Vortrag von Frau Vera Kohlmeyer-Kaiser

Vortrag in der Volkshochschule Aalen e.V.
vom 14.10.2015
(im Rahmen der Interkulturellen Woche/Veranstalter Kulturküche Aalen)
von Frau Vera Kohlmeyer-Kaiser
Wie viele Flüchtlinge verträgt Deutschland?
Vorbemerkung:
Eine Antwort auf diese Frage in Zahlen ausgedrückt, ist mir nicht möglich.
Ich will versuchen, durch Darstellung verschiedener Aspekte der Flüchtlingsthematik mich der
Beantwortung dieser Frage zu nähern.
Dazu will ich zunächst kurz auf die Zahlen und Ursachen dieser extrem stark gestiegenen
Zahlen von nach Europa und hier insbesondere Deutschland fliehenden Flüchtlingen eingehen
und ich will dann im nächsten Teil versuchen, Antworten zu dieser, wie sie jetzt allenthalben
genannt wird, Flüchtlingskrise zu finden. Diese Antworten, man könnte sie auch anders als
notwendige Maßnahmen bezeichnen, sind wiederum zu unterteilen in globale Antworten,
europäische Antworten und nationale Antworten.
Der Druck auf die Politiker, schnelle und effiziente Patentlösungen zu suchen und finden, ist
groß, zumal die Unruhe und die Ängste bei allen Menschen wächst, weil wir alle nicht wirklich
wissen, ob und wie gut und wie schnell uns die Lösung dieser Riesenaufgabe gelingen wird
oder gelingen kann.
Vielleicht werden es viele von Ihnen schon wissen oder ahnen, dass es wohl einfache Lösungen
nicht gibt und dass viele der Vorschläge, die jetzt täglich neu in den Medien zu lesen sind und
diskutiert werden, mit derselben Geschwindigkeit, mit der sie auftauchen, auch wieder ad
acta gelegt werden müssen, weil es nur Scheinlösungen sind oder weil sie mit dem deutschen
und europäischen Rechtssystem im Asylrecht überhaupt nicht zusammenpassen.
Es gibt aber auf der anderen Seite sehr gute und zielführende Lösungsansätze und auch die
will ich versuchen, aufzuzeigen.
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I.
Zahlenmaterial
Beginnen wir also mit den Zahlen:
• Noch vor Kurzem hat man gesagt, es seien weltweit ca. 60 Millionen Menschen auf der Flucht
vor Krieg, Hungersnöten, Klimawandel und anderen Katastrophen, die ihnen ein Verbleiben in
ihrer eigenen Heimat unmöglich gemacht haben. Inzwischen spricht man bereits von weltweit
65 Millionen Menschen auf der Flucht.
Ungefähr 2/3 davon sollen nach den internationalen Zahlen sogenannte Binnenflüchtlinge sei,
das heißt, das sind Menschen, die innerhalb ihres eigenen Staates auf der Flucht und auf der
Suche nach Schutz sind.
1/3, das sind aber immer noch zwischen 20-22 Millionen Menschen, bewegen sich außerhalb
ihres eigenen Staatsgebietes auf der Suche nach einem sicheren Platz zum Leben und
Überleben.
Nur ein sehr geringer Prozentsatz dieser Gesamtflüchtlinge von zwischen 60 und 65 Millionen,
nämlich 2-5 Prozent hiervon kommen nach Europa, das heißt in das Schengen-Gebiet, also in
ein Gebiet, indem sich 28 Staaten zusammengeschlossen haben.
Diese 28 Staaten haben sich ursprünglich zusammengeschlossen, um innerhalb ihres
Gesamtgebietes die Binnengrenzen für den Waren- und Personenverkehr fallen zu lassen und
sich eine gemeinsame Währung zu geben.
Mit dem Wegfall der Binnengrenze zwangsläufig einhergehend, ist für dieses europäische
Unionsgebilde natürlich ein Hochziehen der Außengrenzen. Niemand darf von außen so leicht
hereinkommen, weil die, die zu dieser EU gehören, sich innerhalb der EU komplett frei in
diesen 28 Staaten bewegen können.
Zurück zu den Zahlen:
Ein Hauptherkunftsland von Flüchtlingen in Deutschland ist derzeit Syrien. Syrien besaß
ursprünglich 20 Millionen Einwohner und heute, nach einem nunmehr vier Jahre andauernden
Krieg und dem Tod von vielen vielen Menschen, sind mehr als die Hälfte dieser Bevölkerung
aus diesem Staat geflohen. 12 Millionen der 20 Millionen Syrer haben ihre Heimat im engeren
Sinne, das heißt ihr eigenes Haus, ihre eigene Stadt verlassen. 8 Millionen davon sind (noch)
im eigenen Land unterwegs und 4 Millionen flüchteten in die Nachbarstaaten.
Die Zurückgebliebenen, die zu einem großen Teil nicht fliehen konnten, weil ihnen das Geld
oder die technischen Mittel, um eine solche Flucht zu organisieren, fehlten, fliehen innerhalb
des eigenen Staates von einem zum anderen Gebiet, je nachdem wo gerade die schwersten
Bombenangriffe und Kämpfe sind, immer auf der Suche nach irgendeinem Platz, wo sie
vielleicht doch Schutz vor diesem Töten und Morden, den Bomben und diesem Krieg zwischen
den verschiedensten Parteien finden.
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Von denjenigen, die außerhalb ihres Landes inzwischen leben, sind die meisten zunächst
dorthin geflohen, wo sie am leichtesten hinkommen konnten, nämlich in die angrenzenden
Nachbarländer, das heißt nach Jordanien, dem Libanon und auch der Türkei.
Das Nachbarland Libanon hat selbst nur insgesamt 4 Millionen Einwohner und dort sollen
inzwischen bis zu 2 Millionen Syrer leben. Andere Zahlen sprechen nur von 1,1-1,5 Millionen.
Das ist aber letztendlich nicht wirklich von Bedeutung.
Fakt ist, dass in diesem kleinen Land entweder jeder zweite oder jeder dritte ein syrischer
Kriegsflüchtling ist und das Land mit der Aufnahme dieser vielen Menschen vollkommen
überfordert ist. Auch was die Flüchtlingszahlen in Jordanien anbelangt, schwanken diese
Zahlen sehr stark. Laut der letzten SWR2-Meldung vom 08.10.2015 sollen dort inzwischen 1,3
Millionen syrische Flüchtlinge leben.
In der Türkei, dem dritten Nachbarstaat, soll es inzwischen zwischen 1,2 und 1,8 Millionen
Flüchtlinge geben.
Jeder von Ihnen wird sich leicht vorstellen können, dass diese Staaten keinerlei Interesse
daran haben, dass diese Flüchtlinge auf Dauer bei ihnen bleiben, weil sie von diesen schieren
Zahlen einfach völlig überfordert sind.
