FILME: ZWISCHEN HEIMATEN

ZWISCHEN HEIMATEN
Menschen sind Nomaden. Manchmal durch äußere
Umstände vertrieben, manchmal aus eigener Neugier
angetrieben. Bewegung gehört zum Leben wie die
Luft zum Atmen – zwischen Orten, Leben, Identitäten,
Aufbrechen, Ankommen und Zurückkehren. Jedes
Unterwegssein beinhaltet Abenteuer und Risiko zugleich.
Diese Bewegung in der Welt, politisch auch Migration
oder aktuell Flüchtlingskrise genannt, kommt immer
wieder zur Erfahrung eines zentralen Begriffs zurück:
der Heimat. Darunter fällt nicht nur die örtliche Verschiebung eines Lebens, sondern vielmehr ein breites
Feld zwischen Anpassung und Bewahrung, Nostalgie
und Kritik. Der ständige Kontakt mit dem Anderen
geht natürlicherweise damit einher, sei es unter
Nachbarn, zwischen Bayer und Berliner, Deutschem
und Italiener, Christ und Moslem.
Schlussendlich sind es die tatsächlichen Geschichten
über Menschen, die auf Neuland treffen und von ihren
Heimaten erzählen, deren sich vor allem der Dokumentarfilm angenommen hat. Unser Programm will
genau diesen Geschichten nachgehen und sich durch
Gespräche mit Regisseuren, Akteuren und Wissenschaftlern die Zeit nehmen, sie zu vertiefen, so dass
nicht nur das aktuelle Beklagen der Flüchtlingskrise in
aller Munde liegt, sondern ein breites Spektrum rund
um das Thema Herkunft und Zugehörigkeit mit einem
besonders menschlichen Blick eröffnet werden soll.
Angefangen beim Klassiker aller Migrationsfilme CASABLANCA, über ein Leben in Unsicherheit zwischen
Asyl und Abschiebung in INVISIBLE, menschliche
Geduldsproben im System der Integration in LAND IN
SICHT und die damit verbundenen Momente der
Verwunderung über fremde Eigenheiten in CAFÉ
WALDLUFT. Darüber hinaus kann Heimat auch wieder fremd werden, was in WIR SITZEN IM SÜDEN
verarbeitet wird. Abschließend gibt es auch freiwillige
Migration, wie es die in Berlin lebenden Italiener in LA
DEUTSCHE VITA selbstbewusst und italienischhumorvoll in Szene setzen.
Theresa Pleskotová (Master European Film and
Media Studies Bauhaus-Universität)
FILME:
31. März – 19:00 Uhr
Einführung + Gespräch Dr. Simon Frisch (Weimar)
CASABLANCA (USA 1942, 102 min)
R: Michael Curtiz
D: Humphrey Bogart, Ingrid Bergman, Paul Henreid, Conrad Veidt, Peter Lorre
Migration ist, wie man weiß, kein
Phänomen der letzten Jahre: Im
Filmklassiker von Michael Curtiz ist
das Unglück seiner Zeit in melodramatischer Form sichtbar. Casablanca
war damals, könnte man sagen, was
heute die Länder des Mittelmeeres sind, die Türkei, Griechenland, der Balkan, sogenannte Transitländer. Man
kam während des Zweiten Weltkriegs an diesen Umschlagplatz, um nach Amerika zu fliehen. Die allgemeine
Geschäftigkeit, von exzentrischen Feiereien perlenumhangener Damen und champagnerspendierender Herren
zu kriminellen Vereinbarungen und Visahandel zwischen
Schmugglern, Kleingaunern und Polizisten, konzentriert
sich in dieser einen Stadt, in Ricks Café Amercain. Abgesehen vom Inhalt waren viele der am Film Beteiligten
selbst Flüchtlinge Europas, die versuchten in der Traumfabrik Hollywood eine neue Existenz fernab von politischen Repressalien aufzubauen, allen voran der Regisseur selbst. Deswegen bildet den Auftakt unserer Filmreihe Zwischen Heimaten dieser unsterbliche Klassiker des
Migrationskinos.
29. April – 19:00 Uhr
Film + Gespräch mit Regisseur Andreas Voigt
INVISIBLE – Illegal in Europa (D 2004, 89 min)
R: Andreas Voigt
Schätzungen der Europäischen
Kommission zufolge halten sich
in der EU zwischen 1,9 und 3,8
Millionen Menschen illegal auf.
