Oktoberprogramm KinoK - St.Gallen

OK TOB E R 2015
PR AGER
FRÜHLING
INHALT
Prager Frühling
Die Liebe einer Blondine
Lásky jedné plavovlásky
Die kleinen Margeriten
Sedmikrásky
Scharf beobachtete Züge
Ostře sledované vlaky
Ein launischer Sommer
Rozmarné léto
Lerchen am Faden
Skřivánci na nití
Der Leichenverbrenner
Spalovač mrtvol
Valerie – eine Woche
voller Wunder
Valerie a týden divů
Special Jaroslav Rudiš
Alois Nebel
Premierenfilme
45 Years
Der Staat gegen Fritz Bauer
Monatsübersicht
9
10
11
12
13
14
15
16
18
19
20/21
Life
The Farewell Party
La tête haute
Amateur Teens
La vanité
Dior and I
Lamb
The Wolfpack
How to Change the World
Härte
Weiterhin
Wild Women – Gentle Beasts Youth
10 Milliarden –
Wie werden wir alle satt
Giovanni Segantini –
Magie des Lichts
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Zum Unesco-Welttag
des audiovisuellen Kulturguts
Blitz und Donner –
Elektrizität im Film
37
Informationen
39
5
Oktober 201
im
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Yared Zelek
14. Oktober:
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Andreas Furl
Lionel Baier,
23. Oktober:
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Sophie Rud
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Regula Zürc
27. Oktober:
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Jaroslav Rud
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28
r
David Basle
Editorial
Das Kinok nimmt das 25-Jahr-Jubiläum der Partnerschaft St.Gallen–
Liberec zum Anlass, eine Filmreihe über eine grosse Blütezeit des
tschechischen Kinos zu veranstalten: die Filme des Prager Frühlings,
der tschechischen Nouvelle Vague. Das tschechoslowakische Kino
erfreute sich in den Sechzigerjahren einer nie da gewesenen Freiheit,
die die Filmemacher sofort nutzten. Wie in keinem anderen osteuropäischen Land wurde das Kino zur Triebkraft der gesellschaftlichen
Erneuerung; Unterstützung fanden die Regisseure in Bohumil Hrabal, Milan Kundera und Pavel Kohout, den wichtigsten Schriftstellern
des Landes. Es entstanden Filme, die sich kritisch mit der tschechoslowakischen Gesellschaft auseinandersetzten, aber auch intime,
impressionistisch-verspielte Werke, die die Freiheiten und die Suche
nach dem kleinen Glück feierten. Die couragiertesten Filme wurden
sofort verboten – berühmteste Beispiele sind «Lerchen am Faden»
und «Die kleinen Margeriten» – und gingen als sogenannte Regalfilme in die Filmgeschichte ein. Erst Jahre später konnte sie das Publikum sehen. Durch die Zensur wurde der künstlerische Aufbruch einer
ganzen Generation begabter Regisseure zerschlagen; das «tschechische Filmwunder» dauerte nur kurz, brachte aber Werke hervor,
die zu den schönsten des Weltkinos gehören.
Als weiteren Höhepunkt haben wir den tschechischen Autor Jaroslav
Rudiš bei uns zu Gast, der mit dem Zeichner Jaromír 99 den tschechischen Kult-Comic «Alois Nebel» veröffentlichte. Wir zeigen die
Verfilmung von Tomás Lunák, die 2012 mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Comic und Film erzählen eine brisante
Geschichte: die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus
dem tschechischen Sudetenland.
Wie immer runden zahlreiche Premierenfilme das Programm ab,
darunter der diesjährige Publikumspreisgewinner von Locarnos Piazza Grande «Der Staat gegen Fritz Bauer», das preisgekrönte britische
Drama «45 Years», die beiden Sterbehilfekomödien «La vanité» und
«The Farewell Party», das James-Dean-Biopic «Life», die beiden Sozialdramen «La tête haute» und «Amateur Teens», der äthiopische Spielfilm «Lamb», die Dokumentarfilme «Dior and I», «The Wolfpack»
und «How to Change the World» und Rosa von Praunheims Dokudrama «Härte». Last but not least zeigen wir unter dem Titel «Blitz
und Donner» historische Filme zum Thema Elektrizität, die aus dem
Archiv der St.Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke stammen.
An dieser Stelle möchten wir an unseren Drucker Robert Baumgardt
erinnern. Seit den Anfängen hat Robert alle unsere Plakate und Programmhefte gedruckt – teils bis spät in die Nacht oder über das Wochenende, wenn es eilig war. Und eilig war es ja meist. Manchmal halfen wir
ihm, seinen Familienangehörigen und seinen Freunden, die Seiten für
unsere Programmhefte zusammenzutragen. So standen wir dann abends
in der wundersamen, mit alten Maschinen und Papierstapeln vollgestopften Druckerei und lauschten den witzigen Erlebnissen von Roberts
Schwägerin Carmen, einer begnadeten Erzählerin, die immer wieder
von den Kapriolen von Roberts Hund Tschechov unterbrochen wurde,
mit denen dieser seine Langeweile kundtat. Als unsere Programme
immer dicker wurden, war dies von Hand nicht mehr zu bewältigen.
Aber wir sind uns treu geblieben. Robert druckte weiter und übergab
unsere Hefte zum Zusammentragen und Heften einer befreundeten
Buchbinderei. Am 2. August ist Robert ganz unerwartet gestorben. Wir
verlieren in ihm einen warmherzigen Menschen und einen leidenschaftlichen Drucker, der über viele Jahre zahlreiche kulturelle Projekte und
Institutionen tatkräftig unterstützte und mit seinen Arbeiten das Stadtbild St.Gallens mitprägte. Sandra Meier, Marina Schütz
PR AGER FRÜHLING
Wie perlendes Gold – die Filme der
Tschechischen Neuen Welle
von PATRICI A VID OVIC
Als der tschechische Schriftsteller Josef Škvorecký 1966
nach New York reist, wird er eines Abends von einem
freundlichen New Yorker Gentleman gefragt, ob es der
Tschechoslowakei eigentlich gelungen sei, noch etwas
anderes ausser Pilsener Bier hervorzubringen. Ich stelle
mir vor, dass Škvorecký in jenem Moment zu sprachlos
und zu bescheiden gewesen sein muss, dem amerikanischen Gentleman mit Entrüstung zu begegnen. Stattdessen schreibt der lakonische Schriftsteller rückblickend in seinem Buch «All the Bright Young Men and
Women», er habe sich in diesem Augenblick gefühlt wie
ein Ausserirdischer aus den fernen Steppen der Elbregion, als Entsandter eines politisch schizophrenen und
kulturell verarmten Landes. Wie sollte der von einer
kommerziellen Kinokultur geprägte Amerikaner auch
ahnen, dass noch in demselben Jahr ein tschechoslowakischer Film, und zwar Miloš Formans «Die Liebe
einer Blondine», das vierte New Yorker Film Festival
eröffnen würde und sein weit angereistes Gegenüber,
Škvorecký, einer der wichtigsten Chronisten einer politischen Wendezeit und kinematographischen Blütephase in seinem Heimatland war? Es hatte niemand damit
gerechnet, dass Mitte der 1960er-Jahre das «tschechoslowakische Filmwunder» über die westliche Festivallandschaft hereinbrechen würde. Was waren das also
für Filme, die so mutig, verstörend, politisierend und
klug waren, dass es 1971, nur wenige Jahre nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, hiess, sie seien vom
«Kult der Hässlichkeit, der ungesunden exhibitionistischen Erotik befallen» und «für einen gerechtfertigten
Eingriff des Staatsanwaltes wie geschaffen»?
Am Anfang stehen vor allem drei Namen: Věra Chytilová, Jaromil Jireš und Miloš Forman. Alle drei sind Absol5
venten der berühmten Prager Filmhochschule FAMU
und sorgen 1963 mit ihren Debütfilmen für einen Paukenschlag der Begeisterung. Zugleich markieren sie
die offizielle Geburtsstunde der Tschechischen Neuen Welle. Inspiriert vom französischen Cinéma vérité und getrieben von dem Wunsch nach einer ungeschminkten, schonungslosen Schilderung des Alltagslebens, verschreibt sich diese aufstrebende Generation an
Jungregisseuren bei all ihrer Unterschiedlichkeit einem
gemeinsamen Ziel: der Abkehr vom sozialistischen Realismus, dieser rosaroten Brille, die den Künstlern vom
kommunistischen Staatsapparat aufgezwungen wird,
um die Dinge nicht so zu zeigen, wie sie sind, sondern
wie sie sein sollen. Neben dem dokumentarischen Realismus sind es vor allem Einflüsse des Surrealismus, des
absurden Theaters und der Literatur, die sich auf die Stilistik von Věra Chytilová, Miloš Forman, Ivan Passer,
Jan Němec und Jiří Menzel auswirken. Möglich macht
diesen wagemutigen Schritt Richtung kreativer Freiheit
vor allem die politische Tauwetterphase, die zu Beginn
der 1960er-Jahre in der Tschechoslowakei einsetzt. Das
sozialistische Land versucht in diesen Jahren mithilfe
eines mutigen Reformkurses, einen «Sozialismus mit
menschlichem Antlitz» umzusetzen. Dieser Demokratisierungsversuch, der im Prager Frühling gipfelt, wird
jedoch im August 1968 durch den Einmarsch der Trup6
pen der Warschauer-Pakt-Staaten gewaltsam unterbunden. Die Filme, die in der kurzen Zeitspanne zwischen
1963 und 1969 entstehen, spiegeln jene Aufbruchsstimmung und Experimentierfreude wider, die mit der Hoffnung auf eine gesellschaftliche, kulturelle und politische
Neuausrichtung einhergehen.
«Die kleinen Margeriten» (1966) – dieses surreal-anarchistische Meisterwerk Věra Chytilovás, das inzwischen
längst zum Klassiker avanciert ist, zählt für mich bis
heute zu den unkonventionellsten Filmbeispielen eines
weiblichen Regieblicks. Marie I und Marie II, die beiden
Protagonistinnen, pfeifen auf jegliche Anstands- und
Verhaltensregeln. Sie schmarotzen, zerstören, geniessen und langweilen sich und sind zugleich Teil von Chytilovás propagierter «Anti-Ästhetik». Während Chytilová den Film als Ausdruck ihrer philosophischen
Gesellschaftskritik nutzt, lässt sich ihr Kollege Jaromil
Jireš von literarischen Vorlagen inspirieren: nach Milan
Kunderas Verfilmung von «Ein Scherz» (1968), einem
hochgradig politischen Stoff, widmet er sich nur zwei
Jahre später mit seinem Film «Valerie – eine Woche voller Wunder» (1970) dem gleichnamigen Roman von
Vítězslav Nezval. Jireš kreiert durch den unschuldigen
Blick eines heranwachsenden Mädchens eine unheimliche Märchenwelt, in der das sexuelle Erwachen von
dem dunklen Schauer des Unbekannten begleitet wird.
