Vortrag in der Volkshochschule Aalen e.V. vom 14.10.2015 (im Rahmen der Interkulturellen Woche/Veranstalter Kulturküche Aalen) von Frau Vera Kohlmeyer-Kaiser Wie viele Flüchtlinge verträgt Deutschland? Vorbemerkung: Eine Antwort auf diese Frage in Zahlen ausgedrückt, ist mir nicht möglich. Ich will versuchen, durch Darstellung verschiedener Aspekte der Flüchtlingsthematik mich der Beantwortung dieser Frage zu nähern. Dazu will ich zunächst kurz auf die Zahlen und Ursachen dieser extrem stark gestiegenen Zahlen von nach Europa und hier insbesondere Deutschland fliehenden Flüchtlingen eingehen und ich will dann im nächsten Teil versuchen, Antworten zu dieser, wie sie jetzt allenthalben genannt wird, Flüchtlingskrise zu finden. Diese Antworten, man könnte sie auch anders als notwendige Maßnahmen bezeichnen, sind wiederum zu unterteilen in globale Antworten, europäische Antworten und nationale Antworten. Der Druck auf die Politiker, schnelle und effiziente Patentlösungen zu suchen und finden, ist groß, zumal die Unruhe und die Ängste bei allen Menschen wächst, weil wir alle nicht wirklich wissen, ob und wie gut und wie schnell uns die Lösung dieser Riesenaufgabe gelingen wird oder gelingen kann. Vielleicht werden es viele von Ihnen schon wissen oder ahnen, dass es wohl einfache Lösungen nicht gibt und dass viele der Vorschläge, die jetzt täglich neu in den Medien zu lesen sind und diskutiert werden, mit derselben Geschwindigkeit, mit der sie auftauchen, auch wieder ad acta gelegt werden müssen, weil es nur Scheinlösungen sind oder weil sie mit dem deutschen und europäischen Rechtssystem im Asylrecht überhaupt nicht zusammenpassen. Es gibt aber auf der anderen Seite sehr gute und zielführende Lösungsansätze und auch die will ich versuchen, aufzuzeigen. 1 I. Zahlenmaterial Beginnen wir also mit den Zahlen: • Noch vor Kurzem hat man gesagt, es seien weltweit ca. 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Hungersnöten, Klimawandel und anderen Katastrophen, die ihnen ein Verbleiben in ihrer eigenen Heimat unmöglich gemacht haben. Inzwischen spricht man bereits von weltweit 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Ungefähr 2/3 davon sollen nach den internationalen Zahlen sogenannte Binnenflüchtlinge sei, das heißt, das sind Menschen, die innerhalb ihres eigenen Staates auf der Flucht und auf der Suche nach Schutz sind. 1/3, das sind aber immer noch zwischen 20-22 Millionen Menschen, bewegen sich außerhalb ihres eigenen Staatsgebietes auf der Suche nach einem sicheren Platz zum Leben und Überleben. Nur ein sehr geringer Prozentsatz dieser Gesamtflüchtlinge von zwischen 60 und 65 Millionen, nämlich 2-5 Prozent hiervon kommen nach Europa, das heißt in das Schengen-Gebiet, also in ein Gebiet, indem sich 28 Staaten zusammengeschlossen haben. Diese 28 Staaten haben sich ursprünglich zusammengeschlossen, um innerhalb ihres Gesamtgebietes die Binnengrenzen für den Waren- und Personenverkehr fallen zu lassen und sich eine gemeinsame Währung zu geben. Mit dem Wegfall der Binnengrenze zwangsläufig einhergehend, ist für dieses europäische Unionsgebilde natürlich ein Hochziehen der Außengrenzen. Niemand darf von außen so leicht hereinkommen, weil die, die zu dieser EU gehören, sich innerhalb der EU komplett frei in diesen 28 Staaten bewegen können. Zurück zu den Zahlen: Ein Hauptherkunftsland von Flüchtlingen in Deutschland ist derzeit Syrien. Syrien besaß ursprünglich 20 Millionen Einwohner und heute, nach einem nunmehr vier Jahre andauernden Krieg und dem Tod von vielen vielen Menschen, sind mehr als die Hälfte dieser Bevölkerung aus diesem Staat geflohen. 12 Millionen der 20 Millionen Syrer haben ihre Heimat im engeren Sinne, das heißt ihr eigenes Haus, ihre eigene Stadt verlassen. 8 Millionen davon sind (noch) im eigenen Land unterwegs und 4 Millionen flüchteten in die Nachbarstaaten. Die Zurückgebliebenen, die zu einem großen Teil nicht fliehen konnten, weil ihnen das Geld oder die technischen Mittel, um eine solche Flucht zu organisieren, fehlten, fliehen innerhalb des eigenen Staates von einem zum anderen Gebiet, je nachdem wo gerade die schwersten Bombenangriffe und Kämpfe sind, immer auf der Suche nach irgendeinem Platz, wo sie vielleicht doch Schutz vor diesem Töten und Morden, den Bomben und diesem Krieg zwischen den verschiedensten Parteien finden. 2 Von denjenigen, die außerhalb ihres Landes inzwischen leben, sind die meisten zunächst dorthin geflohen, wo sie am leichtesten hinkommen konnten, nämlich in die angrenzenden Nachbarländer, das heißt nach Jordanien, dem Libanon und auch der Türkei. Das Nachbarland Libanon hat selbst nur insgesamt 4 Millionen Einwohner und dort sollen inzwischen bis zu 2 Millionen Syrer leben. Andere Zahlen sprechen nur von 1,1-1,5 Millionen. Das ist aber letztendlich nicht wirklich von Bedeutung. Fakt ist, dass in diesem kleinen Land entweder jeder zweite oder jeder dritte ein syrischer Kriegsflüchtling ist und das Land mit der Aufnahme dieser vielen Menschen vollkommen überfordert ist. Auch was die Flüchtlingszahlen in Jordanien anbelangt, schwanken diese Zahlen sehr stark. Laut der letzten SWR2-Meldung vom 08.10.2015 sollen dort inzwischen 1,3 Millionen syrische Flüchtlinge leben. In der Türkei, dem dritten Nachbarstaat, soll es inzwischen zwischen 1,2 und 1,8 Millionen Flüchtlinge geben. Jeder von Ihnen wird sich leicht vorstellen können, dass diese Staaten keinerlei Interesse daran haben, dass diese Flüchtlinge auf Dauer bei ihnen bleiben, weil sie von diesen schieren Zahlen einfach völlig überfordert sind. Im Libanon beispielsweise gibt es kaum echte, halbwegs befestigte Flüchtlingscamps, sondern die Menschen sind sich schlicht und einfach selbst überlassen und müssen versuchen, irgendwo und meistens