LebenslaufKV (1)

Ein Lebenslauf: Klaus Vollmers
Von: Kristin Vollmer, Dr. Georg Gremels und
Dr. Klaus Schulz
Über seine Kindheit bis zum fünften Lebensjahr
ist wenig bekannt. Erst nach seinem 70.
Geburtstag erfuhr Klaus Vollmer von seiner
Ursprungsfamilie. Sein leiblicher Vater ist
unbekannt, seine leibliche Mutter ist Mathilde
Lina
Wefels,
geboren
20.12.1907
im
Friemersheim/Duisburg und 1987gestorben.
Er war das dritte der insgesamt sieben Kinder,
von denen die Mutter drei in Pflege gab. Er
wurde am 30. Dezember 1930 in einem
Krankenhaus in Berlin geboren. Auf seine
Geburt in der Hauptstadt war er ein Leben lang
stolz. Zunächst – so seine Erzählung – blieb er
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bei den Großeltern seiner Mutter und kam dann
in ein Kinderheim in Duisburg/Rheinhausen.
Am 11.08.1936 wurde er von Peter Vollmer
(geboren 25.04.1887 in Langendreer, gestorben
am 12.11.1938), Bürobeamter bei Krupp/Essen
und seiner Frau Friederike Hermine Luise
Vollmer, geb. Pieper (geboren am 21. 12. 1891,
Besenkamp bei Enger/Westfalen, gestorben am
3.5.1983) im Alter von ca. fünfeinhalb Jahren
adoptiert.
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(Eltern Vollmer)
Klaus erzählte dazu folgende Geschichte: Ihm
sei im Kinderheim gesagt worden: „Irgendwann
kommen deine Eltern und holen dich ab.“ Er
hätte die Eltern Vollmer beim Hereinkommen
gesehen. Sie hätten eigentlich ein Mädchen
adoptieren wollen. Doch er sei mit einem
unwiderstehlichen Lachen auf sie zugestürmt,
habe sie fest an der Hand gefasst und
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beschlossen, dass sie ab jetzt seine Eltern sein
sollten. Durch seinen Charme berührt, hätten
die beiden nur ja dazu sagen können.
(Kinderbild)
Er wuchs in Essen auf der Magarethenhöhe
(eine
von
Margarethe
Krupp
gestiftete,
zweckmäßig und menschenfreundlich gebaute
Arbeiter- und Angestelltensiedlung) auf. Doch
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blieb er dort nur kurze Zeit, denn 1938 starb
sein Vater plötzlich und unerwartet. Danach zog
seine Mutter mit ihm in ihre Heimat nach
Enger. Er besuchte die Grundschule und dann
die Oberschule für Jungen von September 1941
bis Ende März 1945.
(Lehre 1947)
Nach dem Krieg begann er am 16.10.1945 seine
Lehre bei dem Schlossermeister Karl Pott in
Enger und schloss sie am 15.09.1949 ab.
Danach
arbeitete
er
zunächst
in
der
Maschinenfabrik Gustav Josting in Enger.
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Wegen mangelnder Aufträge wurde ihm zum
16.6.1951 gekündigt.
(Berufsschule 1950)
Am 19.6.1951 begann er – sein ganzer Stolz,
weil diese Firma so bekannt war – bei den
Ankerwerken in Bielefeld als Schlosser in der
Versuchswerkstatt und arbeitete dort bis 1952.
Mit 18 Jahren kam er zum Glauben durch
Johannes Busch, wie er selbst in einer Predigt
schildert (in: „Er führte mich aus ins Weite –
ein Lesebuch zu Klaus Vollmer“, Seite 20):
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„Ich war damals achtzehn Jahre alt und erlebte
einen Abend wie heute. Ich hörte den
Jugendpfarrer Johannes Busch eine geschlagene
Stunde über das Kreuz von Golgatha reden.
Von Beruf war ich Maschinenschlosser, konnte
mit Arbeit umgehen und stand – damals noch
als Ungetaufter – mit beiden Beinen in der Welt.
