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8 W EI T ER BI L D U N G
im
» Balint-Gruppenleitung
Spannungsfeld von Strukturieren
Werner König
Berlin
und Gewähren
Zusammenfassung: Es wird eine Betrachtung der Balint-Gruppenleitung zur Diskussion gestellt, die die Balint-Gruppenarbeit
in Analogie zur tiefenpsychologischen Einzeltherapie bringt.
Die entscheidende Anforderung an den Balint-Gruppenleiter
wird darin gesehen, dass er sich in einem vielfach gefächerten
Spannungsfeld von Strukturieren und Gewähren bewegen muss
und dabei von ihm Entscheidungen getroffen und verantwortet
werden müssen, bei denen er auf seine Empathie und seine Erfahrung angewiesen ist, ohne sich an Regeln klammern zu können. Die Leitung von Balint-Gruppen zu lehren und zu lernen
wird für möglich und nötig gehalten.
Summary: In overview is given regarding the leading of Balint
groups in analogy to the functions of the psychotherapist in a
dyadic deep psychological setting. For the leading of Balintgroups the main challenge can be seen in findung a balance
between structuring and laissez faire. The leaders decision
making and his responsibility should be based on his empathy
and experience without using rules rigidly. It is necessary and
possible to teach and to learn the leading of Balint groups.
Einleitung
In der Balint-Gruppenarbeit gibt es ± ähnlich wie in der Psychoanalyse ± Vorbehalte gegen eine wissenschaftliche Durchdringung. Das Entscheidende, so wird argumentiert, die je
einmalige Begegnung, sei wissenschaftlich nicht zu fassen, ja
sie werde durch wissenschaftliche Erfassungsversuche gestört, denaturiert, wenn nicht gar zerstört. Eines der Ziele
einer wissenschaftlichen Durchdringung der Balint-Arbeit ist
auch die Lehrbarkeit der Balint-Arbeit.
Auch die Lehre erscheint manchen Vertretern der Balint-Arbeit ähnlich fragwürdig wie das wissenschaftliche Hinterfragen. In einem Brief vom Sommer vorigen Jahres schrieb mir
Arthur Trenkel: ¹Ich kann mich . . . unmöglich mit Bestrebungen
befreunden, welche diese fundamentale Erfahrungsmodeª ± gemeint ist das personale Beziehungserleben ± ¹in üblicher Weise zu ¸verschulen trachten. Freilich gab es diese Tendenz auch
im Blick auf die Balint-Arbeit von Anfang an, und sie wird vermutlich am Ende siegen und dabei leider manches (wie zuvor
schon in der Psychoanalyse) ¹um©s Leben bringenª.
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Georg Thieme Verlag Stuttgart ´ New York
Das Paradoxe daran ist für mich, dass ich für die Balint-Gruppenleitung neben Werner Stucke am meisten von Arthur
Trenkel gelernt habe. Nach meiner Erfahrung lässt Trenkel die
Teilnehmer staunend seine Balint-Leitung erleben, mit den
Fragen, wie er das macht, warum er dieses oder jenes so
macht, bleibt man auf sich gestellt. Ich denke, es ist diese Sorge vor der ¹Verschulungª, die ihn und andere veranlasst, ihre
Erfahrungen nicht direkter zu vermitteln. Balint hatte das Ziel,
die Psychoanalyse für die Allgemeinmedizin fruchtbar zu machen. Was er in jahrelanger Kooperation mit Allgemeinmedizinern entwickelt hat, ist eine Methode, die seither im Wesentlichen unverändert weitergeführt wird. Aber auch bei
ihm lässt sich belegen, dass er eine Scheu hatte, seine Methodik explizit zu beschreiben.
Die Ambivalenz zu Forschung und Lehre hat mit dem Gegenstand unserer Arbeit zu tun. Auf diesen Zusammenhang soll
hier nicht näher eingegangen sondern nur hingewiesen werden als übergeordnetes Problem zu dem Thema Spannungsfeld von Strukturieren und Gewähren in der Leitung von Balint-Gruppen. Was Forschung und Lehre für die Balint-Arbeit
insgesamt bedeuten, mit ihren Chancen der Förderung, des
besseren Verstehens und Vermittelns bei gleichzeitiger Bedrohung dessen, was Trenkel das ¹personale Beziehungserleben
als ursprüngliche Erfahrungª nennt, ist in der Praxis der Balint-Gruppenleitung das Strukturieren. Strukturieren als unabdingbar notwendiges Ordnen und Rahmengeben, das nicht
nur Intuitionen, sondern kritischem Durchdenken der Situation auf dem Hintergrund von Erfahrungen und Überzeugungen folgt, mit der ähnlichen Gefahr, das Eigentliche, Lebendige, Ursprüngliche zu ersticken.
Ziele der Balint-Arbeit
Die erklärten Ziele der Balint-Arbeit ± soweit scheint Konsens
vorhanden ± sind kurzfristig die Klärung und Verbesserung
der Arzt-Patient-Beziehung und längerfristig die Verbesserung der beruflichen kommunikativen Kompetenz über eine begrenzte Selbsterfahrung. Ob über diese Ziele bei näherer
Betrachtung und über die Wege dahin ausreichender Konsens
besteht, ist aber die Frage.