im Freien zu übernachten und sich selbst zu versorgen. Dass das eine Situation heraufbeschwört, die unvorstellbares Elend und Leid mit sich bringt, muss glaube ich an dieser Stelle auch nicht weiter thematisiert werden. Die nationalen und internationalen Hilfsorganisationen, die sich um die Versorgung von Flüchtlingen mit Nahrung, Wasser, Decken, Zelten und dem Allernotwendigsten, was man zum Überleben braucht, kümmern, schlagen seit zwei Jahren Alarm und weisen daraufhin, dass ihnen das Geld für die Versorgung dieser Flüchtlinge ausgeht und sie bitten die internationale Staatengemeinschaft mit immer drängenderen Aufrufen um weitere Unterstützung. Leider vergeblich. Das hat dazu geführt, dass beispielsweise die Essenrationen halbiert werden mussten und dass wir eine Situation haben, in der beispielsweise die Menschen, die im Libanon Zuflucht gesucht haben, pro Tag nur noch mit einem Betrag von 50 Cent für Nahrungsmittel unterstützt werden können. Mit 50 Cent kann niemand irgendwo überleben, mit der Folge, dass in diesen Flüchtlingslagern inzwischen immer mehr Hunger und Not ausgebrochen ist. Von einer medizinischen Versorgung ist keine Rede mehr. Es gibt fast keine Medikamente und wer auch nur an Diabetes oder Blutdochdruck leidet oder sonst irgendeine Krankheit hat, dessen Überlebenschancen schwinden täglich. 3 II. Ursachen • Fragt man sich nun nach den Ursachen dieser extrem stark gestiegenen Flüchtlingszahlen, dann gibt es ein ganzes Konglomerat von Ursachen. Ganz abgesehen von Flüchtlingen, die der Klimawandel inzwischen weltweit produziert und die bereits in weiten Teilen dieser Welt unterwegs sind, wollen wir nur einmal die Lage im Nahen Osten betrachten. Hier haben sich im Prinzip in der Flüchtlingskrise die aufgestauten Probleme der letzten 25 Jahre kumuliert. Seit dem 11.09.2001 hat der Westen, das sind nicht nur die USA, sondern dazu gehören auch die gesamten europäischen Staaten in geradezu verheerender Weise agiert. Dieses falsche Agieren seit 9/11 von Afghanistan über Irak bis Libyen führte zum Zerfall, genauer gesagt zur Zerstörung ganzer Staaten, inklusive der Entstehung und rasanten Ausbreitung des Islamischen Staates. Durch den Machtzerfall des umso mörderischer agierenden Assad-Regimes, den Terror des IS und die sich völlig widerstreitenden Interessen der Groß- und Regionalmächte USA und Russland, aber auch Iran, der Türkei und Saudi Arabien, ist dieses Land längst zu einem failed state, einem gescheiterten und zerfallenden Staat (dasselbe erleben wir gerade in Libyen) geworden. Das sind aber „nur“ die jüngsten Fluchtbrennpunkte. Andere Gründe sind in der überaus langen Geschichte der Ausbeutung des Südens durch den Norden zu sehen, früher als Kolonialismus, heute in Form einer höchst ungerechten Welthandelsordnung. Das hat zu einem ungeheuren Elend, speziell in Afrika geführt. Wenn Sie nur daran denken, dass die EU-Kommission in einem jahrelangen Verfahren jetzt sehr viel afrikanische Staaten zu Verträgen quasi gezwungen hat, in denen wir, die Europäer unsere hochsubventionierten Lebensmittelüberschüsse zu Billigstpreisen in Afrika einführen, mit der Folge, dass kein afrikanischer Bauer mit diesen Preisen in der Produktion in seinem eigenen Ackerland mithalten kann. Wenn er aber seine Produkte nicht mehr verkaufen kann, weil sie viel teurer sind, wie die europäischen eingeführten Lebensmittel, was wird dann die Folge sein? Er verarmt und wird, wenn er sich und seine Kinder nicht mehr ernähren kann, entweder vor die Wahl gestellt, auf seinem eigenen Land zu verhungern oder sich auf den Weg zu machen in ein anderes Land, wo er hofft, für sich und seine Kinder und seine Familie eine Zukunft zu finden. Mit anderen Worten: Wir produzieren mit dieser Art von wirtschaftlichem Handeln selbst neue Flüchtlingsströme und das muss man sich immer wieder vor Augen halten, wenn uns in der Politik erzählt wird, man müsse doch so dringend die Fluchtursachen bekämpfen. So wird es sicher nicht gelingen. Bürgerkriege, Staatszerfall, soziales Elend: All das setzt die Menschen in Bewegung. Deswegen wird es auch nicht reichen, den verbrecherischen Schleppern das Handwerk zu legen. Millionen Verzweifelte warten nur darauf, endlich ihr altes Leben hinter sich zu lassen und ein besseres im gelobten Europa zu finden und dabei ist noch nicht einmal abzusehen, welche Fluchtwellen durch immer massivere Umweltzerstörung und Klimawandel ausgelöst werden. Das wäre nochmals ein ganz eigenes Thema für einen weiteren, sehr umfangreichen Vortrag. 4 Zurück zu unserem Bespiel Syrien: Die Menschen, die von dort geflohen sind, haben nachdem der Krieg jetzt vier Jahre lang dauert, im Prinzip jeden Monat mehr die Hoffnung verloren, dass eine Rückkehr in ihre alte Heimat und ein Wiederaufbau innerhalb absehbarer Zeit möglich sind. Nachdem sie diese Hoffnung begraben mussten, suchen sie jetzt nach einem Weg, sich ein neues Leben aufzubauen. Wer nicht in seine Heimat zurückgehen kann, wer diese Perspektive verloren hat, wird, zumal die Lage in den überfüllten Lagern der syrischen Anrainerstaaten immer katastrophaler geworden ist, nach Europa fliehen. Das ist das Land, von dem sie gehört haben, wo die Menschen reich sind, wo Demokratie herrscht und wo sie hoffen, Ruhe vor Bomben, Medizin für die Krankheiten für sich und ihre Kinder, etwas zu essen, eine neue Wohnung, eine neue Arbeit und eine neue Zukunft zu finden. III. Antworten • Was können denn nun die Antworten auf diese Situation sein? Natürlich erst einmal das, was jeder Politiker heute so ganz schnell als Satz von sich gibt, nämlich das Thema Fluchtursachen bekämpfen. Genau das müssen wir tun, aber was bedeutet das denn konkret? Wenn die Bundesregierung, wie vor wenigen Wochen geschehen, ganz offiziell bekannt