Der Filmemacher Andreas Voigt
porträtierte bereits in den frühen 2000er Jahren fünf solcher „Papierlosen“ unterschiedlicher Herkunft, die für die
Politik unsichtbar ihren Alltag zwischen Hoffen und
Träumen meistern. Sie begegnen uns dabei extrem vertraut und offen über ihre unscheinbare Existenz und
weihen uns in ihre Tagesroutinen auf wenigen Quadratmetern ein, die auf unaufgeregte Art und Weise ein Leid
versinnbildlichen, das in ständiger Unsicherheit über die
eigene Zukunft gärt. Die einfühlsamen Beobachtungen
ermöglichen einen besonders lebensnahen Einblick, der
unter anderem mit dem European DocuZone Award ausgezeichnet wurde.
31. Mai – 19:00 Uhr
Film + Gespräch mit Judith Keil und Antje Kruska
LAND IN SICHT (D 2013, 93 min)
R: Judith Keil, Antje Kruska
Drei Männer unterschiedlicher
Herkunft kommen in der brandenburgischen Provinz zusammen:
Abdul, ein jemenitischer Scheich,
der Iraner Farid und Brian aus dem
Kamerun haben verschiedene Vorstellungen vom Leben in
Deutschland, finden sich jedoch allesamt in einem Asylbewerberheim in der Kleinstadt Belzig wieder. Von hier
aus suchen sie nach Wegen in die deutsche Gesellschaft.
Auf Dorffesten, Ämtern und Diskotheken prallen ihre Vorstellungen von Deutschland mit den Mentalitäten der
Brandenburger aufeinander. Anstelle von Betroffenheit
rückt LAND IN SICHT die unfreiwillige Komik dieses Aufeinandertreffens in den Blick, die stets eine Portion Wahrheit
enthält. In Hinsicht auf die aktuelle Diskussion gehen die
Regisseurinnen bereits einen Schritt weiter und erfassen
auf sehr einfühlsame Art und auf Augenhöhe mit den Protagonisten die täglichen Schwierigkeiten bei der Integration
in Deutschland. Dafür verdiente der Film auch zu Recht
den Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts.
29. Juni – 19:00 Uhr
Film + Gespräch mit Matthias Koßmehl u. Renate Zöller
CAFÉ WALDLUFT (D 2015, 79 min)
R: Matthias Koßmehl
Mitten im bayrischen Postkartenidyll, wo Dirndl und Lederhos‘n
noch an der Tagesordnung stehen
und so mancher Norddeutscher
selbst Kommunikationsschwierigkeiten hat, gibt es ein ehemaliges Ausflugshotel, das seine
Glanzzeiten hinter sich gelassen hat und heute rund 40
Flüchtlingen als Unterkunft dient. Im Dokumentarfilm von
Matthias Koßmehl prallen auf kuriose, aber liebevolle Weise extreme Kontraste aufeinander. Die bayrische Blaskapelle trifft auf afghanische Gläubigkeit. Eines gibt aber
stets den Grundton an: Obwohl die Verständigung schwierig ist, ist sie möglich. Zwischen humoristischen Stammtischgesprächen und tieftraurigen Erinnerungen an zurückgelassene Familien und Freunde versucht dieser etwas andere Heimatfilm vor allem den Massen ein individuelles Gesicht zu geben. Nüchtern, aber sehr warmherzig
versuchen die Protagonisten dahinter zu kommen, was
eigentlich Heimat, Werte und Sprache, die unsere Identität
so sehr prägen, sind und wie Vorurteile ganz natürlich
menschlichem Einfühlvermögen weichen. Auf dem DOK
Leipzig 2015 erhielt der Film außerdem den DEFA Förderpreis. Im Anschluss findet ein Gespräch mit dem Regisseur
des Films und der Journalistin und Autorin des Buches
„Was ist eigentlich Heimat?“ statt.