Die Welt der Heranwachsenden steht für viele Filmemacher in dieser Zeit im Zentrum. Auch Miloš Forman,
den Josef Škvorecký als dunkelhaarigen, stillen Jungen
erinnert, der im Lebensmittelgeschäft seines Onkels
gelangweilt auf Sauerkrautfässern sitzt, wird seiner
Generation mit «Die Liebe einer Blondine» (1965) eine
Stimme geben. Unvergleichlich komisch ist die Szene, als der junge Pianist Milda nach einer durchzechten Nacht von seiner besorgten Mutter ins elterliche
Bett gezerrt wird, da in dem Zimmer ihres Sohnemanns
eine unbekannte Blondine nächtigt – «zwei junge Menschen in einem Bett, so weit soll es noch kommen»! Eingepfercht zwischen Mutter und Vater liegt der Teenager
in der Matratzenritze und verdeutlicht einmal mehr die
Kluft zwischen Jung und Alt, die sich hier auftut. Erste
Liebe und Popmusik, das sind die Themen der Jugend,
anstatt grosser Ernst und Politik!
Vermutlich liegt es in der Natur von Wundern, dass sie
unwiederbringlich und einmalig sind. Auch das «tschechoslowakische Filmwunder» währt nicht lange. Trotz
der verspielt-poetischen Ader und ihrer liebevollen
Figurenzeichnung verweilen die Filme nie im Unschuldigen. Die anfänglich subtile Kritik am sozialistischen
System verschärft sich gegen Ende der 1960er-Jahre
zunehmend, und nahezu alle Regisseure der Tschechischen Neuen Welle kommen mit der staatlichen Zensur
in Berührung. Das betrifft nicht nur Chytilová, die kurz
nach «Die kleinen Margeriten» für sieben Jahre Berufsverbot erhält, sondern auch Jiří Menzel. Während er
mit «Scharf beobachtete Züge» (1966) noch den Oscar
gewinnt, wird sein Film «Lerchen am Faden» (1969) aufgrund der Brüskierung der sozialistischen Zwangsarbeit für 20 Jahre auf die Schwarze Liste gesetzt. Lustlos und mit beissendem Scharfsinn sortieren hier ein
«abtrünniger» Philosophieprofessor, ein Saxophonist,
ein Bibliothekar und ein junger Koch tonnenweise Altmetall. Als der Vorsteher den Philosophieprofessor
fragt, wie es ihm heute gehe, antwortet der nur sarkastisch: «Wunderbar. Danke. Der spirituelle Aspekt meiner Arbeit verbessert sich.» Für den trockenen Humor
und die komisch-tragische Weltsicht von Menzels Filmen ist vor allem einer verantwortlich: der tschechische
Nationalautor Bohumil Hrabal, mit dem Menzel ab 1965
eine enge Zusammenarbeit beginnt. Hrabals Komik
wird aus anekdotischen Schank- und Kneipengeschichten heraus geboren, in denen sich die stille Weisheit versteckt wie der Wolf im Schafspelz.
Der Humor ist es auch, mit dem sich viele Regisseure
über das ideologisch motivierte Ende ihrer kreativen
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Schaffensperiode zu retten versuchen. «Ein Mensch
muss reisen, um zu begreifen, warum eigentlich in
unserem Land und in den Dingen, die uns repräsentieren, Humor so eine Rolle spielt», meint Jiří Menzel im
Juni 1968, kurz bevor die sowjetischen Truppen in Prag
einrollen. «Der ist uns nicht angeboren, sondern wurde uns aufgezwungen. Ohne Sinn für Humor lässt es
sich nämlich in der Tschechoslowakei überhaupt nicht
leben.» Filmemacher wie Miloš Forman emigrieren
nach 1970 in die USA und setzen ihre Karriere dort fort.
In seinem Fall äusserst erfolgreich: Seine Verfilmung
von «Einer flog über das Kuckucksnest» (1975) kann im
Rückblick als Parabel auf die Schizophrenie eines totalitären Staates betrachtet werden. Andere wiederum bleiben in ihrem Land und harren in der einsetzenden filmkulturellen Stagnation aus.
Mag sein, dass da zuerst das Bier war. Und dass der
Humor und die Lebensfreude erst nach den politischen
Widrigkeiten hinzukamen, um ihren Ausdruck schliesslich in der tschechischen Filmkultur zu finden. Oder
vielleicht war es auch anders? Vielleicht entstanden die
besten Filmideen von Beginn an am Schanktisch? Josef
Škvorecký konnte damals noch nicht ahnen, wie eng die
tschechische Bier- und Filmkultur bis heute verzahnt
sind. Im Jahr 2007 warb kein Geringerer als Miroslav
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Ondříček auf riesigen Werbeplakaten für das Pilsener
Urquell – der berühmte und erst kürzlich verstorbene
Kameramann von Miloš Formans «Die Liebe einer
Blondine». Er posierte mit einem Bierglas in der Hand
neben seiner Kamera. Wir dürfen ihm jedenfalls erfreut
zurückprosten. Endlich sind die Filme der Tschechischen Neuen Welle genauso ungefiltert von der Zensur zu geniessen wie das echte Pilsener Bier. «Was die
Tschechen ausser ihrem Bier noch hervorgebracht
haben?», könnte ich heute dem freundlichen New Yorker Gentleman entgegnen. «Na, was wohl – grossartige
Filme! Die im Gegensatz zum gezapften Pilsener auch
nach über 50 Jahren nicht schal werden.»
Patricia Vidovic ist wissenschaftliche Assistentin und
Dozentin am Seminar für Filmwissenschaft in Zürich. Nach
dem Studium der Kunstgeschichte und Slavistik (Bamberg,
Paris, München) liegt ihr Forschungsschwer­punkt auf
der osteuropäischen Film- und Kunstgeschichte. In ihrer
Doktorarbeit befasst sie sich mit der Bildlichkeit und
Ästhetik von aktuellen Autorenfilmen Ostmitteleuropas.
PRAGER FRÜHLING
SO04.10.19h30
DI13.10.17h15
Die Liebe einer Blondine
Lásky jedné plavovlásky
CSR 1965, 80 min, 35 mm, O/d-f
Regie: Miloš Forman
Darst.: Hana Brejchová, Vladimír Pucholt,
Vladimír Menšík, Ivan Kheil, Jiří Hrubý, Milada Ježková,
Josef Šebánek, Marie Salačová, Josef Kolb u.a.
Andula arbeitet in einer Schuhfabrik in einem Prager Vorort und lebt zusammen mit den Frauen ihrer Brigade im
lokalen Wohnheim. Die Wochenenden in der Provinz sind
todlangweilig, doch dann organisiert der Parteisekretär
einen Tanzabend mit den Männern einer Reservistenkolonne. Andula verliebt sich dabei in Milda, den Klavierspieler aus Prag. «Formans zweiter Film ist ein kleines
Glanzstück. Die Geschichte ist wegen ihrer Einfachheit
schon fast klassisch: Eine hübsche Blondine trifft einen
jungen Pianisten, zusammen verbringen sie eine glückliche
Liebesnacht. Doch als sie die Affäre ernster nimmt als er
und unangemeldet bei seinen Eltern auftaucht, sind alle
entsetzt. Er sieht sich in der Falle, sie fühlt sich verraten,
und die Eltern sehen beide Seiten nacheinander – am Ende
weiss niemand mehr, was er denken soll, weil sich niemand
mehr nach irgendwelchen Regeln verhält. Viel von Formans Humor entwickelt sich aus der Tatsache, dass die
Figuren wie scheue Nachttiere in die Welt starren, immerzu bereit, sich zu verteidigen, wobei ihnen ständig das Wasser abgegraben wird durch die Entdeckung, dass Menschen
nie das sind, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen.
Forman setzt grösstenteils Laiendarsteller ein, lässt sie
improvisieren, verfeinert dann, formt und perfektioniert
alles und erreicht so etwas unbeschreiblich Exaktes, Berührendes und Lustiges.» Tom Milne, Time Out Film Guide
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PRAGER FRÜHLING
DI06.10.19h00
SA17.10.18h00
Schlussszene, in denen die anarchistischen Mädels ein
riesiges Buffet ruinieren. Mit dieser fulminanten Komödie machte die tschechische Regisseurin Věra Chytilová,
die 2014 starb, international auf sich aufmerksam. ChyCSR 1966, 74 min, DCP, O/d
tilová folgte der wilden Experimentierlust ihrer Heldinnen,
Regie: Věra Chytilová
indem sie die Geschichte durch Slapstick-Einlagen, FarbDarst.: Jitka Cerhová, Ivana Karbanová, Julius Albert,
montagen und zahlreiche Filmtricks radikal aufbrach.
Jan Klusák, Marie Češková, Marcela Březinová,
«Die kleinen Margeriten» ist ein wunderbar bösartig-verJiřina Myšková, Oldřich Hora u.a.
spieltes Manifest gegen jede Form von Engstirnigkeit und
Die verwegene Popart-Groteske ist eine der erfrischends- Spiessertum und ein beflügelnder Film, der lustvoll und
ten cineastischen Explosionen der Sechzigerjahre und in experimentierfreudiger Farbigkeit den allgegenwärtigen
einer der zentralen Filme der tschechischen Nouvelle Konsum hinterfragt. «Ein allegorisches Lehrstück im Stil
Vague. Marie I und Marie II finden die Welt verdorben einer grotesk-bizarren Komödie, die in surrealistisch
und beschliessen, genauso verdorben zu sein. Und so fres- inspirierter, virtuoser Manier mit der Zerstörung als
sen und betrügen sie sich durch amüsante eineinviertel zugleich befreiender und gefährlicher Kraft konfrontiert.
Stunden. Männer sammeln sie wie Ansichtskarten: kurz Eine ebenso unterhaltsame wie hintergründige Fantasie
angeguckt und weggeschickt. Besonders hübsch ist die von zeitloser Faszination.» Lexikon des Internationalen Films
Die kleinen Margeriten
Sedmikrásky
10
PRAGER FRÜHLING
MI07.10.18h30
SO25.10.19h45
schen Schaffnerin Máša an. Einige Tage später verabreden sich die beiden «ausserdienstlich» in der Scheune
von Mášas Onkel, doch das Treffen geht schief. Schon
bald erhält Miloš erneut eine Möglichkeit, seine MännCSR 1966, 93 min, 35 mm, O/d-f
lichkeit unter Beweis zu stellen. Liebevoll schildert Jiří
Regie: Jiří Menzel
Menzel das Leben in einem tschechischen Dorf während
Darst.: Václav Neckář, Jitka Bendová, Vladimír
der deutschen Besatzung. Seine Helden stehen in der TraValenta, Libuše Havelková, Josef Somr, Alois Vachek,
dition des Soldaten Schwejk, der auch tragischen EreigJitka Zelenohorská, Vlastimil Brodský u.a.
nissen eine komische Seite abringen kann. Jiří Menzels
Die Familie Hrma ist stolz auf ihren Sohn Miloš, der in Spielfilmdebüt basiert auf einer Novelle von Bohumil Hradie Fussstapfen seines Vaters, eines Lokomotivführers, bal, der auch am Drehbuch mitarbeitete. Der Film wurde
treten will und gegen Ende des Zweiten Weltkrieges eine 1968 mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film
Ausbildung als Bahnhofswärter beginnt. Auf einem win- ausgezeichnet. «Hervorragend inszenierte und gut gespiel­zigen Bahnhof in der tschechischen Provinz nehmen ihn te Komödie.» Lexikon des Internationalen Films
Stationsvorsteher Max und Fahrdienstleiter Hubička unter
ihre Fittiche. Miloš entdeckt schon bald, dass es noch ein
Leben neben der Eisenbahn gibt und bändelt mit der hüb-
Scharf beobachtete Züge
Ostře sledované vlaky
11
PRAGER FRÜHLING
SO11.10.17h30
DI20.10.20h45
Ein launischer Sommer
Rozmarné léto
CSR 1968, 74 min, 35 mm, O/d
Regie: Jiří Menzel
Darst.: Rudolf Hrušínský, Míla Myslíková,
Vlastimil Brodský, František Řehák, Jana Preissová,
Jiří Menzel, Bohuš Záhorský u.a.
