An dir, DU, berge ich mich. – Psalm 31 Betrachtung von Anselm Grün Lukas lässt Jesus am Kreuz den Psalm 31 beten. Zur gleichen Zeit, da die frommen Juden diesen Psalm als Abendgebet rezitieren, spricht Jesus die Worte dieses Psalmes am Kreuz aus. Und da bekommen sie eine ganz neue Bedeutung. Wenn ich den Psalm gemeinsam mit Jesus am Kreuz bete, spüre ich erst das Vertrauen, das in diesen Worten liegt: „Zu dir, o Herr, flüchte ich, lass mich doch niemals scheitern, befreie mich in deiner Gerechtigkeit.“ (Ps 31,2) Lukas legt Jesus das Wort in den Mund: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lk 23,46) Zu den Psalmworten fügt der Evangelist das Wort „Vater“ hinzu. Damit werden die Psalmworte zu den urpersönlichen Worten Jesu, die er an den Vater richtet, den er zärtlich mit Abba anredet. Der Kehrvers greift auf, was Lukas in seinem Evangelium praktiziert hat. Er fügt das große DU in das Psalmwort ein. Dieses DU wird jeder mit seiner persönlichen Gottesbeziehung füllen. Für den einen ist es das väterliche Du, für den andern das mütterliche Du Gottes. Ich denke bei dem DU einfach an den unbegreiflichen Gott, der alle konkreten Vorstellungen übersteigt, den Gott, der die ganze Welt durchdringt, den Schöpfer des Weltalls mit ihren Milchstraßen und Sonnensystemen. Zu diesem unendlichen, alles überragenden und oft genug auch fernen Gott darf ich DU sagen. Gott ist nicht nur der überpersönliche Gott, der in allem west. Er tritt mir als Person gegenüber, aber anders als eine menschliche Person. Er ist das große DU, der alle meine Sehnsüchte erfüllt, die in mir aufsteigen, wenn ich zu einem Menschen zärtlich und zaghaft „Du“ sage. DU, mein Gott, an Dir berge ich mich. Alles Bergende, das Menschen mir schenken, sind nur Verheißung der Geborgenheit, die Du allein zu geben vermagst. Geborgenheit brauche ich auf meinem Weg, auf dem ich ständig den Erwartungen der andern ausgesetzt bin und in Konflikte und Kämpfe verwickelt werde. Ich brauche Dich, bei dem ich mich bergen darf „vor dem Toben der Leute, vor dem Streite der Zungen“. (Ps 31,21) Ich berge mich nicht nur bei Dir, sondern an Dir. Wenn ich mich anlehne an Dich, wenn ich mich an dir berge wie an einem hohen Berg, dann bin ich geborgen, dann bist du mir „ein Fels der Zuflucht, eine feste Burg, die mich rettet.“ (Ps 31,3) Die Kirche schenkt uns diesen Psalm, damit wir vor der kommenden Fasten- und Passionszeit nicht erschrecken, sondern aus der Geborgenheit in Gott auf all das schauen, was an Leid uns treffen mag. Jesus hat den Psalm 31 am Kreuz gebetet und sich in der äußersten Verlassenheit bei Gott geborgen gefühlt. Er betet heute mit uns diesen Psalm, damit an seinem Vertrauen teilhaben in den Gott, an dem wir uns immer bergen dürfen.
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