Im Libanon beispielsweise gibt es kaum echte, halbwegs befestigte Flüchtlingscamps, sondern
die Menschen sind sich schlicht und einfach selbst überlassen und müssen versuchen,
irgendwo und meistens im Freien zu übernachten und sich selbst zu versorgen. Dass das eine
Situation heraufbeschwört, die unvorstellbares Elend und Leid mit sich bringt, muss glaube ich
an dieser Stelle auch nicht weiter thematisiert werden.
Die nationalen und internationalen Hilfsorganisationen, die sich um die Versorgung von
Flüchtlingen mit Nahrung, Wasser, Decken, Zelten und dem Allernotwendigsten, was man zum
Überleben braucht, kümmern, schlagen seit zwei Jahren Alarm und weisen daraufhin, dass
ihnen das Geld für die Versorgung dieser Flüchtlinge ausgeht und sie bitten die internationale
Staatengemeinschaft mit immer drängenderen Aufrufen um weitere Unterstützung.
Leider vergeblich.
Das hat dazu geführt, dass beispielsweise die Essenrationen halbiert werden mussten und dass
wir eine Situation haben, in der beispielsweise die Menschen, die im Libanon Zuflucht gesucht
haben, pro Tag nur noch mit einem Betrag von 50 Cent für Nahrungsmittel unterstützt werden
können. Mit 50 Cent kann niemand irgendwo überleben, mit der Folge, dass in diesen
Flüchtlingslagern inzwischen immer mehr Hunger und Not ausgebrochen ist. Von einer
medizinischen Versorgung ist keine Rede mehr.
Es gibt fast keine Medikamente und wer auch nur an Diabetes oder Blutdochdruck leidet oder
sonst irgendeine Krankheit hat, dessen Überlebenschancen schwinden täglich.
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II. Ursachen
• Fragt man sich nun nach den Ursachen dieser extrem stark gestiegenen Flüchtlingszahlen,
dann gibt es ein ganzes Konglomerat von Ursachen. Ganz abgesehen von Flüchtlingen, die der
Klimawandel inzwischen weltweit produziert und die bereits in weiten Teilen dieser Welt
unterwegs sind, wollen wir nur einmal die Lage im Nahen Osten betrachten.
Hier haben sich im Prinzip in der Flüchtlingskrise die aufgestauten Probleme der letzten 25
Jahre kumuliert. Seit dem 11.09.2001 hat der Westen, das sind nicht nur die USA, sondern
dazu gehören auch die gesamten europäischen Staaten in geradezu verheerender Weise
agiert. Dieses falsche Agieren seit 9/11 von Afghanistan über Irak bis Libyen führte zum Zerfall,
genauer gesagt zur Zerstörung ganzer Staaten, inklusive der Entstehung und rasanten
Ausbreitung des Islamischen Staates. Durch den Machtzerfall des umso mörderischer
agierenden Assad-Regimes, den Terror des IS und die sich völlig widerstreitenden Interessen
der Groß- und Regionalmächte USA und Russland, aber auch Iran, der Türkei und Saudi
Arabien, ist dieses Land längst zu einem failed state, einem gescheiterten und zerfallenden
Staat (dasselbe erleben wir gerade in Libyen) geworden.
Das sind aber „nur“ die jüngsten Fluchtbrennpunkte. Andere Gründe sind in der überaus
langen Geschichte der Ausbeutung des Südens durch den Norden zu sehen, früher als
Kolonialismus, heute in Form einer höchst ungerechten Welthandelsordnung.
Das hat zu einem ungeheuren Elend, speziell in Afrika geführt. Wenn Sie nur daran denken,
dass die EU-Kommission in einem jahrelangen Verfahren jetzt sehr viel afrikanische Staaten
zu Verträgen quasi gezwungen hat, in denen wir, die Europäer unsere hochsubventionierten
Lebensmittelüberschüsse zu Billigstpreisen in Afrika einführen, mit der Folge, dass kein
afrikanischer Bauer mit diesen Preisen in der Produktion in seinem eigenen Ackerland
mithalten kann. Wenn er aber seine Produkte nicht mehr verkaufen kann, weil sie viel teurer
sind, wie die europäischen eingeführten Lebensmittel, was wird dann die Folge sein?
Er verarmt und wird, wenn er sich und seine Kinder nicht mehr ernähren kann, entweder vor
die Wahl gestellt, auf seinem eigenen Land zu verhungern oder sich auf den Weg zu machen
in ein anderes Land, wo er hofft, für sich und seine Kinder und seine Familie eine Zukunft zu
finden.
Mit anderen Worten:
Wir produzieren mit dieser Art von wirtschaftlichem Handeln selbst neue Flüchtlingsströme
und das muss man sich immer wieder vor Augen halten, wenn uns in der Politik erzählt wird,
man müsse doch so dringend die Fluchtursachen bekämpfen. So wird es sicher nicht
gelingen.
Bürgerkriege, Staatszerfall, soziales Elend: All das setzt die Menschen in Bewegung. Deswegen
wird es auch nicht reichen, den verbrecherischen Schleppern das Handwerk zu legen.
Millionen Verzweifelte warten nur darauf, endlich ihr altes Leben hinter sich zu lassen und ein
besseres im gelobten Europa zu finden und dabei ist noch nicht einmal abzusehen, welche
Fluchtwellen durch immer massivere Umweltzerstörung und Klimawandel ausgelöst werden.
Das wäre nochmals ein ganz eigenes Thema für einen weiteren, sehr umfangreichen Vortrag.
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Zurück zu unserem Bespiel Syrien:
Die Menschen, die von dort geflohen sind, haben nachdem der Krieg jetzt vier Jahre lang
dauert, im Prinzip jeden Monat mehr die Hoffnung verloren, dass eine Rückkehr in ihre alte
Heimat und ein Wiederaufbau innerhalb absehbarer Zeit möglich sind. Nachdem sie diese
Hoffnung begraben mussten, suchen sie jetzt nach einem Weg, sich ein neues Leben
aufzubauen. Wer nicht in seine Heimat zurückgehen kann, wer diese Perspektive verloren hat,
wird, zumal die Lage in den überfüllten Lagern der syrischen Anrainerstaaten immer
katastrophaler geworden ist, nach Europa fliehen.
Das ist das Land, von dem sie gehört haben, wo die Menschen reich sind, wo Demokratie
herrscht und wo sie hoffen, Ruhe vor Bomben, Medizin für die Krankheiten für sich und ihre
Kinder, etwas zu essen, eine neue Wohnung, eine neue Arbeit und eine neue Zukunft zu
finden.
III. Antworten
• Was können denn nun die Antworten auf diese Situation sein?