gegeben hat, dass der Klimawandel nun auch in Deutschland angekommen ist, dann haben wir Otto-Normalverbraucher das vielleicht schon seit Langem gespürt und instinktiv gewusst. Offiziell zugegeben hat es die Politik erst jetzt. Mir stellt sich da eine einfache Frage: Kann man gleichzeitig das Klima „retten“, das heißt ganz intensiv den Klimawandel bekämpfen, um so den Planeten für die Erdbewohner zu retten und kann man dann gleichzeitig eine ständig wachsende Wirtschaft haben? Ich denke, beides geht nicht! Das widerspricht sich so diametral, dass wir in Kürze vor der Entscheidung stehen werden, was nun geschehen soll. Weiteres ständiges wirtschaftliches Wachstum bei weiterer Ausbeutung von menschlichen und natürlichen Ressourcen? Können wir es uns weiter leisten, neben der tatsächlichen Wirtschaft, die reale Dinge produziert, eine „virtuelle“ Wirtschaft zu haben, die durch enorm schnelle, weltweit agierende Geldströme virtuell Geld produziert und genauso auch wieder Vermögen vernichtet? Oder müssen wir uns darauf besinnen, all unser weltweit vorhandenes Wissen und Können darauf zu verwenden, Dinge zu produzieren und neu zu erfinden, die dazu beitragen, unser Klima zu retten? 5 a) All das mag Ihnen sehr global und sehr weit hergeholt erscheinen, aber wenn es uns nicht gelingt, die Versteppung und das Unbewohnbarmachen von vielen Regionen durch den Klimawandel und Umweltzerstörung zu stoppen, können wir Fluchtursachen nicht bekämpfen. Das ist eine sehr mühsame, aber unausweichliche Aufgabe, um eine globale Antwort auf das Entstehen von Flüchtlingsströmen zu finden. b) Dass wir parallel dazu international denkend mit allen anderen Staaten reden und verhandeln müssen, auch mit denen, die wir als Gegner oder Feinde betrachten, ist unsere einzige Chance, um politisch internationale Antworten auf die Konfliktherde dieser Welt zu finden. Lassen Sie uns dazu als Beispiel die aktuelle Lage in der Türkei betrachten: Dort regiert derzeit der politisch wohl sehr umstrittene Präsident Herr Erdogan. Wenn Sie 20 Jahre zurückdenken, dann erinnern Sie sich vielleicht daran, dass die Türkei damals schon eine höchst umstrittene Kurdenpolitik betrieben hat und ganze Dörfer in Ostanatolien, die rein kurdisch bewohnt waren, von türkischen Planierraupen platt gemacht wurden. Damals haben viele Kurden, das heißt türkische Staatsangehörige, kurdischer Volkszugehörigkeit, politisches Asyl in Deutschland bekommen, weil der deutsche Staat das als politische Verfolgung im Sinne unseres Artikels 16 a Grundgesetz (GG) des Asylrechtsartikels angesehen hat. Die Kurden leben vor allem im äußersten Osten der Türkei. Dort grenzen die Kurdengebiete im Norden des Iraks an die Kurdengebiete in Syrien. Dieses Gesamtgebiet stellt nun wieder – zumindest aus Sicht von Herrn Erdogan – eine Bedrohung für ihn dar. Er möchte unter allen Umständen verhindern, dass hier ein eigenes autonomes Kurdengebiet entsteht und vielleicht sogar ein eigener Staat. Das und der nun schon seit mehreren Jahrzehnten intensive Wunsch der Türkei, doch EUMitglied zu werden, sind zwei sehr wichtige Zielsetzungen des türkischen Präsidenten. Dem Wunsch auf EU-Mitgliedschaft hat sich die Bundesrepublik nunmehr seit über 30 Jahren erfolgreich widersetzt. Wir haben zwar 1980 ein sogenanntes Assoziationsabkommen mit der Türkei geschlossen, wonach türkische Arbeitnehmer in Deutschland doch ein paar mehr Sonderrechte haben als andere Ausländer, aber wir haben eben – vielleicht auch wegen der Angst vor dem Islam – eine EU-Mitgliedschaft nie wirklich ernsthaft in Erwägung gezogen. Stattdessen haben wir in den letzten drei Jahren in steigendem Maße, seitdem der Syrienkrieg fortschreitet und diese mörderische Organisation des Islamischen Staates ihr Unwesen treibt, sehr intensiv daran mitgewirkt, dass die Kurden und die PeschmergaKämpfer quasi stellvertretend für andere, diesen Kampf gegen den IS geführt haben. Dazu haben wir sie mit Waffen und sonstiger Logistik unterstützt. 6 Nachdem jetzt aktuell der Zustrom der Flüchtlinge über die Türkei immer stärker wird, will die EU mit demselben Herrn Erdogan einen Pakt schließen, sie will die Türkei zum sicheren Herkunftsland erklären, so wie wir das bisher mit Mazedonien, Serbien und BosnienHerzgowina gemacht haben und wie wir das mit dem Kosovo und Albanien planen, dann will man Herrn Erdogan zusichern, mehrere neue Flüchtlingslager für rund 2 Millionen Menschen in der Türkei zu finanzieren und Herr Erdogan soll dafür die Grenzen zu Griechenland abriegeln, damit die Flüchtlingsströme versiegen. Was zeigt uns dieses Beispiel? Es zeigt, dass wir Europäer und der ganze Westen immer wieder dazu neigen, uns auch mit sehr fragwürdigen politischen Machthabern an einen Tisch zu setzen und mit ihnen zu paktieren, wenn es uns gerade für unsere Interessen genehm erscheint, dass wir aber auch keine Hemmungen haben, genau dieselben Staaten oder Machthabern davor oder danach wieder zu Schurkenstaaten zu erklären und/oder Flüchtlinge aus ihren Ländern als politisch verfolgt anzuerkennen. Dasselbe haben wir übrigen mit dem Regime des Herrn Assad gemacht. Noch im Jahr 2008 hat die Bundesrepublik Deutschland – und schon damals wusste man, dass es sich um einen Schurkenstaat handelt – mit Herrn Assad einen Vertrag geschlossen, indem er sich verpflichtet hat, abgeschobene Flüchtlinge, egal ob es sich um syrische Staatsangehörige oder Staatsangehörige anderer Staaten handelt, entgegenzunehmen. Dieser Vertrag ist damals nicht mehr mit Leben erfüllt worden – Gott sei Dank möchte man sagen -, denn dann kam der Krieg in Syrien dazwischen. Mit anderen Worten: Wir müssen bei unserer europäischen und deutschen Außenpolitik nicht kurzfristig und nicht in 4-Jahreswahlzeiträumen Aktionen beginnen, von denen wir eigentlich von Anfang an wissen müssen oder wissen können, dass sie unmoralisch, unmenschlich und letztlich zum Scheitern verurteilt sind. III.1) Antworten international/europäisch Was können wir denn nun tun, um vernünftige Antworten auf die Herausforderung des hohen Flüchtlingszustroms zu finden? Wir brauchen insgesamt eine bessere Außenpolitik, die schneller und überlegter auf Konflikte reagiert. Wir brauchen eine durchdachte, aufeinander abgestimmte Außenpolitik unter Einbeziehung der USA und Russlands und das alles ist leider alternativlos. 