiven miteinander verbinden können. Neben solchen grund sätzlichen Zielen dient die Einsicht in die Formen der Gedankenwiedergabe im Ein zelfall auch der Vermeidung von Mißver ständnissen; wenn nämlich eine erlebte Rede als Erzählerrede aufgefaßt wird, kann sich u. U . die Aussage eines Textes gerade zu verkehren; was Meinung einer Figur sein soll, erscheint dann als Meinung des Erzäh lers. Mit diesem Modell möchte ich eine Möglich keit aufzeigen, die einschlägigen Grundbe griffe zu vermitteln. Das soll hier in eher spielerischer Form erfolgen. Nicht Interpre tationsprobleme stehen im Vordergrund, sondern die Frage, wie ein Text gemacht ist, wie er funktioniert. Eine solche Vermittlung erzähltechnischer Einsichten ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn sie in einen größeren Zusammenhang eingebettet ist; ein losgelöstes Begriffsler nen wird schnell zum reinen Formalismus. Die hier vorgeschlagene Einheit ist z. B. angebracht, wenn bei der Beschäftigung mit einem komplexeren Text das Problem der Innenperspektive auftaucht und nun anhand eines einfachen Materials die grundlegenden Möglichkeiten der Gedan kenwiedergabe erarbeitet werden sollen. Ebenso ist die Einheit gerechtfertigt, wenn den Schülern im Hinblick auf das eigene Verfassen erzählerischer Texte Ausdrucks möglichkeiten gezeigt werden sollen. Schließlich kann die Beschäftigung mit den Formen der Gedankenwiedergabe in einer größeren Unterrichtseinheit über die Aus drucksmöglichkeiten fiktionaler und nichtfiktionaler Texte ihren Platz finden (in einem Sachtext kommen innerer Monolog und erst recht erlebte Rede kaum vor - ein Um schreiben des Erzähltextes in einen Brief z. B. kann das zeigen). nicht die erlebte Rede. Aber der Konjunktiv II signalisiert doch, daß es sich um erlebte Rede handelt (Konjunktiv II ist, wie auch Ausrufezeichen und Fragezeichen, oft ein Signal für erlebte Rede). - Ein Töff ist im schweizerischen Sprachgebrauch übri gens ein Moped. R ealisierung M aterial Als Textgrundlage für die Einführung (oder auch Wiederholung) der Begriffe für die Gedankenwiedergabe schlage ich eine Geschichte (siehe S. 48) vor, bei der sich die Komplikationen gerade dadurch erge ben, daß die Figuren nicht miteinander sprechen, sich aber wohl Gedanken über den jeweils anderen machen. Der Text bie tet deshalb ein reiches Beobachtungsfeld für das angesprochene Thema. Dem Ver ständnis stellt er kaum Hürden entgegen, er vermittelt vielmehr ein ausgesprochenes Lesevergnügen. Die antirassistische Bot schaft, die er auf gefällige Weise vermittelt, bedarf kaum der ausdrücklichen Deutung sie würde wohl penetrant wirken, wenn man sie eigens herausinterpretieren wollte. Die Autorin, Federica de Cesco, ist 1938 in Italien geboren, lebte schon als Kind in mehreren Ländern. Seit 1962 ist sie in der Schweiz ansäßig; sie schreibt in der Regel in französischer Sprache. Die Völkerver ständigung ist das Anliegen, das sie immer wieder - manchmal fast etwas zu absichts voll - zum Ausdruck bringt. Die drei Hauptformen der Gedankenwie dergabe sind im Text mehrfach aufzufin den, wobei hier die Wiedergabe von Gefüh len und Wahrnehmungen mit dazugezählt sei (es gibt leider keinen zusammenfas senden Begriff für die ganze innere Gedan ken-, Gefühls- und Wahrnehmungswelt). Als Gedanken-(und Gefühls-)bericht sind z. B. Formulierungen zu bezeichnen wie „fühlte sich sehr cool“, „ärgerte sich“, „da merkte er, daß er den Löffel vergessen hatte“ usw. Innerer Monolog (in diesem Text immer in Anführungszeichen gesetzt) findet sich vor allem im mittleren Teil des Textes, z. B. „ Vielleicht hat der Mensch kein Geld... „Junger Kerl. Etwas älter als ich... “ usw. Für die erlebte Rede findet sich etwas später eine sehr deutliche Passage: „Heiliger Strohsack! Dieser Typ forderte ihn tatsäch lich auf, die Spaghetti mit ihm zu teilen! Heinz brach der Schweiß aus. Was nun? Sollte er essen? Nicht essen? Seine Ge danken überstürzten sich. Wenn der Mensch doch wenigstens reden würde!“ Einige Stellen sind etwas schwieriger zu erkennen und u.U. auch nicht ganz eindeu tig, z. B. am Anfang: „Aber richtig schön würde das Leben erst werden, wenn er im nächsten Jahr seinen Töff bekam und den Mädchen zeigen konnte, was für ein Kerl er war.