Natürlich erst einmal das, was jeder Politiker heute so ganz schnell als Satz von sich gibt,
nämlich das Thema Fluchtursachen bekämpfen.
Genau das müssen wir tun, aber was bedeutet das denn konkret?
Wenn die Bundesregierung, wie vor wenigen Wochen geschehen, ganz offiziell bekannt
gegeben hat, dass der Klimawandel nun auch in Deutschland angekommen ist, dann haben
wir Otto-Normalverbraucher das vielleicht schon seit Langem gespürt und instinktiv gewusst.
Offiziell zugegeben hat es die Politik erst jetzt.
Mir stellt sich da eine einfache Frage:
Kann man gleichzeitig das Klima „retten“, das heißt ganz intensiv den Klimawandel
bekämpfen, um so den Planeten für die Erdbewohner zu retten und kann man dann
gleichzeitig eine ständig wachsende Wirtschaft haben?
Ich denke, beides geht nicht! Das widerspricht sich so diametral, dass wir in Kürze vor der
Entscheidung stehen werden, was nun geschehen soll. Weiteres ständiges wirtschaftliches
Wachstum bei weiterer Ausbeutung von menschlichen und natürlichen Ressourcen?
Können wir es uns weiter leisten, neben der tatsächlichen Wirtschaft, die reale Dinge
produziert, eine „virtuelle“ Wirtschaft zu haben, die durch enorm schnelle, weltweit agierende
Geldströme virtuell Geld produziert und genauso auch wieder Vermögen vernichtet? Oder
müssen wir uns darauf besinnen, all unser weltweit vorhandenes Wissen und Können darauf
zu verwenden, Dinge zu produzieren und neu zu erfinden, die dazu beitragen, unser Klima zu
retten?
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a) All das mag Ihnen sehr global und sehr weit hergeholt erscheinen, aber wenn es uns nicht
gelingt, die Versteppung und das Unbewohnbarmachen von vielen Regionen durch den
Klimawandel und Umweltzerstörung zu stoppen, können wir Fluchtursachen nicht
bekämpfen.
Das ist eine sehr mühsame, aber unausweichliche Aufgabe, um eine globale Antwort auf
das Entstehen von Flüchtlingsströmen zu finden.
b) Dass wir parallel dazu international denkend mit allen anderen Staaten reden und
verhandeln müssen, auch mit denen, die wir als Gegner oder Feinde betrachten, ist unsere
einzige Chance, um politisch internationale Antworten auf die Konfliktherde dieser Welt zu
finden.
Lassen Sie uns dazu als Beispiel die aktuelle Lage in der Türkei betrachten:
Dort regiert derzeit der politisch wohl sehr umstrittene Präsident Herr Erdogan.
Wenn Sie 20 Jahre zurückdenken, dann erinnern Sie sich vielleicht daran, dass die Türkei
damals schon eine höchst umstrittene Kurdenpolitik betrieben hat und ganze Dörfer in
Ostanatolien, die rein kurdisch bewohnt waren, von türkischen Planierraupen platt gemacht
wurden. Damals haben viele Kurden, das heißt türkische Staatsangehörige, kurdischer
Volkszugehörigkeit, politisches Asyl in Deutschland bekommen, weil der deutsche Staat das
als politische Verfolgung im Sinne unseres Artikels 16 a Grundgesetz (GG) des Asylrechtsartikels angesehen hat.
Die Kurden leben vor allem im äußersten Osten der Türkei. Dort grenzen die Kurdengebiete
im Norden des Iraks an die Kurdengebiete in Syrien. Dieses Gesamtgebiet stellt nun wieder –
zumindest aus Sicht von Herrn Erdogan – eine Bedrohung für ihn dar. Er möchte unter allen
Umständen verhindern, dass hier ein eigenes autonomes Kurdengebiet entsteht und vielleicht
sogar ein eigener Staat.
Das und der nun schon seit mehreren Jahrzehnten intensive Wunsch der Türkei, doch EUMitglied zu werden, sind zwei sehr wichtige Zielsetzungen des türkischen Präsidenten.
Dem Wunsch auf EU-Mitgliedschaft hat sich die Bundesrepublik nunmehr seit über 30 Jahren
erfolgreich widersetzt. Wir haben zwar 1980 ein sogenanntes Assoziationsabkommen mit der
Türkei geschlossen, wonach türkische Arbeitnehmer in Deutschland doch ein paar mehr
Sonderrechte haben als andere Ausländer, aber wir haben eben – vielleicht auch wegen der
Angst vor dem Islam – eine EU-Mitgliedschaft nie wirklich ernsthaft in Erwägung gezogen.
Stattdessen haben wir in den letzten drei Jahren in steigendem Maße, seitdem der
Syrienkrieg fortschreitet und diese mörderische Organisation des Islamischen Staates ihr
Unwesen treibt, sehr intensiv daran mitgewirkt, dass die Kurden und die PeschmergaKämpfer quasi stellvertretend für andere, diesen Kampf gegen den IS geführt haben. Dazu
haben wir sie mit Waffen und sonstiger Logistik unterstützt.
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Nachdem jetzt aktuell der Zustrom der Flüchtlinge über die Türkei immer stärker wird, will die
EU mit demselben Herrn Erdogan einen Pakt schließen, sie will die Türkei zum sicheren
Herkunftsland erklären, so wie wir das bisher mit Mazedonien, Serbien und BosnienHerzgowina gemacht haben und wie wir das mit dem Kosovo und Albanien planen, dann will
man Herrn Erdogan zusichern, mehrere neue Flüchtlingslager für rund 2 Millionen Menschen
in der Türkei zu finanzieren und Herr Erdogan soll dafür die Grenzen zu Griechenland
abriegeln, damit die Flüchtlingsströme versiegen.
Was zeigt uns dieses Beispiel?
Es zeigt, dass wir Europäer und der ganze Westen immer wieder dazu neigen, uns auch mit
sehr fragwürdigen politischen Machthabern an einen Tisch zu setzen und mit ihnen zu
paktieren, wenn es uns gerade für unsere Interessen genehm erscheint, dass wir aber auch
keine Hemmungen haben, genau dieselben Staaten oder Machthabern davor oder danach
wieder zu Schurkenstaaten zu erklären und/oder Flüchtlinge aus ihren Ländern als politisch
verfolgt anzuerkennen.
Dasselbe haben wir übrigen mit dem Regime des Herrn Assad gemacht. Noch im Jahr 2008 hat
die Bundesrepublik Deutschland – und schon damals wusste man, dass es sich um einen
Schurkenstaat handelt – mit Herrn Assad einen Vertrag geschlossen, indem er sich verpflichtet
hat, abgeschobene Flüchtlinge, egal ob es sich um syrische Staatsangehörige oder
Staatsangehörige anderer Staaten handelt, entgegenzunehmen.