Betrachten wir zunächst die Arzt-Patient-Beziehung. Was ist
mit ihrer Klärung und Verbesserung gemeint, was geht in der
Balintgruppe in diesem Punkte vor sich? Wir versuchen in der
Balintgruppe die Arzt-Patient-Beziehung zu erfassen und bedienen uns dabei Formulierungen, als hätten wir Gelegenheit,
sie wirklich zu untersuchen, nämlich durch direkte Beobachtung und Informationen von beiden Beteiligten.
Balint-Gruppenleitung im Spannungsfeld von Strukturieren und Gewähren
Bei der Balint-Gruppenarbeit erfolgt aber keine Beobachtung
des tatsächlichen Ablaufes der Begegnung. Man arbeitet mit
den subjektiven Angaben eines Beteiligten über sich und seinen Partner und hat Gelegenheit, den einen Beteiligten bei
der Darstellung der Arzt-Patient-Begegnung zu erleben. Das,
woran man arbeitet, ist damit wohl mehr die Vorstellung des
Referenten von der Arzt-Patient-Beziehung, allerdings mit der
Chance, durch ihre Veränderung auch Veränderungen der
Arzt-Patient-Beziehung zu bewirken. Diese Situation ist aus
der Therapie geläufig. Man kennt in den meisten Fällen die
Bezugspersonen der Patienten nicht, wenn man an den Beziehungsschwierigkeiten zu ihnen in der Psychotherapie arbeitet. Bei dieser Überlegung zeigt sich eine Analogie von Referent und Patient und Balint-Gruppe und Therapeut. Lässt man
einmal die ohnehin fragwürdige Unterscheidung von gesund
und krank beiseite, so wird die Parallelität sichtbar, dass Referent und Patient bei Balint-Gruppe und Therapeut Hilfe suchen, ihre eigene Beziehung zu einem anderen besser zu verstehen, insbesondere in ihren unbewussten Anteilen. Diese
Parallele ist zunächst leicht nachzuvollziehen. Prüft man sie
weiter, zeigt sich aber ein hochinteressanter Unterschied, der
ins Zentrum von Balints methodischer Entdeckung führt: Der
Referent ist in der Balint-Gruppe nicht in einer der Gruppenpsychotherapie analogen Situation, sondern innerhalb der
Gruppensitzungen quasi in einer Einzeltherapie. Die BalintGruppe arbeitet nicht wie eine therapeutische Gruppe, sondern wie ein Einzeltherapeut. Und dass sie das tut, und es
möglichst gut tut, ist die Aufgabe des Leiters, dessen Funktion
in Analogie die des Supervisors ist, eines ständig gegenwärtigen Supervisors.
Um dieses Bild zunächst weiter zu verdeutlichen: In der therapeutischen Gruppe werden Erfahrungen der Mitglieder untereinander verglichen. Die typischen Reaktionen der Mitglieder einer therapeutischen Gruppe wären Mitteilungen über
ähnliche Erfahrungen mit eigenen Patienten und sie hätten
den berechtigten Anspruch zu profitieren wie der Referent,
wären ihm im momentanen Anliegen gleichgestellt.
Der Leiter der Balint-Gruppe achtet darauf, dass die Gruppe
sich verhält wie der Einzeltherapeut, der dem Patienten seine
eigenen Erfahrungen nicht mitzuteilen hat, sondern lediglich
darüber zu reflektieren hat, was der Patient erlebt. Allerdings
auch darüber, was es bedeutet, dass diese oder jene Erfahrung
sich in dieser Situation als Erinnerung einstellt. Die Einfälle
des Therapeuten aus seiner eigenen Lebenserfahrung stehen
in Analogie zu Einfällen von Mitgliedern der Balint-Gruppe
über eigene Patienten. Diese Patientengeschichten interessieren in der Balint-Gruppe nur in einem Punkt: Was bedeutet es
für die vom Referenten vorgetragene Geschichte, dass sich
diese Erinnerung einstellt. Der Leiter gestattet nicht, diesem
Patienten ein darüber hinausgehendes, diesem Patienten geltendes Interesse zu widmen. Die Aufgabe des Therapeuten
wie der Balint-Gruppe ist es, die in der Gegenübertragung
aufkommenden Emotionen zuzulassen, zu benennen und in
einen Zusammenhang mit der Situation des Patienten respektive des Referenten zu bringen. Das Faszinierende der BalintArbeit ist unter anderem, dass nicht ein einsamer Therapeut
seine Gegenübertragung analysiert, sondern mehrere ihre Gegenübertragungen zusammentragen und austauschen und
dass der Supervisor nicht erst nachträglich zugezogen wird,
sondern im aktuellen Geschehen anwesend ist und an der Gegenübertragungsarbeit teilnimmt. Seine Aufgabe ist es, den
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Einzeltherapeuten Balint-Gruppe auf seine lege-artis-Arbeit
zu kontrollieren. Der Einzeltherapeut Balint-Gruppe soll dem
Referenten gegenüber seine Emotionen nicht ausagieren, sondern sie reflektieren, er soll ermutigt werden, seine Gegenübertragung aufkommen zu lassen und auszuhalten. Der Supervisor Balint-Leiter hat darauf zu achten, dass die therapeutischen Spielregeln eingehalten werden, das heiût, er muss
strukturieren, das aber so, dass von der lebendigen Gegenübertragung, den Emotionen der Gruppe, nichts unterdrückt
wird, was heiût, alles Emotionale, Spontane möglichst gewähren zu lassen.