31. Juli – 19:00 Uhr
Film + Gespräch mit Anne Misselwitz und Timm Schieder
WIR SITZEN IM SÜDEN (D/T 2010, 88 min)
R: Martina Priessner
»Wir sitzen im Süden« lautet die
Antwort auf gelegentliche Fragen
der Kunden nach dem Standort der
Firma. Sie melden sich mit Ralf
Becker und Ilona Manzke. Die CallAgenten, die Fränkisch, Badisch oder auch Hochdeutsch
sprechen, sitzen in klimatisierten Großraumbüros mitten in
Istanbul. Deutsche Firmen von Lufthansa bis Neckermann
finden hier für wenig Lohn qualifizierte Arbeitskräfte. Was
die Mitarbeiter allerdings miteinander verbindet, ist ihre
Kindheit und Jugend in Deutschland und die Abschiebung
‚zurück in die Heimat‘, die noch nie eine war. Die Türkei
wird für sie immer ein Ersatzland bleiben, denn auch nach
über 20 Jahren wollen sie nur zurück nach Hause, nach
Deutschland. Eine hitzige Integrationsdebatte etwas anderer Art und ein kritisches Nachdenken über deutsche Visapolitik. Für ein Filmgespräch im Anschluss an die Vorführung stehen Kamerafrau Anne Misselwitz und der Honorarkonsul der Türkei, Timm Schieder, zur Verfügung.
31. August – 19:00 Uhr
Film + Gespräch mit Tania Masi
LA DEUTSCHE VITA (D 2013, 60 min)
R: Alessandro Cassigoli, Tania Masi
Wenn man nicht weiß, was man
mit all der Freiheit in seinem Leben
anfangen soll, dann geht man auf
Weltreise. Oder eben nach Berlin.
Das denken sich auch viele Italiener, unter anderem die Filmemacher Alessandro Cassigoli und Tania Masi, die ihre Landsleute in der Großstadt aufsuchen und auf authentisch vergnügliche Weise deutsche starre Gewohnheiten mit italienischer Gestikulierkunst auseinandernehmen. Zudem wird
uns ein intimes Bild vom multikulturellen Berlin vor Augen
geführt, zu dem man in seiner heutigen Dichte kaum mehr
Zugang erlangt. Ein humoristisch-melancholischer Film
über freiwillige Migration und Heimweh nach Leidenschaft.
FILMPROGRAMM
CASABLANCA (USA 1942, 102‘, FSK 6)
Donnerstag, 31.03., 19 Uhr, Einführung/Gespräch
Dr. Simon Frisch (Bauhaus-Universität Weimar)
INVISIBLE–Illegal in Europa (D 2004, 89‘, FSK o. A.)
Freitag, 29.04., 19 Uhr, Gespräch
Andreas Voigt (Regie)
LAND IN SICHT (D 2013, 93‘, FSK o. A.)
Dienstag, 31.05., 19 Uhr, Gespräch
Judith Keil und Antje Kruska (Regie)
FILMREIHE
CAFÉ WALDLUFT (D 2015, 79‘, FSK o. A.)
Mittwoch, 29.06., 19 Uhr, Gespräch
Matthias Koßmehl (Regie) und Renate Zöller
(Journalistin)
WIR SITZEN IM SÜDEN (D/T 2010, 88‘, FSK o. A.)
Sonntag, 31.07., 19 Uhr, Gespräch
Anne Misselwitz (Kamerafrau) und Timm Schieder
(türkischer Honorarkonsul)
LA DEUTSCHE VITA (D 2013, 60‘)
Mittwoch, 31.08., 19 Uhr, Gespräch
Tania Masi (Regie)
ZWISCHEN HEIMATEN
Eintritt: 6,-/5,- € I Weimarpass: 1,- €
KURATOREN DER REIHE
Theresa Pleskotová (Master European Film and
Media Studies Bauhaus-Universität), Edgar Hartung (Kino mon ami Weimar), Wieland Koch
(Landeszentrale für politische Bildung Thüringen)
INFORMATIONEN:
Kino mon ami
Weimar
Landeszentrale für politische
Bildung Thüringen
Edgar Hartung
Goetheplatz 11
99423 Weimar
Tel.: 03643.847-745
Fax: 03643.847-748
[email protected]
www.monami-weimar.de
Referat 4 (Wieland Koch)
Regierungsstraße 73
99084 Erfurt
Tel.: 0361.3792-740
Fax: 0361 3792-702
[email protected]
www.lzt-thueringen.de
März - August 2016
im Kino mon ami Weimar
in Kooperation von
Kino mon ami Weimar und
Landeszentrale für politische Bildung Thüringen