- Brandenburgischer Landesbetrieb für Liegenschaften

Geschichte der Landesliegenschaft
Heinrich-Mann-Allee 103
Impressum
Herausgeber:
Brandenburgischer Landesbetrieb
für Liegenschaften und Bauen (BLB)
Heinrich-Mann-Allee 103, Haus 11
14473 Potsdam
Telefon: 0331 58181-550 (Unternehmenskommunikation)
E-Mail:[email protected]
Internet:www.blb.brandenburg.de
Texte:
Wiebke Dziudzia, [email protected]
Layout und Druck:
LGB (Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg)
Stand: Juli 2015
Geschichte der Landesliegenschaft
Heinrich-Mann-Allee 103
Vorwort
Das Gelände der heutigen Landesliegenschaft Heinrich-Mann-Allee 103 hat eine sehr wechselvolle Geschichte. Die unterschiedlichen politischen Entwicklungen der vergangenen 150 Jahre hinterließen Spuren, die bis heute sichtbar sind. Dieser Werdegang
wird hier nachgezeichnet. Grundlage bilden die Recherchen für meine Masterarbeit „Jugendfürsorge und Jugendwohlfahrt von
1865 bis 1933. Das Beispiel der Potsdamer Landesanstalt“ (Universität Potsdam, 2015).
Die Geschichte der Liegenschaft ist im Wesentlichen die Geschichte von vier evangelisch gebundenen Einrichtungen. Bis 1931
wurden sie zur Landesanstalt Potsdam zusammengefasst, die bis zum Nationalsozialismus existierte. Dem 1865 gegründeten
Wilhelmstift schloss sich 1886 die Heil- und Pflegeanstalt für Epileptische an, in der als einzige der vier Einrichtungen auch
Erwachsene behandelt wurden. Im Bethlehemstift (1903) und im Helenenhof (1911) wurden schwer erziehbare und geistig
beeinträchtigte Mädchen und Jungen aufgenommen.
Es zeigt sich ein differenziertes Spektrum an Krankheitsbildern und Behandlungsmethoden. Allen Einzeleinrichtungen war gemein,
die Kinder schulisch zu bilden und ihnen eine berufliche Qualifikation zu ermöglichen. Besonders der Bau des Schulgebäudes im
Jahr 1929 unterstreicht dieses Anliegen.
In der Weimarer Republik hatten die Einrichtungen mit finanziellen Zwängen zu kämpfen, konnten aber die Existenz sichern – auch
durch die eigene Landwirtschaft auf dem Gelände. Kostensparend wirkte sich auch die bis 1931 vollzogene Verschmelzung der
vier Anstalten zur Landesanstalt Potsdam aus.
Der Nationalsozialismus brachte einen Strukturwechsel und das Ende der Landesanstalt im Jahr 1938: Die unter dem neuen
Anstaltsdirektor Hans Heinze durchgeführten Zwangsterilisationen und die anschließenden Entlassungen verringerten die Zahl
der eingewiesenen Kinder und Jugendlichen. Sollten ursprünglich die Plätze mit Pfleglingen aus anderen brandenburgischen
Anstalten „aufgefüllt“ werden, wurden alle Anstaltsinsassen ab 1938 in die Landesanstalt Brandenburg-Görden verlegt, die unter
der Leitung Heinzes zum Ausgangspunkt der nationalsozialistischen Euthanasie-Verbrechen wurde.
Damit endete die Heil- und Pflegebehandlung in der Landesanstalt Potsdam. Das Gelände und die Gebäude wurden in den folgenden Jahren unterschiedlich genutzt. Die Liegenschaft befindet sich im Eigentum des Landes Brandenburg.
Wiebke Dziudzia
2
HumboldtGymnasium
Potsdam
48
45
47
Wilhelmstift
46
44
Hein r ich -
50
ehem. Exerzierplatz
des preußischen Millitärs
Heil- und Pflegeanstalt für Epileptische
nicht mehr vorhandene Gebäude
(zerstört, teilzerstört oder abgetragen)
neuer Gebäudebestand ab 1938
Gebäudebestand bis 1938 errichtet
(1938 Ende der Landesanstalt Potsdam)
H
c
e
Poststelle
d
43
57
21
10
Kunersdorfer Straße
Kita
Bethlehemstift
3
Heil- und Pflegeanstalt für
Epileptische
(Männer)
12
11
Mann-
b
23
13
24
14
54
a
16
9
40
ehem. Kirche,
1986 abgerissen
Regine-HildebrandtHaus
2
Kantine
15
f
ehem. Heizkraftwerk
Die Nummerierungen beziehen sich auf die aktuellen Gebäudebezeichnungen; die schwarz umrandeten Gebäude finden sich in der Broschüre wieder.