Dieser Vertrag ist damals nicht mehr mit Leben erfüllt worden – Gott sei Dank möchte man
sagen -, denn dann kam der Krieg in Syrien dazwischen.
Mit anderen Worten:
Wir müssen bei unserer europäischen und deutschen Außenpolitik nicht kurzfristig und
nicht in 4-Jahreswahlzeiträumen Aktionen beginnen, von denen wir eigentlich von Anfang
an wissen müssen oder wissen können, dass sie unmoralisch, unmenschlich und letztlich
zum Scheitern verurteilt sind.
III.1) Antworten international/europäisch
Was können wir denn nun tun, um vernünftige Antworten auf die Herausforderung des hohen
Flüchtlingszustroms zu finden?
Wir brauchen insgesamt eine bessere Außenpolitik, die schneller und überlegter auf
Konflikte reagiert. Wir brauchen eine durchdachte, aufeinander abgestimmte Außenpolitik
unter Einbeziehung der USA und Russlands und das alles ist leider alternativlos.
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Schauen wir uns dazu einmal die derzeitigen Ideen der Politik an:
a) Außengrenzen sichern
Wir können natürlich versuchen, die Außengrenzen des Schengen-Gebietes, also dieser 28
Staaten, die sich zu der Europäischen Union zusammengeschlossen haben, weiter
hochzuziehen und weitere hohe Hürden bauen, die uns vor einem Eindringen von Flüchtlingen
schützen sollen. Denken Sie an die Zäune von Melilla und Lampedusa. Letztlich genützt hat
das bislang nichts. Wenn der Druck, dem Menschen ausgesetzt sind, zu hoch wird und wenn
sie keine Alternative haben, werden sie aus ihren Ländern fliehen und sie nehmen dabei in
Kauf, dass sie auf dieser Flucht sterben werden, so wie es vielen Hunderten oder Tausenden
in den nordafrikanischen Wüstengebieten passiert ist und so wie es tagtäglich im Mittelmeer
geschieht.
Europa kann also versuchen, seine Außengrenzen weiter abzusichern. Das macht im Moment
Ungarn an der Grenze zwischen Ungarn und Serbien. Was man von dieser Politik von Herrn
Viktor Orban halten soll, kann man auch sehr lange diskutieren und was machen wir eigentlich,
wenn wir jetzt weiterhin mit Serbien verhandeln, weil Serbien ja auch gerne in die EU möchte
und das am liebsten als Gegenleistung dafür, dass Serbien dafür sorgen soll, dass künftig keine
Kosovaren oder Albaner sich auf den Weg in die EU machen.
Und was macht eigentlich Ungarn, wenn dann Flüchtlinge versuchen, diesen Zaun trotzdem
zu durchdringen? Soll dann auf Flüchtlinge geschossen werden?
Wird dann an den EU-Außengrenzen Krieg gegen Flüchtlinge geführt mit Waffen?
Das kann und darf sicherlich in einer aufgeklärten humanen Welt keine Lösung sein.
Abgesehen davon, dass es auch illusorisch ist, denn selbst Frau Merkel hat inzwischen
verstanden, dass wenn man einen Zaun baut, sich die Menschen andere Wege suchen
werden.
b) Binnengrenzen ziehen
Wie steht es denn nun mit der Errichtung von Mauern und Zäunen innerhalb der EU-Staaten?
Ist das denn erlaubt und sinnvoll? Und würde es in irgendeiner Weise zur Entspannung der
Flüchtlingssituation beitragen?
Wir haben innerhalb der EU Verträge geschlossen, an die wir uns alle halten müssen. Natürlich
kann jedes EU-Land seine Wiesen und Äcker mit Zäunen zupflastern. Die regulären
Verbindungen, Straßen, Flüsse und Schienenwege dürfen nicht blockiert sein. Das ist
geltendes EU-Recht, weil die Binnengrenzen grundsätzlich offen zu halten sind.
Grenzkontrollen dürfen nur vorübergehend eingeführt werden und zwar nur dann, wenn die
öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit bedroht sind.
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Es gibt sogar Unionspolitiker, die wollen, dass wir die 800 km lange Grenze zwischen
Deutschland und Österreich komplett dichtmachen, das heißt Zäune ziehen und diese Zäune
bewachen. Hierzu sagt die Bundespolizei, dass das völlig unrealistisch sei und dass dies auch
mit noch so viel Personal nicht gelingen wird.
Abgesehen davon, dass sich natürlich die Frage stellt, ob das wirklich das Ziel eines hier in
Deutschland lebenden Menschen sein kann, dass er nach ein paar hundert Kilometern Fahrt
auf der Autobahn an aufwendige Kontrollen der Straßen, Flüsse und Schienenwege trifft
und ansonsten nur noch auf Zäune und Mauern, die mit Legionen von Polizei und Hunden
und sonstigen Dingen gesichert sind. Hatten wir das Ganze nicht schon einmal vor 25 Jahren
mitten durch Berlin? Und waren wir nicht wirklich froh, als diese Mauer endlich gefallen ist?
Wollen wir wirklich solche Mauern wieder aufbauen?
c) Transitzonen einrichten
Die nächste Idee, die die Politik hat, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und um immer
wieder zu zeigen, dass sie das Ganze im Griff habe oder aber zumindest in der Lage sei, das
Problem in den Griff zu bekommen, ist das Thema der Transitzonen.
Dabei sollen Flüchtlinge an der deutschen Grenze in Auffanglagern festgehalten werden und
dann soll im Schnellverfahren geprüft werden, ob sie Anspruch auf Schutz haben und wenn
nicht, sollen sie abgeschoben werden.
Das Bundesinnenministerium ist der Meinung, Transitzonen dürften in Zeiten von
Grenzkontrollen, die ich vorher beschrieben habe und die ja nur unter bestimmten
Voraussetzungen möglich sind, innerhalb der EU erlaubt sein.
Die EU-Kommission, also unsere EU-Regierung erklärt dagegen, Transitzonen seien dauerhaft
gar nicht mit europäischem Recht vereinbar. So etwas gebe es bisher nur auf den Flughäfen,
die ja als Außengrenzen gelten.
Selbst wenn man sich auf diesen Rechtsstreit gar nicht einlassen will, sind Transitzonen zum
Scheitern verurteilt. Hier müssen Menschen wie in Gefängnissen leben. Es ist nicht möglich
tausende von Insassen menschenwürdig unterzubringen und es würde zu Eskalationen
kommen und dann stellt sich wieder die Frage, wie wollen wir eigentlich mit Flüchtlingen
umgehen. Wollen wir sie dann beschießen oder was wollen wir tun?
d) Asylrecht einschränken
Der nächste wohlfeile Vorschlag der Politiker ist, das Recht auf Asyl einzuschränken.