Der 1968 in Karlovy Vary mit dem grossen Preis geehrte
Film ist eine als Fin-de-Siècle-Idylle getarnte Analyse
kleinbürgerlichen Lebensgefühls. In der Badeanstalt einer
böhmischen Kleinstadt vertreiben sich drei Freunde –
alle Herren «im besten Alter» – ihre Langeweile mit philosophischen Gedankenspielen und gegenseitigen Frotzeleien: der Bademeister Antonín, Hugo, Major im Ruhestand, und der Geistliche Roch. Auch das Thema Sex
12
kommt nicht zu kurz. Zum Bedauern von Antons sinnenfreudiger Gattin Kateřina allerdings nur in der Theorie – die drei Freunde sind nun mal in einem Alter angelangt, in dem Erotik fast nur noch im Kopf stattfindet,
und auch Kateřina hat im Lauf der Jahre ihre Anziehungskraft auf Männer eingebüsst. Nichts stört ihr beschauliches Leben, bis ein Wanderzirkus die vier aus ihrer
Lethargie aufweckt. Die blonde Anna, Assistentin des
Seiltänzers Arnoštek – gespielt von Menzel selbst –, versetzt die drei Herren in ihren zweiten Frühling, während
Arnoštek die unterdrückten Phantasien von Kateřina
beflügelt. «In dieser poetischen Parabel nach dem gleichnamigen Buch von Vladislav Vančura bilden die Zirkusleute eine romantische Gegenwelt, in der die Jugend und
das Leben nochmals aufleben. In einem impressionistischen Licht entsteht ein psychologisch äusserst präzises und atmosphärisch dichtes Gemälde.» Xenix
PRAGER FRÜHLING
MI14.10.20h30
SO25.10.18h00
verboten, doch mit viel List schaffen es Menschen auch
hier, in den Ruinen einer absurden Ordnung ihre Liebe zu
leben. Nach dem Oscar-Gewinner «Scharf beobachtete
Züge» und dem Episodenfilm «Perlen auf dem MeeresCSR 1969, 94 min, 35 mm, O/d
grund» ist dieser Anfang 1969 fertiggestellte Film die dritRegie: Jiří Menzel
te Zusammenarbeit zwischen Jiří Menzel und dem SchriftDarst.: Rudolf Hrušínský, Václav Neckář,
steller Bohumil Hrabal. «Lerchen am Faden» ging in die
Jitka Zelenohorská, Vladimír Ptáček, Naďa Urbánková,
Postproduktion, als die Panzer der Sowjets in Prag einVlastimil Brodský, Ferdinand Krůta u.a.
rollten. Zwar konnte Menzel den Film noch beenden, doch
«Wir werden unseren friedlichen Stahl den imperialis- er kam sofort in den Giftschrank – die Zustände, die hier
tischen Kriegstreibern in die Kehle schütten.» Unter Pro- verspottet wurden, waren wieder Realität geworden. Erst
pagandatransparenten wie diesem schuften Zwangsarbei- 21 Jahre später, nach der Samtenen Revolution von Novemter auf einem Schrottplatz. Wir schreiben das Jahr 1949, in ber 1989, konnte «Lerchen am Faden» gezeigt werden. Er
der Tschechoslowakei hat sich das kommunistische triumphierte im Februar 1990 auf der Berlinale, wo er den
Regime gerade installiert und sperrt «Konterrevolutionäre» Goldenen Bären erhielt. «Ein Film, der dem Totalitarismus
zu Tausenden zur «Umerziehung» in Arbeitslager. Frauen direkt in die Augen schaut und, statt ihm ins Gesicht zu
und Männer sind strikt getrennt, Kontaktaufnahme streng spucken, ihn laut auslacht.» Marc Savlov, Austin Chronicle
Lerchen am Faden
Skřivánci na nití
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PRAGER FRÜHLING
MI21.10.18h30
DO29.10.21h00
Der Leichenverbrenner
Spalovač mrtvol
CSR 1969, 95 min, DCP, O/e
Regie: Juraj Herz
Darst.: Rudolf Hrušínský, Vlasta Chramastová,
Jana Stehnová, Miloš Vognič, Ilja Prachař, Zora Božinová,
Eduard Kohout, Jiří Lír, Dimitrij Rafalský u.a.
Prag, Ende der 1930er-Jahre. Karl Kopfrkingl führt ein
perfektes Leben: Alles darin ist sauber und hat seinen
Platz. Er liebt seine Arbeit im Krematorium so innig wie
seine Familie. Die Machtübernahme durch Nazi-Deutschland eröffnet ihm unerreichbar geglaubte Aufstiegschancen. Dummerweise ist seine Frau Halbjüdin und sein
Sohn mit Juden befreundet. Doch das lässt sich lösen …
Rudolf Hrušínský, einer der populärsten tschechischen
14
Schauspieler seiner Zeit, der 1956 in der Verfilmung als
braver Soldat Schwejk international bekannt wurde, verkörpert hier den opportunistischen und psychopathischen Karl Kopfrkingl. Und der Kameramann Stanislav
Milota wurde am Festival des Fantastischen Films von
Sitges für seine unheimlich-grossartige Arbeit ausgezeichnet. Ebenso wie die französische Nouvelle Vague ist
das Kino des Prager Frühlings ein «cinéma copain», so
sieht man Hrušínský in Filmen von Jiří Menzel und Menzel in einer Nebenrolle als Herr Dvořák in «Der Leichenverbrenner». «Die Form, wie hier das Abgründige in der
menschlichen Seele in einen kausalen Zusammenhang
mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gebracht
wird, damit es sich bis zum visionären Wahn steigern
kann, weist den Film als eines der progressivsten ästhetischen Experimente der Tschechischen Neuen Welle in
den Sechzigerjahren aus.» Film.at
PRAGER FRÜHLING
FR09.10.21h30
SO18.10.18h15
se langsam Risse. Auch ihre Grossmutter erscheint ihr
fremd, während Vampire und andere dunkle Gestalten
ihr Unwesen treiben. Valerie hat Angst, doch gleichzeitig findet sie das bizarre Geschehen auf seltsame Weise
anziehend … «Valerie – eine Woche voller Wunder» ist
einer der letzten Filme der Bewegung und beruht auf
CSR 1970, 73 min, 35 mm, O/d-f
dem surrealistischen Roman des Tschechen Vítězslav
Regie: Jaromil Jireš
Nezval. Jireš inszeniert die Gefühlswelt eines jungen
Darst.: Jaroslava Schallerová, Helena Anýžová,
Petr Kopriva, Jirí Prýmek, Martin Wielgus, Jan Klusák,
Mädchens auf der Schwelle zum Erwachsensein in betöAlena Stojáková, Karel Engel, Libuse Komancová u.a.
rend schönen Bildern im Randbereich zwischen Märchen-, Fantasy- und Horrorfilm. «Fantastische Bilder,
Eines Nachts werden der 13-jährigen Valerie ein paar eine tolle Ausstattung, die wunderbare Musik von Luboš
magische Ohrringe gestohlen. Sie erwacht gerade noch Fišer und Jan Klusák und eine umwerfende Jaroslava
rechtzeitig, um den Dieb davonlaufen zu sehen. Als am Schallerová in der Hauptrolle machen aus ‹Valerie› ein
nächsten Tag eine Truppe Schausteller in ihr Dorf hypnotisches Filmrätsel, das selbst 40 Jahre nach seiner
kommt, um für ein Hochzeitsfest zu spielen, bekommt Entstehung nichts von seiner magischen Anziehungsdie bisher heile Welt von Valeries wohlbehütetem Zuhau- kraft verloren hat.» Bildstörung, Köln
Valerie – eine Woche
voller Wunder
Valerie a týden divů
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SPECIAL JAROSLAV RUDIŠ
MI28.10.20h00
Alois Nebel
Animationsfilm nach der Graphic Novel von
Jaroslav Rudiš und Jaromír 99
CSR/D 2011, 84 min, DCP, O/d-f
Regie: Tomás Lunák
Darst.: Miroslav Krobot, Karel Roden, Václav Neužil,
Tereza Voříšková, Marie Ludvíková, Leoš Noha,
Alois Švehlík, Ondřej Malý, Ján Sedal u.a.
Herbst 1989: Alois Nebel lebt in einem abgelegenen, kleinen Ort namens Bílý Potok. Der Einzelgänger arbeitet
als Fahrdienstleiter am örtlichen Bahnhof; in seiner Freizeit gilt seine ganze Leidenschaft dem Sammeln alter
Fahrpläne. Sobald jedoch Nebel über dem Bahnhof aufzieht, beginnt Alois zu halluzinieren. Er sieht Geister
und Schatten aus der dunklen Vergangenheit Europas,
die in Zügen an ihm vorbeirauschen, Opfer des Zweiten
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PREMIERE
Weltkrieges und der sowjetischen Besatzung, die ihn
immer wieder heimsuchen. Als sich die Situation für
Alois nicht bessert, wird er in eine Nervenheilanstalt
eingewiesen. Dort lernt er «den Stummen» kennen, der
Alois hilft, sich seinen Dämonen zu stellen … Der Animationsfilm ist die meisterhafte Verfilmung des fulminanten tschechischen Comics von Jaroslav Rudiš und
Jaromír 99, der in Tschechien zum Bestseller avancierte.
Die Verfilmung wurde 2012 mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet. Wie schon der Comic ist auch der
Animationsfilm in Schwarz-Weiss gehalten – mit wunderbaren Graustufen, die eine herbstliche und winterliche Landschaft modellieren. Der Beginn ist geradezu
ein Manifest für die Möglichkeiten klassischer Animation: Kein 3D, und dennoch ist die Panoramafahrt über
das windumtoste Gebirge ein Lehrstück in räumlicher
Illusion. Kein Computerrealismus, sondern klassisch
rotoskopierte Szenen, die zunächst mit echten Schauspielern gedreht und dann vollständig überzeichnet wurden. «Alois Nebel» verbindet auf kunstvolle Weise die
«grosse», oft unheilvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa mit dem Schicksal «kleiner» Menschen. Er ist zugleich eine Ode an die Eisenbahn, an den
Hauptbahnhof der Stadt Prag und an eine wenig bekannte europäische Region, das Altvatergebirge, und seine
Menschen.
Vorstellung in Anwesenheit des Comic-Autors
Jaroslav Rudiš. Mit ihm unterhält sich David Basler,
Verleger Edition Moderne.
PREMIERENFILME
PREMIERENFILM
45 Years
DO01.10.17h15
SA03.10.19h00
GB 2015, 95 min, DCP, E/d-f
Regie: Andrew Haigh
Darst.: Charlotte Rampling, Tom Courtenay,
Dolly Wells, Geraldine James, David Sibley,
Hannah Chalmers, Richard Cunningham u.a.