7 Schauen wir uns dazu einmal die derzeitigen Ideen der Politik an: a) Außengrenzen sichern Wir können natürlich versuchen, die Außengrenzen des Schengen-Gebietes, also dieser 28 Staaten, die sich zu der Europäischen Union zusammengeschlossen haben, weiter hochzuziehen und weitere hohe Hürden bauen, die uns vor einem Eindringen von Flüchtlingen schützen sollen. Denken Sie an die Zäune von Melilla und Lampedusa. Letztlich genützt hat das bislang nichts. Wenn der Druck, dem Menschen ausgesetzt sind, zu hoch wird und wenn sie keine Alternative haben, werden sie aus ihren Ländern fliehen und sie nehmen dabei in Kauf, dass sie auf dieser Flucht sterben werden, so wie es vielen Hunderten oder Tausenden in den nordafrikanischen Wüstengebieten passiert ist und so wie es tagtäglich im Mittelmeer geschieht. Europa kann also versuchen, seine Außengrenzen weiter abzusichern. Das macht im Moment Ungarn an der Grenze zwischen Ungarn und Serbien. Was man von dieser Politik von Herrn Viktor Orban halten soll, kann man auch sehr lange diskutieren und was machen wir eigentlich, wenn wir jetzt weiterhin mit Serbien verhandeln, weil Serbien ja auch gerne in die EU möchte und das am liebsten als Gegenleistung dafür, dass Serbien dafür sorgen soll, dass künftig keine Kosovaren oder Albaner sich auf den Weg in die EU machen. Und was macht eigentlich Ungarn, wenn dann Flüchtlinge versuchen, diesen Zaun trotzdem zu durchdringen? Soll dann auf Flüchtlinge geschossen werden? Wird dann an den EU-Außengrenzen Krieg gegen Flüchtlinge geführt mit Waffen? Das kann und darf sicherlich in einer aufgeklärten humanen Welt keine Lösung sein. Abgesehen davon, dass es auch illusorisch ist, denn selbst Frau Merkel hat inzwischen verstanden, dass wenn man einen Zaun baut, sich die Menschen andere Wege suchen werden. b) Binnengrenzen ziehen Wie steht es denn nun mit der Errichtung von Mauern und Zäunen innerhalb der EU-Staaten? Ist das denn erlaubt und sinnvoll? Und würde es in irgendeiner Weise zur Entspannung der Flüchtlingssituation beitragen? Wir haben innerhalb der EU Verträge geschlossen, an die wir uns alle halten müssen. Natürlich kann jedes EU-Land seine Wiesen und Äcker mit Zäunen zupflastern. Die regulären Verbindungen, Straßen, Flüsse und Schienenwege dürfen nicht blockiert sein. Das ist geltendes EU-Recht, weil die Binnengrenzen grundsätzlich offen zu halten sind. Grenzkontrollen dürfen nur vorübergehend eingeführt werden und zwar nur dann, wenn die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit bedroht sind. 8 Es gibt sogar Unionspolitiker, die wollen, dass wir die 800 km lange Grenze zwischen Deutschland und Österreich komplett dichtmachen, das heißt Zäune ziehen und diese Zäune bewachen. Hierzu sagt die Bundespolizei, dass das völlig unrealistisch sei und dass dies auch mit noch so viel Personal nicht gelingen wird. Abgesehen davon, dass sich natürlich die Frage stellt, ob das wirklich das Ziel eines hier in Deutschland lebenden Menschen sein kann, dass er nach ein paar hundert Kilometern Fahrt auf der Autobahn an aufwendige Kontrollen der Straßen, Flüsse und Schienenwege trifft und ansonsten nur noch auf Zäune und Mauern, die mit Legionen von Polizei und Hunden und sonstigen Dingen gesichert sind. Hatten wir das Ganze nicht schon einmal vor 25 Jahren mitten durch Berlin? Und waren wir nicht wirklich froh, als diese Mauer endlich gefallen ist? Wollen wir wirklich solche Mauern wieder aufbauen? c) Transitzonen einrichten Die nächste Idee, die die Politik hat, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und um immer wieder zu zeigen, dass sie das Ganze im Griff habe oder aber zumindest in der Lage sei, das Problem in den Griff zu bekommen, ist das Thema der Transitzonen. Dabei sollen Flüchtlinge an der deutschen Grenze in Auffanglagern festgehalten werden und dann soll im Schnellverfahren geprüft werden, ob sie Anspruch auf Schutz haben und wenn nicht, sollen sie abgeschoben werden. Das Bundesinnenministerium ist der Meinung, Transitzonen dürften in Zeiten von Grenzkontrollen, die ich vorher beschrieben habe und die ja nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich sind, innerhalb der EU erlaubt sein. Die EU-Kommission, also unsere EU-Regierung erklärt dagegen, Transitzonen seien dauerhaft gar nicht mit europäischem Recht vereinbar. So etwas gebe es bisher nur auf den Flughäfen, die ja als Außengrenzen gelten. Selbst wenn man sich auf diesen Rechtsstreit gar nicht einlassen will, sind Transitzonen zum Scheitern verurteilt. Hier müssen Menschen wie in Gefängnissen leben. Es ist nicht möglich tausende von Insassen menschenwürdig unterzubringen und es würde zu Eskalationen kommen und dann stellt sich wieder die Frage, wie wollen wir eigentlich mit Flüchtlingen umgehen. Wollen wir sie dann beschießen oder was wollen wir tun? d) Asylrecht einschränken Der nächste wohlfeile Vorschlag der Politiker ist, das Recht auf Asyl einzuschränken. Nachdem Politiker immerhin einen Eid auf unsere Verfassung ablegen, müssten sie eigentlich wissen, dass Artikel 16a des Grundgesetzes ein Verfassungsrecht ist und deshalb nur mit einer 2/3-Mehrheit des Bundestages und des Bundesrates überhaupt geändert werden kann. Eine solche 2/3-Mehrheit ist weit und breit nicht in Sicht. Warum also diskutiert man so etwas? 