VOI - Ber ich te Nr . 2261 , 2015 145 Luftfederdämpfung als zukunftsweisende Technologie im Nutzfahrzeugbereich Optimale Auslegung eines Luftfederdämpfers Philipp Hedrich, M. Sc. , Prof. Dr.-Ing. Peter F. Pelz, Institut für Fluidsystemtechnik, TU Darmstadt; Dr.-Ing. Mehdi Nakhjiri, Industrial Science GmbH powered by IAV, Darmstadl; Dipl. Ing. (FH) Stefan Fäth, SAF-HOLLAND GmbH, Bessenbach; Dipl. Ing. Stephan Dehlwes, Vibracoustic CV Air Springs GmbH, Hamburg Kurzfassung Die Auslegung und Abstimmung eines Luftfederdämpfers (LFD) ist sehr komplex. In dieser Veröffentlichung wird gezeigt, wie Optimierungsmethoden dafür genutzt werden können. Das allgemeine Vorgehen dabei wird exemplarisch an der Vorauslegung eines Zweikammer-LFD von SAF-HOLLAND für eine Trailerachse gezeigt. Zusätzlich wird ein analytischer Ansatz präsentiert, mit dem die maximale Radvergrößerungsfunktion anhand einer Energiebetrachtung im Viertelfahrzeug abgeschätzt werden kann. Dadurch wird der Einfluss einzelner Parameter auf die Bedämpfung des Rades offensichtlich. 1. Einleitung Im Nutzfahrzeugbereich sind Luftfedern aufgrund ihrer Vorteile gegenüber konventionellen Federn bereits weit verbreitet. Hierzu gehören beispielsweise die Funktionstrennung von "Last tragen" und "federn", die damit verbundene Niveauregulierung sowie die beladungsunabhängige Aufbaueigenfrequenz. Speziell die Niveauregulierung ist für Nutzfahrzeuge besonders vorteilhaft, da im Betrieb oft große Schwankungen der Beladungen auftreten. Durch eine beladungsabhängige Anpassung des Betriebsdrucks kann eine konstante Fahrhöhe beibehalten werden und im Betrieb steht der komplette Federweg zur Verfügung. Luftfedern werden in Kombination mit hydraulischen Dämpfern eingesetzt, wie in Bild 1 für eine Trailerachse von SAF-HOLLAND zu sehen ist. Ein LFD vereint die Funktionen der Luftfeder und des Dämpfers in einem BauteiL Der hydraulische Dämpfer wird nicht mehr benötigt. Neben der Gewichtsersparnis hat das weitere Vorteile . Der LFD ist komplett wartungsfrei und VOI-Berichte Nr , 2261 , 2015 146 es wird kein Öl im System benötigt. Dies macht den Einsatz in Nutzfahrzeugen besonders attraktiv. Auf der Nutzfahrzeuge·IAA 2014 hat SAF-HOLLAND eine neue Trailerachse mit LFD, die für Satlelanhänger mit 9 Tonnen geeignet..ist, vorgestellt. Das in sich geschlossene System ar· beitet automatisch und benötigt keine zusätzliche Elektronik. Zum Einbau wird das System einfach an der Standardschnittstelte zwischen Chassis und Funktionslenker adaptiert (Bild 2) . Bild 1: Trailerachse INTRA von SAF-HOLLAND Bild 2: Die neue Trailerachse von SAF- mit einer Luftfeder in Kombination mit einem HOLLAND mit einem LFD. hydraulischen Dämpfer. Jeder LFD besteht mindestens aus zwei abgeschlossenen Volumina, die mit einem Ventil verbunden sind . In Bild 3 ist ein einfacher Zweikammer-LFD dargestellt. Beim Einfedern wird das Volumen ~ verkleinert und Luft strömt über das Ventil, in diesem Fall eine einfache Drosselbohrung mit der Fläche Ao • in das zweite Volumen Vk , welches in diesem Fall konsta nt ist. Die Schwingungsenergie wird an der Drossel in Form von Wärme dissipiert. Aufgrund der Kompress ibilität der Luft ist die maximale Dämpfarbeit pro Schwingspiel eines LFD im Gegensatz zu der eines hydraulischen Dämpfers begrenzt. Die maximale Dämpfarbeit ist proportional zum statischen Druck im LFD und ist von der Anregungsamplitude und der Gestalt des LFD abhängig . Bei sehr kleinen Anregungsfrequenzen findet immer ein vollständiger Druckausgleich zwischen den Kammern statt und es erfolgt keine Drosselung der Luft am Ventil. Der LFD verhält sich dabei wie eine Luftfeder, deren Volumen sich aus der Summe der beiden Kammervolumina zusammensetzt, und hat die Ste ifigkeit co . Der andere Extremfall ist das Verhalten des LFD bei hochfrequenter Anregung. In diesem Fall ist die Zeit für einen Druckausgleich zwischen den Kammern zu klein und es findet keine Dissipation statt . Der LFD verhält sich wie zwei einzelne parallel geschaltete Luftfedem und hat die Steifigkeit 147 VOI - Beri ch te Nr . 