Man kann Balint-Arbeit also so sehen: Der Referent teilt seine
subjektiven Vorstellungen über sich und seinen Patienten mit,
wie der Patient seine Vorstellungen von sich und einer Bezugsperson. Die Balint-Gruppe bearbeitet diese Darstellung
ähnlich wie ein Einzeltherapeut, aber unter ungleich günstigeren Bedingungen. Anstelle des einsam mit seiner Gegenübertragung rätselnden Einzeltherapeuten wird in der BalintGruppe die Gegenübertragung von mehreren zusammengetragen und mit Hilfe des im Prozess anwesenden Supervisors analysiert.
Das zweite allgemein akzeptierte Ziel der Balint-Arbeit ist eine begrenzte Selbsterfahrung. Begrenzt ist die methodische
Seite. Es wird nur im Hier und Jetzt des Erlebens und im professionellen Raum gearbeitet. Die begrenzte Selbsterfahrung ist
weitgehend identisch mit der Selbsterfahrung, die in Supervisionsgruppen möglich ist, meist aber zu wenig wahrgenommen wird. Der Teilnehmer der Balint-Gruppe hat zunächst
einmal unter günstigen atmosphärischen und zeitlichen Bedingungen (auch das ist sehr wichtig: wer nimmt sich sonst
die Zeit anderthalb Stunden über eine therapeutische Situation in sich hineinzuhören?) die Möglichkeit, sich über seinen
Emotionen Patienten gegenüber klar zu werden.
In dieser Seite der Arbeit ist der Teilnehmer ein Gruppenmitglied, das seine Erfahrungen mit anderen vergleicht und von
diesem Vergleich profitiert: dass man mehr fühlt, als man
dachte, dass man mehr aussprechen darf, als man anfangs
wagte, dass man sich mehr eingestehen und zulassen darf, als
man fürchtete und dass die therapeutischen Schwierigkeiten
mehr mit der eigenen Lebenserfahrung zu tun haben, als man
ahnte ± auch wenn sich letzteres im Verborgenen abspielt ±
und manches mehr.
Im Ergebnis stellen sich mehr Verständnis, Toleranz, Gelassenheit ein, die sich gegenseitig verstärken. Auch hier ist es
wieder die Aufgabe des Leiters, den schmalen Pfad zwischen
üblicher Selbsterfahrung an biografischen Themen auf der einen und Supervision der Behandlungsmethodik auf der anderen Seite zu wahren, ohne die Emotionalität der Gruppe zu
unterdrücken. Dabei ist es eine spezielle Schwierigkeit, dass
auch Ausbruchsimpulse der Gruppe nach beiden Seiten von
heftigen Emotionen getragen sein können.
Wege der Balint-Arbeit
Nach diesen kurzen Skizzen der Ziele der Balint-Arbeit ± Erfassung und Verbesserung der Arzt-Patient-Beziehung und
begrenzte Selbsterfahrung ± nun zu den Wegen, die dahin
führen, und den Aufgaben dessen, der auf diesen Wegen führt,
des Balint-Gruppenleiters.
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Die Wege der Gruppe und die Aufgaben des Leiters lassen sich
sicher unter verschiedenen Blickwinkeln und Unterteilungen
darstellen. Wenn das Bild von Einzeltherapeuten Balint-Gruppe haltbar sein soll, muss zunächst etwas gesagt werden zum
therapeutischen Dialog, das heiût zum Dialog zwischen Referent und Gruppe. Zweitens soll einiges ausgeführt werden
zum Umgang des Leiters mit der Gruppe. Denn wenn auch behauptet wurde, dass die Aufgabe der Balint-Gruppe und ihr
Kommunikationsstil dem einer Einzeltherapie näher steht als
einer Gruppentherapie, ist der Balintgruppenleiter doch ein
Gruppenleiter. Und schlieûlich soll etwas gesagt werden zur
Deutungsarbeit des Leiters unter den dargestellten Bedingungen, was im Wesentlichen auf sein Verständnis des Referenten
hinausläuft.
Zum Dialog zwischen Referent und Gruppe
Im therapeutischen Dialog stellt der Patient seine Erfahrungen dar und der Therapeut hilft ihm, seine Situation besser zu
verstehen, indem er konfrontiert, klarifiziert und deutet.