Nachdem Politiker immerhin einen Eid auf unsere Verfassung ablegen, müssten sie eigentlich
wissen, dass Artikel 16a des Grundgesetzes ein Verfassungsrecht ist und deshalb nur mit einer
2/3-Mehrheit des Bundestages und des Bundesrates überhaupt geändert werden kann. Eine
solche 2/3-Mehrheit ist weit und breit nicht in Sicht. Warum also diskutiert man so etwas?
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Aber selbst wenn wir in Deutschland unseren Artikel 16a GG ändern würden, hat das nur
begrenzte Auswirkungen, denn wir unterliegen eben auch dem EU-Recht und danach gibt es
nicht nur die Asylanerkennung, sondern auch diesen berühmten subsidiären Schutz. Bei
diesem subsidiären Schutz geht es nicht um politische Verfolgung, sondern diesen Schutz
erhalten nach EU-Flüchtlingsrecht all die Menschen, deren Leben durch einen gewaltsamen
internationalen oder innerstaatlichen Konflikt bedroht ist, also bei Kriegen und Bürgerkriegen
und an dieses EU-Recht ist Deutschland gebunden.
Man hat den Eindruck, dass dieser Ruf in der Politik leider wieder einmal ein mehr oder
weniger leeres populistisches Gewäsch ist oder die Politiker, die danach rufen, haben
schlicht und einfach keine ausreichende Sachkunde.
e) gerechte Lastenverteilung (neudeutsch: burden-sharing)
Dann das derzeitige Lieblingskind im politischen Diskurs, nämlich die sogenannte gerechte
Lastenverteilung innerhalb der EU.
Als das sogenannte Dublin-Verteilungssystem vor über 20 Jahren erfunden wurde, war
Deutschland nach ständig gestiegenen Asylbewerberzahlen, die schlussendlich bei über ½
Million pro Jahr lagen, plötzlich quasi über Nacht fast flüchtlingsfrei. Von dieser über ½
Millionen Flüchtlingen sanken die Zahlen von jetzt auf nachher auf 27.000 Asylbewerber in
der ganzen Bundesrepublik pro Jahr. Wie hat man das geschafft?
Obwohl die Regierung Kohl damals 16 Jahre lang mantraartig verkündet hat, dass Deutschland
kein Einwanderungsland sei, haben die Flüchtlinge dieser Welt dies einfach nicht beachtet und
sind trotzdem nach Deutschland gekommen und mit den steigenden Zahlen hatten wir dann
auch sprachlich ein Problem, denn wir sprachen von einer Asylantenflut und haben
semantisch Bilder von Naturkatastrophen beschworen.
Dann haben sich die Schengen-Staaten zusammengesetzt und das wirtschaftlich schon damals
sehr starke Deutschland konnte sich mit der Idee - vereinfacht ausgedrückt – durchsetzen,
dass der europäische Staat für das Asylverfahren eines Flüchtlings in Europa zuständig ist,
dessen Boden der Flüchtling zum ersten Mal betritt.
Nachdem Deutschland innerhalb der EU ein Binnenland ist und keine Außengrenzen (bis auf
die Nordsee) besitzt, waren wir plötzlich quasi flüchtlingsfrei. Nur wer mit dem Flugzeug kam
und auf seinem Flug erstmals deutschen Boden innerhalb der EU betreten hat, konnte hier
sein Asylverfahren durchführen oder auch derjenige, der erklärte, er sei in einem
verschlossenen Lkw durch Länder gefahren, die er nicht kenne und die ihm die Fluchthelfer
oder Schlepperorganisation nicht genannt hat und als er dann aus diesem Fahrzeug
herausgelassen wurde, habe er sich in Deutschland befunden, ohne zu wissen, über welche
anderen Länder dieses Fahrzeug gefahren sei.
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Dieses System, die berühmte Dublin-Verordnung hat viele Jahre sehr gut für uns funktioniert
und die Lasten haben die EU-Staaten mit großen Außengrenzen wie Spanien, Italien,
Frankreich, Polen usw. getragen. Diese Staaten, insbesondere auch Italien, haben über Jahre
hinweg nach Hilfe gerufen, weil sie mit der Menge der Flüchtlinge, für die sie nach dem
Dublin-Verfahren zuständig waren, einfach nicht fertiggeworden sind.
Hilfe haben sie nicht bekommen, sondern ganz im Gegenteil, die deutsche Bundesregierung
hat beispielsweise auf das Seenotrettungsprogramm Mare Nostrum, das die italienische
Regierung alleine bezahlt hat, in der Form reagiert, dass man politisch ganz eindringlich Italien
dazu gedrängt hat, dieses Seenotrettungsprogramm aufzugeben. Es wurde ersetzt durch das
Programm Triton, auch ein angebliches Seenotrettungsprogramm. In Wahrheit geht es hier
aber sehr viel mehr darum, die EU-Außengrenzen zu schützen und die Flüchtlinge von der
selbstmörderischen Überfahrt über das Mittelmeer abzuhalten. Dazu ist dann die
Organisation Frontex, die ein sehr fragwürdiges Spiel in diesem europäischen Kontext zu
betreiben hat, mit an Bord dieser Boote.
Auch das wiederum ein Thema, das ausreichen würde für einen ganz eigenen Vortrag.
Fakt ist, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Weisung des
Innenministeriums bis heute an diesem Dublin-Verfahren festhält und sich damit
beschäftigt, obwohl dieses Dublin-Verfahren nach der Rechtsprechung der EU und nach den
tatsächlichen Abläufen eigentlich längst gescheitert ist.
Auch hier nur ein kleines Beispiel:
Es gibt eine europäische daktyloskopische Datei, das sogenannte EURODAC-System. Darin
werden die Fingerabdrücke aller Flüchtlinge EU weit registriert und das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge durchsucht erst einmal diese Datei, ob ein Flüchtling, der sich in
Deutschland gemeldet hat, nicht vielleicht schon aufgrund dieser Datei in einem anderen EUStaat registriert wurde. Ist das der Fall, dann wird per E-Mail ein Ersuchen an diesen anderen
europäischen Staat gestellt, diesen Flüchtling zurückzunehmen. Nur wenn der andere
europäische Staat dies ablehnt, darf der Flüchtling nicht zurückgeschickt werden.
Wenn dagegen dieser Staat damit einverstanden ist oder einfach nur schweigt, gilt das
Schweigen als Zustimmung und dann kann Deutschland innerhalb einer Frist von sechs
Monaten diesen Flüchtling in diesen Erstaufnahmestaat Italien, Griechenland, Bulgarien oder
wo auch immer, zurücküberstellen.