2261 , 20 15 Coo . Zwischen diesen beiden Extrema liegt die maximale Dämpfung. Über die Gestalt der Drosse l kann festgelegt werden , bei welchem Betriebspunkt das Dämpfungsmaximum liegen soll. Im einfachsten Fall ist die Drossel eine Bohrung. Durch den Einsatz von Ventilen können auch druckabhängige Drosselflächen rea lisiert werden, wie exemplarisch in Bild 4 gezeigt wird. Über die Flächennachg iebigkeiten Ke und Kr. die Öffnungsdrücke Pee und Prc so- wie die Bypassfläche AB kann das Ventil komplett beschrieben werden. Die Indices c und r stehen hier für Einfederung (compression) und Ausfederung (rebound). Ao COMPRESS10N REBOUND F,z Bild 3: Prinzipskizze eines Luftfederdämpfers Pre Pee mit einem variablen Volumen Vr. und einem Bild 4: Die Öffnungsfläche Ao der druckabhängigen Drossel ist eine Funktion des Dif- konstanten Volumen Vk. Beide Volumina sind ferenzdrucks I1p [4] . mit einer Drossel mit der Drosselfläche Ao verbunden . 2. Optimierung eines Luftfederdämpfers Die richtige Auslegung eines LFD ist aufgrund des komplexen Bauteilverhaltens im Gegensatz zu einem konventionellen hydraulischen Dämpfer eine Herausforderung. Aus schwingungstechnischer Sicht gibt es theoretisch zwei Schritte, die hintereinander durchgeführt werden müssen um den LFD optimal auszulegen . Zuerst muss die Dämpfarbeit je Schwingungsperiode durch die Gestalt des LFD maximiert werden. In einem zweiten Schritt erfolgt dann die optimale Abstimmung der Drossel. In der Praxis sind diese beiden Schritte aber nicht voneinander zu trennen und müssen parallel ausgeführt werden. Das Vorgehen wird anhand der Vorauslegung des Zweikammer-LFD für die neue Trailerachse von SAF-HOLLAND illustriert. Für die Untersuchung der Vertikaldynamik des Trailers mit LFD wurde ein Viertelfahrzeug modell verwendet (siehe Bild 5). Das VierteIfahrzeugmodell ist ein Zweimassen schwinger, bestehend aus der Aufbaumasse mA und der Masse des Rades mR' Die Fußpunktwegerregung erfolgt über die Radsteifigkeit k R • Dieses einfache Modell liefert gute Ergebn isse für Anregungsfrequenzen bis 30 Hz [2). Der LFD verbindet die VO I-Berichte Nt . 2261 . 2015 146 Achse mit dem Aufbau. Aus der Geometrie der Achse berechnet sich die Einfederung am Bauteil zu (1 ) mit der Übersetzung i (siehe Bild 5). Der LFD wird über die Erhaltungsgleichung von Energie-, Impuls- und Massenbilanz physikalisch modelliert. Das entstehende gewöhnliche Differentialgleichungssystem wird numerisch gelöst. Die Auslegung des LfD kann nun als Optimierungsproblem formuliert werden, mit dem Ziel die optimale Gestalt des LFO zu finden und die Drossel richtig abzustimmen. In diesem konkreten Fall sind allerdings nicht alle Parameter des LFD zur Optimierung freigegeben. Der Außendurchmesser D, der benötigte Federweg sowie der maximale statische Druck Po im Bauteil sind fix. Das Spielfeld für die Optimierung , also die zu optimierenden Parameter, sind somit die Volumina l'z und Vk des LFD, der Kolbendurchmesser d sowie das Ventil (Bild 6). VOLUMINA z, m \ \ L ..........•"k; iL / Zo VENTIL ....... KOLBENDURCHMESSER 7777 /11. Bild 5: Der LFD im Viertelfahrzeugmodell. Der Bild 6: Das Spielfeld bei der Optimierung . gepunktete Kreis zeigt die Position des Rads. Das Vorgehen bei der Optimierung ist in Bild 7 dargesteJlt. Es wird ein globaler Optimierer verwendet. So kann sichergestellt werden , dass die optimale Parameterkombination xopt gefunden wird , bei der die Zielrunktion J minimal ist. \fOI-Berichte Nr . 