So sagte ich zu mir: „Das ist doch Wahnsinn,
was dieser Pfarrer uns zumutet. Was soll das
denn mit dem Kreuz? Die Sache ist zweitausend
Jahre alt, ich aber lebe heute und bin ein
vernünftiger Maschinenschlosser mit großen
Zukunftsplänen!“
Ich bin nach der Ansprache zu Busch gegangen
und habe ihn gefragt: „Pastor Busch, gestatten
Sie mir eine Frage. Sie sprachen vom Kreuz. Ich
verstehe das nicht.“ Da sah er mich an und
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sagte: „Das ist auch nicht zu verstehen. Gehen
Sie nach Haus und bitten sie ihn, dass er ihnen
zeigt, was passiert ist.“ Danach dreht sich dieser
Mann um und geht einfach weg. Das fand ich
eine Unverschämtheit. Eine anständige Frage
verdient auch eine anständige Antwort. Doch
dieser Jugendpfarrer lässt alles offen und schickt
mich ins Gebet. Ich weiß nicht, was mich
damals getrieben hat zu beten. Ich fuhr in der
Nacht mit dem Fahrrad nach Hause, ich weiß
noch genau, es waren sieben Kilometer durch
den Regen. Ständig kreisten meine Gedanken
um das Geheimnis von Golgatha. In jener
Nacht habe ich den Herrn um Antwort gebeten
und das Wunder geschah, dass er mir
offenbarte, was auf Golgatha passiert ist. Darum
musste ich Prediger werden, weil mich das
Geheimnis von Golgatha überwunden hat.“
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(Johanneum)
Am 22. September 1952 begann er daher seine
Ausbildung
an
der
Evangelistenschule
Johanneum und schloss sie am 24. Juli 1955 ab.
Dort
konnte
der
damalige
Leiter
und
Neutestamentler Dr. Olav Hanssen in dem
wissbegierigen jungen Mann die Leidenschaft
für theologisches Arbeiten wecken. Neben der
Liebe zum Neuen Testament und besonders
dem Römerbrief rief Hanssen in ihm auch die
Begeisterung
für
die
geistige
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Auseinandersetzung wach. Weitere Väter im
Denken wurden für ihn so Karl Heim und
Teilhard de Chardin. Hanssen war es auch, der
Klaus Vollmer 1968 zu einem Umzug nach
Hermannsburg
bewog.
Volksmission
wurden
Weltmission
so
über
und
das
Missionsseminar verbunden.
(Abschied vom Johanneum)
Am 01.09.1955 wurde er als Sozialsekretär in der
Akademie Loccum eingestellt. Wie oft hat er
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betont, dass ihm dort der Zusammenhang von
Evangelisation
als
Anleitung
zur
Herzensfrömmigkeit und die Lehre als geistige
Durchdringung
von
Glaube
und
Kultur
aufgegangen sind. In dieser Zeit wohnte Klaus
Vollmer in Loccum.
(Loccum)
Schon
in
Loccum
begann
er
sein
evangelistisches Wirken. Der Hannoversche
Bischof Hanns Lilje wurde auf ihn aufmerksam
gemacht und holte ihn 1958 als Evangelisten in
die
damals
so
genannte
„Kammer
für
Volksmission“. Unter Klaus Vollmers Wirken
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kam es In Hannover zu einem Aufbruch unter
den „Lindener Boys“. Das führte später bis zur
Gründung des Jugendzentrums in HannoverLinden.
Bis zur Pensionierung 1995 blieb er als
Volksmissionar im Reisedienst tätig, auch wenn
das Amt seinen Namen mehrmals wechselte.
Eine
wohl
einzigartige
Karriere
in
der
Hannoverschen Kirche! In dieser „Kammer“
begegnete
er
mit
Pastor
Eduard
Weiß,
Superintendent Ernst Achilles und Pastor
Jochen
Schmutzler
Männern,
an
deren
Originalität und Kompetenz er sich abarbeiten
musste
und
die
von
ihm
immer
mit
Hochachtung zitiert wurden.