9 Aber selbst wenn wir in Deutschland unseren Artikel 16a GG ändern würden, hat das nur begrenzte Auswirkungen, denn wir unterliegen eben auch dem EU-Recht und danach gibt es nicht nur die Asylanerkennung, sondern auch diesen berühmten subsidiären Schutz. Bei diesem subsidiären Schutz geht es nicht um politische Verfolgung, sondern diesen Schutz erhalten nach EU-Flüchtlingsrecht all die Menschen, deren Leben durch einen gewaltsamen internationalen oder innerstaatlichen Konflikt bedroht ist, also bei Kriegen und Bürgerkriegen und an dieses EU-Recht ist Deutschland gebunden. Man hat den Eindruck, dass dieser Ruf in der Politik leider wieder einmal ein mehr oder weniger leeres populistisches Gewäsch ist oder die Politiker, die danach rufen, haben schlicht und einfach keine ausreichende Sachkunde. e) gerechte Lastenverteilung (neudeutsch: burden-sharing) Dann das derzeitige Lieblingskind im politischen Diskurs, nämlich die sogenannte gerechte Lastenverteilung innerhalb der EU. Als das sogenannte Dublin-Verteilungssystem vor über 20 Jahren erfunden wurde, war Deutschland nach ständig gestiegenen Asylbewerberzahlen, die schlussendlich bei über ½ Million pro Jahr lagen, plötzlich quasi über Nacht fast flüchtlingsfrei. Von dieser über ½ Millionen Flüchtlingen sanken die Zahlen von jetzt auf nachher auf 27.000 Asylbewerber in der ganzen Bundesrepublik pro Jahr. Wie hat man das geschafft? Obwohl die Regierung Kohl damals 16 Jahre lang mantraartig verkündet hat, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, haben die Flüchtlinge dieser Welt dies einfach nicht beachtet und sind trotzdem nach Deutschland gekommen und mit den steigenden Zahlen hatten wir dann auch sprachlich ein Problem, denn wir sprachen von einer Asylantenflut und haben semantisch Bilder von Naturkatastrophen beschworen. Dann haben sich die Schengen-Staaten zusammengesetzt und das wirtschaftlich schon damals sehr starke Deutschland konnte sich mit der Idee - vereinfacht ausgedrückt – durchsetzen, dass der europäische Staat für das Asylverfahren eines Flüchtlings in Europa zuständig ist, dessen Boden der Flüchtling zum ersten Mal betritt. Nachdem Deutschland innerhalb der EU ein Binnenland ist und keine Außengrenzen (bis auf die Nordsee) besitzt, waren wir plötzlich quasi flüchtlingsfrei. Nur wer mit dem Flugzeug kam und auf seinem Flug erstmals deutschen Boden innerhalb der EU betreten hat, konnte hier sein Asylverfahren durchführen oder auch derjenige, der erklärte, er sei in einem verschlossenen Lkw durch Länder gefahren, die er nicht kenne und die ihm die Fluchthelfer oder Schlepperorganisation nicht genannt hat und als er dann aus diesem Fahrzeug herausgelassen wurde, habe er sich in Deutschland befunden, ohne zu wissen, über welche anderen Länder dieses Fahrzeug gefahren sei. 10 Dieses System, die berühmte Dublin-Verordnung hat viele Jahre sehr gut für uns funktioniert und die Lasten haben die EU-Staaten mit großen Außengrenzen wie Spanien, Italien, Frankreich, Polen usw. getragen. Diese Staaten, insbesondere auch Italien, haben über Jahre hinweg nach Hilfe gerufen, weil sie mit der Menge der Flüchtlinge, für die sie nach dem Dublin-Verfahren zuständig waren, einfach nicht fertiggeworden sind. Hilfe haben sie nicht bekommen, sondern ganz im Gegenteil, die deutsche Bundesregierung hat beispielsweise auf das Seenotrettungsprogramm Mare Nostrum, das die italienische Regierung alleine bezahlt hat, in der Form reagiert, dass man politisch ganz eindringlich Italien dazu gedrängt hat, dieses Seenotrettungsprogramm aufzugeben. Es wurde ersetzt durch das Programm Triton, auch ein angebliches Seenotrettungsprogramm. In Wahrheit geht es hier aber sehr viel mehr darum, die EU-Außengrenzen zu schützen und die Flüchtlinge von der selbstmörderischen Überfahrt über das Mittelmeer abzuhalten. Dazu ist dann die Organisation Frontex, die ein sehr fragwürdiges Spiel in diesem europäischen Kontext zu betreiben hat, mit an Bord dieser Boote. Auch das wiederum ein Thema, das ausreichen würde für einen ganz eigenen Vortrag. Fakt ist, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Weisung des Innenministeriums bis heute an diesem Dublin-Verfahren festhält und sich damit beschäftigt, obwohl dieses Dublin-Verfahren nach der Rechtsprechung der EU und nach den tatsächlichen Abläufen eigentlich längst gescheitert ist. Auch hier nur ein kleines Beispiel: Es gibt eine europäische daktyloskopische Datei, das sogenannte EURODAC-System. Darin werden die Fingerabdrücke aller Flüchtlinge EU weit registriert und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durchsucht erst einmal diese Datei, ob ein Flüchtling, der sich in Deutschland gemeldet hat, nicht vielleicht schon aufgrund dieser Datei in einem anderen EUStaat registriert wurde. Ist das der Fall, dann wird per E-Mail ein Ersuchen an diesen anderen europäischen Staat gestellt, diesen Flüchtling zurückzunehmen. Nur wenn der andere europäische Staat dies ablehnt, darf der Flüchtling nicht zurückgeschickt werden. Wenn dagegen dieser Staat damit einverstanden ist oder einfach nur schweigt, gilt das Schweigen als Zustimmung und dann kann Deutschland innerhalb einer Frist von sechs Monaten diesen Flüchtling in diesen Erstaufnahmestaat Italien, Griechenland, Bulgarien oder wo auch immer, zurücküberstellen. Auf diese Art und Weise hat man aufgrund der Anfrage einer Linken im Bundestag folgende Zahlen über sogenannte Dublin-Rückführungsverfahren zur Kenntnis nehmen müssen: Im Jahr 2014 wurden vom BAMF insgesamt rund 35.000 Dublin-Verfahren eingeleitet. Faktisch ist es davon dann lediglich zu Rücküberstellungen in Höhe von 4.800 Flüchtlingen gekommen und Deutschland musste im Gegenzug aus diesem Dublin-Verfahren 1.300 Flüchtlinge von anderen EU-Staaten entgegennehmen. Im Ergebnis heißt das, dass wir durch das Dublin-Verfahren tatsächlich 3.500 Flüchtlinge an andere EU-Staaten „losgeworden“ sind. Für diese Zahl haben wir einen Verwaltungsaufwand von 35.000 Verfahren betrieben. 