Nichts wesentlich anderes tut die Balint-Gruppe. Der Schwerpunkt liegt auch bei den therapeutischen Dialogen meist auf
der Klarifizierung, das heiût der Identifizierung der Emotionen, die im Spiel sind. In der Balint-Gruppe ist das noch ausgeprägter. Die meisten Voten, insbesondere die, deren emotionale Aussage deutlich ist, haben die Funktionen der unausgesprochenen Anfrage an den Referenten: Empfindest du oder
dein Patient vielleicht auch so?
Die Hauptarbeit dient dem Erfassen der Einstellungen, Erwartungen, Empfindungen, die Arzt und Patient einander entgegenbringen, indem sie dem Referenten vorerlebt werden.
Was hier abläuft, ist zunächst die konkordante Gegenübertragung Rackers, das heiût, das einfache emotionale Mitschwingen der Gruppenmitglieder mit Seiten im Referenten oder seinem Patienten. In der tiefenpsychologischen und analytischen
Therapie soll der Therapeut seine Gegenübertragung reflektieren und nach seinem Urteil, was sie bedeutet, sie in die Entscheidung über sein weiteres Tun einbeziehen.
Der tiefenpsychologisch orientierte Therapeut darf seine Gegenübertragung nicht unreflektiert aussprechen, das gilt als
Kunstfehler. Das tut aber der Therapeut Balint-Gruppe. Besteht
dabei nicht die Gefahr der Manipulation und der Traumatisierung? Natürlich. Allerdings weniger bei der bis jetzt genannten Gegenübertragung, der konkordanten, das heiût mitfühlenden. Empathisches Erleben zu vermitteln, ist kaum traumatisierend. Unser Erleben ist aber meist widersprüchlich.
Dieses widersprüchliche Erleben spiegelt sich in der Gruppe.
Hier ist der Gruppenleiter gefragt, diese Widersprüchlichkeit,
die in streitige Auseinandersetzung der Gruppe münden
kann, als möglichen Konflikt in der dargestellten Arzt-PatientBeziehung zu deuten, letztlich als Konflikt im Referenten. So
wie es in der Einzeltherapie, wenn sie auf Aufarbeitung angelegt ist, kaum schaden kann, einen Konflikt zu verdeutlichen,
so ist es auch in der Balint-Gruppe. Lässt der Gruppenleiter
aber in einer solchen Konfliktspiegelung in der Balint-Gruppe
die Dominanz der einen gegen die andere Seite zu, dann ist
der Effekt für den Referenten der gleiche, wie wenn der Einzeltherapeut im Konflikt seines Patienten offene Partei ergreift, damit Wertungen vornimmt, sich in Entscheidungen
einmischt. Erkennt und deutet der Leiter die Konfliktspiegelung durch die Gruppe nicht und lässt die Gruppe gewähren,
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greift nicht strukturierend ein, so kann dieses Gewährenlassen die Chancen des Referenten, sein Problem besser zu verstehen, deutlich reduzieren. Gewähren ist nur fruchtbar, wenn
ich weiû, was ich gewähre, wie Strukturieren nur gefährlich ist,
wenn ich nicht weiû, was ich damit unterbinde. Schwieriger ist
die komplementäre Gegenübertragung zu handhaben, in der
Einzeltherapie und in der Balint-Gruppe. Komplementäre Gegenübertragung heiût, sich in die Gefühle des Gegenübers
versetzt zu sehen, in der Balint-Gruppe vom Referenten ausgelöste Gefühle ihm gegenüber zu empfinden. Er tut mir leid,
ärgert mich, ruft unterschiedliche Gefühle der Ablehnung hervor, oder er begeistert mich in irgend einer Weise durch sein
Tun oder Sein. Das ist die Palette der Empfindungen, die in
der Einzeltherapie besonders kritisch zu reflektieren sind und
bei denen es kaum je richtig ist, sie dem Patienten gegenüber
spontan zu äuûern. In der Balint-Gruppe werden sie aber und
sollen sie in Gegenwart des Referenten ausgesprochen werden. An dieser Stelle hat der Balint-Gruppenleiter wichtige
Aufgaben beim Dialog von Referent und Gruppe. Ihm kommt
die Funktion des sonst im Therapeuten ablaufenden Kontrolleurs der Gegenübertragung zu.
Bei negativen Gegenübertragungen ist es ja nicht die wichtigste Aufgabe des Therapeuten, sie zu verschweigen, sondern
sie nicht zu verwenden, solange er sie nicht versteht und damit
nicht konstruktiv zum Verständnis der Situation des Patienten
einsetzen kann. Und dieses Verstehen ist viel schwieriger,
wenn man erlebender und reflektierender Therapeut in einem
ist. In der Balint-Gruppe sind Erleben und Reflektieren getrennt. Das Erleben ist Aufgabe der Mitglieder, das Reflektieren die des Leiters.
± Auch davon gibt es Ausnahmen und es wäre ein Thema für
sich, in welcher Weise, und in welchem Maûe die Gruppe
am Reflektieren teilnimmt und in welchen Grenzfällen der
Leiter sein Erleben einflieûen lässt, einflieûen lassen darf.