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(Kristin Vollmer)
Während dieser Zeit lernte er seine spätere Frau
Kristin Tetzner kennen. 1956 bei Stillen Tagen
in der Karwoche in Loccum begegneten sie sich
zum ersten Mal. Geschickt näherte er sich über
die Mutter der Tochter und erkundigte sich nach
deren Beruf. Als Kristin sagte, dass sie
Gemeindehelferin werden und von 1956-1958
im Burkhardthaus/Gelnhausen ihre Ausbildung
machen wolle, brach er in schallendes Gelächter
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aus. Daraufhin reagierte sie recht pikiert. Er
erklärte ihr, dass er bei seinen Evangelisationen
fast immer Ärger mit Gemeindehelferinnen
bekäme. Denn die jungen Leute seien ihm
begeistert gefolgt und hätten dann kein Auge
mehr für ihre Gemeindehelferinnen gehabt.
Es entspann sich ein Briefwechsel, ein Treffen
während des Kirchentags in Frankfurt 1957 und
gelegentlich
trafen
sie
sich
bei
dem
Pastorenehepaar Gerd und Gisela Sondermann
in Berenbostel. 1958 kam Kristin für ihr
Anerkennungsjahr
nach
Hildesheim/St.
Andreas. Sie machte Vorkonfirmandenarbeit,
begleitete
Frauenkreise
Jungmädchenkreis,
denn
und
damals
den
war
die
kirchliche Arbeit noch nicht koedukativ.
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Klaus wollte nicht, dass Kristin ihn beim
Predigen kennenlernte, denn er fürchtete, dass
seine Rolle als Prediger das Verhältnis zu ihr
bestimmen könnte. Sie sollte ihn nur privat
kennenlernen. 1958 hörte sie doch eine Predigt
von ihm bei Pastor Wolfgang Bartholomae in
Hannover Linden und sah ihn auf der Kanzel.
Da wusste sie, dass sie sich diesen Mann nicht in
der Rolle eines Ehemanns und Familienvater
vorstellen konnte.
Voller Zweifel und Stoßgebete verließ sie
vorzeitig die Kirche und ging zum Bahnhof.
Zehn Minuten vor Abfahrt des Zuges kam er
mit dem Ehepaar Sondermann und holte sie
wieder aus dem Zug heraus, jetzt gewiss, sie zu
heiraten: „Jetzt weiß ich, dass du mich loslassen
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und freigeben kannst. Dann können wir auch
heiraten.“
Am 30.12.1959 schlossen die beiden die Ehe bei
Pastor
Bammel,
Wolfsburg.
Kristins
Klaus
hatte
Konfirmator
sich
in
einen
ungewöhnlichen Hochzeitsspruch ausgesucht
(Jer. 33,9): „Und das soll mir ein fröhlicher
Name, Ruhm und Preis sein unter allen Heiden
auf Erden, wenn sie hören werden all das Gute,
das ich ihnen tue. Und sie werden staunen und
sich entsetzen über all dem Guten und über all
den Frieden, den ich ihnen geben will.“ Da
Pastor Bammel und so manchem anderen nicht
viel zu diesem Wort einfiel, fragte er Klaus
danach, der ihm und Kristin sogleich eine lange
Predigt dazu hielt. Daraufhin nahm Pastor
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Bammel als Grundlage für seine Predigt die
Nathanaelgeschichte aus Johannes 1.
(Hochzeit)
Von 1960 bis 1962 wohnte das Ehepaar in Bad
Nenndorf. Während dieser Zeit und später
kamen am 12.12.1960 Maria, am 29.5.1962
Karsten und am 16.7.1965 Christiane zur Welt.
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(Kinder)
1962 zogen sie nach Münstedt. Hinter diesem
Umzug
stand
die
Idee,
dass
sich
die
Mitarbeitenden im volksmissionarischen Amt
auch räumlich zusammentun wollten. Dort war
ein leerstehendes Pfarrhaus, in dem unten der
Zeltmeister Otto Kaiser mit seiner Frau
Marichen mit sechs und oben Vollmers drei,
zusammen also mit neun Kinder, wohnten.