Lageplan
18
29
g
7
8
h
19
Heil- und Pflegeanstalt für Epileptische (Frauen)
17
Helenenhof
A l lee
i
31
Waldstr./Horstweg
28
ehem.
Leichenhalle
Wache
H
Horstweg
3
Gründung und Kaiserzeit
1865 – 1918
Die Geschichte der Erziehungs- und Pflegeanstalten an der
damaligen Saarmunder Chaussee beginnt 1865 mit dem
Wilhelmstift, für das 1868/69 ein Neubau errichtet wurde
– das heutige Haus 46 (). Das Gebäude wurde mehrfach
erweitert; aus der Vogelperspektive hat es bis heute die Form
eines liegenden „F“. 1886 kam die Heil- und Pflegeanstalt
für Epileptische (Epileptische Anstalt) hinzu.
In Folge einer Gesetzesänderung wurden diese beiden konfessionellen Einrichtungen zum 1. April 1893 an die Provinz
Brandenburg übereignet und damit verstaatlicht. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 119 Kinder in der Obhut des
Wilhelmstifts sowie 53 Erwachsene und 36 Kinder in der Heilund Pflegeanstalt für Epileptische.
Nachdem die ersten Schwierigkeiten durch die Zusammenführung beider Anstalten unter einem Direktorium
überwunden waren, wurde die Heil- und Pflegeanstalt für
Epileptische um etliche Gebäude erweitert ( gelbe Flächen
auf Lageplan). In den Häusern fanden Patienten, streng
getrennt nach Geschlecht, aber auch Pflegepersonal
Platz.1896 ließ man eine eigene Kirche bauen ( a), die
allerdings zu DDR-Zeiten abgetragen wurde. Sie stand auf
der Rasenfläche vor dem heutigen Regine-HildebrandtHaus ( 2).
Vorhaus des Wilhelmstifts an der Saarmunder Chausee, heute HeinrichMann-Allee 103
Sie nahm sich der Erziehung „verwahrloster“ Jungen an.
Im neuen Domizil konnten bis zu 40 Jungen versorgt werden. Das Gebäude befindet sich heute außerhalb der Liegenschaft und beherbergt eine Kita (). Im Jahr 1911 wurde
zudem das Mädchen-Heilerziehungsheim Helenenhof ( 17),
welches 30 jugendliche Mädchen und 20 Frauen aufnehmen
konnte, auf der Liegenschaft gegründet.
1905 zog das Bethlehemstift aus Nowawes (heute Potsdam-Babelsberg) auf das Gelände der Epileptischen Anstalt.
Hauptgebäude des Wilhelmstifts auf einer historischen Ansichtskarte um 1910
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Gründung und Kaiserzeit
Das Wilhelmstift auf einer Karte um 1870
Männerhaus und Krankenstation der Heil- und Pflegeanstalt für Epileptische ( 11)
5
Weimarer Republik
1918 – 1933
Während der Weimarer Republik gab es viele Reformen und
Gesetze, die das Leben von geistig oder körperlich behinderten Menschen verbessern sollten. Auch in der Medizin kam
es auf den Gebieten der Psychiatrie und Orthopädie zu immer neuen Erkenntnissen und Therapieverfahren.
Diese wurden beispielsweise im Potsdamer Oberlinhaus angewandt und führten zu einer größeren Teilhabe körperlich
behinderter Menschen am öffentlichen Leben. Sie konnten
einen Beruf erlernen und damit relativ selbstständig leben.
Auch die Pflegeanstalten an der Saarmunder Chaussee legten Wert auf eine schulische und berufliche Ausbildung, wofür 1929 westlich vom Wilhelmstift ein großes Schulgebäude
gebaut wurde. Zudem wurden ein Turn- und Sportplatz sowie
ein Schulgarten angelegt. Heute ist im Schulgebäude das
Humboldt-Gymnasium () untergebracht und befindet sich
außerhalb der Liegenschaft.