11 Fragen Sie mich bitte nicht nach dem Sinn solcher Aktionen. Hinzukommt, dass im Dublin-Verfahren ursprünglich davon ausgegangen wurde, dass die Asylverfahren in den anderen EU-Staaten in etwa den gleichen Standard haben, es also jedem Flüchtling zumutbar ist, in dem Land zu bleiben, wo er zuerst in der EU angekommen ist. In der Praxis hat sich das aber als ein großer Irrtum erwiesen. Der erste Staat, indem den Flüchtlingen menschenrechtswidrige Behandlung drohte, also das, was die Juristen systemische Mängel im Asylverfahren nennen, war Griechenland, mit der Folge, dass Deutschland freiwillig, um nicht viele Urteile gegen sich zu kassieren und um zu zeigen, dass man auch das Problem verstanden hat, darauf verzichtet hat, Flüchtlinge nach Griechenland zurückzuschicken, obwohl Griechenland für das Asylverfahren zuständig gewesen wäre. Solche systemischen Mängel haben sich dann mit der steigenden Zahl der Flüchtlinge auch für Italien in immer größerem Umfang ergeben. In Italien haben Flüchtlinge auf der Straße nächtigen müssen. Niemand hat sich um ihre Versorgung gekümmert, weder medizinisch, noch nahrungstechnisch und es gibt in Italien – auch für Italiener – keine Sozialhilfe, also keine staatlichen Grundversorgungsleistungen. Kein Wunder also, wenn sich die Flüchtlinge nicht um die Rechtslage gekümmert haben, sondern um der faktischen Not zu entgehen, einfach von Italien aufgrund der nicht vorhandenen Binnengrenzen weitergewandert sind. Langer Rede kurzer Sinn: Dieses Dublin-Verfahren hat uns lange Zeit geschützt vor der großen Anzahl von Flüchtlingen, dann ist dieses Dublin-Verfahren einfach immer mehr zusammengebrochen und jetzt sind wir wieder mit hohen Flüchtlingszahlen konfrontiert und rufen nun, so wie die Italiener schon vor fünf und zehn Jahren nach einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge. Natürlich wird man sich um eine gerechtere Verteilung innerhalb der EU weiter bemühen müssen und das ist nun wirklich Aufgabe der nationalen und der EU-Politiker und ob sie das über Geld oder Quoten oder eine Kombination von beidem lösen können, wird sich in der Zukunft zeigen. Es bleibt aber nichts anderes übrig, als sich dieser Aufgabe wirklich ernsthaft und ehrlich zu stellen. III.2) Antworten national Was also können wir nun tatsächlich tun, um die vielen Flüchtlinge, die nicht nur in die EU, sondern auch weiter nach Deutschland einwandern werden, anständig zu versorgen und wie können wir mit diesem Problem besser umgehen? 12 (1) Wir brauchen mehr mobile Hilfen durch das THW und die Bundeswehr. Eine Prozedur, die wir in weit entfernten Katastrophengebieten oft binnen drei Tagen auf die Beine stellen. Warum können wir das eigentlich nicht hier in unserem eigenen Land, zumal die Zivilbevölkerung sich ja in einer zu Zeiten der Kohl-Regierung niemals vorstellbaren Art und Weise hier positiv einbringt und aktiv mitarbeitet. (2) Wir müssen die provisorischen Unterkünfte für die vielen Flüchtlinge sofort winterfest machen. Alles andere wäre unmenschlich und würde bei den sowieso schon durch oftmals monatelange Flucht geschwächten Menschen zu schweren und zahllosen Erkrankungen führen, die alleine schon was die Kosten anbelangt, dann auch wieder relativ uferlos werden können. (3) Wir müssen den Druck aus den völlig überfüllten Landeserstaufnahmeeinrichtungen herausnehmen. Wir im Ostalbkreis wissen alle, wovon wir hier zahlenmäßig reden, wenn wir an die LEA in Ellwangen denken, die mal mit 500 oder 1.000 Flüchtlingen angedacht war und die in den letzten Tagen und Wochen bis zu 5.000 Flüchtlinge beherbergen musste. Die Statistik für den August 2015 zeigt, dass zumindest aktuell die meisten Asylsuchenden aus Herkunftsländern kommen, die in Deutschland die höchsten Anerkennungsquoten haben. Fast 70 % von ihnen, nämlich genau 68,7 % kommen aus den Bürgerkriegsländern Syrien mit 44,5 %, Afghanistan mit 11 %, Irak mit knapp 9 %, Somalia mit etwas über einem Prozent und der Militärdiktatur Eritrea mit über 3 %. Diese Menschen werden definitiv in Deutschland bleiben und bleiben dürfen. Sie werden aufgrund ihrer Anerkennung auch das Recht haben, in einem gewissen Umfang ihre Familienangehörigen nachzuholen und wenn man nun den Druck aus den LEAs herausnehmen will, dann müsste man doch sinnvollerweise diese Menschen sehr sehr schnell anerkennen und sie nicht noch Wochen und Monate und manchmal sehr viele Monate noch in der Warteschleife halten. Wenn sie sofort anerkannt werden, dürfen sie nämlich die LEA verlasse und sie können, was viele von ihnen wollen, bei Familien oder Freunden unterkommen oder sie brauchen intensive Hilfe bei der Suche nach einer Privatwohnung. Das alles darf auch nicht durch bürokratische Hürden bei dem Wechsel von einem Bundesland zum anderen Bundesland erschwert werden. Fazit: Das Bundesamt muss aufhören, zumindest zeitweise sich mit unsinnigen DublinVerfahren zu beschäftigen. Das Bundesamt muss aufhören, sich mit genauso unsinnigen Widerrufsverfahren zu beschäftigen. 