Ein Lebenslauf: Klaus Vollmers Von: Kristin Vollmer, Dr. Georg Gremels und Dr. Klaus Schulz Über seine Kindheit bis zum fünften Lebensjahr ist wenig bekannt. Erst nach seinem 70. Geburtstag erfuhr Klaus Vollmer von seiner Ursprungsfamilie. Sein leiblicher Vater ist unbekannt, seine leibliche Mutter ist Mathilde Lina Wefels, geboren 20.12.1907 im Friemersheim/Duisburg und 1987gestorben. Er war das dritte der insgesamt sieben Kinder, von denen die Mutter drei in Pflege gab. Er wurde am 30. Dezember 1930 in einem Krankenhaus in Berlin geboren. Auf seine Geburt in der Hauptstadt war er ein Leben lang stolz. Zunächst – so seine Erzählung – blieb er 1 bei den Großeltern seiner Mutter und kam dann in ein Kinderheim in Duisburg/Rheinhausen. Am 11.08.1936 wurde er von Peter Vollmer (geboren 25.04.1887 in Langendreer, gestorben am 12.11.1938), Bürobeamter bei Krupp/Essen und seiner Frau Friederike Hermine Luise Vollmer, geb. Pieper (geboren am 21. 12. 1891, Besenkamp bei Enger/Westfalen, gestorben am 3.5.1983) im Alter von ca. fünfeinhalb Jahren adoptiert. 2 (Eltern Vollmer) Klaus erzählte dazu folgende Geschichte: Ihm sei im Kinderheim gesagt worden: „Irgendwann kommen deine Eltern und holen dich ab.“ Er hätte die Eltern Vollmer beim Hereinkommen gesehen. Sie hätten eigentlich ein Mädchen adoptieren wollen. Doch er sei mit einem unwiderstehlichen Lachen auf sie zugestürmt, habe sie fest an der Hand gefasst und 3 beschlossen, dass sie ab jetzt seine Eltern sein sollten. Durch seinen Charme berührt, hätten die beiden nur ja dazu sagen können. (Kinderbild) Er wuchs in Essen auf der Magarethenhöhe (eine von Margarethe Krupp gestiftete, zweckmäßig und menschenfreundlich gebaute Arbeiter- und Angestelltensiedlung) auf. Doch 4 blieb er dort nur kurze Zeit, denn 1938 starb sein Vater plötzlich und unerwartet. Danach zog seine Mutter mit ihm in ihre Heimat nach Enger. Er besuchte die Grundschule und dann die Oberschule für Jungen von September 1941 bis Ende März 1945. (Lehre 1947) Nach dem Krieg begann er am 16.10.1945 seine Lehre bei dem Schlossermeister Karl Pott in Enger und schloss sie am 15.09.1949 ab. Danach arbeitete er zunächst in der Maschinenfabrik Gustav Josting in Enger. 5 Wegen mangelnder Aufträge wurde ihm zum 16.6.1951 gekündigt. (Berufsschule 1950) Am 19.6.1951 begann er – sein ganzer Stolz, weil diese Firma so bekannt war – bei den Ankerwerken in Bielefeld als Schlosser in der Versuchswerkstatt und arbeitete dort bis 1952. Mit 18 Jahren kam er zum Glauben durch Johannes Busch, wie er selbst in einer Predigt schildert (in: „Er führte mich aus ins Weite – ein Lesebuch zu Klaus Vollmer“, Seite 20): 6 „Ich war damals achtzehn Jahre alt und erlebte einen Abend wie heute. Ich hörte den Jugendpfarrer Johannes Busch eine geschlagene Stunde über das Kreuz von Golgatha reden. Von Beruf war ich Maschinenschlosser, konnte mit Arbeit umgehen und stand – damals noch als Ungetaufter – mit beiden Beinen in der Welt. So sagte ich zu mir: „Das ist doch Wahnsinn, was dieser Pfarrer uns zumutet. Was soll das denn mit dem Kreuz? Die Sache ist zweitausend Jahre alt, ich aber lebe heute und bin ein vernünftiger Maschinenschlosser mit großen Zukunftsplänen!“ Ich bin nach der Ansprache zu Busch gegangen und habe ihn gefragt: „Pastor Busch, gestatten Sie mir eine Frage. Sie sprachen vom Kreuz. Ich verstehe das nicht.“ Da sah er mich an und 7 sagte: „Das ist auch nicht zu verstehen. Gehen Sie nach Haus und bitten sie ihn, dass er ihnen zeigt, was passiert ist.