SO04.10.15h15
DI06.10.20h30
SA10.10.15h30
DO15.10.17h15
SA17.10.19h30
Kate steckt mitten in den Vorbereitungen zu ihrem 45. Hochzeitstag, als ihr Mann Geoff eine unerwartete Nachricht
bekommt, die ihn in die Vergangenheit zurückversetzt und
zutiefst erschüttert. Vor 50 Jahren verunglückte seine damalige Freundin bei einem Unfall in den Schweizer Alpen tödlich. Erst jetzt wurde ihre Leiche vom Gletscher freigegeben.
Geoff beginnt sich immer mehr in eine ferne Welt der Erinnerungen zurückzuziehen, während Kate versucht, aufkei-
MI21.10.14h30
FR23.10.17h30
SO25.10.16h15
DI27.10.20h30
18
mende Eifersucht und Verunsicherung mit Pragmatismus zu
unterdrücken. Es gilt, die Musik und das Menü für die Feier
auszusuchen und weitere Arrangements zu treffen. Nach aussen geht alles seinen gewohnten Gang. Doch die Kamera
registriert behutsam, wie das eingespielte Zusammenleben
aus dem Takt gerät. Ob beim gemeinsamen Frühstück oder
beim einsamen Stadtbummel – Kate fühlt sich mehr und mehr
wie eine Fremde im eigenen Leben. Mit «45 Years» gelingt
Regisseur Andrew Haigh («Weekend») ein stilles, facettenreiches Meisterwerk. In den Hauptrollen brillieren Charlotte
­Rampling und Tom Courtenay, die für ihre bravouröse Leis­
tung an der diesjährigen Berlinale mit je einem Silbernen
Bären ausgezeichnet wurden. «Die Schauspieler schaffen es
meisterhaft, diesen intimen und zugleich gehemmten Umgang
des Paares miteinander zu vermitteln. Tom Courtenay lässt
eine faszinierend komplexe Gefühlswelt hinter der Verschlossenheit seiner Figur aufscheinen. Es ist die perfekte Ergänzung zum sensiblen Spiel von Charlotte Rampling, die das
emotionale Wechselbad (…) fast allein durch ihr vielschichtiges Mienenspiel auszudrücken vermag. In aller Stille entwickelt sich ein aussergewöhnliches Drama, das glaubhaft
und anrührend vermittelt, wie unerwartete Herausforderungen selbst eine jahrzehntelange glückliche Bindung noch
ins Wanken bringen können.» Marius Nobach, Film-Dienst
PREMIERENFILM
Der Staat gegen Fritz Bauer
D 2015, 105 min, DCP, D
Regie: Lars Kraume
Darst.: Burghart Klaussner, Ronald Zehrfeld,
Robert Atzorn, Sebastian Blomberg, Stefan Gebelhoff,
Cornelia Gröschel, Rüdiger Klink, Dani Levy u.a.
Fritz Bauer (1903–1968) war Deutscher, Jude, Sozialdemokrat, Homosexueller – und als Staatsanwalt der jungen BRD
kämpfte er dafür, dass Nazi-Verbrecher mit den Mitteln des
Rechtsstaates ihrer Strafe zugeführt wurden. Doch da der
Staat in weiten Teilen von Männern durchsetzt war, die schon
im Dritten Reich ihren Dienst versahen, schien dies fast aussichtslos. «Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland.» Der Satz des realen Fritz Bauer illustriert, in wel-
cher Welt sich der Mann bewegte, der einst der Nazi-Mordmaschinerie entkommen war und nach dem Krieg dennoch
nach Deutschland zurückkehrte, um beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen mitzuhelfen. Am Anfang von «Der
Staat gegen Fritz Bauer» steht ein Original-TV-Dokument
von 1961. Es geht darin um den Prozess gegen Adolf Eichmann, den «Buchhalter der Endlösung», der damals gerade
in Jerusalem vor Gericht stand. Niemand wusste zu der Zeit,
dass es Bauer gewesen war, der dem israelischen Geheimdienst Mossad den entscheidenden Hinweis auf Eichmanns
Aufenthalt in Argentinien gegeben hatte. Bauer nahm dieses
Geheimnis mit ins Grab. Erst Jahre nach seinem Tod wurde
diese Tatsache bekannt, die Regisseur Lars Kraume nun ins
Zentrum seines Filmes stellt. «Dem couragierten Pionier der
Aufarbeitung von NS-Verbrechen (…) ein filmisches Denkmal zu setzen, war längst überfällig. Lars Kraume hält sich
in (…) seinem Psychogramm eines Aufrechten nicht immer
nur an die nüchternen Fakten. So ist sein junger, verkappt
homosexueller Staatsanwalt Karl Angermann (hervorragend:
Ronald Zehrfeld) ein fiktiver Charakter. Der dramaturgische
Schachzug ermöglicht künstlerische Freiheit, die das kraftvolle Biopic um einiges spektakulärer gestaltet. (…) Und mit
Hauptdarsteller Burghart Klaussner gelang ein Glücksgriff,
(…) er verkörpert den Ausnahmejuristen und Kettenraucher
bis in kleinste Nuancen überzeugend. Prägnant, sensibel und
präzise spielt er, spricht nicht viel, aber er wirkt. Das ist seine Stärke.» Luitgard Koch, programmkino.de
DO01.10.19h00
SO04.10.17h15
FR09.10.19h30
SA10.10.21h30
MO12.10. 18h45
Montagskino
Fr. 10.–
SA17.10.16h00
MI21.10.20h30
SO25.10.12h30
DO29.10.19h00
19
KINOK, CINEMA IN DER LOKREMISE
DO01.10.
15h15
45 Years
17h15
Der Staat gegen Fritz Bauer
19h30
17h15
19h00
21h00
Life
FR02.10.
17h15
Wild Women – Gentle Beasts
20h30
45 Years
La tête haute
Der Staat gegen Fritz Bauer
Prager Frühling
Die Liebe einer Blondine
Lásky jedné plavovlásky
MO05.10.
MONTAGSKINO FR. 10.-
17h15
19h30
Ein launischer Sommer
Youth
SA03.10.
Life
Giovanni Segantini – Magie
des Lichts
15h00
SA10.10.
45 Years
MI07.10.
Prager Frühling
Die kleinen Margeriten
13h45
20h45
Sedmikrásky
45 Years
45 Years
19h00
The Farewell Party
20h30
14h15
SO04.10.
16h15
15h30
The Farewell Party
The Farewell Party
10 Milliarden – Wie werden
wir alle satt
La tête haute
Scharf beobachtete Züge
18h30
Prager Frühling
Ostře sledované vlaky
FR16.10.
17h30
Härte
17h15
The Farewell Party
Amateur Teens
Der Staat gegen Fritz Bauer
DI13.10.
19h15
21h00
Dior and I
Giovanni Segantini –
Magie des Lichts
La tête haute
13h00
Prager Frühling
Dior and I
20h30
11h00
18h45
DI06.10.
Dior and I
21h30
Der Staat gegen Fritz Bauer
21h30
17h15
19h00
19h00
17h00
Skřivánci na nití
45 Years
MONTAGSKINO FR. 10.-
La tête haute
Lerchen am Faden
17h15
MO12.10.
Valerie – eine Woche voller
Wunder Valerie a týden divů
10 Milliarden – Wie werden
wir alle satt
17h00
Youth
FR09.10.
20h30 Prager Frühling
DO15.10.
19h30
Härte
19h30
Prager Frühling
Rozmarné léto
21h15
Wild Women – Gentle Beasts
13h15
17h30
The Wolfpack
Youth
20h30
In Anwesenheit des Regisseurs
Yared Zeleke. Das Gespräch führt
der Filmjournalist Andreas Furler.
Lamb
17h15
17h15
18h45
15h15
10 Milliarden – Wie werden
wir alle satt
Life
21h30
18h00
Dior and I
DO08.10.
Giovanni Segantini –
Magie des Lichts
19h15
13h00
How to Change the World
19h45
Prager Frühling
Die Liebe einer Blondine
Lásky jedné plavovlásky
LETZTE VORSTELLUNG
Amateur Teens
21h30
Life
SA17.10.
14h15
17h15
The Wolfpack
19h15
La tête haute
21h30
MI14.10.
16h00
Giovanni Segantini –
Magie des Lichts
Die kleinen Margeriten
Life
Der Staat gegen Fritz Bauer
SO11.10.
11h00
The Wolfpack
14h00
15h45
Youth
Reservation: www.kinok.ch Die Kasse öffnet 45 Minuten vor der ersten Vorstellung. Reservierte Tickets bitte 20 Minuten vor Vorstellungsbeginn abholen.
Giovanni Segantini –
Magie des Lichts
LETZTE VORSTELLUNG
Der Staat gegen Fritz Bauer
18h00
Sedmikrásky
Prager Frühling
LETZTE VORSTELLUNG
OKTOBER 2015
MO26.10.
19h30
19h00
21h30
21h30
20h45 Prager Frühling
LETZTE VORSTELLUNG
45 Years
Amateur Teens
Härte
Ein launischer Sommer
(Rozmarné léto)
SO18.10.
LETZTE VORSTELLUNG
10h30
14h30
How to Change the World
16h30
Wild Women – Gentle Beasts
18h30
16h30
Spalovač mrtvol
14h45
The Farewell Party
LETZTE VORSTELLUNG
Der Leichenverbrenner
Prager Frühling
Valerie – eine Woche
voller Wunder
Valerie a týden divů
LETZTE VORSTELLUNG
19h45
Dior and I
MO19.10.
MONTAGSKINO FR. 10.-
17h00
The Farewell Party
18h45
The Wolfpack
20h30
La tête haute
DI20.10.
17h00
How to Change the World
Der Staat gegen Fritz Bauer
20h00
Blitz und Donner –
Elektrizität im Film
Mit einer Einführung und Kommentaren der Historikerin Regula
Zürcher, Staatsarchiv St.Gallen.
SO25.10.
19h00
12h30
LETZTE VORSTELLUNG
Der Staat gegen Fritz Bauer
14h30
21h15
The Wolfpack
La vanité
EINZIGE VORSTELLUNG
20h30
LETZTE VORSTELLUNG
FR30.10.
17h30
La vanité
LETZTE VORSTELLUNG
19h15
Life
LETZTE VORSTELLUNG
21h30
The Wolfpack
45 Years
LETZTE VORSTELLUNG
MI28.10.
SA31.10.
14h15
14h00
16h00
LETZTE VORSTELLUNG
15h45
18h15
LETZTE VORSTELLUNG
Prager Frühling
LETZTE VORSTELLUNG
In Anwesenheit des Regisseurs
Lionel Baier. Das Gespräch führt die
Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin Sophie Rudolph.
Prager Frühling
Der Leichenverbrenner
45 Years
Skřivánci na nití
19h30
21h00
Youth
Lerchen am Faden
45 Years
LETZTE VORSTELLUNG
La vanité
18h00
17h30
Der Staat gegen Fritz Bauer
Lamb
16h15
FR23.10.
Lamb
Spalovač mrtvol
Youth
21h30
17h15
Life
Amateur Teens
19h15
UNESCO-Welttag des
audiovisuellen Kulturguts
10 Milliarden – Wie werden
wir alle satt
Lamb
18h45
La vanité
10h30
DO22.10.
19h00
DI27.10.
Amateur Teens
20h30
The Farewell Party
17h00
La vanité
18h15
Prager Frühling
17h15
20h30
Dior and I
45 Years
18h15
14h00
DO29.10.
MONTAGSKINO FR. 10.-
LETZTE VORSTELLUNG
16h15
12h30
Lamb
SA24.10.