Klaus Eickhoff, ebenfalls in der Volksmission
tätig, zog in die benachbarte Schule ein und der
Leiter der Volksmission, Jochen Schmutzler,
wohnte im Nachbarort.
Am 21.06.1962 wurde Klaus Vollmer nach einer
halbjährigen Zusatzausbildung während einer
Zeltevangelisation durch Bischof Hanns Lilje als
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Pfarrvikar eingeführt. Er hielt eine eindrückliche
Rede, die hier wiedergegeben sei:
„In Jesu Namen!
Ehe wir die feierliche Einführung unseres lieben
Bruders als Pfarrvikar vornehmen, möchte ich
ein kurzes Wort sagen: Die Losung des heutigen
Tages lautet: „Gebet, so wird euch gegeben –
ein voll gedrückt, gerüttelt und überflüssiges
Maß wird man in euren Schoß geben, denn eben
mit dem Maß, mit dem ihr messet, wird man
euch wieder messen.“ Lk. 6,38
Mit der Autorität der Kirche und des Hohen
Herrn wird Klaus Vollmer heute als Pfarrvikar
eingeführt. Ein Leben lang geben? Wie kann
man das? Karl Barth: Vom sauren Gang auf die
Kanzel. Geben und geben und geben, wie kann
man das? Ehe das als eine Aufforderung an uns
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herankommt, wird durch die Majestät und Kraft
und Größe unseres himmlischen Herrn gesagt:
Man wird euch ein voll gerüttelt und geschüttelt
überflüssiges Maß in euren Schoß geben. Im
Urtext: ein schon vollgetanes, immer wieder
nachgeschüttetes Maß, kein vermindertes Maß.
Gottes Brünnlein hat Wassers die Fülle. Und
wenn einer sich zum Prediger berufen lässt,
braucht er sein Leben lang keine Sorge zu
haben, dass ihm eines Tages nichts mehr einfällt.
Propagandaredner müssen immer wieder neue
Parolen erfinden. Er braucht ein Leben lang
keine Sorge zu haben, dass er eines Tages nichts
mehr weiß. Ein voll gedrückt, gerütteltes Maß
hält er bereit, für jeden, der glaubt.
Es gibt solche, die kleinkariert, kärglich, sparsam
glauben, das geht aus, die haben so ein bisschen
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Glauben. Wer so einen kümmerlich, niedlichen
Glauben hat, wir niemals dahinterkommen, ob
wir einen reichen Herrn haben oder nicht. Das
ist das Selbstverständlichste von der Welt, wer
nicht investiert, kann nichts verdienen. Wer sein
Leben nicht diesem Herrn hingeben kann, wird
nie dahinter kommen, was für ein reicher Herr
das ist. Neue Perspektiven tun sich auf, wenn
man es wagt, ganz hinter Christus zu treten.
Ausblicke tun, die ihm vorher nicht gegeben
waren. Persönlich. Ich habe, als ich mich für den
Dienst unseres Herrn entschloss, mich von ihm
rufen ließ, gar nicht geahnt, was für ein reiches
Leben das sein kann in der Nähe Jesu Christi.
Junge Menschen, lasst euch das niemals
einreden, dass ihr zu kurz kommt, wenn ihr Ihm
mit ganzem Herzen angehört. Das Gegenteil ist
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der Fall. Das meine ich wörtlich. Ohne Christus
ist das Leben vier Nummern langweiliger, fünf
Nummern enger, sechs Nummern... Er muss
sich hingeben, er muss sich einsetzen, sein
ganzes
Herz
vorbehaltlos
seinem
Herrn
hingeben. Das ist unser Wunsch für Bruder
Vollmer, dass er beides erlebt.
Immer wieder über unsere Müdigkeit und
Verzagtheit und Kaltherzigkeit und Angst
hinausgehoben werden können und geben
können ohne Vorbehalt und Sorge, was daraus
wird, und er dann erfahren möchte, ein Leben
lang, was es heißt, diesem reichen Herrn dienen.