± Der Balint-Gruppenleiter soll sich nicht in das Erleben der
Gruppe involvieren lassen, um die von ihm erwartete
Interpretationsarbeit leisten zu können. Und diese seine
Interpretationsarbeit ist zugleich das wichtigste Mittel, um
sich so wenig wie möglich emotional involvieren zu lassen.
Ein Beispiel: Ein Teilnehmer äuûert, er ärgere sich, wie arrogant der Referent mit seinem Patienten umgeht. Die Teilnehmer identifizieren sich entweder mit diesem Votum, sehen
ausgesprochen, was sie ähnlich empfinden oder sie identifizieren sich mit dem angegriffenen Referenten oder erschrecken als Beobachter, was jetzt losbricht. Hier ist der Leiter gefragt, zum Beispiel durch die Interpretation, es könne sein,
dass der Patient ähnlich empfindet und dass es wichtig wäre
zu verstehen, warum er den Referenten so sieht, wie das mit
seiner Situation, etwa einem Unterlegenheitsgefühl zusammenhängen könnte oder wodurch vielleicht der Patient den
Referenten dazu provoziert.
Mit solchen Interpretationen wird die aggressive Spannung
entschärft, weil beide sich identifizierende Parteien Teile eines
zu verstehenden Ganzen geworden sind und das manchen Erschreckende zu etwas Weiterführendem. Die Angst soll reduziert werden, weil sie Abwehr hervorruft. Der Leiter bringt
das Geschehen in einen Sinnzusammenhang, in dem auch die
aggressive Stimme ihre konstruktive Stellung bekommt. Das
ist die inhaltliche Seite der Interpretation. Fast wichtiger ist
Balint-Gruppenleitung im Spannungsfeld von Strukturieren und Gewähren
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die strukturierende: Die Gruppe, die emotional involviert ist
und lustvoll und ängstlich zugleich sich auf ein nahendes
Hauen und Stechen einrichtet, erlebt, hier ist einer, der sich
nicht beunruhigen lässt, weil er noch übersieht, was im Gange
ist. Dieser Halt ist in erster Linie für den Referenten wichtig.
Wir haben es eben nicht mit Arzt und Patient zu tun, sondern
mit dem Referenten. Es ist unsere Aufgabe, ihm weiterzuhelfen. Auch in der Therapie kann es vorkommen, dass uns der
Partner des Patienten plötzlich näher erscheint als der Patient.
Aber das kann immer nur heiûen: Wie kommt das, und wie
kann ich das fruchtbar machen, damit der Patient ± in der
Analogie der Balint-Gruppe der Referent ± seine Situation
besser versteht und besser löst.
tens in bestimmten Seiten. Es muss also richtig heiûen, dass
die Gruppe voraussichtlich produktiver arbeiten wird, wenn
sie viele Emotionen aus der Geschichte aufnimmt und weniger Widerstände gegen diese Emotionen. Jeder Therapeut und
jeder Balint-Gruppenleiter weiû, dass die wichtigsten Mitteilungen meist am Anfang liegen, lange Ausführungen oft mehr
wieder verwischen als Neues hinzufügen, weshalb ja Balint
längere Berichte oft unterbrach und die Gruppe mit dem ersten Teil des Berichtes arbeiten lieû. Das Heraus- und Wiederhereinnehmen des Referenten dient m. E. in erster Linie der
Steuerung dieser beiden Einflüsse des Referenten: der Ergänzung von neuem weiterführenden emotionalen Material oder
der Behinderung der Arbeit durch Widerstände.
Man könnte sagen, dass die psychotherapeutische Einzelbehandlung sich von der Balint-Gruppenarbeit unter anderem
dadurch unterscheidet, dass der Therapeut die Gegenübertragungsarbeit für sich vollzieht ohne den Patienten einzuweihen, während der Referent an der Gegenübertragungsarbeit
seines Helfers, ± nämlich der Balint-Gruppe ± als Zuhörer teilnimmt. Dieser Unterschied ist aber nur relativ. Seit der durch
Paula Heimann vertretenen Auffassung, dass die Gegenübertragung ein Produkt des Patienten ist, muss sie nicht mehr
verschwiegen werden. Es ging Paula Heimann darum, die damalige sterile Arbeitsweise vieler Analytiker infrage zu stellen
und die Therapie dialogischer zu gestalten. Es ist in der analytischen und tiefenpsychologischen Arbeit heute fruchtbar,
den Patienten auch an der Gegenübertragungsarbeit teilhaben
zu lassen, zum Beispiel zu äuûern ¹Wenn ich mich in das hineinversetze, was sie schildern, werde ich irgendwie traurig
und frage mich warum.ª Man reflektiert, es könnte damit oder
mehr damit zusammenhängen, dabei falle einem ein, was der
Patient vor einigen Stunden schon mal dazu äuûerte und in
Verbindung damit scheine es einem, dass es wohl am ehesten
so zu verstehen sei. Dieses Vorgehen wirkt nicht nur anregend
auf den Patienten, er fühlt sich auch ernst genommen. Für
den Therapeuten hat dieses laute Nachdenken aber den Vorteil, Zeit zu haben zum Nachdenken, indem er den Patienten
für diese Zeit zum interessierten Zuhörer macht, der nicht in
sein Nachdenken hineinredet. Das ist das Gleiche, wie das von
Balint verordnete schweigende Zuhören des Referenten. Dieser Kunstgriff macht die Balintarbeit zu einer Zeitlupentherapie und das Herausnehmen oder Teilnehmenlassen des Referenten zu einem entscheidenden Mittel des Dialoges von
Referent und Gruppe.