“ Danach dreht sich dieser Mann um und geht einfach weg. Das fand ich eine Unverschämtheit. Eine anständige Frage verdient auch eine anständige Antwort. Doch dieser Jugendpfarrer lässt alles offen und schickt mich ins Gebet. Ich weiß nicht, was mich damals getrieben hat zu beten. Ich fuhr in der Nacht mit dem Fahrrad nach Hause, ich weiß noch genau, es waren sieben Kilometer durch den Regen. Ständig kreisten meine Gedanken um das Geheimnis von Golgatha. In jener Nacht habe ich den Herrn um Antwort gebeten und das Wunder geschah, dass er mir offenbarte, was auf Golgatha passiert ist. Darum musste ich Prediger werden, weil mich das Geheimnis von Golgatha überwunden hat.“ 8 (Johanneum) Am 22. September 1952 begann er daher seine Ausbildung an der Evangelistenschule Johanneum und schloss sie am 24. Juli 1955 ab. Dort konnte der damalige Leiter und Neutestamentler Dr. Olav Hanssen in dem wissbegierigen jungen Mann die Leidenschaft für theologisches Arbeiten wecken. Neben der Liebe zum Neuen Testament und besonders dem Römerbrief rief Hanssen in ihm auch die Begeisterung für die geistige 9 Auseinandersetzung wach. Weitere Väter im Denken wurden für ihn so Karl Heim und Teilhard de Chardin. Hanssen war es auch, der Klaus Vollmer 1968 zu einem Umzug nach Hermannsburg bewog. Volksmission wurden Weltmission so über und das Missionsseminar verbunden. (Abschied vom Johanneum) Am 01.09.1955 wurde er als Sozialsekretär in der Akademie Loccum eingestellt. Wie oft hat er 10 betont, dass ihm dort der Zusammenhang von Evangelisation als Anleitung zur Herzensfrömmigkeit und die Lehre als geistige Durchdringung von Glaube und Kultur aufgegangen sind. In dieser Zeit wohnte Klaus Vollmer in Loccum. (Loccum) Schon in Loccum begann er sein evangelistisches Wirken. Der Hannoversche Bischof Hanns Lilje wurde auf ihn aufmerksam gemacht und holte ihn 1958 als Evangelisten in die damals so genannte „Kammer für Volksmission“. Unter Klaus Vollmers Wirken 11 kam es In Hannover zu einem Aufbruch unter den „Lindener Boys“. Das führte später bis zur Gründung des Jugendzentrums in HannoverLinden. Bis zur Pensionierung 1995 blieb er als Volksmissionar im Reisedienst tätig, auch wenn das Amt seinen Namen mehrmals wechselte. Eine wohl einzigartige Karriere in der Hannoverschen Kirche! In dieser „Kammer“ begegnete er mit Pastor Eduard Weiß, Superintendent Ernst Achilles und Pastor Jochen Schmutzler Männern, an deren Originalität und Kompetenz er sich abarbeiten musste und die von ihm immer mit Hochachtung zitiert wurden. 12 (Kristin Vollmer) Während dieser Zeit lernte er seine spätere Frau Kristin Tetzner kennen. 1956 bei Stillen Tagen in der Karwoche in Loccum begegneten sie sich zum ersten Mal. Geschickt näherte er sich über die Mutter der Tochter und erkundigte sich nach deren Beruf. Als Kristin sagte, dass sie Gemeindehelferin werden und von 1956-1958 im Burkhardthaus/Gelnhausen ihre Ausbildung machen wolle, brach er in schallendes Gelächter 13 aus. Daraufhin reagierte sie recht pikiert. Er erklärte ihr, dass er bei seinen Evangelisationen fast immer Ärger mit Gemeindehelferinnen bekäme. Denn die jungen Leute seien ihm begeistert gefolgt und hätten dann kein Auge mehr für ihre Gemeindehelferinnen gehabt. Es entspann sich ein Briefwechsel, ein Treffen während des Kirchentags in Frankfurt 1957 und gelegentlich trafen sie sich bei dem Pastorenehepaar Gerd und Gisela Sondermann in Berenbostel. 1958 kam Kristin für ihr Anerkennungsjahr nach Hildesheim/St. Andreas. Sie machte Vorkonfirmandenarbeit, begleitete Frauenkreise Jungmädchenkreis, denn und damals den war die kirchliche Arbeit noch nicht koedukativ. 