Gerüstet für Regelenergie

Biogas
Gerüstet
für Regelenergie
Technik Know-how | Es handelt sich um eine überschaubare Zahl von Anbietern, die als Regelenergiedienstleister zugelassen sind. Die vier in Deutschland tätigen Übertragungsnetzbetreiber 50hertz, amprion, Transnet BW und
TenneT prüfen streng die Eignung. Biogas mischt vermehrt in diesem lukrativen Markt mit. Wer mitmachen will, muss technisch gerüstet sein.
F
ür die Bioenergie tut sich in
der Regelenergie ein Markt
auf, da sie – anders als
Wind und Solar – in der Stromproduktion steuerbar ist. Sie
muss sich dafür nicht extra neu
erfinden, sondern nur weiterentwickeln. Das geschieht bereits:
Anbieter wie Next Kraftwerke
oder Energie2market vernetzen
dezentrale Bioenergieanlagen –
insbesondere Biogasanlagen –
zu virtuellen Kraftwerken. Somit
können auch kleine Biogasanlagen, die für sich genommen
nicht die Hürde der Mindestleistung für den Regelmarkt nehmen können oder nicht über das
entsprechende Vermarktungs-
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Know-how verfügen, die Hürde
dank der virtuellen Zusammenschlüsse nehmen.
Doch was bedeutet es in der
technischen Praxis, wenn Blockheizkraftwerke, die üblicherweise durchgängig laufen sollen, auf
Abruf aus- und angeschaltet werden? Anzunehmen ist zumindest
ein erhöhter Verschleiß einzelner Komponenten, damit verbunden eine erhöhte Wartungsintensivität.
Attraktiv wegen
sicherer Nachfrage
Teilnehmer am Regelenergiemarkt für Strom zu sein ist attrak-
tiv. Denn der Kreis der Anbieter
trifft auf eine sichere Nachfrage. Der Grund: Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜBN) sind
gesetzlich verpflichtet, zu jedem
Zeitpunkt ein Gleichgewicht
zwischen Stromerzeugung und
-verbrauch in Deutschland zu
halten. Systemtechnisch werden
Ungleichgewichte über Regel­
energiekraftwerke ausgeglichen,
die im Bedarfsfall kurzfristig die
Stromproduk­tion herauf- oder
herunterfahren können.
Die Anbieter müssen nachweisen, dass sie auf Abruf in vorgegebenen Reaktionszeiten
die Stromproduktion erhöhen
oder senken können und dafür
Ein mögliches Problem
bei der Teilnahme an der
Regelenergie-Bereitschaft
ist die Abschaltung des
BHKW. Viele Biogasanlagen sind in der Verpflichtung, Wärme durchgängig
zu liefern. Der Biogasanlagenhersteller Weltec hat
dafür INSA auf den Markt
gebracht. Ein Modul, das
Strom in Wärme umwandelt. Diese Power-to-HeatAnlage verspricht laut
Hersteller den durchgängigen BHKW-Betrieb
auch bei Teilnahme am
Regelenergiemarkt.
Foto: Weltec Biopower
zudem gewisse Mindestangebotsgrößen mitbringen: für die
Sekundär­regelleistung fünf Megawatt, für die Primärregelleistung
1 MW und für die Minutenreserve 5 MW. Bislang übernehmen
beispielsweise flexible Gasturbinenkraftwerke diese Aufgabe. Sie
können binnen Minuten ihre Produktion ändern.
Auftragsvergabe
per Auktion
Die Regelenergie wird von den
Netzbetreibern in Auktio­nen
eingekauft und zwar, je nach
Kategorie, für unterschiedliche
Zeiträume. Die Minutenreserve
Biogas
beispielsweise wird täglich ausgeschrieben; die Sekundärregelleistung einmal pro Woche.
Die Kategorien sind definiert
nach der Geschwindigkeit, in
der die Stromproduktion herauf- oder heruntergefahren werden muss. Binnen Sekunden in
der Primärregelleistung, binnen fünf Minuten in der Kategorie Sekundärreserve und
binnen einer Viertelstunde in
der Kategorie Minutenreserve.
Dafür werden Preise von bis zu
1,50 € pro Kilowattstunde am
Markt gezahlt. Und gezahlt wird
für die Produktion als auch für
Verzicht auf die Produktion von
Strom (negative Regelenergie).