Die wohlfahrtsstaatlichen Ziele der Weimarer Republik scheiterten letztendlich an den wirtschaftlichen Krisen und der finanziellen Notlage.
Das Gelände der Landesanstalt um 1930
1932 setze eine Notverordnung das Alter zur Fürsorgeerziehung von 21 auf 19 Jahre herab – vor allem um Kosten zu
sparen. Ebenso wurden all jene aus der Fürsorge entlassen,
für die „keine Aussicht auf Erfolg“ bestand. Viele junge Erwachsene wurden damit in die Ungewissheit geschickt. Auch
in Potsdam verringerte sich die Anzahl leicht.
Das ehemalige Schulgebäude, heute Humboldt-Gymnasium Potsdam
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Zeit des Nationalsozialismus
1933 – 1945
Der Nationalsozialismus bedeutete das Ende der Einrichtungen auf der heutigen Heinrich-Mann-Allee 103. 1934 trat das
„Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft.
Es sah die Zwangssterilisation und anschließende Entlassung von Anstaltsinsassen vor. Auch in Potsdam wurde so
verfahren.
Die freien Plätze sollten ursprünglich mit Jugendlichen aus
anderen brandenburgischen Anstalten belegt werden. Ziel
war es, eine Einheit zu schaffen, um heilpädagogische und
jugendpsychiatrische Erkenntnisse und Heilmethoden umzusetzen und gleichzeitig die bewährte Familienpflege beizubehalten. Statt eines Ausbaus der Pflege von Kindern und
Jugendlichen erfolgte ab 1938 in Potsdam die Verlegung
aller 990 Minderjährigen in die Landesanstalt BrandenburgGörden; die 110 Erwachsenen kamen nach Lübben. Das Personal setzte man in anderen Einrichtungen der Provinz ein.
Brandenburg-Görden bedeutete den sicheren Tod. Hier testete man den Gaskammertod im kleinen Stil. Die Ergebnisse
wurden später bei den systematischen Morden in den osteuropäischen Vernichtungslagern angewandt.
Ab 1934 war Prof. Hans Heinze Leiter der Landesanstalt. Seine Nähe zur Ideologie des Nationalsozialismus war zu diesem
Zeitpunkt schon deutlich erkennbar und weist auf seine spätere
Beteiligung an den „Euthanasie“-Verbrechen in BrandenburgGörden hin. Nach dem Ende der Landesanstalt 1938 zog die
Hauptverwaltung des Provinzialverbandes Brandenburg in den
geräumten Gebäudekomplex.
Der ehemalige Exerzierplatz des Preußischen Millitärs ()
westlich des Wilhelmstifts wurde zwischen 1942 und 1944
von der Organisation Todt genutzt. Dieser militärisch organisierte Bautrupp war während des Krieges für Baumaßnahmen in den von den Deutschen besetzen Gebieten tätig. Dazu
zählte beispielsweise der Westwall oder die Wolfsschanze, in
der das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 verübt wurde.
Beim Luftangriff auf Potsdam am 14./15. Mai 1945 wurden
einige Gebäude getroffen, weitere Schäden entstanden in
den letzten Kriegstagen.
Alliiertenluftbild des Geländes von 1945 (ehem. Wilhelmstift, heute Haus 46 markiert), gut zu erkennen ist die Kriegszerstörung
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Sowjetische Besatzungszone und DDR
1945 – 1990
Vermutlich hat die Rote Armee die Gebäude nach dem Krieg
genutzt; bauliche Veränderungen und Instandsetzungen erfolgten nicht. Eine Belegung durch die Kasernierte Volkspolizei ist ab 1955 nachgewiesen.
Spätestens 1961 erfolgte die Übernahme des Komplexes
der Heil- und Pflegeanstalt für Epileptische durch die NVAGrenztruppen. Kleinere Gebäude in Barackenbauweise
wurden errichtet sowie Garagen, Schießanlagen und Pförtnerhäuschen. Die räumliche Struktur blieb aber überwiegend
erhalten. Ansässig waren das Grenzkommando Mitte (GKM)
und das Grenzregiment GR-44 „Walter Junker“ mit einer Unterkunftskapazität von 751 Plätzen.