Er muss die Predigt seines Wortes lenken. Gott
der Herr nimmt sich sichtbar seiner Gemeinde
an, dieser Kirche, der man so oft das Ende
prophezeit. Er sagt: Nein, es soll weitergehen.“
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In die folgenden Jahre fällt eine reiche
Evangelisationstätigkeit, in der er mit dem
Evangelisationszelt
der
Hannoverschen
Landeskirche und dem Zeltmeister Otto Kaiser
viel unterwegs ist.
1972 wird er durch
Landessuperintendenten Henze unter Assistenz
von Oberlandeskirchenrat Johannes Hasselhorn
und anderen in der Stabskirche in Hahnenklee
zum Pastor ordiniert.
Im März 1968 begannen Verhandlungen zu
einem Umzug der Familie, die damals mit 77
Jahren
Mutter Vollmer ins Haus nach
Hermannsburg
in
den
Grünhagenweg
4
nahmen.
23
(Mutter Vollmer)
Nach einigen Verhandlungen wurde es möglich,
dass die sechs Köpfe in ein dort gerade
fertiggestelltes Haus einziehen konnten. Der
Fabrikant und Freund Ernst Goldau hat damals
in Klaus Vollmers weiträumigem Arbeitszimmer
unter dem Dach das große Teakholzregal
gestiftet, das voller theologischer Literatur stand.
Dort oben lag der legendäre rote Teppich, auf
dem die Köpfe rauchten teils von Pfeifen, teils
24
von theologischen Gedanken – und manches
gute Glas „Amselfelder“ geleert wurde.
(Grünhagenweg 4)
Um „in dieser Kirche auf Zeit etwas zu
erreichen“, lernte Klaus Vollmer auf drei
Ebenen zu arbeiten: Erstens arbeitete er auf der
Ebene der Gemeinde in Evangelisationen,
damals oft noch im Zelt, und in Bibel- und
Vortragswochen.
ehrenamtliche
Zweitens
Mitarbeiter,
schulte
die
er
„verstehen
sollten, was sie glauben“ und dies auch anderen
25
plausibel machen sollten. Daraus entwickelten
sich seit 1968 bis 2002 die geradezu legendären
„Studientagungen“ im Sommer, die ganze
Generationen
von
evangelischen
jungen
Glauben,
Menschen
im
theologischen
Nachdenken und in der Übernahme von
Verantwortung in Gemeinden und Hauskreisen
prägten.
Und
schließlich
sammelte
er
Hauptamtliche, von denen er viele durch seine
Zusammenarbeit mit der Studentenmission in
Deutschland (SMD) gewann.
(Gemeindedienst)
26
Während der Unruhen der 68er an den
Universitäten begann – zeitgleich zum Umzug
nach Hermannsburg – ein durch ihn initiierter
Aufbruch
in
der
Studentenmission.
„Provocatio“ nannten sich die von seinen
Impulsen Bewegten – „Herausforderung zur
verbindlichen Mitarbeit“. In der Blütezeit um
1971 waren es bis zu fünfhundert „Provos“ an
verschiedensten Universitäten, die sich von ihm
und der Hermannsburger Theologie inspirieren
ließen. Das wurde für die Studentenmission
zunehmend zu einem Problem, da Klaus
Vollmer
institutionell
nicht
zu
dieser
Organisation gehörte und gehören wollte.
27
(Studenten)
Ab 1969 wurde die Mitarbeiterschule der
Gruppe
153
Hermannsburg
–
ans
Missionsseminar
angegliedert
–
von
in
vielen
Studenten entdeckt und gefüllt, die mit Klaus
Vollmer näher verbunden waren. Sie wurde das
Sammelbecken für alle, die sich von ihm und
dem Hermannsburger Geist um Olav Hanssen,
Wolfgang Bartholomae, Reinhard Deichgräber
und anderen zum Dienst in der Mission, im
Pfarramt und zum bewussten Christsein im
säkularen Beruf inspirieren ließen. Ihre Leiter:
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Dr. Reinhard Deichgräber, Dr. Uwe Stegelmann
und Dr. Klaus Schulz und als weitere Lehrer
Dozenten
am
Missionsseminar
und
Mitarbeitende in der Hermannsburger Mission,
seit 1977 dem Ev.-luth. Missionswerk in
Niedersachsen (ELM).