13 Ein Satz dazu: Im Gesetz ist geregelt, dass automatisch nach drei Jahren nach einer Asylanerkennung das Bundesamt prüfen muss, ob die Asylanerkennung widerrufen wird. Gegen einen solchen Widerruf kann man natürlich klagen und in den wenigsten Fällen werden tatsächlich die Anerkennungen widerrufen. Aber selbst da, wo sie widerrufen werden, führen sie nicht dazu, dass der Flüchtling das Land verlassen muss, denn inzwischen hat er sich meistens ausländerrechtlich so stark integriert, dass er trotzdem ein Bleiberecht hat. Mit anderen Worten: Solche Widerrufsverfahren binden völlig unnötige Kräfte beim Bundesamt, die man ganz dringend für eine schnelle Anerkennung der sowieso anzuerkennenden Personen braucht und die man auch braucht, um den unsäglich großen Rückstau der Verfahren abzuarbeiten. Nach den offiziellen Zahlen des Bundesamtes gibt es derzeit ca. 250.000 unerledigte Asylverfahren. (4) Man sollte darüber nachdenken und sehr schnell auch eine Entscheidung dazu treffen, ob man nicht Asylanerkennungen - wie früher schon geschehen – ausspricht, indem man von einer Gruppenverfolgung ausgeht. Das hat man in der Vergangenheit beispielsweise für die Yeziden aus dem Tur Abdin oder für die Ahmadis aus Pakistan gemacht. Warum machen wir so etwas nicht auch für Syrer oder Eritreer. Es würde die Verfahren sehr beschleunigen und drastisch verkürzen. An dieser Stelle vielleicht noch ein paar Bemerkungen zum Bundesamt: Die Desorganisation und das Chaos innerhalb dieser Behörde – nicht erst seit dem Rücktritt des Präsidenten Herrn Schmid – ist inzwischen in Fachkreisen fast schon legendär. Seit Jahren wird über zu wenig Personal geklagt. Die Gelder in Berlin wurden wohl nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt und die Schulungen und Nachschulungen für neue Bundesamtsentscheider sind natürlich auch nicht erfolgt. Stattdessen werden Entscheider, die erfahren sind und die aufgrund ihrer hohen Erfahrung auch schnell viele Fälle abarbeiten können, quer durch die Republik zu den jeden Tag neu erfundenen Hotspots abberufen, wo sie dann, anstatt ihre Fälle abzuarbeiten, weiterhin Chaos verwalten. Ich habe in der Vergangenheit immer daran geglaubt, dass wir was Verwaltung anbelangt, doch ein Volk sind, das hochkompetent ist. Die Erfahrung mit dem Bundesamt zeigen leider ein völlig anderes Bild. Es ist beispielsweise für mich auch überhaupt nicht nachvollziehbar, wenn sich hier im Ostalbkreis jemand beim Bundesamt, Außenstelle Ellwangen, bewirbt und mitteilt, dass er aufgrund der jahrelangen Auslandstätigkeit eines Ehemannes arabische Sprachkenntnisse hat, noch nicht einmal zu einer Vorstellung eingeladen wird. Totales Desinteresse an qualifizierten Personen ist sicherlich kein Weg, um Personalengpässe zu beheben. 14 (5) Beschleunigung der Asylverfahren: Ich habe schon im vorangegangenen Punkt angesprochen, dass es die Möglichkeit der Gruppenverfolgung gibt. Man kann aber auch die Prüfung von Asylanträgen ansonsten systematisieren, so wie man es in den vergangenen Monaten zumindest teilweise bei syrischen Flüchtlingen gemacht hat, indem man nämlich im schriftlichen Verfahren entschieden hat. Ein schriftliches Verfahren würde sich für Syrer, für Flüchtlinge aus dem Irak und für Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea und bestimmte Personengruppen durchaus anbieten. (6) Zur Entlastung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird eine Altfallregelung erlassen mit einer Aufenthaltserlaubnis für Flüchtlinge, über deren Asylantrag seit einem Jahr nicht entschieden wurde. Wenn das BAMF mehr als ein Jahr braucht, um über einen Asylantrag zu entscheiden, dann kann er eigentlich nicht mehr offensichtlich unbegründet sein, denn wenn es so offensichtlich wäre, dann könnte man ja sehr schnell entscheiden. (7) Wir brauchen faire und korrekt durchgeführte Asylverfahren. Das Bundesamt muss prüfen, ob jemand das sogenannte „große Asyl“ erhält oder nur den vorher schon erwähnten subsidiären Schutzstatus und das Bundesamt muss weiter prüfen, ob Abschiebungshindernisse vorliegen und wenn diese Vorliegen, muss das Bundesamt auch bei Ablehnung des Asylantrages feststellen, dass die Abschiebungshindernisse da sind. Gerade in diesem letzten Punkt liegt sehr sehr vieles im Argen. Die Politik hat sich zurzeit geradezu darauf eingeschossen, Flüchtlinge in gute und schlechte Flüchtlinge einzuteilen. Die guten Flüchtlinge sind die aus den Kriegsgebieten, die schlechten sind generell die aus dem Westbalkan. Gemeint sind damit insbesondere Roma und Ashkali, die in ihren Ländern regelmäßig zu den ärmsten der Armen gehören, die deshalb schlecht gebildet sind, keine Arbeit haben und sich auch gegen Drangsalierungen und rechtswidrige Aktionen aufgrund fehlender finanzieller Mittel und fehlender unabhängiger Rechtssysteme nicht wehren können. Es herrscht in vielen dieser Länder des Westbalkan eine Mischung aus Willkür, Angst, Unterdrückung, Korruption und völliger wirtschaftlicher Schieflage. Wenn dann ein Roma oder ein albanischer Volkszugehöriger beispielsweise in Serbien auf der untersten Stufe jeder sozialen Leiter steht, ist natürlich auch kein Geld für notwendige lebenserhaltende, manchmal sehr einfache medizinische Dinge vorhanden und wer dann für sich und seine Kinder keine, aber auch nicht die geringste Chance in der Zukunft sieht, wird versuchen, alles was er hat für eine Reise nach Europa aufzuwenden, um dort eine Zukunft zu finden. Die meisten dieser Menschen sind außerordentlich bildungshungrig und arbeitswillig und wir könnten sicherlich sehr viele von Ihnen auch gut auf unseren Ausbildungs- und Arbeitsmärkten gebrauchen, denn sie sind extrem lernwillig und einsatzbereit, aber wir haben diese Staaten zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt und die, die es noch nicht sind, sollen es ab 01.11.2015 werden und dann können wir ihre Asylanträge als offensichtlich unbegründet ablehnen und versuchen, sie wieder loszuwerden. Ich sage ganz bewusst, versuchen, denn das mit der Abschiebemaschinerie ist, wie die Vergangenheit sehr gut gezeigt hat, eben auch nicht so einfach, wie uns die Politik immer glauben machen will. 15 Das war in der Vergangenheit nicht einfach und es