Prüfung eines Abwehrrechts

Vorlesung Öffentliches Recht I
Allgemeine Grundrechtslehren I
Wiederholungsfall
Der Bundestag ändert im April 2015 das Einkommensteuergesetz. Die
neuen Regelungen sehen beträchtliche Steuererhöhungen vor, die
erstmals für die Einkommensteuer 2014 anfallen sollen, sofern zu dem
Zeitpunkt, in dem das Gesetz in Kraft tritt, hierfür noch kein
Steuerbescheid erlassen worden ist.
Ist dies verfassungsrechtlich zulässig?
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Themen heute
Grundrechtsfunktionen
Prüfung eines Abwehrrechts (1)
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Grundrechtsfunktionen
Primär: Inhaltliche Beschränkung staatlicher Hoheitsgewalt
Abwehrrechte
Gleichheitsrechte
Erweiterungen
Schutzpflichten gegen Übergriffe Privater
Leistungsrechte zur Gewährleistung tatsächlicher Freiheit
Objektiv-rechtliche Einrichtungspflichten
(Mittelbare Drittwirkung)
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Beispiele
Welche Grundrechtsfunktionen sind in den folgenden Fällen einschlägig:
1. A beschimpft B und wird wegen Beleidigung (§ 185 StGB) zu einer
Geldstrafe verurteilt.
2. A beschimpft B. B verklagt A auf Unterlassung der Beschimpfung
(§§ 823, 1004 BGB). Das Gericht weist die Klage ab, weil es der
Auffassung ist, dass die Beschimpfung noch von der Meinungsfreiheit
des A gedeckt ist.
3. Der schwer erkrankte Sozialhilfeempfänger X wendet sich dagegen, dass
der zuständige Sozialhilfeträger sich weigert, eine bestimmte
(umstrittene) therapeutische Maßnahme zu bezahlen.
4. Die schwer erkrankte Angestellte X wendet sich dagegen, dass ihre
gesetzliche Krankenkasse sich weigert, eine bestimmte (umstrittene)
therapeutische Maßnahme zu bezahlen.
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Abwehrrecht
Schutzpflicht (Drittwirkungsfall)
Leistungsrecht
Abwehrrecht wg. Krankenversicherungspflicht
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Prüfung eines Abwehrrechts
Schutzbereich
Eingriff
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
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Schutzbereich (1)
Persönlicher Schutzbereich
Jedermanns- und Deutschengrundrechte
EU-Ausländer: Anwendungserweiterung von Deutschengrundrechten
(vgl. Art. 18 AEUV)
Nicht-EU-Ausländer: Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht
Grundrechtsschutz juristischer Personen, Art. 19 Abs. 3 GG
Allgemeine Voraussetzung: Anwendbarkeit dem Wesen nach
Problemfall 1: juristische Personen des öffentlichen Rechts
Problemfall 2: juristische Personen aus dem EU-Ausland
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Schutzbereich (2)
Sachlicher Schutzbereich
Spezifische Schutzgehalte der Spezialgrundrechte
Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Handlungsfreiheit und Auffanggrundrecht
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Beispielsfall
Der syrische Staatsangehörige muslimischen Glaubens S ist als Metzger
tätig. Sein Angebot richtet sich primär an die Angehörigen muslimischer
Gemeinden vor Ort, die nach ihren religiösen Überzeugungen allein das
Fleisch geschächteter (d.h. ohne Betäubung durch einen Halsschnitt
getöteter und vollständig ausgebluteter) Tiere verzehren dürfen.
Die zuständige Behörde untersagt S das Schächten unter Berufung auf
das Tierschutzgesetz.
In welchem Grundrecht ist S hierdurch betroffen?
(Nach BVerfGE 104, 337)
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Art. 12 GG – S ist kein deutscher Staatsangehöriger
Art. 4 GG – Schächten ist für sich genommen grds. keine religiöse
Handlung (<> rituelles Speiseopfer o.ä.) (a.A. gut vertretbar)
BVerfG:
Einschlägig ist allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG
Aber wegen Nähe zur Religionsausübung materielle Verstärkung durch
Ausstrahlungswirkung des Art. 4 GG
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Eingriff (1)
„Klassischer“ Eingriffsbegriff
unmittelbare und
imperative Verkürzung grundrechtlicher Freiheit durch eine staatliche
Maßnahme
Unterscheide
Eingriff durch Gesetz
Eingriff aufgrund eines Gesetzes
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Eingriff (2)
Problem: mittelbare und/oder faktische Beeinträchtigung als
Grundrechtseingriff?
Weitgehend unproblematische Fälle
Intendierte eingriffsäquivalente Wirkung auf grundrechtliche Freiheit
Faktische Beeinträchtigung einer grundrechtlich geschützten dinglichen
Substanz (Körper, Sache, Raum) oder Kommunikation
Problematisch: bloße Einwirkung auf das (soziale) Umfeld des
Freiheitsgebrauchs mit überindividueller Zielsetzung
Position 1 (h.L.): Zurechnungsproblem, Zurechnungskriterien Intensität
und/oder (weit verstandene) Finalität/Vorhersehbarkeit
Position 2 (BVerfG-Rspr): Schutzbereichsproblem, maßgeblich ist
spezifischer Gewährleistungsgehalt eines Grundrechts
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Beispiele
Bitte ordnen Sie die folgenden Beeinträchtigungen nach den Begriffspaaren
mittelbar/unmittelbar und faktisch/imperativ ein. Handelt es sich jeweils um
Grundrechtseingriffe?
1. Ein Gesetz verbietet das Rauchen in bestimmten öffentlich zugänglichen
Räumlichkeiten, unter anderem auch Gastwirtschaften. Hierdurch erleiden
manche Gastwirte erhebliche Umsatzeinbußen.
2. Ein Panzer der Bundeswehr gerät auf dem Weg zu einem Manöver von der
Straße ab und rutscht auf einen Weinberg. Hierdurch werden die meisten Reben
zerstört.
3. Ein Unternehmen erhält eine Subvention, mit deren Hilfe es seine
Wettbewerbsposition zulasten konkurrierender Unternehmen verbessert.
4. Eine Universität unterhält eine Sportanlage, die ausschließlich für den
Hochschulsport genutzt wird. Eine Studierendeninitiative will auf der Sportanlage
eine Demonstration durchführen. Die Universität weigert sich, die Sportanlage zur
Verfügung zu stellen.
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1. Für Gäste unmittelbar-imperativer Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG, für
Gastwirte mittelbar-imperativer Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG
2. Unmittelbar-faktischer Eingriff in Art. 14 GG
3. Mittelbar-faktische Beeinträchtigung von Art. 12 Abs. 1 GG,
Eingriffscharakter sehr str.
4. Leistungsfall, Art. 8 GG gewährleistet keinen Zugang zu Räumen
ohne kommunikative Funktion
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Lehren des Tages
Grundrechtsfunktionen
Prüfung eines Abwehrrechts
Eingriffsbegriff
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Nacharbeit
Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 4 – § 6 III
Vertiefung
BVerfGE 128, 226 (Fraport)
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