Auf diese Art und Weise hat man aufgrund der Anfrage einer Linken im Bundestag folgende
Zahlen über sogenannte Dublin-Rückführungsverfahren zur Kenntnis nehmen müssen:
Im Jahr 2014 wurden vom BAMF insgesamt rund 35.000 Dublin-Verfahren eingeleitet. Faktisch
ist es davon dann lediglich zu Rücküberstellungen in Höhe von 4.800 Flüchtlingen gekommen
und Deutschland musste im Gegenzug aus diesem Dublin-Verfahren 1.300 Flüchtlinge von
anderen EU-Staaten entgegennehmen.
Im Ergebnis heißt das, dass wir durch das Dublin-Verfahren tatsächlich 3.500 Flüchtlinge an
andere EU-Staaten „losgeworden“ sind. Für diese Zahl haben wir einen Verwaltungsaufwand
von 35.000 Verfahren betrieben.
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Fragen Sie mich bitte nicht nach dem Sinn solcher Aktionen.
Hinzukommt, dass im Dublin-Verfahren ursprünglich davon ausgegangen wurde, dass die
Asylverfahren in den anderen EU-Staaten in etwa den gleichen Standard haben, es also jedem
Flüchtling zumutbar ist, in dem Land zu bleiben, wo er zuerst in der EU angekommen ist.
In der Praxis hat sich das aber als ein großer Irrtum erwiesen.
Der erste Staat, indem den Flüchtlingen menschenrechtswidrige Behandlung drohte, also das,
was die Juristen systemische Mängel im Asylverfahren nennen, war Griechenland, mit der
Folge, dass Deutschland freiwillig, um nicht viele Urteile gegen sich zu kassieren und um zu
zeigen, dass man auch das Problem verstanden hat, darauf verzichtet hat, Flüchtlinge nach
Griechenland zurückzuschicken, obwohl Griechenland für das Asylverfahren zuständig
gewesen wäre.
Solche systemischen Mängel haben sich dann mit der steigenden Zahl der Flüchtlinge auch für
Italien in immer größerem Umfang ergeben. In Italien haben Flüchtlinge auf der Straße
nächtigen müssen. Niemand hat sich um ihre Versorgung gekümmert, weder medizinisch,
noch nahrungstechnisch und es gibt in Italien – auch für Italiener – keine Sozialhilfe, also keine
staatlichen Grundversorgungsleistungen.
Kein Wunder also, wenn sich die Flüchtlinge nicht um die Rechtslage gekümmert haben,
sondern um der faktischen Not zu entgehen, einfach von Italien aufgrund der nicht
vorhandenen Binnengrenzen weitergewandert sind.
Langer Rede kurzer Sinn:
Dieses Dublin-Verfahren hat uns lange Zeit geschützt vor der großen Anzahl von
Flüchtlingen, dann ist dieses Dublin-Verfahren einfach immer mehr zusammengebrochen
und jetzt sind wir wieder mit hohen Flüchtlingszahlen konfrontiert und rufen nun, so wie
die Italiener schon vor fünf und zehn Jahren nach einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge.
Natürlich wird man sich um eine gerechtere Verteilung innerhalb der EU weiter bemühen
müssen und das ist nun wirklich Aufgabe der nationalen und der EU-Politiker und ob sie das
über Geld oder Quoten oder eine Kombination von beidem lösen können, wird sich in der
Zukunft zeigen. Es bleibt aber nichts anderes übrig, als sich dieser Aufgabe wirklich ernsthaft
und ehrlich zu stellen.
III.2) Antworten national
Was also können wir nun tatsächlich tun, um die vielen Flüchtlinge, die nicht nur in die EU,
sondern auch weiter nach Deutschland einwandern werden, anständig zu versorgen und wie
können wir mit diesem Problem besser umgehen?
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(1) Wir brauchen mehr mobile Hilfen durch das THW und die Bundeswehr. Eine Prozedur, die
wir in weit entfernten Katastrophengebieten oft binnen drei Tagen auf die Beine stellen.
Warum können wir das eigentlich nicht hier in unserem eigenen Land, zumal die
Zivilbevölkerung sich ja in einer zu Zeiten der Kohl-Regierung niemals vorstellbaren Art
und Weise hier positiv einbringt und aktiv mitarbeitet.
(2) Wir müssen die provisorischen Unterkünfte für die vielen Flüchtlinge sofort winterfest
machen. Alles andere wäre unmenschlich und würde bei den sowieso schon durch
oftmals monatelange Flucht geschwächten Menschen zu schweren und zahllosen
Erkrankungen führen, die alleine schon was die Kosten anbelangt, dann auch wieder
relativ uferlos werden können.
(3) Wir müssen den Druck aus den völlig überfüllten Landeserstaufnahmeeinrichtungen
herausnehmen. Wir im Ostalbkreis wissen alle, wovon wir hier zahlenmäßig reden, wenn
wir an die LEA in Ellwangen denken, die mal mit 500 oder 1.000 Flüchtlingen angedacht
war und die in den letzten Tagen und Wochen bis zu 5.000 Flüchtlinge beherbergen
musste.
Die Statistik für den August 2015 zeigt, dass zumindest aktuell die meisten Asylsuchenden
aus Herkunftsländern kommen, die in Deutschland die höchsten Anerkennungsquoten
haben. Fast 70 % von ihnen, nämlich genau 68,7 % kommen aus den Bürgerkriegsländern
Syrien mit 44,5 %, Afghanistan mit 11 %, Irak mit knapp 9 %, Somalia mit etwas über einem
Prozent und der Militärdiktatur Eritrea mit über 3 %. Diese Menschen werden definitiv in
Deutschland bleiben und bleiben dürfen. Sie werden aufgrund ihrer Anerkennung auch
das Recht haben, in einem gewissen Umfang ihre Familienangehörigen nachzuholen und
wenn man nun den Druck aus den LEAs herausnehmen will, dann müsste man doch
sinnvollerweise diese Menschen sehr sehr schnell anerkennen und sie nicht noch Wochen
und Monate und manchmal sehr viele Monate noch in der Warteschleife halten. Wenn
sie sofort anerkannt werden, dürfen sie nämlich die LEA verlasse und sie können, was
viele von ihnen wollen, bei Familien oder Freunden unterkommen oder sie brauchen
intensive Hilfe bei der Suche nach einer Privatwohnung. Das alles darf auch nicht durch
bürokratische Hürden bei dem Wechsel von einem Bundesland zum anderen Bundesland
erschwert werden.
Fazit:
Das Bundesamt muss aufhören, zumindest zeitweise sich mit unsinnigen DublinVerfahren zu beschäftigen.
Das Bundesamt muss aufhören, sich mit genauso unsinnigen Widerrufsverfahren zu
beschäftigen.