Wir nehmen den Referenten heraus, damit er in Ruhe zuhören
kann, allein wissend, was zu seiner Geschichte passt und was
nicht. Dabei wird es ihm leichter, neue Sichtweisen anzunehmen und sich andere Emotionen einzugestehen, weil er sich
nicht sofort vor der Gruppe dazu bekennen muss, das Neue,
Unbekannte, ¾ngstigende erst einmal für sich bewegen kann,
ohne sofort öffentlich Stellung nehmen zu müssen. In dieser
Situation der Freiwilligkeit ist das Annehmen leichter, die Widerstände reduzieren sich. Aber hier macht sich wieder bemerkbar, dass der Referent kein gleichberechtigtes Mitglied
ist. Seine Stellung ist viel schwieriger als die der anderen Mitglieder und es wäre für ihn oft belastender als in einer Selbsterfahrungsgruppe, wenn es das Herausnehmen nicht gäbe.
Denn die Gruppenmitglieder sind, sobald sich der Referent
zum Bericht entschlossen hat, nicht mehr ganz seinesgleichen,
sondern für diese Sitzung am trockenen Ufer.
In diesem Dialog teilt zunächst der Referent etwas mit, die
Geschichte einer Begegnung mit einem Patienten und das sich
für ihn daraus ergebende Problem. Man kann sagen, dass die
Gruppe desto besser arbeiten kann, je mehr sie vom Referenten erfährt. Bei dieser Formulierung wird mancher Leser stutzen. Führen die längsten Berichte zu den besten Gruppensitzungen? Nach aller Erfahrung doch wohl eher nicht. Aber warum? Weil dem bewussten Anliegen des Referenten, etwas
Neues zu erfahren, unbewusste Strömungen entgegenstehen,
es lieber beim gewohnten Alten zu lassen, als sich auf unbekanntes Neues einzulassen, teils auch Strömungen, sich vor
erahntem Unangenehmen zu schützen.
Die langen Berichte stellen die Schwierigkeiten des Referenten auf der bewussten Ebene in aller Ausführlichkeit dar, auf
der unbewussten wird aber kommuniziert, dass es unabänderlich so ist und so bleiben wird und bleiben soll, mindes-
± Es wäre wieder ein Thema für sich, darzustellen, unter
welchen Umständen Teilnehmer trotzdem ins Wasser fallen
oder hingestoûen werden können und welche Aufgaben
dem Leiter daraus erwachsen.
Dass Balint-Arbeit so viel Spass macht und weniger belastend
ist als Selbsterfahrungsgruppen liegt nicht nur an der Ausblendung des Biografischen, sondern an dieser Asymmetrie,
die durch die vom Leiter vertretene und durchzusetzende
Struktur zugleich einen hohen Schutz des Referenten gewährleistet. Biografische Arbeit nicht zuzulassen, ist eher ein notwendiger Teil dieser Struktur. Das verordnete Schweigen des
Referenten macht beiden Seiten die Arbeit leichter, weil der
Referent davon entbunden ist, sich zu rechtfertigen und die
Gruppe arbeiten kann, ohne durch die Abwehr des Referenten
gestört zu werden. Wer den Referenten während der ganzen
Sitzung schweigen lässt, bleibt als Leiter auf der sicheren Seite. Wer ihn öfter hereinholt, hat sicher die Chance, neues Material zu bekommen, bekommt aber garantiert auch Widerstände, besonders, wenn er diese Gefahr nicht sieht. Der Referent allein kennt die Geschichte, und weder er noch wir als
Leiter können sicher entscheiden, wie realistisch er sie sieht.
Und wenn wir ihn in der Sitzung fragen, ob es ¹mehr so oder
soª ist, können wir an der Antwort wieder schwer beurteilen
ob die Geschichte so ist, oder ob er sie so sehen will. Wo er
uns gesagt hat, ¹wie es wirklich istª wird und kann die Gruppe
es nur schwer noch einmal hinterfragen. Hier wird die
Schwierigkeit von Strukturieren und Gewährenlassen wieder
besonders deutlich. Das Strukturieren des Leiters, das auch
immer die Gefahr des Unterdrückens und Einengens hat, kann
hier das schützende Treibhaus sein, in dem vieles blühen und
gedeihen kann und das Gewährenlassen des Referenten wie-
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derum kann Gewährenlassen des Widerstandes bedeuten und
vieles verschütten.