Der Preis ergibt sich aus dem
Leistungspreis und dem Arbeitspreis. Der Leistungspreis ist die
Vergütung für die Bereitschaft
des Kraftwerksbetreibers, die
Leistung seines Kraftwerks auf
Anfrage herauf- oder herunterzufahren. Der Arbeitspreis wird
gezahlt für erzeugten und vermiedenen Strom.
Die vorgehaltene Kapazität für
positive Regelenergie beträgt
7.000 MW und 5.500 MW für
die negative Regelenergie. Sie
kosten 40 % des gesamten Übertragungsnetzentgelts.
Die Branche ist der Ansicht,
dass sich der Einstieg in die Systemdienstleistung Regelenergie
lohnt. Doch ist sie nicht zum
Nulltarif zu haben. „Egal, welches Direktvermarktungsmodell
man wählt, es verursacht immer
einen Mehraufwand gegenüber
der Stromeinspeisung gemäß
EEG. Und zwar nicht nur im
Bereich der Anlagentechnik“,
sagt Andreas Bünker, Vertriebsleiter bei der PlanET Biogastechnik GmbH.
Grundsätzlich verursache dabei
die Regelenergie weniger Auswirkungen auf die Anlagentechnik als das Stromvermarktungsmodell der bedarfsgerechten
Stromerzeugung: „Bei den
BHKW für die Regelenergie ist
es im Grunde nur die Prüfung,
ob die BHKW die Zeiten des
Ab- und Aufregelns der Leistung je nach Reserveleistungsart schaffen oder nicht.“
Wenn nicht, stelle sich die Frage, ob diese Technik nachgerüstet werden könne oder ob ein
neues BHKW installiert werden
müsse. „Das wird aber nur wirtschaftlich darstellbar sein, wenn
sowieso ein neues BHKW in
Kürze installiert werden muss“,
sagt Bünker.
Nadelöhr
Wärmeversorgung
Viele Biogasanlagen haben über
die Eigenversorgung hinaus
Wärmeabnehmer. Das zweite Standbein sichert zusätzliche Einnahmen, bedeutet aber
zugleich auch Lieferverpflichtungen. Bei der Regelenergie
mit einer möglichen Auszeit der
Blockheizkraftwerke von maximal ein paar Stunden könnte
die Speicherwirkung des vorhandenen Wärmenetzes noch
ausreichen, sagt Bünker.
Zudem muss die Temperatur
des Fermenters im Blick gehalten werden. „Eine konstante
Temperatur im Fermenter gilt
als einer der wichtigsten biologischen Parameter der Biogaserzeugung“, erinnert der Experte.
Es sei deshalb dringend vorab
zu prüfen, ob Fermenterheizung und die Wärmedämmung
der Behälter längere Auszeiten
der BHKW zuließen oder nicht.
Gegebenenfalls muss ein externer Wärmespeicher als Puffer
installiert werden.
Um diese Sorge zu umgehen,
hat Hersteller Weltec Biopower das Modul INSA entwickelt. „Im Falle eines Eingriffs
des Netzbetreibers nutzt INSA
den vom BHKW erzeugten
Strom und wandelt ihn in Wärme um“, erklärt Jens Flerlage,
Spezialist für Direktvermarktung
und Regelenergie bei Weltec.
Bei INSA läuft das BHKW unter
Volllast weiter, selbst wenn der
Netzbetreiber keinen Strom
benötigt. Die Wärme wird mit
Das Vermarktungstool ecolink, wie es der Hersteller
PlanET nennt, ermöglicht
Betreibern, die positive und
negative Minutenreserve zu
übermitteln. Auch andere
Hersteller bieten Übetragungsgeräte an.
Foto: PlanET Biogastechnik
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Biogas
Hilfe eines Wärmetauschers ins
Wärmenetz eingespeist. Steigt
der Strombedarf im Netz wieder
an, schaltet INSA ab. Das könne
mehrmals am Tag passieren: „In
der Regelenergie dauern die Eingriffe der Netzbetreiber oftmals
nur wenige Minuten bis maximal
eine Stunde, aber dafür kann die
Anlage mehrfach am Tag abgerufen werden“. INSA könne alle
vom Markt geforderten Regelleistungen bedienen. Der Vorteil dieses Systems, den Weltec
verspricht: Die Anlagenbetreiber
können ihren Wärmelieferungsverpflichtungen sicher nachkommen. „Zudem minimiert sich der
Verschleiß am Blockheizkraftwerk, da das permanente Einund Ausschalten beziehungsweise Drosseln des Motors entfällt“,
sagt Flerlage.
