Römische Rechtsgeschichte 4

10.11.2015
Zwei Rechtsmassen innerhalb der
Römischen Privatrechtsordnung:
ius civile
Gesetzes- und
Gewohnheitsrecht
ius praetorium
= ius honorarium
Rechtsbehelfe,
die die Gerichtsmagistrate in Ausübung
ihrer Rechtsprechung
schaffen "zur Unterstützung, Ergänzung
oder Korrektur des ius
civile" (adiuvandi, supplendi vel corrigendi
iuris civilis gratia)
Prätor
Richter
in iure
apud
iudicem
Kläger
Beklagter
Festlegung des
Prozessprogramms
(Klageformel,
enthält insbes.
intentio und
condemnatio)
Beweiserhebung
und Urteil
Klagen
des ius civile
Prätor
album
edictum
perpetuum
sella
curulis
formulae in ius conceptae
"auf das ius (civile) hin
abgefasste Formeln"
Parteien
Text nach ed. M. David (21964)
"Ebenso wird das römische Bürgerrecht zugunsten und
zulasten eines Nichtrömers fingiert, ... Wenn zum
Beispiel wegen Diebstahls ... gegen ihn geklagt wird,
wird [in] die Formel folgendermassen gestaltet:
'DER UND DER SOLL RICHTER SEIN.
WENN ES SICH ERWEIST, DASS <ZU LASTEN DES
L. TITIUS DURCH TAT> ODER RAT
DES DION, SOHN DES HERMAIOS, EIN DIEBSTAHL
AN EINER GOLDENEN SCHALE GESCHEHEN IST,
WESHALB ER, WENN ER RÖMISCHER BÜRGER
WÄRE, ALS DIEB DEN SCHADEN BEGLEICHEN
MÜSSTE,' und so weiter."
- vom Prätor modifizierte
formulae in ius conceptae
Übertragung der Klage
auf einen nach ius civile
nicht Legitimierten durch
- Fiktion
- Subjektswechsel
- formulae in factum
conceptae
"auf das Geschehene
(= einen prätorischen
Tatbestand) hin abgefasste
Formeln"
tribunal
Gai. 4,37: Klage gegen einen Nichtrömer wegen
Diebstahls; Fiktion des römischen Bürgerrechts
des ius praetorium
G. Studemund (ed.), Gaii institutionum
... apographum (1873), S. 201
V fol. 55r
<H>er[.]m<a>ei fili<i>
<H>er[.]m<a>ei <L. T>i<t>io
Hermaeus - "Hermesjünger"
E. Böcking (ed.), Gai institutiones. Codicis
Veronensis apographum (1866), S. 201
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cr·meificťqfurtum ...
Gai. 4,37: civitas Romana peregrino fingitur
civitas ei Romana fingitur
ficta civitate Romana
c(ivitate) Rom(ana) ei fict(a):
Q(UOD) FURTUM ...
Cic. Verr. 2,2,31: Fiktion des Bürgerrechts
in Prozessformeln des C. Verres,
Prätor der röm. Provinz Sizilien 73-71 v. Chr.
Iudicia eius modi:
Qui cives Romani erant, SI SICVLI ESSENT,
TVM SI EORVM LEGIBVS DARI OPORTERET ;
qui Siculi, SI CIVES ROMANI ESSENT ...
"Derartige Prozessformeln (erteilte Verres):
'WENN SIE - die römische Bürger waren SIZILIER WÄREN,
WENN DANN NACH DEREN GESETZEN GEGEBEN
WERDEN MÜSSTE ...';
Gai. 4,34
Klagen des Erbschaftsbesitzers/
Gegen den Erbschaftsbesitzer
(bonorum possessor = „prätorischer Erbe“)
Fiktion der zivilen Erbfolge
(fingitur heredem esse)
'WENN SIE - Sizilier - RÖMISCHE BÜRGER WÄREN
..."
Gai. 4,35
Klagen des Vermögenskäufers/
gegen den Vermögenskäufer
(bonorum emptor = Ersteigerer des
Schuldnervermögens bei Verwertung im
Wege der Vermögensvollstreckung)
- Fiktion der zivilen Erbenstellung
(fingitur heredem esse)
- Klage ohne Fiktion mit Subjektswechsel
Gai. 4,36
Klage des prätorischen (bonitarischen)
Eigentümers
(bei Übereignung ohne Einhaltung der nach
ius civile erforderlichen Form)
- actio Publiciana:
Fiktion der erfolgten (zivilen) Ersitzung
(fingitur rem usu cepisse)
(„Was S dem G schuldet, dazu verurteile
den K zugunsten des G“)
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P. Leid. I O (=UPZ I 125; 89 v. Chr)
"... Es soll zurückzahlen Peteimuthes an
Konuphis das Darlehen ... bis zum dreissigsten
Pauni des sechsundzwanzigsten Jahres.
Wenn er nicht zurückzahlt, wie geschrieben
steht, soll Peteimuthes dem Konuphis sofort das
anderthalbfache Darlehen zahlen
und für die Verzugszeit Zinsen ...
römisches ius civile:
- Klage aus Darlehen (mutuum) geht
(nur) auf den dargeliehenen Betrag
(keine Berücksichtigung von Verzugsschäden)
- Vertragsstrafe nur klagbar, wenn in Form der
stipulatio (durch Frage und Antwort unter
Anwesenden) versprochen
und den Schaden ...
und die Vollstreckung soll Konuphis zustehen
..., indem er vollstreckt wie aus einem Urteil."
prätorische actio de pecunia constituta
Gai. 4,171
"Wenn es sich erweist, dass der Beklagte dem
Kläger x Sesterze festgesetzt hat (constituisse)
und nicht getan hat, was er festgesetzt hat,
und es nicht am Kläger lag, dass nicht geschehen
ist, was festgesetzt worden ist,
und dieses Geld, als es (?) festgesetzt wurde,
geschuldet war wieviel diese Angelegenheit wert ist, dazu
verurteile den Beklagten zugunsten des Klägers!
Wenn es sich nicht erweist, dann sprich ihn frei!"
Prozessstrafe droht aufgrund wechselseitiger
Stipulation der Parteien auf die Hälfte vor dem
Prätor
keine gesetzliche (zivile) Busse,
sondern durch (vom Prätor erzwungenes)
Rechtsgeschäft herbeigeführt
Verurteilter zahlt:
Kapital + Verzugsschäden
(aus actio de pecunia constituta)
+ Hälfte des Kapitals
(aus Klage aus Stipulation)
= Anderthalbfaches + Verzugsschäden
"Aus bestimmten Gründen wird es gestattet, ein
Schuldversprechen (sponsio=stipulatio)
abzuschliessen,
zum Beispiel [bei den Klagen]
über eine bestimmte dargeliehene Summe
oder über festgesetztes Geld;
bei der bestimmten dargeliehenen Geldsumme
geht es aber auf ein Drittel,
beim festgesetzten Geld auf die Hälfte."
Prätorisches Recht überwindet
- Personalitätsprinzip
- Härten des ius civile
- umständliche Formen des ius civile
- im übrigen Mittelmeerraum
ungebräuchliche Formen des ius civile,
ohne das ius civile jemals abzuschaffen.
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