The Farewell Party
MI21.10.
10 Milliarden – Wie werden
wir alle satt
Härte
19h45
Prager Frühling
Scharf beobachtete Züge
Ostře sledované vlaky
LETZTE VORSTELLUNG
Dior and I
LETZTE VORSTELLUNG
How to Change the World
Amateur Teens
18h00
Alois Nebel
LETZTE VORSTELLUNG
20h00
Special Jaroslav Rudiš
Anschliessend führt David Basler,
Verleger Edition Moderne, das
Gespräch mit dem Comic- und Drehbuchautor Jaroslav Rudiš.
EINZIGE VORSTELLUNG
Lamb
19h45
Amateur Teens
LETZTE VORSTELLUNG
21h30
La tête haute
LETZTE VORSTELLUNG
Die Bar öffnet 45 Minuten vor der ersten Vorstellung und ist durchgehend bis über das Ende der letzten Vorstellung hinaus bedient. www.kinok.ch
PREMIERENFILM
Life
das Ausnahmetalent des 24-Jährigen und versucht fortan
alles, um den als launisch und unzuverlässig bekannten
CDN/D/AUS/USA 2015, 111 min, DCP, E/d
James Dean vor die Kameralinse zu bekommen. Als er es
Regie: Anton Corbijn
schliesslich schafft, für das Life-Magazin einen Auftrag zur
Darst.: Robert Pattinson, Dane DeHaan, Peter Lucas,
fotografischen
Dokumentation einer gemeinsamen Reise
Joel Edgerton, Ben Kingsley, Alessandra Mastronardi,
Lauren Gallagher, Kendal Rae u.a.
von New York nach Indiana, Deans Heimat, zu bekommen,
entwickelt sich auf dieser Zugsfahrt eine Freundschaft. Noch
Das Bild «James Dean haunted Times Square» gehört zu kann Stock nicht ahnen, dass er die letzten Lebensmonate
den am meisten reproduzierten Fotografien des 20. Jahr- des erst nach seinem Tod zum Superstar gewordenen Dean
hunderts. Es zeigt einen jungen Mann, der mit eingezogenem dokumentiert – und dabei Bilder schafft, die zu Pop-Ikonen
Kopf, schwarzem Mantel und einer Zigarette im Mundwin- werden. Sieben Jahre nach «Control» über den früh verstorkel durch den Regen New Yorks geht. Es war im Jahr 1955, benen Joy-Division-Sänger Ian Curtis wagt sich Anton Corals der aufstrebende People-Fotograf Dennis Stock den noch bijn, dessen vorherigen Film «A Most Wanted Man» wir vor
wenig bekannten James Dean – «East of Eden» war soeben Jahresfrist im Kinok zeigten, erneut an ein Biopic über eine
abgedreht – auf einer Party kennenlernte. Stock glaubt an Legende der Populärkultur. Dabei beweist er bei der Wahl
seiner Schauspieler ein gutes Händchen, indem er den aus
den «Twilight»-Filmen bekannten Robert Pattinson den
Fotografen und den vergleichsweise weniger bekannten Dane
DeHaan das Idol spielen lässt. «Man merkt, wie sehr Anton
Corbijn mit seinem Handwerk verwachsen ist. Ob Film oder
Fotografie: Er lebt für beides, und er kann beides auch sehr
gut zusammenführen. So entsteht ein ruhiges, interessantes
und optisch ansprechendes Drama über die lose Freundschaft zweier Männer, die unterschiedlicher nicht sein
könnten. ‹Life› ist die Geschichte eines Fotos, durch das
zwei Männer berühmt wurden (…) und von denen der eine
sieben Monate später verstarb.» Julia Stache, cereality.net
DO01.10. 21h00
FR02.10.19h15
MO05.10. 20h30
Montagskino
Fr. 10.–
SA10.10.19h15
FR16.10.21h30
DO22.10. 19h00
FR30.10.19h15
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PREMIERENFILM
The Farewell Party
ISR/D 2014, 95 min, DCP, O/d-f
Regie: Tal Granit, Sharon Maymon
Darst.: Ze’ev Revach, Levana Finkelstein, Aliza Rosen,
Ilan Dar, Raffi Tavor, Yosef Carmon, Hilla Sarjon,
Assaf Ben-Shimon, Ilanit Dado u.a.
Der etwas über 70-jährige Yehezkel, ein Technikfreak und
Erfinder, und seine gleichaltrige Frau Levan leben zusammen in einer Altersresidenz, wo beide mit allerhand Technik versuchen, den Alltagssorgen ihrer Mitmenschen zu
begegnen. Eines Tages kommt Yana, eine gemeinsame Freundin, mit einer ungewöhnlichen Bitte zu ihnen. Sie braucht
Hilfe, um ihrem im Sterben liegenden Ehemann einen letzten Wunsch zu erfüllen. Dieser will nicht mehr länger an
Bett und Maschinen gekettet vor sich hin vegetieren und
leiden, sondern lieber sanft einschlafen – etwas, das ihm die
Ärzte verweigern, denn in Israel ist, anders als in der Schweiz,
Sterbehilfe verboten. Für Yehezkel, den Tüftler, ist dies ein
Thema, das man pragmatisch angehen sollte, während sich
seine Frau stets gegen Sterbehilfe ausgesprochen hat. So
beginnt Yehezkel heimlich eine Maschine zu bauen, die
einem das Sterben erleichtern soll. Bald aber wird er mit
einer folgenschweren Entscheidung konfrontiert, die er so
nicht hatte treffen wollen. Ähnlich wie Lionel Baier in «La
vanité» machen sich auch die beiden israelischen Filmemacher Tal Granit und Sharon Maymon über das Ende, das uns
allen bevorsteht, lustig. «Ein Film, der nicht nur über
Undenkbares nachdenkt, sondern auch über ‹Unlachbares›
lacht. Nominiert für 14 israelische Oscars und ausgezeichnet mit dem Publikumspreis am Filmfestival von Venedig,
ist ‹The Farewell Party›, dessen hebräischer Originaltitel
übersetzt ‹Ein guter Tod› lautet, ein in jeder Hinsicht respektlos-amüsantes cineastisches Kabinettsstückchen über das
Ende des Lebens. Mit einem untrüglichen Sinn für bissigen
Humor, der schon so manche israelische Filme auszeichnete, haben Maymon und Granit zusammen mit ihrer Truppe
israelischer Komikerveteranen ein filmisches Fest geschaffen, das in seiner feinen Balance zwischen Emotionen und
Komik seinesgleichen sucht.» Kenneth Turan, Los Angeles Times
SO04.10.11h00
MI07.10.14h15
SA10.10.17h15
DO15.10.19h15
MO19.10. 17h00
Montagskino
Fr. 10.–
MI21.10.16h30
SA24.10.14h00
MO26.10. 17h00
Montagskino
Fr. 10.–
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PREMIERENFILM
La tête haute
SA03.10.21h30
SO04.10.13h00
F 2015, 120 min, DCP, F/d
Regie: Emmanuelle Bercot
Darst.: Catherine Deneuve, Sara Forestier,
Benoît Magimel, Catherine Salée, Diane Rouxel,
Rod Paradot, Ludovic Berthillot, Anne Suarez u.a.
MI07.10.20h30
FR09.10.17h15
DI13.10.20h30
MO19.10. 20h30
Montagskino
Fr. 10.–
Schon als Sechsjähriger, kurz nach seiner Einschulung, ist
Malony ein Schwerenöter; zusammen mit seiner alleinerziehenden Mutter Séverine wird er der Jugendrichterin Florence vorgeführt. Jahre später hat sich die Situation verschärft: Malony raucht, säuft und klaut Autos; immer wieder
landet er in Jugendheimen, während die immer noch gleiche
Jugendrichterin ein angemessenes Strafmass für ihn zu finden sucht. Doch der jahrelange Goodwill von Florence hat
SA31.10.21h30
24
keine positiven Auswirkungen auf Malonys Betragen. Etwas
Besserung kommt erst auf, als er Tess, die Tochter einer
Heim­erzieherin, kennenlernt. Tess ist von dem aggressiven
Jungen fasziniert, eine Beziehung bahnt sich an. Trotzdem
baut Malony weiter Mist, und so droht er mit 17 ins Gefängnis zu wandern. Zwei Jahre nach «Elle s’en va», der ersten
Zusammenarbeit zwischen Regisseurin Emmanuelle Bercot
und Catherine Deneuve, zeigt «La tête haute», der das diesjährige Filmfestival von Cannes eröffnete, eine überraschend
mütterliche Catherine Deneuve. Sie ist der ruhende Pol eines
Sozialdramas, das mit Benoît Magimel als Bewährungshelfer und Sara Forestier als Malonys überforderter Mutter mit
zwei weiteren Stars des französischen Kinos aufwartet. Die
grosse Entdeckung aber ist der 19-jährige Rod Paradot. «Dass
der Regisseurin der schwierige Spagat zwischen hartem sozialem Realismus und emotional packenden Zwischentönen
gelingt, ist zu einem guten Teil dem Debütanten Rod Paradot (…) zu verdanken. Unterschwellig ist stets zu spüren,
wie der vermeintlich unverbesserliche Chaot nach Orientierung sucht. (…) Doch auch wenn es Paradot in vielen Szenen gelingt, Verständnis und sogar eine gewisse Sympathie
für den emotionalen Berserker Malony zu wecken, ist ‹La
tête haute›, anders etwa als das durchaus vergleichbare USIndependent-Drama ‹Short Term 12›, kein optimistischer
Film mit Wohlfühlende, (…) sondern ein kraftstrotzendes
Sozialdrama, das in seiner rauen Emotionalität jederzeit zu
packen vermag.» Carsten Baumgardt, filmstarts.de
PREMIERENFILM
Amateur Teens
er möchte gegenüber seinen Kollegen – allen voran gegenüber dem grossmäuligen Adi – nicht als Verlierertyp dasteCH 2015, 92 min, DCP, Dialekt
hen, der sich mit einem Mauerblümchen einlässt. Der ZürRegie: Niklaus Hilber
cher Regisseur und Drehbuchautor Niklaus Hilber erzählt
Darst.: Fabrizio Borsani, Annina Walt, Chiara Carla Bär,
in
seinem dritten Spielfilm von der gnadenlosen HackordLuna Wedler, Benjamin Dangel, Jérôme Humm, Zoë Pastelle
Holthuizen, Fayrouz Gabriel u.a.
nung, die unter Teenagern herrscht. Klug in kleinste Einzel­
szenen fragmentiert, in fünf Kapitel aufgeteilt und von der
Selim ist in seine Klassenkameradin Sabrina verliebt; Sabri- Kamera Tobias Denglers («Der Kreis») kongenial begleitet,
nas beste Freundin Milena gibt sich cool und ist stolz auf ist «Amateur Teens» ein Jugenddrama von verstörender
ihre Erfolge bei älteren Typen; Lara ist neu in der Klasse von Intensität, wie man das so noch kaum in einem Schweizer
Selim, Sabrina und Milena an einer Zürcher Sekundarschu- Film erlebt hat. Sein bewusst zweideutig-schlüpfriger Titel
le. Sie kämpft gegen ihren Status als Aussenseiterin ohne zielt präzise und unerbittlich auf die zunehmende PornograZugang zur Clique der Mädchen, die so gnadenlos sind mit fisierung des Alltags, die bisweilen fatalen Folgen von Social
ihren Urteilen bezüglich Style, Gos und No-Gos. So sucht Media und ihre Auswirkungen auf das Beziehungsleben von
Lara die Nähe zum schüchternen Jan, der aber zögert, denn Jugendlichen, die gerade ihre Sexualität zu erkunden beginnen. «Ein fein beobachtetes Porträt heutiger Jugendlicher.