Zur Beziehung von Gruppe und Leiter
Wenn man auch die Aufgabe und Arbeit der Balintgruppe mit
der eines Einzeltherapeuten vergleichen kann, so besteht
doch ein Zweifel, dass wir es mit einer Gruppe zu tun haben,
die gruppendynamischen Gesetzen folgt und den Leiter vor
dafür typische Aufgaben stellt. Es ist eine rein pragmatisch
begründete groûe Inkonsequenz, dass vom künftigen Balintgruppenleiter nur die Bereichsbezeichnungen ¹Psychotherapieª oder gleichwertige Weiterbildungen vorausgesetzt werden und nicht auch eine gruppenpsychotherapeutische Erfahrung. Der Balint-Gruppenleiter hat als Gruppenleiter ganz
ähnliche Aufgaben wie der Gruppenpsychotherapeut:
1. Der Balint-Gruppenleiter legt wie der Leiter der therapeutischen Gruppe den Rahmen fest und verantwortet, was in diesem Rahmen geschieht und er entscheidet, was geschieht,
wenn der Rahmen übertreten wird.
2. Er gibt der Gruppe Normen und verantwortet diese und
andere Normen, die in Identifikation mit ihm in der Gruppe
entwickelt werden. Solche Normen sind zum Beispiel die Verhaltens- und Umgangsweisen, die die Balint-Gruppe von der
Supervisionsgruppe und der Selbsterfahrungsgruppe unterscheidet: Keine Fachtermini benutzen, eigene Emotionen und
Phantasien mitzuteilen, nicht aber zugehörige biografische
Assoziationen, sich auch nicht nach biografischen Hintergründen zu befragen, auf die Arzt-Patient-Beziehung zu fokussieren, auf Spiegelungsphänomene zu achten und sie anzusprechen und ¾hnliches mehr. Alle diese Verhaltensnormen werden vom Leiter (oder von Leitern) implantiert.
3. Was bei der Studientagung weniger eine Rolle spielt als bei
der kontinuierlichen Gruppe und besonders beim Neuanfang
einer Balint-Gruppe: Er setzt die Gruppe zusammen und verantwortet diese Zusammensetzung der Gruppe gegenüber.
± Das spielt insbesondere bei schwer zu integrierenden
Teilnehmern eine Rolle. Die Gruppe erlebt die Erwartung
des Leiters, ein schwieriges Mitglied zu tolerieren und zu
integrieren und entwickelt die Phantasie, der Leiter möge
den Schwierigen doch endlich ¹rausschmeiûenª, um eine
konstruktivere Arbeit zu ermöglichen. Der Leiter allein hat
zugelassen, dass der Schwierige Mitglied wurde. Mit diesem Vorwurf hat die Gruppe Recht. Wer diese Dynamik als
Leiter übersieht, wundert sich dann, dass die Gruppe den
Leiter in problematischen Situationen diesem Teilnehmer
gegenüber hängen lässt.
4. Der Leiter gestaltet und kontrolliert seine Beziehung zu jedem einzelnen Gruppenmitglied und nimmt damit indirekt
Einfluss auf seine Beziehung zu anderen Mitgliedern der
Gruppe. Mit seinem Kommunikationsstil nimmt der Leiter
Einfluss auf den der Mitglieder untereinander.
5. So wie der Gruppenpsychotherapeut mit Hilfe und in Gegenwart der anderen Gruppenmitglieder Psychotherapien an
jedem einzelnen Mitglied durchführt, hilft der Balint-Gruppenleiter mit Hilfe der Balintgruppe jedem einzelnen Mitglied, die Gestaltung seiner therapeutischen Beziehungen
Werner König
besser zu verstehen. Der Leiter muss übersehen, wie diese Erfahrungen sich untereinander auswirken. Gruppendynamik
heiût vereinfacht: Das aktuelle Geschehen wird unbewusst von
früherem Geschehen bestimmt. Gruppendynamische Erfahrung
bedeutet, dieses unbewusste Wirken des Früheren im Aktuellen
zu erkennen.
Die Reihe der Aufgaben lieûe sich fortsetzen, die genannten
erscheinen mir am wichtigsten.
In jeder dieser Aufgaben bewegt sich der Leiter im Spannungsfeld von Strukturieren und Gewähren. Er muss jeweils
Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen, um
die Teilnehmer gewähren zu lassen, das heiût ein weniger kontrolliertes ausprobierendes Erleben und Verhalten zu ermöglichen. Die Ziele, die dabei angestrebt werden, lassen sich relativ gut beschreiben, im ¹Wieª der jeweiligen Situation ist der
Leiter aber in diesem Spannungsfeld auf sich selbst gestellt.
Auch wenn es uns gelingt, für bestimmte Situationen Orientierungen für das Leiterverhalten zu geben, so muss die jeweilige Situation zunächst richtig erkannt sein.