2261, 2015 149 1 EINGANGS PAR AMETERBEREICH X m !n S x S X max I EINGANGS- PARAMETE Rx LFD GLOBALER ~ MINIMALE ZIELFUNKTION @OPTIMALEM PARAMETE RsATZ x opt + VIERTELFAHRZEUG OPTlMIERER ZIELFUNKTION J 1 BERECHNU NGs- ERGEBNIS y I I BERECHNUNG DER ZIELFUNKTlON Bild 7: Vorgehen bei der Optimierung. Dem Optimierer werden die Grenzen für die Parameter x vorgegeben. Der Algorithmus berechnet dann die Parameter für den LFD, die als Eingangsparameter in das Simulationsmodell gehen. Aus dem Berechnungsergebnis y wird dann die Zielfunktion J gebildet. Sobald der optimale Parametersatz x opt gefunden oder eine vorher festgelegte maximale Anzahl an Berechnungen erreicht ist, wird die Optimierung beendet. Das Optimierungsergebnis ist von der Definition der Zielfunktion abhängig . Diese wird aus den Vergrößerungen VA und VR von Aufbau und Rad gebildet. Zusätzlich wird noch ein Strafterm addiert, falls eine der Vergrößerungsfunktionen den kritischen Wert Vkri t überschreitet. Der Einfluss der Be ladung m • • wobei m. = 0 der unbeladene und m. = 1 der maximal beladene Trailer ist, auf die Vergrößerungsfunktion von Aufbau und Rad wird in Bild 8 und Bild 9 ersichtlich. Mit abnehmender Beladung wird der Aufbau besser isoliert. Allerdings verschiebt sich die Eigenfrequenz hin zu größeren Frequenzen , wenn der statische Druck im Bauteil so gering ist, dass der Einfluss des Umgebungsdrucks nicht mehr vemachlässigt werden kann. Auf das Rad hat die Abnahme der Beladung allerdings einen negativen Einfluss, da durch den geringeren Druck im Bauteil auch das Dämpfungsvermögen des LFD abnimmt. Abhilfe kann durch eine Konturierung des Abrollkolbens und der damit verbundenen Versteifung des LFD bei großen Einfederungen geschaffen werden. Dies ist in der Vorauslegung jedoch noch nicht beachtet worden. 150 VOI-Berichte Nr_ 2261, 2015 o o \ ANREGUNGSFREQUENZ n ANREGUNGSFREQUENZ n Bild B: Einfluss der Beladung m+ auf die Auf· Bild 9: Einfluss der Beladung m+ auf die bauvergrößerungsfunktion VA' Radvergrößerungsfunktion VR . 3. Analytische Betrachtung der Radvergrößerungsfunktion und physikalische Deutung Um die Optimierungsergebnisse physikalisch deuten zu können, wird zusätzlich eine rein analytische Untersuchung durchgeführt. Hierzu wird die maximale Radvergrößerung im Vier- telfahrzeug anhand einer Energiebetrachtung hergeleitet. Basierend auf diesem Ergebnis wird der Einfluss einzelner Parameter des LFD auf die Dämpfung des Rads für den Sonderfall eines Zweikammer-LFD mit einem konstanten und einem variablen Volumen diskutiert. Im eingeschwungenen Zustand kann davon ausgegangen werden, dass die Energie pro Schwingspiel , die dem schwingungsfähigen System über die Fußpunkterregung zugeführt wird , komplett im Dämpfer dissipiert wird. Außerdem ist die Aufbaubewegung im Vergleich zu der des Rades klein . Aus diesem Grund kann der Aufbau in diesem Fall in guter Näherung als starr angenommen werden und das System reduziert sich auf einen wegerregten Einmassenschwinger, wie er in Bild 10 zu sehen ist. Die Fußpunktwegerregung kann äquivalent über eine Kraftanregung beschrieben werden (Bild 11). 1Zo = Zo cosent) Bild 10: Fußpunktwegerregter Einmassen- Bild 11 : Die Weganregung ist äquivalent zu schwinger. der Anregung mit der Radkraft FR. 151 VDI - Berich te Nr. 2261 , 2015 Die Leistung der Radschwingung ist PR == FR zR, mit der Radkraft FR = kR(zo - ZR) und der Geschwindigkeit des Rades ZR . Die Schwingungsleistung besteht aus einem harmonischen Anteil , der Blindleistung, und der konstanten Wirkleistung PRW = i k 0 2oz sin ('+'), mit dem R R Phasenwinkel '+' [2] . Die pro Schwingspiel zugeführte Energie ergibt sich aus der Integration der Wirkle istung über ein Schwingung mit der Periodendauer T = 