1972 wurde auf einer dramatischen Sitzung der
Gruppe 153 in Frankfurt der alte „Klein-SüntelKreis“ (vgl. Seite ...), eine Sammlung von
Freunden und Weggefährten Olav Hanssens,
aufgelöst, um einer neuen Dynamik Platz zu
schaffen. Klaus Vollmer übernahm nun nach
Absprache die Gruppe 153 als Beauftragter, da
er
sich
eine
Verantwortung
als
erster
Vorsitzender nicht vorstellen konnte. Das
widersprach zu sehr seiner charismatischen
Berufung. Seine erlösende Idee auf einem Flug
29
nach Kanada: Er wolle künftig Impulsgeber der
Gruppe 153 sein. So hoffte er für sich die Last
der Institution zu vermeiden. Dabei war seine
Idee, einen sich aus der Provocatio bildenden
Bruderkreis in die Gruppe 153 zu integrieren
und für verschiedene Ressorts einzusetzen. So
sollte ein institutioneller Rahmen für ein
weiteres Zusammenbleiben gefunden werden.
Ab 1972 im September trafen sich neun
Studierende aus dem innersten Kreis der
Provocatio
in
bruderschaftlich
Hermannsburg,
zu
finden.
Am
um
sich
Seminar
studierten Dietrich Bodenstein und Georg
Gremels. Ins Theologenjahr kamen Burghard
Merhof,
Helmut
Kühl,
Karsten
Keding,
Gerhard Hildebrandt und Erich Hertel. In die
Mitarbeiterschule gingen Klaus Schulz und
30
Ulrich Müller. Dieser Kreis rekrutierte sich aus
zwei studentischen Kommunen in Heidelberg
und in Marburg. Zehn Brüder waren wir mit
Klaus Vollmer zusammen und passten gerade in
zwei Autos. Wir erlebten diese Zeit gleichsam
wie die Jünger damals. In vielen verschwiegenen
Treffen wuchsen wir zusammen, da seine Sorge
war, dass eine vorschnelle Ausweitung ein
Reifen dieses ersten, innersten Kerns stören
könnte. Aufregende, ja rauschhafte Zeiten der
Inspiration,
der
Bereitschaft
zur
bedingungslosen Nachfolge und dem Verzicht
auf die Ehe waren das!
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(Römö Ostern 1973)
Treffen im Kühlschen Ferienhaus auf Römö,
eine Griechenlandreise nach Kap Sunion,
Treffen in Bergkirchen, auf Finnland-
und
Schwedenfreizeiten,
eine
besonders
aber
Israelreise auf den Spuren Jesu bildeten
Höhepunkte
unseres
bruderschaftlichen
Werdens. 1973/74 wurde die Sunderstraße 18
angemietet und gab denen, die nicht im
Missionsseminar studierten, eine Möglichkeit
des Zusammenlebens.
32
Inzwischen
war
Frauenmitarbeiterschule,
1972
später
auch
unter
eine
der
Leitung von Hannelore Mann, entstanden.
Zunehmend stellten sich zwei Fragen: Könnten
wir ein Kreis von ausschließlich ehelosen
Brüdern werden? Die ersten verheirateten Paare
stießen mit Reinhard Keding und Frauke,
geborene Gremels, Hans Mehnert und Renate,
geborene Bartschies sowie Klaus Dietrich
Wachlin und Elke, geborene Ellenberger dazu.