Die Nahaufnahmen vermitteln einem das Gefühl, selbst in
der Runde der Teenager zu sitzen (…). Die Leistungen der
jungen Darsteller und Darstellerinnen sind bemerkenswert,
die Montage ragt heraus. Niklaus Hilber (…) will Dilemmata,
Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten. Deshalb gibt es
in ‹Amateur Teens› auch keinen Helden, der es am Ende
schafft oder der scheitert, sondern viele Figuren, die viel zu
lernen haben.» Denise Bucher, NZZ am Sonntag
DO15.10.21h00
FR16.10.19h45
DI20.10.19h00
SA24.10.18h15
MO26.10. 18h45
Montagskino
Fr. 10.–
MI28.10.18h15
SA31.10.19h45
25
PREMIERENFILM
La vanité
FR23.10.19h30
SA24.10.20h00
CH/F 2015, 75 min, DCP, F/d
Regie: Lionel Baier
Darst.: Carmen Maura, Patrick Lapp, Ivan Georgiev,
Adrien Barazzone, Nian Théron, Pierre-Isaie Duc,
Monique Kramer, Stéphanie Blanchoud u.a.
MO26.10. 20h30
Montagskino
Fr. 10.–
MI28.10.14h15
FR30.10.17h30
weitere
Vorstellungen
im November
Der verwitwete Architekt David ist alt, krank und des Lebens
überdrüssig. Er will sterben und hat sich deshalb mit einer
Organisation zur Freitodbegleitung in Verbindung gesetzt,
damit ihm sein letzter Wunsch erfüllt werde. So liegt er in
einer Winternacht im Zimmer eines etwas heruntergekommenen, dem Abbruch geweihten Motels ausserhalb von Lau­
sanne und wartet auf seine Sterbebegleiterin. Als diese eintrifft, zeigt sich schnell, dass die ältere Frau, eine Spanierin
mit dem schönen Namen Esperanza (Hoffnung), nicht befugt
ist, allein Sterbehilfe zu leisten. Doch da gibt es im Nebenzimmer noch den jungen russischen Stricher Treplev, und so
versucht David mit allen möglichen Tricks, Treplev zu überzeugen, ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Nur zwei
Jahre nach seinem komödiantischen Roadmovie «Les grandes
ondes (à l’ouest)» kehrte der Lausanner Lionel Baier im
August mit seinem schwarzhumorigen Film auf Locarnos
Piazza Grande zurück und begeisterte das Publikum so sehr,
dass es dem Film den Publikumspreis verlieh. Mit Patrick
Lapp als David Miller ist ein alter Bekannter aus «Les grandes
ondes (à l’ouest)» mit von der Partie, derweil Carmen Maura,
Protagonistin in sieben Almodóvar-Filmen, wohl kaum besonders vorgestellt werden muss. Der junge Bulgare Ivan Georgiev als Treplev ist die schauspielerische Überraschung in
diesem charmanten Kammerspiel über die Liebe zum Leben.
«Eine Komödie über die Hilfe beim Sterben mag ja ein Ding
der Unmöglichkeit sein, doch Lionel Baier überspielt diesen
Widerspruch mit heiterer Gelassenheit und grösster Selbstverständlichkeit. Der Humor entsteht dabei aus den Zwangsläufigkeiten, in denen sich die Figuren befinden. Diese gehen
mit der Unausweichlichkeit des Todes so um, wie sie Woody
Allen einst in seiner umwerfenden Art beschrieben hat: ‹Ich
habe keine Angst vor dem Tod, ich möchte nur nicht dabei
sein, wenn er mich trifft.›» Richard Mowe, eyeforfilm.co.uk
Premiere am 23. Oktober in Anwesenheit des
Regisseurs Lionel Baier. Das Gespräch führt die
Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin
Sophie Rudolph, Universität St.Gallen.
26
PREMIERENFILM
Dior and I
wahnwitzig kurzen Frist von acht Wochen fertigstellen, da
der Termin für die Präsentation bereits feststeht – in der
F 2014, 90 min, DCP, O/d
Regel sind es mindestens vier Monate. «Dior and I» gewährt
Regie: Frédéric Tcheng
nie gesehene, private Einblicke in die vielschichtige Welt des
Mitw.: Raf Simons, Grace Coddington, Marion Cotillard,
Modehauses
Dior und einen einmaligen Blick hinter die
Isabelle Huppert, Marc Jacobs, Jennifer Lawrence,
Sharon Stone, Donatella Versace u.a.
Kulissen der verschiedenen Ateliers mit ihren teils langjährigen Mitarbeiterinnen – alles perfekt eingespielte Teams,
Nach der unrühmlichen Entlassung von John Galliano bei die mit Herzblut am Werk sind. Regisseur Frédéric Tcheng
Dior übernimmt der belgische Designer Raf Simons, der hat sich bereits mit den Modedokumentationen über Modezuvor als Kreativdirektor bei Jil Sander tätig war, Anfang schöpfer Valentino «Valentino: The Last Emperor» und die
April 2012 dessen Nachfolge. Für Simons eine ungeheure Stylistin Diana Vreeland «Vreeland: The Eye Has to Travel»
Herausforderung – einerseits soll er sich dem Stil des Tra- einen Namen gemacht. «Ähnlich wie Raf Simons in seiner
ditionshauses Dior verpflichten, anderseits wird erwartet, Mode für Dior verwebt Tcheng das Jetzt geschickt mit der
dass er das Modehaus mit eigenen Ideen modernisiert. Dazu Vergangenheit: So springt ‹Dior and I› zwischen biogramuss er seine erste Haute-Couture-Kollektion innerhalb der fischen Details, Originalaufnahmen von Christian Dior und
emotionsgeladenen Live-Szenen des Laufsteg-Countdowns
hin und her. (…) In anderthalb Filmstunden lernt man Simons
besser kennen: Wirkt er bei der ersten Begegnung mit den
Direktricen im Herzen der Marke, dem Couture-Atelier, noch
zurückhaltend, sieht man ihn wütend, als beim Fitting kein
Kleid pünktlich vorgeführt wird, und vor Showbeginn so aufgewühlt, dass ihm die Tränen kommen. Momente wie diese
– so intim, persönlich und ganz nah dran am kamerascheuen
Belgier – Regisseur Tcheng gelang es, sie in berührenden
Nahaufnahmen einzufangen.» Marie Hein, Vogue
SA03.10.17h00
DI06.10.17h15
SO11.10.13h00
MO12.10. 17h00
Montagskino
Fr. 10.–
SO18.10.19h45
SA24.10.16h15
SA31.10.14h00
27
PREMIERENFILM
Lamb
sich und Chuni eine Fahrkarte zu ersparen, indem er auf
dem Dorfmarkt selbstgemachte Gemüsebällchen verkauft.
ETH/F/D/NOR/KAT 2015, 94 min, DCP, O/d-f
Hilfe bekommt er von der jungen Tsion, die ebenfalls in der
Regie: Yared Zeleke
Familie lebt und lieber Zeitungen liest und ErnährungsfraDarst.: Rediat Amare, Kidist Siyum, Welela Assefa,
gen debattiert, als sich für ihren angehenden, von der FamiRahel Teshome, Surafel Teka, Indris Mohamed,
Bitania Abraham, Mihiratu Alemu u.a.
lie ausgewählten Bräutigam schön zu machen. Die Situation
spitzt sich zu, als ein Feiertag naht und Chuni im Kochtopf
Die Mutter des neunjährigen Ephraim wurde Opfer der herr- landen soll. «Lamb» ist der erste Film aus Äthiopien, der ­in
schenden Dürre. Mittellos geworden sucht sein Vater Arbeit der 68-jährigen Geschichte des Filmfestivals von Cannes 2015
in der Hauptstadt und bringt den Sohn zu Verwandten in für den offiziellen Wettbewerb in der Reihe Un Certain Regard
eine entlegene, aber fruchtbare Gegend. Nach dem Tod der ausgewählt wurde. «Regisseur Yared Zeleke (…) unter­liegt
Mutter ist Ephraims bester Freund und einziger Trost das der beeindruckenden Schönheit der äthiopischen LandschafLamm Chuni. Dem Onkel gefällt es nicht, dass Ephraim ten nicht; vielmehr nutzt er sie, um die Charakterstärke sei­lieber kocht, als auf dem Acker zu arbeiten – Kochen sei nes jungen Helden hervorzuheben. Nie geht dieser in den
Frauensache. Von Heimweh geplagt, versucht Ephraim, für atemberaubenden Weiten unter, die von der genialen
Kamerafrau Josée Deshaies gekonnt in Szene gesetzt werden. Was zunächst wie ein exotischer Feel-Good-Movie
daherkommt, wirft in Wirklichkeit grundsätzliche Fragen
auf, geht es doch um die Entschlossenheit eines noch im
Werden begriffenen jungen Menschen, der in keine Schublade passt. (…) Als unschuldige Verkörperung von Transgression und Umbruch geht der junge Koch – stets begleitet von seinem geliebten Schäfchen – erstaunlich mutig und
entschieden seinen Weg. Ein unbeirrbarer Kämpfer und
Versöhner. Virginie Apiou, arte.tv
MI14.10.18h00
SO18.10.16h30
DO22.10.17h15
SO25.10.14h30
DO29.10.17h15
SA31.10.18h00
Premiere am 14. Oktober in Anwesenheit des
Regisseurs Yared Zeleke. Das Gespräch führt der
Filmjournalist Andreas Furler.
28
PREMIERENFILM
The Wolfpack
brille und Anzug während fünf Jahren begleitete. Von der
übrigen Welt, ausser von Hollywood, abgeschnitten, hatten
USA 2015, 90 min, DCP, E/d
die Brüder während ihrer ganzen Kindheit das wahre Leben
Regie: Crystal Moselle
nur aus Filmen kennengelernt und diese unter Anleitung
Mitw.: Bhagavan Angulo, Govinda Angulo,
ihres Vaters mit einer Kamera auch nachgespielt. Als sie
Jagadisa Angulo, Krsna Angulo, Mukunda Angulo,
Narayana Angulo, Chlore Pecorino u.a.
sich in Begleitung der Filmemacherin langsam von ihren
schrulligen Eltern emanzipieren und befreien, beginnen sie,
Die sechs Angulo-Brüder, zwischen 1991 und 1998 geboren, das Filmen professioneller anzugehen. «Das Wolfsrudel»
lebten zusammen mit ihren Eltern, einem alternden Hippie- war der Hit des letzten Sundance Film Festivals. Der Film
Paar, und ihrer geistig behinderten älteren Schwester total ist gleichermassen eine erschreckende Familiengeschichisoliert von der Aussenwelt in einer Sozialwohnung in der te und eine äusserst witzige Hommage an die Welt der
Bronx, als die amerikanische Dokumentarfilmerin Crystal Illusions­maschine Film. «Kino nach Art der Angulo-Brüder
Moselle sie im Jahr 2010 kennenlernte. Es sei für sie gewe- liegt irgendwo zwischen einem Fan-Remake von ‹Raiders
sen, als ob sie ein verschollenes Volk entdeckt hätte, erzählt of the Lost Ark: The Adaptation› und den selbstgedrehten
Moselle, die daraufhin die langhaarigen Jungs mit Sonnen- Klassiker-Neuverfilmungen, wie sie der Videotheken-Angestellte in Michel Gondrys ‹Be Kind Rewind› kreiert. Den
Brüdern bei der Herstellung ihrer aufwändigen Hommagen
zuzusehen, ist ein unbändiges Vergnügen und eine reine
Freude.» Scott Foundas, Variety
DO08.10.19h30
SO11.10.11h00
DI13.10.19h00
MO19.10. 18h45
Montagskino
Fr. 10.–
DO22.10.21h15
FR30.10.21h30
29
PREMIERENFILM
How to Change the World
losfuhr, um vor Alaska einen Atombombentest der NixonRegierung zu verhindern. Aus Tausenden Stunden ArchivCDN/GB 2015, 110 min, DCP, E/d
material aus dem Amsterdamer Greenpeace-Archiv hat
Regie: Jerry Rothwell
Rothwell anlässlich von Bob Hunters zehntem Todestag eine
Mitw.: Bill Darnell, David Garrick, Bobbi Hunter,
faszinierende Dokumentation über die ersten Jahre einer
Emily Hunter, Robert Hunter, Will Jackson,
George Korotva, Myron MacDonald u.a.