2rr/0 zu (2) Die Dämpfarbeit eines LFD pro Periode ist nach Ehrt [1] Wo = TI.12 F 5in(6), mit der Einfederung des Bauteits 62, der Dämpfkraft P und dem Verlustwinkel 6. Unter Verwendung des linear-mechanischen Ersatzmodells nach Pelz und Sonnenburg [4] und der vereinfachenden Annahme, omax dass die maximale Dämpfarbeit bei maximalem Verlustwinkel = arctan((co> - co)/J4 coco» auftritt, ergibt sich die maximale Dämpfarbeit pro Schwin- gung zu (3) mit der Steifigkeit _ C Co> - Co Co> + Co = Jcoco> - - - , (4) die sich aus den dynamischen Steifigkeiten des LFD Co und Co> ergibt. Aus den hergeleiteten Ausdrücken für die zugeführte und dissipierte Energie kann die Radvergrößerungsfunktion VRmax = ZR max /zo in der Resonanz des Rads (fi = WOR, '+' = rr/2) bestimmt werden und es gilt (5) mit der Übersetzung i. Für den konkreten Fall eines LFD mit ei nem konstanten Volumen Vk und einem mit der Einfederung veränderlichem Volumen Vz vereinfacht sich der Ausdruck für die Radvergrößerungsfunktion zu 152 VOI- Ber ichte Nr . 2261. 2015 (6) Dieses Ergebnis deckt sich mit den Optimierungsergebnissen. Ein großer Kolbenradius d hat eine große Verdrängerfläche A z zur Folge . Auch der Einfluss der Volumina wird offensichtlich . Durch ein kleines variables Volumen Vz und ein großes konstantes Volumen Vk kann das Dämpfungsvermögen des LFD erhöht werden. Auch der Einfluss der Beladung bzw. des Startdrucks Po wird ersichtlich . Die maximale Radvergrößerungsfunktion ist antiproportional zu diesem. Mithilfe dieser analytischen Beschreibung kann eine einfache und schnelle Abschätzung und Vorauslegung für einen LFD im Viertelfahrzeug ertolgen. 4. Zusammenfassung und Ausblick Es wurde gezeigt, wie ein LFD mittels Simulation und Optirnierungsmethoden auslegt werden kann. Dies wurde am Beispiel eines Zweikammer-LFD, der von SAF-HOLLAND für den Einsatz in einer Trailerachse entwickelt wurde, durchgeführt. Durch die Optimierung konnte zum einen die Gestalt des LFD und gleichzeitig die Drossel optimal ausgelegt werden . Durch diese Vorauslegung konnten wertvol le Erkenntnisse bereits in der frühen Entwicklungsphase des Bauteils erlangt sowie das Potential des LFD gezeigt werden . Mittels einer Energiebetrachtung im Viertelfahrzeug wurde außerdem ein analytischer Ausdruck für die maximale Radvergrößerungsfunktion hergeleitet. So konnten die Ergebnisse der Optimierung bestätigt werden . Die Ergebnisse konnten experimentell sowohl mit Komponenten- also auch Viertelfahrzeugversuchen validiert werden . Zukünftig 5011 auch die Variation der Beladung bei der Optimierung berücksichtigt werden. Hierzu gibt es bereits erste Ansätze diese Unsicherheit durch Verteilungsfunktionen abzubilden und über eine Gewichtung in der Zielfunktion zu berücksichtigten. So soll eine robuste Auslegung des LFD für den Einsatz im Trailer gewährleistet werden . Danksagung Die Autoren danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Finanzierung dieser Forschung im Sonderforschungsbereich (SFB) 805 "Beherrschung von Unsicherheit in lasttragenden Systemen des Maschinenbaus~ . VOI-Berichte Nr. 2261, 2015 [1) 153 T. Ehrt; Simulation des dynamischen Verhaltens von Luft-Feder-Dämpfem; Diplomarbeit TU Darmstadt; 2001. [2) K. Magnus, K. Papp, W. Sextra; Schwingungen - Physikalische Grundlagen und mathematische Behandlung von Schwingungen; 9. Auflage; Springer Vieweg; Berlin; 2013. [3) M. Mitschke, H. Wallentowitz; Dynamik der Kraftfahrzeuge; 5. Auflage; Springer Vieweg; Ber1in; 2014 . [4] P. F. Pelz, R. Sonnenburg; Bestimmung komfortoptimaler Designparameter eines LuftFeder-Dämpfers im Fahrzeugmodell - Vergleich mit konventioneller hydraulischer Dämpfung; VDI Tagung .Berechnung und Simulation im 2004. Fahrzeugbau ~; Würzburg
© Copyright 2024 ExpyDoc