14 Klaus wollte nicht, dass Kristin ihn beim Predigen kennenlernte, denn er fürchtete, dass seine Rolle als Prediger das Verhältnis zu ihr bestimmen könnte. Sie sollte ihn nur privat kennenlernen. 1958 hörte sie doch eine Predigt von ihm bei Pastor Wolfgang Bartholomae in Hannover Linden und sah ihn auf der Kanzel. Da wusste sie, dass sie sich diesen Mann nicht in der Rolle eines Ehemanns und Familienvater vorstellen konnte. Voller Zweifel und Stoßgebete verließ sie vorzeitig die Kirche und ging zum Bahnhof. Zehn Minuten vor Abfahrt des Zuges kam er mit dem Ehepaar Sondermann und holte sie wieder aus dem Zug heraus, jetzt gewiss, sie zu heiraten: „Jetzt weiß ich, dass du mich loslassen 15 und freigeben kannst. Dann können wir auch heiraten.“ Am 30.12.1959 schlossen die beiden die Ehe bei Pastor Bammel, Wolfsburg. Kristins Klaus hatte Konfirmator sich in einen ungewöhnlichen Hochzeitsspruch ausgesucht (Jer. 33,9): „Und das soll mir ein fröhlicher Name, Ruhm und Preis sein unter allen Heiden auf Erden, wenn sie hören werden all das Gute, das ich ihnen tue. Und sie werden staunen und sich entsetzen über all dem Guten und über all den Frieden, den ich ihnen geben will.“ Da Pastor Bammel und so manchem anderen nicht viel zu diesem Wort einfiel, fragte er Klaus danach, der ihm und Kristin sogleich eine lange Predigt dazu hielt. Daraufhin nahm Pastor 16 Bammel als Grundlage für seine Predigt die Nathanaelgeschichte aus Johannes 1. (Hochzeit) Von 1960 bis 1962 wohnte das Ehepaar in Bad Nenndorf. Während dieser Zeit und später kamen am 12.12.1960 Maria, am 29.5.1962 Karsten und am 16.7.1965 Christiane zur Welt. 17 (Kinder) 1962 zogen sie nach Münstedt. Hinter diesem Umzug stand die Idee, dass sich die Mitarbeitenden im volksmissionarischen Amt auch räumlich zusammentun wollten. Dort war ein leerstehendes Pfarrhaus, in dem unten der Zeltmeister Otto Kaiser mit seiner Frau Marichen mit sechs und oben Vollmers drei, zusammen also mit neun Kinder, wohnten. Klaus Eickhoff, ebenfalls in der Volksmission tätig, zog in die benachbarte Schule ein und der Leiter der Volksmission, Jochen Schmutzler, wohnte im Nachbarort. Am 21.06.1962 wurde Klaus Vollmer nach einer halbjährigen Zusatzausbildung während einer Zeltevangelisation durch Bischof Hanns Lilje als 18 Pfarrvikar eingeführt. Er hielt eine eindrückliche Rede, die hier wiedergegeben sei: „In Jesu Namen! Ehe wir die feierliche Einführung unseres lieben Bruders als Pfarrvikar vornehmen, möchte ich ein kurzes Wort sagen: Die Losung des heutigen Tages lautet: „Gebet, so wird euch gegeben – ein voll gedrückt, gerüttelt und überflüssiges Maß wird man in euren Schoß geben, denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messet, wird man euch wieder messen.“ Lk. 6,38 Mit der Autorität der Kirche und des Hohen Herrn wird Klaus Vollmer heute als Pfarrvikar eingeführt. Ein Leben lang geben? Wie kann man das? Karl Barth: Vom sauren Gang auf die Kanzel. Geben und geben und geben, wie kann man das? Ehe das als eine Aufforderung an uns 19 herankommt, wird durch die Majestät und Kraft und Größe unseres himmlischen Herrn gesagt: Man wird euch ein voll gerüttelt und geschüttelt überflüssiges Maß in euren Schoß geben. Im Urtext: ein schon vollgetanes, immer wieder nachgeschüttetes Maß, kein vermindertes Maß. Gottes Brünnlein hat Wassers die Fülle. Und wenn einer sich zum Prediger berufen lässt, braucht er sein Leben