Organisation geschaffen, die visionär schon früh die Macht
medial vermittelter Bilder spektakulärer Aktionen erkannDie heute weltumspannende Umweltschutzorganisation te. Eine «Mind Bomb», die das Bewusstsein der Menschen
Greenpeace hatte einst 1971 als Gruppe verwegener junger verändere, sollten diese Bilder sein, deshalb war von Anfang
Leute aus dem Umfeld der Hippie- und Anti-Vietnamkriegs- an bei jeder ihrer Aktionen die Kamera mit dabei. «Geschickt
bewegung im kanadischen Vancouver begonnen. Der Doku- montiert der Film zu den Archivaufnahmen Auszüge aus
mentarfilm des US-Amerikaners Jerry Rothwell erzählt in persönlichen Aufzeichnungen und die Berichterstattung in
seinen ersten Szenen, wie es damals war, als der 2005 ver- den Medien (…) und greift auf Hunters Tagebucheintrastorbene Journalist, Comic-Zeichner und Autor Bob Hunter gungen und Notizen zurück, die aus dem Off vorgelesen
mit einigen Freunden auf einem gecharterten Fischkutter und teilweise animiert werden, so dass Hunter oft als Erzähler des Gezeigten fungiert. Auch gruppeninterne Diskussionen werden nicht ausgespart, die sich zunehmend am
Widerspruch zwischen altruistischer Weltverbesserung und
der Finanzierung der Kampagnen entzündeten und schliesslich zum Bruch führten. Dabei gehen die damaligen Aktivisten offen mit ihren Zerwürfnissen um. Im Mittelpunkt
steht die Veränderung der Welt, die Leidenschaft und der
Idealismus. Hier zeigt dieser sehr gute Dokumentarfilm, dass
selbst mit kleinen Mitteln viel erreicht werden kann. Und
das ist gerade in der heutigen Zeit eine wichtige und motivierende Erinnerung.» Sonja Hartl, kino-zeit.de
FR16.10.17h30
SO18.10.12h30
DI20.10.17h00
SA31.10.15h45
30
PREMIERENFILM
Härte
Ende 2006 unter dem Titel «Härte: Mein Weg aus dem Teufelskreis der Gewalt» erscheint. Rosa von Praunhein hat im
D 2015, 89 min, DCP, D
ungefähr 70. Werk seiner reichen Filmografie den unglaubRegie: Rosa von Praunheim
lichen Werdegang eines Reuigen in einer Mischung aus SpielDarst.: Andreas Marquardt, Marion Erdmann,
und Dokumentarszenen zum Leben erweckt. In makellosem
Hanno Koffler, Luise Heyer, Katy Karrenbauer,
Rüdiger Götze, Ilse Amberger-Bendin u.a.
Schwarz-Weiss präsentieren sich die inszenierten Spielfilmsequenzen mit Hanno Koffler («Freier Fall»), der als junger
Der heute 59-jährige Andreas Marquardt wurde als kleines Andreas Marquardt brilliert, während die farbigen DokuKind von seinem Vater im Berlin der 1960er-Jahre auf bru- mentarfilmszenen einen abgeklärten und austherapierten
talste Weise misshandelt und gequält, während ihn seine Andreas Marquardt zusammen mit seiner Lebenspartnerin
Mutter über Jahre hinweg sexuell missbrauchte. Später wird Marion Erdmann zeigen, die eine beeindruckende Stärke
er im Berlin der 1970er- und 1980er-Jahre zum brutalen ausstrahlt. «Was ihn nicht umbrachte, machte ihn gemäss
Zuhälter und Schläger und landet 1994 für achteinhalb Jah- dem Nazispruch ‹härter›. Die Genialität des Films besteht
re im Gefängnis. Dort beginnt er sich mit Hilfe eines The- aber darin, den sexuellen Doppelsinn dieser Härte herausrapeuten zu läutern und schreibt seine Autobiografie, die zuschälen. Den psychologischen Zusammenhang zwischen
dem mütterlichen Missbrauch und seiner Laufbahn als
einem der brutalsten Zuhälter Berlins beleuchten von Praunheim und seine beiden Koautoren Nico Woche und Jürgen
Lemke mit gelungenen Spielszenen. (…) Ein Kunstfilmer
wollte von Praunheim eigentlich nie werden, doch seine stilisierte Darstellung einer Missbrauchskarriere kann sich mit
Fassbinder messen. Ähnlich wie Dominik Grafs ‹Hotte im
Paradies› fühlt ‹Härte› sich in das verletzte Innenleben eines
Zuhälters ein, ohne dessen frauenverachtenden Gestus zu
rechtfertigen. Ein kleiner, aber wuchtiger Film, dessen ‹Härte› im Gedächtnis bleibt.» Manfred Riepe, epd Film
DO08.10.21h15
MO12.10. 20h45
Montagskino
Fr. 10.–
SA17.10.21h30
FR23.10.21h30
31
WEITERHIN
WEITERHIN
anderen Frauen kommen aus Ägypten, Frankreich und Russ­
land. Im Gegensatz zur Deutschen, die einst Spitzensportlerin in der DDR war, stammen sie aus Zirkusfamilien und sind
von klein an mit den «Beasts» vertraut. Die Französin erzählt,
wie bei ihr als Baby im Kinderwagen kein Stofftier, sondern
ein Minilöwe lag. Und die junge Russin, die zusammen mit
ihrer Mutter Bären zähmt, sagt: «Die Bärin, mit der ich jetzt
arbeite, ist wie eine Schwester.» Und die Ägypterin wollte auf
ihrer Visitenkarten neben ihrem Namen schon immer den
Beruf «Löwenbändigerin» setzen – derweil die deutsche
Künstlerin die Tigersprache sprechen und verstehen kann und
zusammenbricht, als einer ihrer Lieblinge mit Nierensteinen
in die Klinik muss. «Schon als Mädchen fühlte ich mich
an­gezogen von einer Dompteurin aus ‹Salto Mortale›, einer
Fernsehserie der 60er-Jahre. Ich wollte nach ihrem Vorbild
Tigerdompteurin werden. Nun als 50-jährige Filmerin will ich
erforschen, wie die Realität dieser wagemutigen Frauen tatCH/F/D/KAT/RUS 2015, 96 min, DCP, O/d-f
sächlich aussieht. (…) Diese Magie der Zähmung ging durch
Regie: Anka Schmid
die Dreharbeiten und den Blick hinter die Kulissen keinesMitw.: Namayca Bauer, Carmen Zander, Aliya Takshantova,
wegs ver­loren. (…) Gerade durch das Wissen, wie hart die
Nadezhda Takshantova, Anosa Kouta u.a.
Schufterei (…) und wie ambivalent die Rolle der Frauen ist,
Das Raubtier und seine Herrin sind ein erhabenes Paar; das entstand für mich eine neue Magie: ihre absolute Hingabe
machen schon die ersten Szenen von Anka Schmids neuem und Bedingung­slosigkeit. Insofern haben mir die glitzernden
Dokumentarfilm klar. Man hält den Atem an, wenn Carmen Raubtierdompteurinnen mit ihrer Achtsamkeit und ihrem
Zander in der Manege mit einem halben Dutzend ausgewach- Respekt gezeigt, wie angewiesen wir Menschen auf ein Zusamsener Tiger spielt, als wären es putzige kleine Schmusekätz- menwirken mit Tier und Natur sind.» Anka Schmid
chen. Die deutsche Dompteurin ist eine von fünf Königinnen
der Manege, die die Zürcher Regisseurin – die in früheren
Filmen schwangere Teenager, Künstlerinnen und Hopi-Indianer porträtierte – bei ihrer gefährlichen Arbeit begleitet. D
­ ie
FR02.10.17h15
MO05.10. 18h45
Montagskino
Fr. 10.–
SO18.10.14h45
Wild Women – Gentle Beasts
33
WEITERHIN
bewegen will. Mit Harvey Keitel (76) und Michael Caine
(82) hat Paolo Sorrentino, dessen letzter Film «La grande
bellezza» ­mit einem Oscar und unzähligen weiteren Preisen
ausgezeichnet wurde, zwei Schauspiellegenden zusammengebracht, die hier vor grandioser Bergkulisse ein Werk über
die Vergänglichkeit tragen, das an Fellinis Geniestreiche «La
dolce vita» und «Otto e mezzo» erinnert – und das mit Jane
Fonda, Rachel Weisz und Paul Dano weitere Weltklasse­
schauspieler präsentiert. «Eine Farce, zumindest anfangs –
gerade so, als hätte Sorrentino die gloriose Celebrity-Leere
aus ‹La grande bellezza› weiterspinnen wollen. Dann aber,
eingebettet in ein Panoptikum kurioser Gästegestalten,
mischen sich Bitterkeit und Weisheit (…), irrwitzige Szenen
treffen auf vorsätzlichen Leerlauf, Leute fangen an, sich zu
lieben oder zu hassen. (…) Das Leben lahmt längst in der
Bonuszeit, und da ist es eigentlich egal, wenn man gerade
einem Kuhglockenkonzert beiwohnt (…) – es sei denn, Miss
I/F/CH/GB 2015, 118 min, DCP, E/d-f
Universe steigt gerade neben einem nackt in den Pool. Das
Regie: Paolo Sorrentino
Alter. Die Unsichtbarkeit für die Jüngeren. Ein feines VorbeiDarst.: Michael Caine, Harvey Keitel, Rachel Weisz,
gehen und Vorkommen dann doch in deren Welt. All das
Paul Dano, Jane Fonda, Mark Kozelek, Robert Seethaler,
Alex Macqueen, Luna Zimic Mijovic u.a.