Zum Verhältnis von Referent und Leiter
Auf einiges musste schon beim Dialog von Referent und Gruppe vorgegriffen werden: Der Leiter schützt den Referenten vor
Kränkungen und manipulativen Einflüssen der Gruppe durch
geeignete Interpretationen, die eine möglicherweise belastende Situation für den Referenten hinterfragt und weiter bearbeiten lässt. Daneben sind es die Widerstände im Dialog von
Referent und Gruppe, die den Leiter auf den Plan rufen. Ob es
dem Referenten gelingt, Seiten seines Verhaltens, die ihm unklar sind, beunruhigen, ängstigen, beschämen in seinem Vortrag spürbar werden zu lassen, oder ob er sie abwehren muss,
hängt in hohem Maûe von seiner Einstellung zum Leiter ab.
Das notwendige Vertrauen, die für ihn dunklen Seiten im Kontakt mit seinem Patienten zuzulassen, ist zu wesentlichen Teilen Vertrauen zum Leiter, Vertrauen darauf, dass der Leiter
vor Kränkungen, vor zu starken Verunsicherungen, vor Isolierungen und ähnlichen negativen Erfahrungen zu schützen imstande ist.
Dieses Gefühl vermittelt der Leiter durch seine Strukturierungen,
das heiût Verhaltenweisen, die zeigen, dass er den Verlauf insbesondere auch im Hinblick auf Gefahren übersieht, diesen
Verlauf in schwierigen Situationen steuern kann, die Sache in
der Hand hat. Das Steuern des Leiters gibt allerdings nur Sicherheit, wenn es als verständnisvolle, interessierte, fördernde und verantwortungsgetragene Aktivität erlebt wird. Diese
an die Rolle des Balintgruppenleiters von den Mitgliedern als
potenzielle Referenten gestellten Erwartungen müssen vom
Leiter auch in einem bestimmten Maûe emotional realisiert
werden. Dem können verschiedene Schwierigkeiten entgegenstehen. Das Gewähren des Leiters muss nicht aus Überblick und verständnisvoller Toleranz resultieren, sondern
kann ein nur Scheinbares sein, aus Unsicherheit, steuernd einzugreifen, aus mangelndem Konzept, mangelnder Erfahrung
etc. Sein Strukturieren kann ein Überspielen eigener Unsicherheit sein oder Ausdruck einer zu starren Hypothese, die
er im Gruppenverlauf nicht zu korrigieren vermag. Die Hypothese des Leiters ist Ausdruck seiner Einfühlung in den Referenten, seines auf Empathie und Erfahrung beruhenden Erfassens des bewussten und unbewussten emotionalen Austau-
Balint-Gruppenleitung im Spannungsfeld von Strukturieren und Gewähren
sches zwischen dem Referenten und seinem Patienten. Hier
stellt sich das Spannungsfeld für den Leiter so dar, dass er einerseits vor der Aufgabe steht, die seiner Hypothese entsprechenden Reaktionen der Gruppe zu fördern, ihnen gegen Widerstände zur Durchsetzung zu verhelfen, also zu strukturieren, andererseits sein Konzept an den Reaktionen der Gruppe
zu prüfen, zu präzisieren oder auch deutlich zu ändern, auch
Emotionen zu zulassen, die nicht in seine Hypothese passen,
also zu gewähren und seine Hypothese den neuen Erfahrungen anzupassen. Jeder Leiter lässt Einflüsse auf den Verlauf
der Gruppe und als Leiter der Gruppe nicht völlig gewährend
ihren Verlauf, ohne konzeptionell Einfluss zu nehmen. Glaubt
der Leiter, keinen Einfluss zu nehmen, ist die Gefahr der Einflussnahme sehr hoch aber eben völlig unreflektiert. Das andere Extrem ist die Überzeugung, immer die richtige Hypothese zu haben. Man beobachte nur, welche unterschiedlichen
Hypothesen manchmal in den Voten gestandener und anerkannter Balint-Gruppenleiter im Auûenkreis von Groûgruppen zu erkennen sind. Die Hypothesenbildung ist für den Leiter auch wichtig, weil sie ihn nötigt, über seine Position und
Situation zu reflektieren, zum Beispiel wenn ihm klar wird,
dass es ihm bei einer bestimmten Fallvorstellung besonders
schwer fällt, eine schlüssige Hypothese zu entwickeln.
Die entscheidende Anforderung an den Balint-Gruppenleiter
besteht darin, dass er sich in einem vielfach gefächerten Spannungsfeld von Strukturieren und Gewähren bewegen muss
und dabei von ihm Entscheidungen getroffen und verantwortet werden müssen, bei denen er auf seine Empathie und seine Erfahrungen angewiesen ist, ohne sich an Regeln klammern zu können. Unabhängig davon, dass es auch bei der Balintarbeit wie überall Begabte und weniger Begabte gibt, ist
Balintgruppenleitung lehr- und lernbar und man kann den
Gefahren der von Trenkel befürchteten Verschulung entgegentreten.
Prof. Dr. med. Werner König
Sewanstr. 130
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