Wie können Ehefrauen und andere Frauen in
die Bruderschaft der „Kleinen Brüder vom
Kreuz“ integriert werden? Seit den siebziger
Jahren bei der Kapitellese – einer legendären
Dienstagabendveranstaltung im Grünhagenweg
– nahmen erstmals Frauen teil. Dort legte Klaus
Vollmer das jeweilige Kapitel Bibel aus, zu dem
wir uns täglich verabredeten. Diese Sitte
33
verband die Provocatio und wurde bald über
Gruppe 153 verbindlich verbreitet.
(Schweden 1976)
Da auch die Frauen und die Verheirateten in die
Bruderschaft integriert werden wollten, wurde
früher oder später ein Zentrum notwendig, in
dem Verheiratete und Ehelose zusammen mit
der
Familie
Vollmer
geschwisterschaftliches
wohnen
Leben
und
gestalten
konnten. Die Gründung der Bruderschaft
34
vollzog sich dann dramatisch. Am besten lässt
sich das mit Klaus Vollmers eigenen Worten
wiedergeben („Er führte mich aus ins Weite“,
Seite 194):
„Und dann ging die Eierei los. Ich sagte: ‚Ich
bin kein Leiter. Wollen wir nicht in die
Koinonia?’ (vgl. dazu Seite ...) Daraufhin haben
wir es ein halbes Jahr (1974) in der Koinonia
versucht. Dann kam der 10. Dezember 1976.
Ich besuchte Olav und fragte: ‚Was sollen wir
denn nun machen, sollen wir als geistiger
Mitarbeiterkreis in Gruppe 153 gehen?’ Und
dann antwortete Olav: ‚Tu uns bitte den
Gefallen und fang was Neues an!’ Also, er hatte
sich auch ein bisschen geärgert über den
Koinoniaeintritt und –wiederaustritt. Ist ja klar.
35
Dahinter stand sein Gefühl, ich müsse etwas
Neues wagen. Ich bin danach wirklich mit
Tränen in den Augen zu Wolfgang Bartholomae
gegangen und sagte: ‚Olav hat mich vor die Tür
gesetzt.’ ‚Ja’, antwortete Wolfgang, ‚er hat recht.
Fang endlich etwas Neues an und wag‘ es!’
Später bin ich nach Jerusalem gefahren. Dort
war Dietrich Bodenstein damals gerade Vikar. In
der Karwoche 1977 haben wir beschlossen: ‚Wir
wagen es!’
Wir haben für die Bruderschaft nach einer
wirklich leidvollen Entscheidung gebetet. Denn
ich wusste, dass ich keine Institution leiten kann,
aber es ging nun nicht anders. Da habe ich
gedacht, vielleicht macht ja unser Herr etwas aus
Leuten, die die Gabe dazu nicht haben. Damals
haben wir beide zum ersten Mal Karfreitag
36
gebetet und nannten den Namen ‚Kleine Brüder
vom Kreuz’. Und „kleine Brüder“, weißt du,
woher das kommt? Das kommt von Schorse,
Georg Gremels.“
(Hof Beutzen)
Schon bald wurde ein Zentrum gefunden. Nach
seiner Entdeckung in einer Zeitungsannonce
durch Kristin im Frühjahr 1978 zogen die
Familie Vollmer und die ehelosen Brüder aus
dem engeren Kreis im September nach Hof
Beutzen 3 in Oldendorf bei Hermannsburg.
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Rasant wuchs während der ganzen Zeit die
Bruderschaft. Erst dreißig, dann fünfzig, noch
viel mehr mit ihren Ehefrauen und anderen.
Dann gründete Klaus Vollmer mit der nächsten
Generation einen eigenen „Beutzener Kreis“. In
Südafrika wurde der „Inkamanakreis“ ins Leben
gerufen. Durch Heirat, Beruf, wachsende
Selbständigkeit der Brüder und Schwestern und
die Größe der Bewegung wuchsen allerdings
auch Konflikte.
Zugleich arbeitete Klaus Vollmer weiterhin
erfolgreich als Evangelist und war viel auf
Reisen.