spielt der Film in aller Schwerelosigkeit an, bevor er sich
davonmacht in ein magistrales musikalisches Finale. Und
Der alternde Filmregisseur Mick hält sich zusammen mit traumwandlerisch übergeht in eine Pressekonferenz, in der
seinem besten Freund, dem Dirigenten und Komponisten Michael Caine auch auf seltsamste Fragen umwerfende AntFred, in einem luxuriösen Kurhotel in den Schweizer Alpen worten hat. War es nicht komisch, den nackten Körper so
auf. Während Mick und sein Assistententeam mit der Dreh- im Film zu zeigen? ‹Nun, das ist der einzige, den ich habe.›
buchendfassung seines filmischen Testaments ringen, hat Und überhaupt, schon eine traurige Oldie-Rolle, oder? ‹Die
Fred keine Lust mehr zum Arbeiten und lässt selbst eine einzige Alternative für mich wäre, einen Toten zu spielen.›»
Abordnung der Queen abblitzen, die ihn zur Wiederauffüh- Jan Schulze-Ojala, Der Tagesspiegel
rung seines berühmtesten Werkes, der «Simple Songs»,
FR02.10.21h30
DO08.10.17h15
SO11.10.19h30
MI14.10.15h45
SA24.10.21h30
MI28.10.16h00
Youth
34
WEITERHIN
Valentin Thurn hat mit seinem letzten Film «Taste the Waste» ­
aufgezeigt, welche immensen Mengen an Lebensmitteln heutzutage ungenutzt auf den Müll wandern. Damit hat er eine
breite Öffentlichkeit angesprochen und eine intensive gesellschaftliche Debatte über Deutschland hinaus entfacht. Jetzt
geht er einen Schritt weiter und rückt in seinem neuen Dokumentarfilm «10 Milliarden – Wie werden wir alle satt» die
Landwirtschaft als Basis der Welternährung in den Mittelpunkt. Wie kann zukünftig genug Nahrung für zehn Milliarden Menschen erzeugt werden? Zwei Lager behaupten, die
Lösung zu kennen: einerseits die industrielle Landwirtschaft,
die global immer weiter expandiert und hocheffizient auf
Massenproduktion setzt. Demgegenüber stehen die biologische und die traditionelle Landwirtschaft, die zwar weniger
Masse produzieren, dafür aber schonend mit den begrenzten
Ressourcen umgehen. Von beiden Seiten will der Filmemacher wissen, wie sie die Welt künftig ernähren wollen. Der
Film zeigt die globalen Wechselwirkungen in der Landwirtschaft anhand von Protagonisten aus den zentralen ProdukD 2015, 107 min, DCP, O/d-f
tionsbereichen Saatgut, Düngung, Schädlingsbekämpfung,
Regie: Valentin Thurn
Mitw.: Liam Condon, Johan Botterman, Kusum Misra,
Futtermittelherstellung, Tierproduktion und Handel. Dabei
Andreas Gransee, Felix Prinz zu Löwenstein, Michael Sinn,
wird kritisch die derzeit gängige Praxis beider Seiten hinterJohn Percy Fernando u.a.
fragt, aber auch unvoreingenommen ihre Lösungsansätze
und Visionen für die Zukunft vorgestellt. Dabei geht es dem
Im Laufe dieses Jahrhunderts wird die Weltbevölkerung auf Regisseur nicht darum, ein düsteres Szenario für die Zukunft
zehn Milliarden anwachsen. Wo soll die Nahrung herkom- ­zu zeichnen, sondern Perspektiven und Lösungsansätze zu
men, die jeder Einzelne täglich zum Überleben benötigt, von ­bieten. Am Ende steht die wichtige Erkenntnis, dass wir alle
der ja bereits heute jeder Sechste zu wenig hat? Wie können mit unserem Essverhalten einen gewaltigen Einfluss darauf
wir verhindern, dass die Menschheit allein durch ihr Wachs- haben, in welche Richtung die globale Landwirtschaft sich
tum die Grundlage für ihre Ernährung zerstört? Regisseur in Zukunft entwickelt. Essen ist politisch.
SA03.10.15h00
MI07.10.16h15
SO11.10.15h15
SO18.10.10h30
SO25.10.10h30
10 Milliarden –
Wie werden wir alle satt
35
WEITERHIN
mann Pio Corradio treten in Dialog mit dessen Gemälden
– eine hochauflösende Spezialkamera gewährleistet die farbgetreue Wiedergabe der Originalbilder. Radikal war die Entscheidung, auf Kommentare oder Interviews zu verzichten
und den Maler selbst zu Wort kommen zu lassen in seinen
autobiografischen Texten, gelesen von Bruno Ganz. Dazu
liest Mona Petri Auszüge aus Asta Scheibs erfolgreicher
Roman-Biografie «Das Schönste, was ich sah». Die Musikaufnahmen mit Paul Giger, Marie-Louise Dähler und dem
Carmina Quartett entstanden in der Chiesa Bianca in Maloja, wo Segantini nach seinem Tod aufgebahrt wurde. 1858 in
Arco am nördlichen Ufer des Gardasees geboren, kämpfte
er sich aus den widrigsten Verhältnissen hoch. Als er 1899
nur 41-jährig in der Hütte auf dem Schafberg oberhalb von
Pontresina wahrscheinlich an einer Bauchfellentzündung
starb, war er ein international bekannter Künstler. «Wohl
noch nie ist Segantinis Tiefe derart ausgelotet worden. Durch
seine eigenen Worte erfährt das Publikum, dass zum Handwerk des Künstlers poetische Visionen und philosophische
CH 2015, 82 min, DCP, D
Betrachtungen gehören. Dass für ihn nur Kunst entsteht,
Regie: Christian Labhart
wenn die Passion des Lebens in ihr enthalten ist. (…) Wenn
Musikalische Leitung: Paul Giger, Marie-Louise Dähler
die Grossartigkeit der Bergwelt mit ihrem flirrenden Licht,
Christian Labhart hat seinen filmischen Essay über Giovan- ihren Horizonten, ihren Blumen und Wasserquellen, den
ni Segantini analog zu dessen Hauptwerk, dem Alpentrip­ Sonnenstrahlen, dem Schnee und Eis als Feier der Schöptychon, in die drei Teile Werden – Sein – Vergehen geglie- fung erscheint.» Guido Magnaguagno
dert. Seit Jahren schon beschäftigt sich der Regisseur mit
Segantini und ist an die Orte gereist, wo der Maler gelebt
hat. Entstanden ist ein einzigartiges Gesamtkunstwerk, bei
dem die am Film beteiligten Künstler ihren eigenen Zugang
zu Segantini entwickelten. Die Aufnahmen von Kamera-
SA03.10.13h15
MO05.10. 17h15
Montagskino Fr.
10.–
SA10.10.13h45
MI14.10.14h00
SA17.10.14h15
Giovanni Segantini –
Magie des Lichts
36
ZUM UNESCO-WELTTAG DES AUDIOVISUELLEN KULTURGUTS
Blitz und
Donner –
Elektrizität
im Film
ca. 60 min, digital HD
Strömende Kraft
DI27.10.19h15
CH 1952, ca. 13 min
Regie: Adolf Forter
Ein Gewitter auf dem Gotthard
löst einen Kurzschluss an der internationalen Starkstromleitung aus.
Kurzschluss. Ein Dokumentarfilm,
welcher den langen Weg der
elektrischen Energie vom Kraftwerk
bis zum Konsumenten zeigt
CH 1950, ca. 13 min
Regie: Valérien Schmidely
Der diesjährige UNESCO-Welttag des audiovisuellen Kulturguts steht unter dem Motto «Archives at Risk: Protecting
the World Identities». Damit soll weltweit auf die Bedeutung und Gefährdung von Bild- und Tondokumenten aufmerksam gemacht werden. Das Staatsarchiv St.Gallen zeigt
zu diesem Anlass erneut Dokumente aus seinem Fundus,
diesmal Beispiele aus dem Firmenarchiv der St.GallischAppenzellischen Kraftwerke SAK, die im Dezember 2014
ihr 100-jähriges Bestehen feierten. Vorgestellt wird auch
das älteste, neu restaurierte Filmdokument im Staatsarchiv. Dieses hielt die Sprengung des Kamins im Kubel am­
12. Dezember 1931 fest.
Gib acht! Aus dem Notizbuch
eines Schadeninspektors
CH ca. 1970, ca. 14 min
Regie: Hans Probst
Im Auftrag des Verbandes
Schweizerischer Elektrizitätswerke
Kaminsprengung im
Kubel, St.Gallen
CH 1931, ca. 3 min
Regie: Hausammann & Co. AG, St.Gallen
Mit einer Einführung und Kommentaren
der Historikerin Dr. Regula Zürcher,
Staatsarchiv St.Gallen.
37
INFORMATIONEN
Für das Zustandekommen des Programms danken wir:
Lionel Baier, Lausanne; David Basler, Zürich; Joachim Bitter, St.Gallen;
Cinémathèque Suisse, Lausanne; Elite Film, Zürich; Filmcoopi, Zürich;
Frenetic Films, Zürich; Andreas Furler, Zürich; JMH Distributions,
Neuchâtel; Kinemathek Basel; Look Now, Zürich; National Film Archive, Prag; Marietta Ochsner, St.Gallen; Praesens Film, Zürich; Jaroslav
Rudiš, Berlin; Sophie Rudolph, St.Gallen; Trigon Film, Ennetbaden;
Patricia Vidovic, Zürich; Xenix Filmdistribution, Zürich; Yared Zeleke,
Addis Abeba; Regula Zürcher, St.Gallen.
Kinok, Cinema in der Lokremise
Grünbergstrasse 7
9000 St.Gallen
Tel. + Fax Büro: 071 245 80 89
Reservationen: 071 245 80 72
E-Mail: [email protected]
www.kinok.ch
Kasse
Die Kasse öffnet 45 Minuten
vor der ersten Vorstellung.
Reservationen
Reservierte Tickets 20 Minuten
vor Vorstellungsbeginn abholen.
Induktive Höranlage
Das Kinok ist mit einer induktiven
Höranlage ausgestattet.
Impressum
Redaktion: Sandra Meier, Marina Schütz
Gestaltung: Michael Schoch, mschoch.ch
Druck: Typotron St.Gallen
Erscheinungsdatum: 22.September 2015
Auflage: 5000 Exemplare
Geht an alle Mitglieder des Kinok.
Mitgliederbeitrag von CHF 60.–
auf PC 90-20538-7.
Mit freundlicher Unterstützung von
Stadt und Kanton St.Gallen
Bar
Die Bar öffnet 45 Minuten vor
der ersten Vorstellung und ist
durchgehend bis über das Ende
der letzten Vorstellung hinaus
bedient.
Freier Eintritt in die Ausstellung
Mit dem Kinoticket haben Sie
freien Eintritt in die Kunstzone
der Lokremise. Nur am selben
Tag gültig.
Mitgliedschaften:
Einzel
Für einen Mitgliederbeitrag von
60 Franken profitieren Sie vom
ermässigten Eintrittspreis von 10
statt 15 Franken.
Kollektiv
Für einen Mitgliederbeitrag von
60 Franken plus 40 Franken für
jedes weitere Mitglied im gleichen
Haushalt profitieren Sie vom
ermässigten Eintrittspreis von
10 statt 15 Franken.
Star
Für einen Mitgliederbeitrag von
110 Franken erhalten Sie und
eine Begleitperson den ermässig­
ten Eintrittspreis von 10 statt
15 Franken.
Superstar
Für Filmsüchtige: Für einen Mitgliederbeitrag von 300 Franken
haben Sie freien Eintritt in alle
Kinok-Veranstaltungen.
Kinok – Cinema in der Lokremise, St.Gallen
www.kinok.ch