“ Wir sind hier noch in der Exposition, also dem informierenden einleitenden Teil der Geschichte und erwarten deshalb noch Grundmodell Ich gebe hier nicht einen festen Unterrichts ablauf vor, sondern zeige verschiedene Möglichkeiten der Arbeit mit dem Text auf, die je nach Voraussetzungen und Interes sen der Klasse verwirklicht werden können. Wichtig erscheint mir, daß der Text auch in seiner Unterhaltungsfunktion zur Wirkung kommt. Die erste Lektüre sollte deshalb nicht schon mit einem Arbeitsauftrag ver bunden werden. Möglich sind sowohl stilles Lesen wie Vorlesen durch den Lehrer. Je nach Temperament und Brauch der Klasse kann sich ein freier Austausch anschließen. Dann sollen Überlegungen darüber ange stellt werden, wie die Autorin es zustande gebracht hat, daß der Text spannend und amüsant wirkt. Dabei wird das Problem der perspektivischen Erzählweise zu nennen sein: Daß der Leser die Ratlosigkeit und die Gedanken von Heinz mitvollzieht, aber über den wahren Hintergrund des Geschehens zunächst nicht aufgeklärt wird, trägt we sentlich dazu bei, daß Spannung entsteht und die Pointe am Schluß wirksam wird. An solche Überlegungen kann sich dann die genauere Untersuchung der Gedanken wiedergabe als Mittel der perspektivischen Gestaltung anschließen, und zwar einset zend mit dem folgenden Arbeitsauftrag: „Sucht ein paar Stellen heraus, bei denen Empfindungen oder Gedanken von Heinz wiedergegeben werden!“ Nach der Nennung einiger Stellen hält der Lehrer je ein oder zwei Beispiel(e) für den Gedanken-(bzw. Gefühls-)bericht und den inneren Monolog fest und fragt nach dem Unterschied in der sprachlichen Aus drucksweise. Die Termini „Gedankenbe richt“ und „innerer Monolog“ werden einge führt. Dann greift der Lehrer ein Stück erleb te Rede heraus und fragt nach der Zuord nung. Dabei dürfte die Zwischenstellung der erlebten Rede zwischen Gedanken-/ Gefühlsbericht und innerem Monolog deut lich werden. Anschließend suchen die Schüler weitere Beispiele für die Gedan kenwiedergabe im Text (dazu empfiehlt sich ein Unterstreichen oder Einrahmen der drei Formen mit verschiedenen Farben). Bei der Besprechung von Zweifelsfällen empfehlen sich Umformulierungen (Ersatz proben), z. B. bei „Zum Teufel mit diesen Asylbewerbern. Der kam irgendwo aus Uagadugu...“: Wenn Unklarheit herrscht, ob hier erlebte Rede oder innerer Monolog vorliegt, zeigt der Tempuswechsel bei der Umformulierung, daß der innere Monolog anders lauten müßte: „Er dachte: Zum Teu fel m it diesen A sylb ew e rb ern! Der kommt... “ Bei einem Satz wie,, Jetzt stand er vor der Kasse und - wahrhaftig - er bezahl te !“ stellt sich die Frage nach Gedankenbe richt oder erlebter Rede. Ich würde hier den zweiten Teil “ - w ahrhaftig-erbezahlte!"als erlebte Rede einstufen, denn er ist ganz aus der Perspektive von Heinz gesagt. Als Gedankenbericht läge eine Formulierung wie „und zur großen Verwunderung von Heinz bezahlte er sogar“ nahe. Durch sol che Umformulierungen erfahren die Schü ler etwas von der Vielfalt der Ausdrucks möglichkeiten. Diese Einsicht ist wichtiger als die richtige terminologische Etikettie rung. Bezogen auf den Schluß der Geschichte mit dem kurzen Dialog kann man noch den Begriff der „direkten Rede“, den die Schüler schon kennen müßten, wiederholen. Erweiterung und Variation 1. Die Bedeutung, die der Gedankenwie dergabe im Text zukommt, läßt sich beson ders anschaulich verdeutlichen, wenn die erzählte Geschichte mit ihrer szenischen Realisierung verglichen wird. Zwei Schüler müßten also die Geschichte spielen (viel leicht nur bis zum Ausbruch des Geläch ters, weil der Schluß leicht in Klamauk aus arten oder in einer Verlegenheit enden kann). Dann wäre gemeinsam zu erörtern, was beim Spiel verloren geht, aber auch, welche Mittel dem Spiel zusätzlich zur Ver fügung stehen, nämlich vor allem Mimik und Gestik. So kann deutlich werden, daß das, was wir in der Wirklichkeit an der Mimik und Gestik ablesen, im Erzähltext durch die Gedankenwiedergabe an die Oberfläche gebracht wird. - Dieser Vergleich mit der szenischen Wiedergabe kann im Anschluß an die analytische Erarbeitung der erzähl technischen Mittel, aber auch - was reizvol ler, wenn auch etwas anspruchsvoller ist als Hinführung zur Analyse eingesetzt wer den. 2. Aufschlußreich ist ferner, den Text in die Perspektive von Marcel umzuschreiben (Er-Form) - auch dies als Ergänzung der Analyse oder als Hinführung zu ihr. Letzte res gelingt wohl nur, wenn die Schüler schon Erfahrung mit dem Umschreiben aus veränderter Perspektive haben. Beim Umschreiben im Anschluß an die Analyse kann der ausdrückliche Auftrag gegeben werden, die drei Grundformen der Gedan kenwiedergabe zu verwenden. Ein Aufhän ger für das Umschreiben aus veränderter Perspektive ist die Stelle „Heiliger Bimbam! Wenn ich nur wüßte, was er denkt!“ Das weiß auch der Leser nicht so genau; durch das Umschreiben kann man deutlich ma chen, was Marcel gedacht haben könnte. Literatur Klaus Gerth: Elemente des Erzählens. Hannover: Schroedel 21985. Kaspar H. Spinner ist Professor an der Universität Augsburg und Mitherausgeber dieser Zeitschrift.
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