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Ein Satz dazu:
Im Gesetz ist geregelt, dass automatisch nach drei Jahren nach einer Asylanerkennung
das Bundesamt prüfen muss, ob die Asylanerkennung widerrufen wird. Gegen einen
solchen Widerruf kann man natürlich klagen und in den wenigsten Fällen werden
tatsächlich die Anerkennungen widerrufen. Aber selbst da, wo sie widerrufen werden,
führen sie nicht dazu, dass der Flüchtling das Land verlassen muss, denn inzwischen hat
er sich meistens ausländerrechtlich so stark integriert, dass er trotzdem ein Bleiberecht
hat.
Mit anderen Worten:
Solche Widerrufsverfahren binden völlig unnötige Kräfte beim Bundesamt, die man ganz
dringend für eine schnelle Anerkennung der sowieso anzuerkennenden Personen braucht
und die man auch braucht, um den unsäglich großen Rückstau der Verfahren
abzuarbeiten. Nach den offiziellen Zahlen des Bundesamtes gibt es derzeit ca. 250.000
unerledigte Asylverfahren.
(4) Man sollte darüber nachdenken und sehr schnell auch eine Entscheidung dazu treffen, ob
man nicht Asylanerkennungen - wie früher schon geschehen – ausspricht, indem man von
einer Gruppenverfolgung ausgeht. Das hat man in der Vergangenheit beispielsweise für
die Yeziden aus dem Tur Abdin oder für die Ahmadis aus Pakistan gemacht. Warum
machen wir so etwas nicht auch für Syrer oder Eritreer. Es würde die Verfahren sehr
beschleunigen und drastisch verkürzen.
An dieser Stelle vielleicht noch ein paar Bemerkungen zum Bundesamt:
Die Desorganisation und das Chaos innerhalb dieser Behörde – nicht erst seit dem
Rücktritt des Präsidenten Herrn Schmid – ist inzwischen in Fachkreisen fast schon
legendär. Seit Jahren wird über zu wenig Personal geklagt. Die Gelder in Berlin wurden
wohl nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt und die Schulungen und
Nachschulungen für neue Bundesamtsentscheider sind natürlich auch nicht erfolgt.
Stattdessen werden Entscheider, die erfahren sind und die aufgrund ihrer hohen
Erfahrung auch schnell viele Fälle abarbeiten können, quer durch die Republik zu den
jeden Tag neu erfundenen Hotspots abberufen, wo sie dann, anstatt ihre Fälle
abzuarbeiten, weiterhin Chaos verwalten.
Ich habe in der Vergangenheit immer daran geglaubt, dass wir was Verwaltung anbelangt,
doch ein Volk sind, das hochkompetent ist. Die Erfahrung mit dem Bundesamt zeigen
leider ein völlig anderes Bild.
Es ist beispielsweise für mich auch überhaupt nicht nachvollziehbar, wenn sich hier im
Ostalbkreis jemand beim Bundesamt, Außenstelle Ellwangen, bewirbt und mitteilt, dass
er aufgrund der jahrelangen Auslandstätigkeit eines Ehemannes arabische
Sprachkenntnisse hat, noch nicht einmal zu einer Vorstellung eingeladen wird. Totales
Desinteresse an qualifizierten Personen ist sicherlich kein Weg, um Personalengpässe zu
beheben.
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(5) Beschleunigung der Asylverfahren:
Ich habe schon im vorangegangenen Punkt angesprochen, dass es die Möglichkeit der
Gruppenverfolgung gibt. Man kann aber auch die Prüfung von Asylanträgen ansonsten
systematisieren, so wie man es in den vergangenen Monaten zumindest teilweise bei
syrischen Flüchtlingen gemacht hat, indem man nämlich im schriftlichen Verfahren
entschieden hat. Ein schriftliches Verfahren würde sich für Syrer, für Flüchtlinge aus dem
Irak und für Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea und bestimmte Personengruppen
durchaus anbieten.
(6) Zur Entlastung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird eine
Altfallregelung erlassen mit einer Aufenthaltserlaubnis für Flüchtlinge, über deren
Asylantrag seit einem Jahr nicht entschieden wurde. Wenn das BAMF mehr als ein Jahr
braucht, um über einen Asylantrag zu entscheiden, dann kann er eigentlich nicht mehr
offensichtlich unbegründet sein, denn wenn es so offensichtlich wäre, dann könnte man
ja sehr schnell entscheiden.
(7) Wir brauchen faire und korrekt durchgeführte Asylverfahren. Das Bundesamt muss
prüfen, ob jemand das sogenannte „große Asyl“ erhält oder nur den vorher schon
erwähnten subsidiären Schutzstatus und das Bundesamt muss weiter prüfen, ob
Abschiebungshindernisse vorliegen und wenn diese Vorliegen, muss das Bundesamt auch
bei Ablehnung des Asylantrages feststellen, dass die Abschiebungshindernisse da sind.
Gerade in diesem letzten Punkt liegt sehr sehr vieles im Argen.
Die Politik hat sich zurzeit geradezu darauf eingeschossen, Flüchtlinge in gute und
schlechte Flüchtlinge einzuteilen. Die guten Flüchtlinge sind die aus den Kriegsgebieten,
die schlechten sind generell die aus dem Westbalkan. Gemeint sind damit insbesondere
Roma und Ashkali, die in ihren Ländern regelmäßig zu den ärmsten der Armen gehören,
die deshalb schlecht gebildet sind, keine Arbeit haben und sich auch gegen
Drangsalierungen und rechtswidrige Aktionen aufgrund fehlender finanzieller Mittel und
fehlender unabhängiger Rechtssysteme nicht wehren können. Es herrscht in vielen dieser
Länder des Westbalkan eine Mischung aus Willkür, Angst, Unterdrückung, Korruption und
völliger wirtschaftlicher Schieflage.
Wenn dann ein Roma oder ein albanischer Volkszugehöriger beispielsweise in Serbien auf
der untersten Stufe jeder sozialen Leiter steht, ist natürlich auch kein Geld für notwendige
lebenserhaltende, manchmal sehr einfache medizinische Dinge vorhanden und wer dann
für sich und seine Kinder keine, aber auch nicht die geringste Chance in der Zukunft sieht,
wird versuchen, alles was er hat für eine Reise nach Europa aufzuwenden, um dort eine
Zukunft zu finden. Die meisten dieser Menschen sind außerordentlich bildungshungrig
und arbeitswillig und wir könnten sicherlich sehr viele von Ihnen auch gut auf unseren
Ausbildungs- und Arbeitsmärkten gebrauchen, denn sie sind extrem lernwillig und
einsatzbereit, aber wir haben diese Staaten zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten
erklärt und die, die es noch nicht sind, sollen es ab 01.11.2015 werden und dann können
wir ihre Asylanträge als offensichtlich unbegründet ablehnen und versuchen, sie wieder
loszuwerden.
Ich sage ganz bewusst, versuchen, denn das mit der Abschiebemaschinerie ist, wie die
Vergangenheit sehr gut gezeigt hat, eben auch nicht so einfach, wie uns die Politik immer
glauben machen will.