lang keine Sorge zu haben, dass ihm eines Tages nichts mehr einfällt. Propagandaredner müssen immer wieder neue Parolen erfinden. Er braucht ein Leben lang keine Sorge zu haben, dass er eines Tages nichts mehr weiß. Ein voll gedrückt, gerütteltes Maß hält er bereit, für jeden, der glaubt. Es gibt solche, die kleinkariert, kärglich, sparsam glauben, das geht aus, die haben so ein bisschen 20 Glauben. Wer so einen kümmerlich, niedlichen Glauben hat, wir niemals dahinterkommen, ob wir einen reichen Herrn haben oder nicht. Das ist das Selbstverständlichste von der Welt, wer nicht investiert, kann nichts verdienen. Wer sein Leben nicht diesem Herrn hingeben kann, wird nie dahinter kommen, was für ein reicher Herr das ist. Neue Perspektiven tun sich auf, wenn man es wagt, ganz hinter Christus zu treten. Ausblicke tun, die ihm vorher nicht gegeben waren. Persönlich. Ich habe, als ich mich für den Dienst unseres Herrn entschloss, mich von ihm rufen ließ, gar nicht geahnt, was für ein reiches Leben das sein kann in der Nähe Jesu Christi. Junge Menschen, lasst euch das niemals einreden, dass ihr zu kurz kommt, wenn ihr Ihm mit ganzem Herzen angehört. Das Gegenteil ist 21 der Fall. Das meine ich wörtlich. Ohne Christus ist das Leben vier Nummern langweiliger, fünf Nummern enger, sechs Nummern... Er muss sich hingeben, er muss sich einsetzen, sein ganzes Herz vorbehaltlos seinem Herrn hingeben. Das ist unser Wunsch für Bruder Vollmer, dass er beides erlebt. Immer wieder über unsere Müdigkeit und Verzagtheit und Kaltherzigkeit und Angst hinausgehoben werden können und geben können ohne Vorbehalt und Sorge, was daraus wird, und er dann erfahren möchte, ein Leben lang, was es heißt, diesem reichen Herrn dienen. Er muss die Predigt seines Wortes lenken. Gott der Herr nimmt sich sichtbar seiner Gemeinde an, dieser Kirche, der man so oft das Ende prophezeit. Er sagt: Nein, es soll weitergehen.“ 22 In die folgenden Jahre fällt eine reiche Evangelisationstätigkeit, in der er mit dem Evangelisationszelt der Hannoverschen Landeskirche und dem Zeltmeister Otto Kaiser viel unterwegs ist. 1972 wird er durch Landessuperintendenten Henze unter Assistenz von Oberlandeskirchenrat Johannes Hasselhorn und anderen in der Stabskirche in Hahnenklee zum Pastor ordiniert. Im März 1968 begannen Verhandlungen zu einem Umzug der Familie, die damals mit 77 Jahren Mutter Vollmer ins Haus nach Hermannsburg in den Grünhagenweg 4 nahmen. 23 (Mutter Vollmer) Nach einigen Verhandlungen wurde es möglich, dass die sechs Köpfe in ein dort gerade fertiggestelltes Haus einziehen konnten. Der Fabrikant und Freund Ernst Goldau hat damals in Klaus Vollmers weiträumigem Arbeitszimmer unter dem Dach das große Teakholzregal gestiftet, das voller theologischer Literatur stand. Dort oben lag der legendäre rote Teppich, auf dem die Köpfe rauchten teils von Pfeifen, teils 24 von theologischen Gedanken – und manches gute Glas „Amselfelder“ geleert wurde. (Grünhagenweg 4) Um „in dieser Kirche auf Zeit etwas zu erreichen“, lernte Klaus Vollmer auf drei Ebenen zu arbeiten: Erstens arbeitete er auf der Ebene der Gemeinde in Evangelisationen, damals oft noch im Zelt, und in Bibel- und Vortragswochen. ehrenamtliche Zweitens Mitarbeiter, schulte die er „verstehen sollten, was sie glauben“ und dies auch anderen 25 plausibel machen sollten. Daraus entwickelten sich seit 1968 bis 2002 die geradezu legendären „Studientagungen“ im Sommer, die ganze Generationen von evangelischen jungen Glauben, Menschen im theologischen