38
(Hesselberg)
Sie führten ihn seit 1968 regelmäßig nach
Südafrika. Unvergesslich die so überlieferte
Auskunft der Tochter Maria an einen Anrufer,
39
ob ihr Vater zu sprechen sei: „Ich weiß nicht,
wenn er nicht im Arbeitszimmer ist, dann ist er
in Südafrika!“ – Nicht zu vergessen die
Studienreisen nach Israel, die Studientagungen
in der Hohen Rhön, am Hesselberg und in
Selbitz sowie nach dem Fall des Eisernen
Vorhangs seine Einsätze im Osten Deutschlands
und durch die Verbundenheit mit seinem
Kursusbruder Siegfried Springer mehrmals in
Russland. Viele, intensive Kontakte hatte er
insbesondere zum CVJM in München, zum
Stuttgarter
Offenen
Abend
und
zu
den
Jugendtagen in Aidlingen.
40
(Klaus Vollmer)
Hof
Beutzen
3
fasste
die
Menge
der
Geschwister nicht mehr. Für die großen
Tagungen zog man in die Heimvolkshochschule
in Hermannsburg um. Ende der achtziger und
Anfang der neunziger Jahre des vorigen
Jahrhunderts begann es an vielen Ecken zu
knirschen und zu kriseln. Wie konnte in dieser
41
so groß gewordenen Bewegung der intensive
persönliche Kontakt gerade auch mit dem
vielbegehrten Leiter aufrecht erhalten werden?
Wie konnte ein Lehrer-Schüler-Verhältnis – ja
ein
Meister-Jünger-Verhältnis
partnerschaftliches
Miteinander
–
in
ein
erwachsener
Männer und Frauen verwandelt werden? Wie
ließen sich die charismatische Konstitution des
Leiters, der keiner sein wollte, mit den
institutionellen Bedürfnissen der Geschwister
und
den
wachsenden
institutionellen
Verpflichtungen vereinen?
Damals
entschieden
sich
einige,
die
Gemeinschaft zu verlassen. Andere bemühten
sich, der wachsenden Institution Form zu
geben. Auch der Name Bruderschaft wollte
nicht mehr recht passen. Jetzt heißt die
42
Bewegung
daher
„Evangelische
Geschwisterschaft e.V. – gegründet als Kleine
Brüder vom Kreuz“. Nach und nach begann
sich der in Beutzen wohnende Kreis der
ehelosen Brüder und assoziierten Ehepaare teils
durch berufliche Herausforderungen teils durch
persönliche Neuausrichtung aufzulösen. Nach
dem Ruhestand am 30.12.1995 zogen Kristin
und Klaus Vollmer am 1. August 1996 in die
Christianstraße 5. Inzwischen hatte sich die
Familie um drei Schwieger kinder und fünf
Enkel vergrößert. Hof Beutzen 3 wurde noch
über ca. zwölf Jahre als Zentrum und
Tagungshaus
der
Geschwisterschaft
unter
Leitung der Hauseltern Uta und Cord Exner
weitergeführt.
43
Von hier aus blieb Klaus Vollmer den
Studientagungen in Selbitz und in Südafrika treu.
Besonders aber entbrannte sein Herz für die
Arbeit im Osten Deutschlands und in Russland.
Die siebzig Jahre atheistischer Staatsführung
waren für ihn die große Herausforderung an die
Verkündigung.
In
den
letzten
Jahren
erschöpften sich seine Kräfte mehr und mehr
und er wurde zunehmend einer der treusten
Kirchen-
und
Veranstaltungsbesucher
Hermannsburgs, immer mit einem guten Wort
auf den Lippen. Dann pflegte er zu sagen:
„Meine Frau Kristin, mein Arzt Uli Müller und
mein Herr sorgen für mich. ‚Und auch um den
Abend wird es licht sein’ (Sacharja 14,7).“ Was
immer passierte und was immer man ihn fragte
oder sagte, kommentierte er gern mit dem
einfachen Satz: „Unser Herr macht was draus!“
44
Er starb am 4. Juni 2011 im Klinikum Uelzen.
Seine
Frau
Kristin
wohnt
weiterhin
in
Hermannsburg.
45
(Klaus Vollmer)
46