La.Uni - Schwerelos

DENKBAR
Schwerelos
Nichts. Stille. Nur das sanfte Rauschen
seines Atmens durch die Schläuche
ist zu hören. Licht fällt von oben ins
Wasser und zerbricht in 1000 Strahlen. Luftblasen steigen auf. Plötzlich
schießt sie pfeilschnell wie ein Torpedo auf ihn zu, seine Augen weiten
sich, er stoppt abrupt,.. doch Chica,
die Seelöwendame des Karlsruher
Zoos, dreht kurz vor Franks Gesicht
ab.
Frank kann sich ein Lachen nicht verkneifen und etwas Wasser dringt in
seinen Mund ein, so dass er kurz die
Munddusche am Atemregler drückt.
Wahnsinn, so nah war er einem Seelöwen noch nie. Das außergewöhnliche
Event „Tauchen mit Seelöwen findet
jeden Sonntag um 9:30 Uhr im Karlsruher Zoo statt. Tauchen auf nur drei
Meter Tiefe in einem Zoobecken für
150€? Anfangs war Frank skeptisch.
Immerhin stehen 156 Tauchgänge
in seinem penibel geführten Logbuch mit bunten Stempeln, Tauchtiefen bis zu 62 m. Die Leidenschaft
zum Tauchen, die Lust auf ein kleines
Abenteuer und der Gedanke, dass die
Hälfte des Eventpreises an den Zoo
gespendet wird, überzeugten ihn
letztendlich.
Das 5°
C kalte Wasser schreckt Frank
nicht ab. Endlich wieder schwerelos.
Frank liebt dieses Gefühl, das sich
durch alle Fasern seines Körpers zieht.
Loslassen, sich treiben lassen. Keinen
einzigen Gedanken an seine Arbeit in
der Bank verschwenden. Das Strahlen
seiner Augen ist selbst durch die Tauchermaske unverkennbar. Frei sein.
Und das trotz 7,5 mm Neoprenanzug,
Pressluftflasche auf dem Rücken und
14 kg Blei um die Hüfte. Noch verlockender ist dieses Gefühl, wenn ein
bisschen Nervenkitzel dazu kommt,
besonders beim Wracktauchen im
Urlaub. „Das Wrack der Rosalie Moller
in Ägypten ist wahnsinnig beeindruckend , erklärt mir Frank später beim
Frühstück. Sich durch die engen Korridore zwängen, aufpassen, dass man
nicht irgendwo gegenstößt. Das Herzklopfen, wenn man nicht weiß, was
im nächsten Raum auf einen wartet.
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DENKBAR
Blau, immer blauer - tiefblau wird das
Wasser. Der Lockruf der Tiefe. Ungefährlich ist das Ganze nicht. Frank
tauchte einmal mit einem Partner,
der bei 39m dem Tiefenrausch verfiel.
So wird der dem Alkohol nachempfundene Rauschzustand genannt, der
kommt, wenn der Stickstoffgehalt im
Blut zu hoch ist. Stickstoff lagert sich
im Gehirn an, löst dann ein übertriebenes Euphorieempfinden aus und
wirkt narkotisch. Vor der Gefahr eines
Tiefenrausches, der ab 30m Tauchtiefe
wahrscheinlich ist, kann sich
kein Taucher schützen. Wichtig ist,
die Anzeichen zu erkennen und dann
langsam aufzutauchen, damit der
Sauerstoffgehalt im Blut wieder ansteigt. Franks Tauchpartner ignorierte
die Anzeichen, wurde immer
waghalsiger, reagierte nicht auf Franks
Unterwasserzeichen und sank immer
tiefer. Frank musste ihn mit Gewalt
hochziehen. Sein Tauchpartner setzte sich zur Wehr und beim Gerangel
verlor Frank seine Tauchermaske. Er
bewahrte die Ruhe, nur deshalb ist
nichts Schlimmeres passiert.
Im Seelöwenbecken lauert kaum Gefahr. Der Seelöwen-Bulle Xiho ist eingesperrt. Als Anführer duldet er keine
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Fremden im Rudel seiner Weibchen
und die neugierigen Knabberversuche von Seelöwendame Trixie in
die gelben Flossen einiger Taucher
sind harmlos. 1:04 Std. zeigt Franks
Tauchcomputer an. Der Luftvorrat
der Pressluftflasche ist kaum aufgebraucht, allerdings wird es langsam
kalt. Als Frank auftaucht, wirkt er entspannt. Nur ein leises Schlottern kann
er sich nicht verkneifen.
Isabelle Weber
[email protected]