Nachdenken und in der Übernahme von Verantwortung in Gemeinden und Hauskreisen prägten. Und schließlich sammelte er Hauptamtliche, von denen er viele durch seine Zusammenarbeit mit der Studentenmission in Deutschland (SMD) gewann. (Gemeindedienst) 26 Während der Unruhen der 68er an den Universitäten begann – zeitgleich zum Umzug nach Hermannsburg – ein durch ihn initiierter Aufbruch in der Studentenmission. „Provocatio“ nannten sich die von seinen Impulsen Bewegten – „Herausforderung zur verbindlichen Mitarbeit“. In der Blütezeit um 1971 waren es bis zu fünfhundert „Provos“ an verschiedensten Universitäten, die sich von ihm und der Hermannsburger Theologie inspirieren ließen. Das wurde für die Studentenmission zunehmend zu einem Problem, da Klaus Vollmer institutionell nicht zu dieser Organisation gehörte und gehören wollte. 27 (Studenten) Ab 1969 wurde die Mitarbeiterschule der Gruppe 153 Hermannsburg – ans Missionsseminar angegliedert – von in vielen Studenten entdeckt und gefüllt, die mit Klaus Vollmer näher verbunden waren. Sie wurde das Sammelbecken für alle, die sich von ihm und dem Hermannsburger Geist um Olav Hanssen, Wolfgang Bartholomae, Reinhard Deichgräber und anderen zum Dienst in der Mission, im Pfarramt und zum bewussten Christsein im säkularen Beruf inspirieren ließen. Ihre Leiter: 28 Dr. Reinhard Deichgräber, Dr. Uwe Stegelmann und Dr. Klaus Schulz und als weitere Lehrer Dozenten am Missionsseminar und Mitarbeitende in der Hermannsburger Mission, seit 1977 dem Ev.-luth. Missionswerk in Niedersachsen (ELM). 1972 wurde auf einer dramatischen Sitzung der Gruppe 153 in Frankfurt der alte „Klein-SüntelKreis“ (vgl. Seite ...), eine Sammlung von Freunden und Weggefährten Olav Hanssens, aufgelöst, um einer neuen Dynamik Platz zu schaffen. Klaus Vollmer übernahm nun nach Absprache die Gruppe 153 als Beauftragter, da er sich eine Verantwortung als erster Vorsitzender nicht vorstellen konnte. Das widersprach zu sehr seiner charismatischen Berufung. Seine erlösende Idee auf einem Flug 29 nach Kanada: Er wolle künftig Impulsgeber der Gruppe 153 sein. So hoffte er für sich die Last der Institution zu vermeiden. Dabei war seine Idee, einen sich aus der Provocatio bildenden Bruderkreis in die Gruppe 153 zu integrieren und für verschiedene Ressorts einzusetzen. So sollte ein institutioneller Rahmen für ein weiteres Zusammenbleiben gefunden werden. Ab 1972 im September trafen sich neun Studierende aus dem innersten Kreis der Provocatio in bruderschaftlich Hermannsburg, zu finden. Am um sich Seminar studierten Dietrich Bodenstein und Georg Gremels. Ins Theologenjahr kamen Burghard Merhof, Helmut Kühl, Karsten Keding, Gerhard Hildebrandt und Erich Hertel. In die Mitarbeiterschule gingen Klaus Schulz und 30 Ulrich Müller. Dieser Kreis rekrutierte sich aus zwei studentischen Kommunen in Heidelberg und in Marburg. Zehn Brüder waren wir mit Klaus Vollmer zusammen und passten gerade in zwei Autos. Wir erlebten diese Zeit gleichsam wie die Jünger damals. In vielen verschwiegenen Treffen wuchsen wir zusammen, da seine Sorge war, dass eine vorschnelle Ausweitung ein Reifen dieses ersten, innersten Kerns stören könnte. Aufregende, ja rauschhafte Zeiten der Inspiration, der Bereitschaft zur bedingungslosen Nachfolge und dem Verzicht auf die Ehe waren das! 31 (Römö Ostern 1973) Treffen im Kühlschen Ferienhaus auf Römö, eine Griechenlandreise nach Kap Sunion, Treffen in Bergkirchen, auf Finnland- und Schwedenfreizeiten, eine besonders aber Israelreise auf den Spuren Jesu bildeten Höhepunkte unseres bruderschaftlichen Werdens. 