wird auch in der Zukunft nicht einfach sein und die Behauptung, man müsse nur einfach schnell genug abschieben, um diesen Menschen klarzumachen, ihre Zukunft kann weder Europa noch Deutschland sein, ist bis zu einem gewissen Grad einfach Heuchelei und geht auch an der Realität dieser Menschen vorbei. Viele von ihnen sind schwer traumatisiert und krank und das Bundesamt müsste ihnen aufgrund geltender Rechtslage eigentlich schon automatisch ein Abschiebungshindernis zugestehen. Auch wenn der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird. Genau dies geschieht aber nicht (Sie erinnern sich an das, was ich zum Thema faire Asylverfahren versucht habe, auszuführen). Wir haben kein vernünftiges Einwanderungsrecht und wir haben keine Antworten auf diese humanitären Herausforderungen mit der Folge, dass immer mehr Menschen, insbesondere auch die ehrenamtlich engagierten fassungslos vor der Vielzahl der menschlichen Einzelkatastrophen stehen. (8) Wir brauchen dringend die Schaffung bezahlbaren Wohnraums für alle Menschen mit geringem Einkommen durch den Ausbau des sozialen Wohnungsbau durch den Bund. Wir müssen die bereits ersten beschlossenen Änderungen des Bundesbaugesetzes weiter vorantreiben und es muss parallel dazu auch im Steuerrecht und im Mietrecht Änderungen geben. Man hat im Steuerrecht vor acht Jahren die Abschreibungsmöglichkeiten von 8 % auf 2 % herabgesetzt. Das ist sicherlich der falsche Ansatz. Jeder von Ihnen dürfte in seinem Bekannten- und Nachbarkreis Menschen kennen, die Einfamilienhäuser mit Einliegerwohnungen oder Dachgeschosswohnungen haben, die leer stehen, weil das Mietrecht so ist wie es ist und viele Menschen sich überlegt haben, dass sie lieber auf die Mieteinkünfte verzichten, als in der bestehenden Rechtslage fremd zu vermieten. (9) Wir brauchen sofortigen Zugang zu Sprachkursen und zu Qualifizierungen für alle Flüchtlinge. (10) Wir brauchen einen gleichberechtigten Zugang von Flüchtlingen zum Arbeitsmarkt und nicht die Vorrangprüfung durch die unsägliche ZAV in Duisburg, die sehr oft jeden Versuch, sich wirtschaftlich auf eigene Füße zu stellen, konterkariert. (11) Einführung einer Gesundheitskarte (12) Und das soll nun mein letzter Punkt sein, obwohl die Punkte sich einfach und ziemlich beliebig weiter fortsetzen lassen würden: Wir brauchen ein Höchstmaß an gelungener Integration. Lassen Sie mich auch dazu noch ein paar Sätze sagen: Integration wird oft als Synonym für Eingliederung verwendet. Vom lateinischen Wortstamm her bedeutet es „Erneuerung“ und die Integration von vielleicht Millionen Fremden bedeutet damit auch eine Erneuerung Deutschlands und das heißt gleichzeitig eine Veränderung. 16 Wir wissen alle, dass jede Veränderung aufwendig und schwierig ist und es ist natürlich auch sehr schwer, einer erfolgreichen und – entschuldigen Sie den Ausdruck – satten Wohlstandsgesellschaft zu vermitteln, dass die Notwendigkeit einer Veränderung besteht. Die Agenda 2010 und das ist gerade nur ein paar Jahre her, hat eine tiefe Kluft zwischen arm und reich geöffnet und immer größere Kreise unserer Gesellschaft selbst an die Rändern gedrängt. Dass diese Kreise noch mehr als andere davor Angst haben, noch weiter zu verarmen und dass sie das, was sie haben behalten wollen und nicht noch teilen wollen, ist doch nachvollziehbar und verständlich. Integration ist ein Prozess der Jahrzehnte dauern wird und ich weiß natürlich genauso wie derjenige, der neulich in der Schwäpo den Leitartikel zur Integration geschrieben hat, dass alle historischen Vergleiche hinken, aber trotzdem: Viele der Migranten der vergangenen 200 Jahre haben davon profitiert, dass es einfache Jobs im Industriebereich gab. Diese einfachen Jobs sind aber durch Strukturwandel und Digitalisierung seltener geworden. Schon jetzt gibt es Millionen Hartz IV-Abhängige und hunderttausende freie Stellen. Das löst sich nicht einfach auf. Die einzige Antwort darauf heißt Bildung und Bildung dauert. Die Zeit dafür haben wir, solange die Konjunktur hält und sich alle dafür engagieren. Und jetzt zitiere ich wieder aus dem Leitartikel: Integration ist ein Prozess, der nur in Teilen steuerbar ist. Es geht auch um kleine Schritte Einzelner, nämlich von Arbeitgebern, Nachbarn, Lehrer, Beamte und es wird Neid und Missgunst geben, denn hunderttausende Flüchtlinge müssen in den nächsten Jahrzehnten vom Staat unterstützt werden, vor allem die, die nicht jung und schnell und leistungsfähig sind, sondern alt, müde und traumatisiert. All das ist eine Herkulesaufgabe und Veränderung heißt nicht, dass man vom Grundgesetz abweicht. Deutschland ist eine liberale Demokratie, ein Rechtsstaat, in dem alle vor dem Gesetz gleich sind; in dem Religion Privatsache ist; in dem Homosexualität akzeptiert wird und in dem und das ohne Wenn und Aber das Gewaltmonopol beim Staat liegt. All diese Punkte sorgen für die Sicherheit und den Wohlstand, die die Flüchtlinge suchen. Viele von Ihnen sind ganz anderes gewöhnt und die Flüchtlinge werden sich hier anpassen müssen, nicht nur wir müssen uns an die Flüchtlinge anpassen. Nichts ist eine Einbahnstraße. Alles ist nur im Dialog zu schaffen. Aber wie schon in dem Interview, das ich im Vorfeld zu diesem Vortrag gesagt habe, es gibt keine Möglichkeit, die Menschen wegzubeamen. Sie sind hier und ihre Familienangehörige und weitere Flüchtlinge werden kommen. Wir haben also keine Alternative, als die, es alle miteinander jeden Tag von neuem in der vorbeschriebenen Weise zu versuchen und sich um Integration zu bemühen. Nur dann und nur so werden wir es schaffen und können wir es schaffen, denn das Ganze ist ohne Alternative. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! Vera Kohlmeyer-Kaiser 17
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