Vierzig Jahre Pflanzenschutz auf Hof Siek

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Pflanze
BAUERNBLATT l 4. Juli 2015 ■
Ein Beitrag zum produktiven Ackerbau
Vierzig Jahre Pflanzenschutz auf Hof Siek
Auf den landwirtschaftlichen Betrieben Schleswig-Holsteins setzte
nach dem Zweiten Weltkrieg eine
schnelle Modernisierung ein: Pferde wichen den Traktoren, schwere
Handarbeit wurde von Maschinen
erledigt, und die Flurbereinigung
verbesserte die Nutzungsmöglichkeiten in erheblichem Umfang. Die
Pflanzenzüchtung lieferte unaufhaltsam neue Sorten mit höherem
Ertrag und besseren Qualitäten,
und die Anbauintensität stieg an.
Der Einsatz von Dünge- und
Pflanzenschutzmitteln etablierte
sich, womit das genetische Leistungsvermögen der Sorten immer
besser ausgeschöpft und gesichert
werden konnte. Im Gegensatz zu
anderen Industrieländern wurde in
Deutschland schon 1968 ein Pflanzenschutzgesetz erlassen. Dieses
regelte die verbindliche amtliche
Zulassungsprüfung und legte
Höchstmengen für Wirkstoffrückstände im Erntegut fest. Damit
schuf man in Deutschland die
Grundlagen des vorbeugenden
Verbraucherschutzes schon vor
über 40 Jahren!
Intensivierung ab 1970
Diese Zeit war geprägt von grenzenlosem Vertrauen in den technischen Fortschritt. Wintergetreide
und -raps verdrängten zunehmend
die Sommerungen, Futterrüben
wichen dem Mais. Völlig neue Herbizide ermöglichten schon im
Herbst die Regulation von Unkraut
und Ungras. Lange Jahre galt die
Devise in Schleswig-Holsein: „Dick
drillen heißt dick ernten.“ Die hohen Bestandesdichten förderten
aber Echten Mehltau sowie Halmbasiskrankheiten, und parasitäres
Lager wurde ein großes Problem.
Die Einführung von Fungiziden
wie Benomyl, Bayleton, Calixin,
Cercobin fl. und anderen halfen
dabei, diese Schaderreger in
Schach zu halten.
Professionalisierung ab 1980
Die pflanzenbauliche Forschung
brachte neue Erkenntnisse und
stellte die bislang hohen Aussaatstärken bei Getreide infrage.
„Dünnsaat“ war angesagt, erforderte aber zur Entwicklung ausreichend bestockter Bestände recht-
Seit vier Jahrzehnten unterhält die Basf ihren Versuchsstandort auf Hof Siek in Bothkamp.
zeitige Aussaattermine. Die damit
gewonnene Zeit für die Herbstbestellung kam der Praxis gerade
recht, und so wurde nach und nach
immer früher gedrillt. Für SeptoriaBlattdürre, Halmbruch, Ackerfuchsschwanz und Windhalm ist
Frühsaat jedoch ideal: Gräser keimen besonders gut im September/Oktober, die Blattdürre wird
schon im Herbst durch Sporen über
den Wind eingetragen, und auch
die Halmbasis erkrankt heftig vor
dem Winter. Somit baute sich im
Laufe der Jahre ein immer stärkerer Krankheitsdruck auf, den man
früher überhaupt nicht kannte,
und die Ungräser vermehrten sich
zunehmend. Und wieder versprachen neue Pflanzenschutzmittel sichere Abhilfe: Fungizide wie Desmel und später Folicur kontrollierten Blattseptoria, Gräserherbizide
wie Puma (später Ralon) und viele
andere erlaubten die Vernichtung
von Ackerfuchsschwanz und Co.
Moderne
Pyrethroid-Insektizide
wurden systematisch eingesetzt,
um die immer häufiger auftretenden Blattläuse zurückzudrängen.
Neue Wachstumsregler erlaubten eine ertragssteigernde N-Düngung. Diese begünstigte jedoch
die Vermehrung der Krankheitserreger, Schädlinge, Unkräuter und
-gräser. Doch es gab ja immer wieder neue „Mittel“ gegen neue Probleme, mit denen sich diese Widersacher ausschalten ließen. Mah-
nende Stimmen, dass Resistenzen
gefördert würden, hat niemand
ernst genommen.
Aspekte des Umweltschutzes
führten 1986 zur zweiten Novelle
des Pflanzenschutzgesetzes, und
plötzlich war das Umweltbundesamt an der Zulassung maßgeblich
beteiligt. Als Folge der strengen
Anforderungen verringerte sich
die Anzahl der zugelassenen Präparate von über 1.800 im Jahr 1984
auf knapp 750 im Jahre 1992 (siehe
Abbildung). Die Trinkwasserverordnung legte Höchstmengen für
Pflanzenschutzwirkstoffe im Rohwasser fest, nachdem das Herbizid
Atrazin im Grundwasser gefunden
worden war. Die Rapszüchtung
brachte Sorten mit Toleranz gegen
Wurzelhals- und Stängelfäule.