1973/74 wurde die Sunderstraße 18 angemietet und gab denen, die nicht im Missionsseminar studierten, eine Möglichkeit des Zusammenlebens. 32 Inzwischen war Frauenmitarbeiterschule, 1972 später auch unter eine der Leitung von Hannelore Mann, entstanden. Zunehmend stellten sich zwei Fragen: Könnten wir ein Kreis von ausschließlich ehelosen Brüdern werden? Die ersten verheirateten Paare stießen mit Reinhard Keding und Frauke, geborene Gremels, Hans Mehnert und Renate, geborene Bartschies sowie Klaus Dietrich Wachlin und Elke, geborene Ellenberger dazu. Wie können Ehefrauen und andere Frauen in die Bruderschaft der „Kleinen Brüder vom Kreuz“ integriert werden? Seit den siebziger Jahren bei der Kapitellese – einer legendären Dienstagabendveranstaltung im Grünhagenweg – nahmen erstmals Frauen teil. Dort legte Klaus Vollmer das jeweilige Kapitel Bibel aus, zu dem wir uns täglich verabredeten. Diese Sitte 33 verband die Provocatio und wurde bald über Gruppe 153 verbindlich verbreitet. (Schweden 1976) Da auch die Frauen und die Verheirateten in die Bruderschaft integriert werden wollten, wurde früher oder später ein Zentrum notwendig, in dem Verheiratete und Ehelose zusammen mit der Familie Vollmer geschwisterschaftliches wohnen Leben und gestalten konnten. Die Gründung der Bruderschaft 34 vollzog sich dann dramatisch. Am besten lässt sich das mit Klaus Vollmers eigenen Worten wiedergeben („Er führte mich aus ins Weite“, Seite 194): „Und dann ging die Eierei los. Ich sagte: ‚Ich bin kein Leiter. Wollen wir nicht in die Koinonia?’ (vgl. dazu Seite ...) Daraufhin haben wir es ein halbes Jahr (1974) in der Koinonia versucht. Dann kam der 10. Dezember 1976. Ich besuchte Olav und fragte: ‚Was sollen wir denn nun machen, sollen wir als geistiger Mitarbeiterkreis in Gruppe 153 gehen?’ Und dann antwortete Olav: ‚Tu uns bitte den Gefallen und fang was Neues an!’ Also, er hatte sich auch ein bisschen geärgert über den Koinoniaeintritt und –wiederaustritt. Ist ja klar. 35 Dahinter stand sein Gefühl, ich müsse etwas Neues wagen. Ich bin danach wirklich mit Tränen in den Augen zu Wolfgang Bartholomae gegangen und sagte: ‚Olav hat mich vor die Tür gesetzt.’ ‚Ja’, antwortete Wolfgang, ‚er hat recht. Fang endlich etwas Neues an und wag‘ es!’ Später bin ich nach Jerusalem gefahren. Dort war Dietrich Bodenstein damals gerade Vikar. In der Karwoche 1977 haben wir beschlossen: ‚Wir wagen es!’ Wir haben für die Bruderschaft nach einer wirklich leidvollen Entscheidung gebetet. Denn ich wusste, dass ich keine Institution leiten kann, aber es ging nun nicht anders. Da habe ich gedacht, vielleicht macht ja unser Herr etwas aus Leuten, die die Gabe dazu nicht haben. Damals haben wir beide zum ersten Mal Karfreitag 36 gebetet und nannten den Namen ‚Kleine Brüder vom Kreuz’. Und „kleine Brüder“, weißt du, woher das kommt? Das kommt von Schorse, Georg Gremels.“ (Hof Beutzen) Schon bald wurde ein Zentrum gefunden. Nach seiner Entdeckung in einer Zeitungsannonce durch Kristin im Frühjahr 1978 zogen die Familie Vollmer und die ehelosen Brüder aus dem engeren Kreis im September nach Hof Beutzen 3 in Oldendorf bei Hermannsburg. 37 Rasant wuchs während der ganzen Zeit die Bruderschaft. Erst dreißig, dann fünfzig, noch viel mehr mit ihren Ehefrauen und anderen. Dann gründete Klaus Vollmer mit der nächsten Generation einen eigenen „Beutzener Kreis“. In Südafrika wurde der „Inkamanakreis“ ins Leben gerufen. Durch Heirat, Beruf, wachsende Selbständigkeit der Brüder und Schwestern und die Größe der Bewegung wuchsen allerdings auch Konflikte. Zugleich arbeitete Klaus Vollmer weiterhin erfolgreich als Evangelist und war viel auf Reisen. 