Nach Kriegsende arbeitete im ehemaligen Wilhelmstift
( 46) zuerst der Vermessungsdienst, aus dem sich dann
1954 der Kartographische Dienst gründete. Das 1971 entstandene Kombinat Geodäsie und Kartographie wurde 1990
aufgelöst und arbeitete dann als Staatsbetrieb. Daraus entwickelte sich später das Landesvermessungsamt Brandenburg.
Das ehemalige Schulgebäude der Landesanstalt Potsdam
wurde erst vom Institut für Lehrerbildung genutzt und beherbergte ab 1954 die Erweiterte Polytechnische Oberschule
(EOS 1), seit 1991 ist hier das Humboldt-Gymnasium ()
untergebracht.
Kirche der Brandenburgischen Landesanstalt ( a) auf einer historischen Postkarte, 1986 abgerissen
8
Nach der Wiedervereinigung bis heute
1990 – 2015
Nach 1990 wurde das Gelände von der NVA geräumt und
diente insbesondere als Bürokomplex für verschiedene Behörden.
Eine Studie der frühen 1990er Jahre beschäftigt sich mit der
Frage, inwieweit das Gelände weiterhin zu Verwaltungs- und
Regierungszwecken genutzt werden konnte. Im Ergebnis
wurde das Gelände zwar als erhaltenswert eingestuft, die
einzelnen Gebäude wiesen aber einen erheblichen Sanierungs- und Modernisierungsbedarf auf. Auch die Parkanlage
mit ihren Wegen brauchte eine Neuausrichtung. Dabei sollte
der Parkcharakter beibehalten werden, gleichzeitig war aber
eine Verdichtung der Anlage gewünscht.
Heute befinden sich verschiedene Landeseinrichtungen und
das Bundespolizeipräsidium auf der Liegenschaft.
Die Sanierung der historischen Gebäudesubstanz ist mittlerweile so gut wie abgeschlossen, wodurch das Gelände weiter
an Aufenthaltsqualität gewinnt. Seit 2015 ist Graffitikunst zu
sehen: Junge Erwachsene aus der Region haben fünf Gebäudewände zum Thema Toleranz gestaltet.
Das Gebäude der LGB in Form eines liegenden „F“
Im ehemaligen Wilhelmstift ( 46) ist derzeit die LGB – Landesbetrieb Landesvermessung und Geobasisinformation
Brandenburg untergebracht.
Graffiti-Künstler beim Gestalten einer Gebäudewand
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Auswahl von Gebäudeansichten
Haus am Eingang zum Gelände Heinrich-Mann Allee 103, früher Vorhaus des ehem. Wilhelmstifts
10
Haus 18, früher 6. Frauenhaus der Epileptischen Anstalt
Haus 12, früher 5. Männerhaus der Epileptischen Anstalt
Haus 9, früher Mädchenhaus der Epileptischen Anstalt
11
Häuser 8 (links) und 9 (rechts), früher Frauen- und Mädchenhaus der Epileptischen Anstalt
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Bildnachweis:
Titelbild:LGB
Seite 4:
www.GrussAusPotsdam.de
Seite 5 (Karte):
LGB
Seite 5 (Foto):
BLHA, Rep. 55 Provinzialverband der Provinz Brandenburg Abteilung V - Foto Nr. G166
Seite 6 (Karte):
LGB
Seite 6 (Luftaufnahme):
FOTO-HANNEMANN
Seite 7 (Luftbild):
LGB
Seite 8 (Foto):
www.GrussAusPotsdam.de
Seite 9 (Luftaufnahme):
FOTO-HANNEMANN
Seite 9 (Foto):
BLB
Seite 10 (Foto oben):
www.GrussAusPotsdam.de
Seite 10 (Foto unten):
LGB
Seite 11 (Foto links oben): BLHA, Rep. 55 Provinzialverband der Provinz Brandenburg Abteilung V - Foto Nr. G170
Seite 11 (Foto links mitte): BLHA, Rep. 55 Provinzialverband der Provinz Brandenburg Abteilung V - Foto Nr. G156
Seite 11 (Foto links unten): BLHA, Rep. 55 Provinzialverband der Provinz Brandenburg Abteilung V - Foto Nr. G167
Seite 11 (Fotos rechts):
LGB
Seite 12 (Foto oben):
www.GrussAusPotsdam.de
Seite 12 (Foto unten):
LGB
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