Aber auch neue Krankheiten wie
das Gelbmosaikvirus der Wintergerste oder Verticillium im Raps
dehnten sich aus und sind noch
heute von großer Bedeutung. In
der Veredlung gab es die ersten
Schwierigkeiten mit Weizen- und
Maispartien, in denen Fusariumpilze giftige Mykotoxine gebildet
hatten.
Ökonomisierung ab 1990
Kostensenkung um jeden Preis
lautete jetzt die Devise, und alles
wurde minimiert: die Grunddüngung, die Aussaatstärken und vor
allem die Aufwandmengen für
Fotos: basf
Pflanzenschutzmittel. Lange Zeit
ging das auch sehr gut, denn die
neuen Fungizide wie Epoxiconazol
und Propiconazol sicherten bei Minimengenapplikation und erhöhter
Anzahl der Behandlungen erstaunlich gute Wirkungsgrade. Was niemand dabei bemerkte, war die allmähliche Veränderung der Schadpilze. Diese passten sich wie bakterielle Krankheitserreger in Krankenhäusern immer besser an die eingesetzten Wirkstoffe an. Und dann
geschah etwas Unglaubliches: Nach
nur zwei Jahren Zulassungsprüfung
wurde eine neue Wunderwaffe gegen Pilzkrankheiten zugelassen, die
Strobilurine. Leider wurden auch
dieses Mal die warnenden Stimmen
der Experten nicht gehört, die
schon früh auf die Gefahr der Resistenzbildung hinwiesen. Und so kam
es, wie es kommen musste: Indem
man die gleiche Minimengenstrategie wie bei den Triazolen praktizierte, förderte man die schnelle Anpassung der Schadpilze. Nach nur
zwei Jahren war ab 1998 der Echte
Mehltau des Weizens in weiten Teilen Schleswig-Holsteins resistent, ab
2005 war keine Wirkung gegen
Blattseptoria mehr vorhanden. Übrig bleiben bei den „Strobis“ nur
noch der „Greening-Effect“ und die
Wirkung auf Rostpilze, die bei uns
aufgrund einer biochemischen Besonderheit bislang noch keine nennenswerten Resistenzen aufgebaut
haben. Parallel dazu hielt Silomais
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■ BAUERNBLATT l 4. Juli 2015
Vier Jahrzehnte Forschung der Basf auf Hof Siek
Seit vier Jahrzehnten unterhält die
Basf ihren Versuchsstandort Hof
Siek in Bothkamp. Im Zentrum des
großen Jubiläumsfeldtages am 25.
Juni standen darum besonders die
sich wandelnden Herausforderungen der schleswig-holsteinischen
Landwirtschaft. Über 300 Gäste
aus Handel, Beratung und Agrarwirtschaft waren gekommen. Unter anderem referierte Prof. Klaus
Schlüter zum Thema 40 Jahre
Pflanzenschutz (siehe Artikel).
Bereits 1975 begann die Basf ihre
Forschungen zur modernen Landwirtschaft auf den Betriebsflächen
der Familie von Bülow. Damals
führte man vor allem Feldversuche
zu den Themen Düngung und
Pflanzenschutz durch. Bis heute
stellt das Versuchswesen
auf Hof Siek
das Rückgrat
der Basf-Pflanzenbau- und
-PflanzenschutzberaDr. Mathis Müller
tung in Schleswig-Holstein dar. Über die Jahrzehnte sind neue Forschungsthemen wie Nachhaltigkeit, Biodiversität und Stickstoffmanagement
dazugekommen. Auf dem diesjährigen Feldtag erhielten die Besucher Einblick in Fungizidstrategien
zu Gerste und Weizen sowie in
Versuche zum Unkrautmanagement im integrierten Pflanzenschutz. Auch die Wirkung von Ca-
Einzug in Ackerbauregionen und gewöhnt und ist mit den beliebten
fördert seit dieser Zeit die Zunahme Minimengen nicht mehr zu regulieren. Unkräuter wie Kamillearten
des Fusariumbefalls in Getreide.
haben an vielen Orten eine Resistenz gegen Sulfonylharnstoff-HerResistenzen ab 2010
bizide entwickelt. AckerfuchsDas laufende Jahrzehnt wird in schwanz, Windhalm, Trespen,
die Geschichte des Pflanzenschut- Weidelgräser sind immer besser an
zes als die Zeit der dramatischen Zu- die Ungrasherbizide angepasst und
nahmen der Resistenzen eingehen. überleben meist jede Behandlung
Von Resistenz spricht man, wenn mit Nachauflaufpräparaten aus der
Schadorganismen weniger emp- Gruppe der DIM, FOP und DEN.