38 (Hesselberg) Sie führten ihn seit 1968 regelmäßig nach Südafrika. Unvergesslich die so überlieferte Auskunft der Tochter Maria an einen Anrufer, 39 ob ihr Vater zu sprechen sei: „Ich weiß nicht, wenn er nicht im Arbeitszimmer ist, dann ist er in Südafrika!“ – Nicht zu vergessen die Studienreisen nach Israel, die Studientagungen in der Hohen Rhön, am Hesselberg und in Selbitz sowie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs seine Einsätze im Osten Deutschlands und durch die Verbundenheit mit seinem Kursusbruder Siegfried Springer mehrmals in Russland. Viele, intensive Kontakte hatte er insbesondere zum CVJM in München, zum Stuttgarter Offenen Abend und zu den Jugendtagen in Aidlingen. 40 (Klaus Vollmer) Hof Beutzen 3 fasste die Menge der Geschwister nicht mehr. Für die großen Tagungen zog man in die Heimvolkshochschule in Hermannsburg um. Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts begann es an vielen Ecken zu knirschen und zu kriseln. Wie konnte in dieser 41 so groß gewordenen Bewegung der intensive persönliche Kontakt gerade auch mit dem vielbegehrten Leiter aufrecht erhalten werden? Wie konnte ein Lehrer-Schüler-Verhältnis – ja ein Meister-Jünger-Verhältnis partnerschaftliches Miteinander – in ein erwachsener Männer und Frauen verwandelt werden? Wie ließen sich die charismatische Konstitution des Leiters, der keiner sein wollte, mit den institutionellen Bedürfnissen der Geschwister und den wachsenden institutionellen Verpflichtungen vereinen? Damals entschieden sich einige, die Gemeinschaft zu verlassen. Andere bemühten sich, der wachsenden Institution Form zu geben. Auch der Name Bruderschaft wollte nicht mehr recht passen. Jetzt heißt die 42 Bewegung daher „Evangelische Geschwisterschaft e.V. – gegründet als Kleine Brüder vom Kreuz“. Nach und nach begann sich der in Beutzen wohnende Kreis der ehelosen Brüder und assoziierten Ehepaare teils durch berufliche Herausforderungen teils durch persönliche Neuausrichtung aufzulösen. Nach dem Ruhestand am 30.12.1995 zogen Kristin und Klaus Vollmer am 1. August 1996 in die Christianstraße 5. Inzwischen hatte sich die Familie um drei Schwieger kinder und fünf Enkel vergrößert. Hof Beutzen 3 wurde noch über ca. zwölf Jahre als Zentrum und Tagungshaus der Geschwisterschaft unter Leitung der Hauseltern Uta und Cord Exner weitergeführt. 43 Von hier aus blieb Klaus Vollmer den Studientagungen in Selbitz und in Südafrika treu. Besonders aber entbrannte sein Herz für die Arbeit im Osten Deutschlands und in Russland. Die siebzig Jahre atheistischer Staatsführung waren für ihn die große Herausforderung an die Verkündigung. In den letzten Jahren erschöpften sich seine Kräfte mehr und mehr und er wurde zunehmend einer der treusten Kirchen- und Veranstaltungsbesucher Hermannsburgs, immer mit einem guten Wort auf den Lippen. Dann pflegte er zu sagen: „Meine Frau Kristin, mein Arzt Uli Müller und mein Herr sorgen für mich. ‚Und auch um den Abend wird es licht sein’ (Sacharja 14,7).“ Was immer passierte und was immer man ihn fragte oder sagte, kommentierte er gern mit dem einfachen Satz: „Unser Herr macht was draus!“ 44 Er starb am 4. Juni 2011 im Klinikum Uelzen. Seine Frau Kristin wohnt weiterhin in Hermannsburg. 45 (Klaus Vollmer) 46
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