Flexible Motoren
Motorenhersteller wie die 2G
Energy AG setzen auf mechanische Maßnahmen sowie
auf die Anpassung der Steuerung, um dem erhöhten Material-Anspruch durch An- und
Abschalten gerecht zu werden. „Durch den Einsatz hochqualitativer Komponenten, zum
Beispiel im Bereich Zündungstechnologie; oder den Einsatz
verschleißfesterer Komponenten wie Lagerschalen, die nach
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Biogasanlagen können über virtuelle Kraftwerke am
Regelenergiemarkt teilnehmen, weil sie im Verbund die
Mindestgröße erbringen, die zur Zulassung am Regelenergiemarkt Voraussetzung ist. Allerdings gehen die Biogasanlagenbetreiber damit auch die Verpflichtung ein, im
Netzbedarfsfall ihre BHKW mehr oder weniger schnell in
der Stromproduktion herauf- oder herunterzufahren. Dazu
braucht es Steuerungstechnik. Diese wird Zusammenspiel
von Biogasanlagenherstellern und den Regelenergiedienstleistern realisiert, hier das Beispiel planET.
Foto: planET Biogastechnik
modernsten Anforderungen hinsichtlich Start/Stopp-Beanspruchung gefertigt sind, kann ein
erhöhter Verschleiß kompensiert
werden“, erklärt 2G-Sprecher
Stefan Liesner. Frank Fuhrmann
von MWM/Caterpillar Energy
Solutions GmbH rät außerdem,
die Vorwärmung und Vorschmierung der Aggregate optimieren
zu lassen.
Dazu zählt, laut Sibylle Emmerling von der Schnell Motoren
AG, nicht zuletzt die Öl- oder
Wasservorwärmung. Die Blockheizkraftwerke müssten außerdem für den Regelenergiebetrieb
entsprechend weiter gerüstet
werden, sagt sie: „Hierbei liegt
der Schwerpunkt auf der Optimierung des Startverhaltens,
da die Aggregate jederzeit, und
zwar kurzfristig und sicher, starten müssen.“
Daneben müsse das BHKW
auch für den Teillastbetrieb,
insbesondere für den Betrieb
um 50 % der Nennlast, optimiert werden. „Im Fokus stehen hierbei das Erreichen eines
weiterhin hohen Wirkungsgrades unter Einhaltung der Emissionswerte sowie das Sicherstellen der Dauerhaltbarkeit.“
Je nach Aggregattyp und -alter
sei ein Nachrüsten mit entsprechender Soft- und Hardware für
den Regelbetrieb möglich.
Auch bei 2G wird die Steuerungstechnik inzwischen serienmäßig ausgeführt, so dass
theoretisch jede Anlage für
den Regel­energiebetrieb geeignet sei. „Besonders im Süden
Deutschlands gibt es inzwischen
einige Anlagen, die mit 2G Technik am Regelenergiemarkt teilnehmen“, berichtet Liesner.
Am Ende wird
gesprochen
Am Ende müssen Netz und
BHKW miteinander kommuni-
zieren. Die PlanET Biogastechnik
GmbH bietet als Kommunika­
tionsschnittstelle zwischen
Direktvermarkter und Betreiber sein Vermarktungstool PlanET ecolink an. „Der Betreiber
kann damit Systemdienstleistungen im Bereich positive und
negative Minutenreserve erbringen und natürlich die Standardformen der Direktvermarktung
abdecken“, berichtet Werner
Tenhumberg, Projektleiter Abteilung technische Klärung bei
PlanET. Technische Grundvoraussetzung für die Inbetriebnahme sei eine speicherprogrammierbare Steuerung, egal von
welchem Hersteller. Systemintegration, Montage und Inbetriebnahme des ecolink kosten
2.950 € plus Mehrwertsteuer.
Bei über 80 Biogasanlagen in
Deutschland sei das Gerät bereits
in Betrieb. Andere Biogasanlagenhersteller wie die Schmack
Biogas GmbH bauen auf Kundenwunsch die Regeltechnik ein,
welche die bei den Netzbetreibern akkreditierten Regelenergiedienstleister den Biogasanlagenbetreibern zur Verfügung stellen.
Sie wird in die für die Regelenergie bereits bestehenden Schnittstellen der hauseigenen Leitwarte
‚Euvis’ eingebunden, sagt Forschungsleiter Alfons Nirrengarten. (rz) Dittmar Koop