findlich auf Wirkstoffe reagieren Rapsglanzkäfer, Erdflöhe und diver(„shifting“) oder im Extremfall gar se Rüssler lassen sich mit den kosnicht mehr erfasst werden. Einige tengünstigen Pyrethroiden meist
Beispiele dazu: Die Blattseptoria gar nicht mehr regulieren, und
des Weizens hat sich durch „Shif- Blattläuse werden bald folgen.
ting immer besser an die Triazole Wenn der Einsatz der Carboxamid-
palo, Adexar und Osiris zur Bekämpfung von Getreidepathogenen in Weizen und Gerste wurde
demonstriert. Gemeinsam mit
Züchtern und Landtechnikfirmen
ergaben sich interessante Gespräche und Diskussionen. Basf-Beratungsleiter Dr. Mathis Müller fasste
die heutigen Herausforderungen
der schleswig-holsteinischen Landwirtschaft zusammen: „Preisvolatile Märkte, der Pachtmarkt und die
politischen Rahmenbedingungen
werden zunehmend zu Risikofaktoren für die Landwirtschaft. Ein
stabiles Ertragsniveau als finanzielle Grundabsicherung wird so für
Landwirte immer wichtiger. Moderner Pflanzenschutz ist dazu unverzichtbar.“
Fungizide weiterhin mit stark verringerten Aufwandmengen bei
mehrmaligem Einsatz erfolgt, dann
wird auch diese Waffe gegen
Schadpilze bald völlig stumpf sein!
Die Maisanbaufläche entspricht
inzwischen der von Weizen und
sorgt dafür, dass die Fusariumprobleme noch weiter zunehmen werden.
Verbraucher entscheiden
In den vergangenen Jahren haben sich völlig neue Trends entwickelt, und der gesellschaftlich-politische Wandel geht unaufhaltsam
voran: Verbraucher fordern Nah-
Abbildung: Zugelassene Pflanzenschutzmittel und Wirkstoffe in Deutschland 1984 bis 2013
PflSchG-Novelle
1986
2000
1750
Anzahl
1500
1823
PflSchG-Neufassung
1998
FAZIT
1695
Präparate
1361
1250
1000
750
828
939
988
1115 1130
928
746
688
677
623
644
691
729
748
500
250
0
rungsmittel „ohne Rückstände“,
„Pflanzenschutz ohne Chemie“,
Verzicht auf die Fortschritte der
„Grünen Gentechnik“ und wollen
dennoch überall und zu jeder Zeit
hochwertige und preisgünstige Lebensmittel kaufen. Nach einer wissenschaftlichen Studie (BfR, 2010*)
sind 70 % der Verbraucher der festen Überzeugung, dass pflanzliche
Erzeugnisse, die unter Einsatz von
Pflanzenschutzmitteln produziert
wurden, giftig für den Menschen
seien! Und woher beziehen diese
Menschen ihre profunden Kenntnisse? Über 60 % vertrauen darauf,
dass sie von den Medien in Sachen
Pflanzenschutz äußerst kompetent
beraten werden.
Die EU-Politik bezeichnet Mittel
zum Schutz der Pflanzen nur noch
als „Pestizide“, die Europäische
Lebensmittel-Sicherheitsbehörde
Efsa ist dabei, die zugelassenen
Wirkstoffe nach dem „Null-RisikoPrinzip“ neu zu bewerten, und im
parlamentarischen Alltag der EU
gelten Pflanzenschutzmittel inzwischen als „unerwünschte Stoffe“.
Die Wirkstoff-Neubewertung wird
dazu führen, dass in den kommenden Jahren die wichtigsten Mittel
nach und nach aus der Zulassung
fallen.
Vor einem derartigen Hintergrund verlagern die großen Pflanzenschutzkonzerne ihre Arbeit
nach Südamerika und nach Asien,
und der Anteil der Neuentwicklungen für Europa wird von Jahr zu
Jahr geringer. Man findet kaum
noch Wirkstoffe, die den extrem
strengen europäischen Kriterien
entsprechen.
Die Studie des Bundesinstituts
für Risikobewertung steht unter:
www.bfr.bund.de/cm/350/
pflanzenschutzmittel_rueck
staende_in_lebensmitteln.pdf
1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2011 2012 2013
Jahr
Die laufend verschärften Zulassungsbedingungen in Deutschland haben zu einer deutlichen Verminderung der verfügbaren Pflanzenschutzmittel geführt.
Vor dem geschilderten Hintergrund erscheint die Zukunft
des Pflanzenschutzes für die
nächsten Jahre ziemlich düster, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass in SchleswigHolstein die Zeit der intensiven und hochproduktiven
Ackerwirtschaft bald vorüber
sein wird.
Prof. Dr. Klaus Schlüter
Hochschule für Angewandte
Wissenschaften
Fachhochschule Kiel
Tel.: 0 43 31-84 51 25
[email protected]
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