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Das war in der Vergangenheit nicht einfach und es wird auch in der Zukunft nicht einfach
sein und die Behauptung, man müsse nur einfach schnell genug abschieben, um diesen
Menschen klarzumachen, ihre Zukunft kann weder Europa noch Deutschland sein, ist bis
zu einem gewissen Grad einfach Heuchelei und geht auch an der Realität dieser Menschen
vorbei.
Viele von ihnen sind schwer traumatisiert und krank und das Bundesamt müsste ihnen
aufgrund geltender Rechtslage eigentlich schon automatisch ein Abschiebungshindernis
zugestehen. Auch wenn der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird.
Genau dies geschieht aber nicht (Sie erinnern sich an das, was ich zum Thema faire
Asylverfahren versucht habe, auszuführen). Wir haben kein vernünftiges Einwanderungsrecht und wir haben keine Antworten auf diese humanitären Herausforderungen mit der
Folge, dass immer mehr Menschen, insbesondere auch die ehrenamtlich engagierten
fassungslos vor der Vielzahl der menschlichen Einzelkatastrophen stehen.
(8) Wir brauchen dringend die Schaffung bezahlbaren Wohnraums für alle Menschen mit
geringem Einkommen durch den Ausbau des sozialen Wohnungsbau durch den Bund. Wir
müssen die bereits ersten beschlossenen Änderungen des Bundesbaugesetzes weiter
vorantreiben und es muss parallel dazu auch im Steuerrecht und im Mietrecht
Änderungen geben. Man hat im Steuerrecht vor acht Jahren die Abschreibungsmöglichkeiten von 8 % auf 2 % herabgesetzt. Das ist sicherlich der falsche Ansatz. Jeder
von Ihnen dürfte in seinem Bekannten- und Nachbarkreis Menschen kennen, die
Einfamilienhäuser mit Einliegerwohnungen oder Dachgeschosswohnungen haben, die
leer stehen, weil das Mietrecht so ist wie es ist und viele Menschen sich überlegt haben,
dass sie lieber auf die Mieteinkünfte verzichten, als in der bestehenden Rechtslage fremd
zu vermieten.
(9) Wir brauchen sofortigen Zugang zu Sprachkursen und zu Qualifizierungen für alle
Flüchtlinge.
(10) Wir brauchen einen gleichberechtigten Zugang von Flüchtlingen zum Arbeitsmarkt und
nicht die Vorrangprüfung durch die unsägliche ZAV in Duisburg, die sehr oft jeden
Versuch, sich wirtschaftlich auf eigene Füße zu stellen, konterkariert.
(11) Einführung einer Gesundheitskarte
(12) Und das soll nun mein letzter Punkt sein, obwohl die Punkte sich einfach und ziemlich
beliebig weiter fortsetzen lassen würden:
Wir brauchen ein Höchstmaß an gelungener Integration.
Lassen Sie mich auch dazu noch ein paar Sätze sagen:
Integration wird oft als Synonym für Eingliederung verwendet. Vom lateinischen Wortstamm
her bedeutet es „Erneuerung“ und die Integration von vielleicht Millionen Fremden bedeutet
damit auch eine Erneuerung Deutschlands und das heißt gleichzeitig eine Veränderung.
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Wir wissen alle, dass jede Veränderung aufwendig und schwierig ist und es ist natürlich auch
sehr schwer, einer erfolgreichen und – entschuldigen Sie den Ausdruck – satten Wohlstandsgesellschaft zu vermitteln, dass die Notwendigkeit einer Veränderung besteht. Die Agenda
2010 und das ist gerade nur ein paar Jahre her, hat eine tiefe Kluft zwischen arm und reich
geöffnet und immer größere Kreise unserer Gesellschaft selbst an die Rändern gedrängt. Dass
diese Kreise noch mehr als andere davor Angst haben, noch weiter zu verarmen und dass sie
das, was sie haben behalten wollen und nicht noch teilen wollen, ist doch nachvollziehbar und
verständlich.
Integration ist ein Prozess der Jahrzehnte dauern wird und ich weiß natürlich genauso wie
derjenige, der neulich in der Schwäpo den Leitartikel zur Integration geschrieben hat, dass alle
historischen Vergleiche hinken, aber trotzdem:
Viele der Migranten der vergangenen 200 Jahre haben davon profitiert, dass es einfache Jobs
im Industriebereich gab. Diese einfachen Jobs sind aber durch Strukturwandel und
Digitalisierung seltener geworden. Schon jetzt gibt es Millionen Hartz IV-Abhängige und
hunderttausende freie Stellen. Das löst sich nicht einfach auf. Die einzige Antwort darauf heißt
Bildung und Bildung dauert. Die Zeit dafür haben wir, solange die Konjunktur hält und sich alle
dafür engagieren.
Und jetzt zitiere ich wieder aus dem Leitartikel:
Integration ist ein Prozess, der nur in Teilen steuerbar ist. Es geht auch um kleine Schritte
Einzelner, nämlich von Arbeitgebern, Nachbarn, Lehrer, Beamte und es wird Neid und
Missgunst geben, denn hunderttausende Flüchtlinge müssen in den nächsten Jahrzehnten
vom Staat unterstützt werden, vor allem die, die nicht jung und schnell und leistungsfähig
sind, sondern alt, müde und traumatisiert. All das ist eine Herkulesaufgabe und Veränderung
heißt nicht, dass man vom Grundgesetz abweicht. Deutschland ist eine liberale Demokratie,
ein Rechtsstaat, in dem alle vor dem Gesetz gleich sind; in dem Religion Privatsache ist; in dem
Homosexualität akzeptiert wird und in dem und das ohne Wenn und Aber das Gewaltmonopol
beim Staat liegt. All diese Punkte sorgen für die Sicherheit und den Wohlstand, die die
Flüchtlinge suchen.
Viele von Ihnen sind ganz anderes gewöhnt und die Flüchtlinge werden sich hier anpassen
müssen, nicht nur wir müssen uns an die Flüchtlinge anpassen. Nichts ist eine Einbahnstraße.
Alles ist nur im Dialog zu schaffen. Aber wie schon in dem Interview, das ich im Vorfeld zu
diesem Vortrag gesagt habe, es gibt keine Möglichkeit, die Menschen wegzubeamen. Sie sind
hier und ihre Familienangehörige und weitere Flüchtlinge werden kommen. Wir haben also
keine Alternative, als die, es alle miteinander jeden Tag von neuem in der vorbeschriebenen
Weise zu versuchen und sich um Integration zu bemühen.
Nur dann und nur so werden wir es schaffen und können wir es schaffen, denn das Ganze ist
ohne Alternative.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Vera Kohlmeyer-Kaiser
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