Rückfahrt nach Augenbehandlung

Hartmut S. (55)
Rückfahrt nach Augenbehandlung
Nach einer Glaskörpereinblutung infolge meiner Diabetes mellitus brachte mich eine
Angehörige vor ihrem Arbeitstag in die Augenklinik. Dort untersuchte man mich und
gab mir eine Avastin-Spritze in das betroffene Auge. Zum Schutz vor Entzündungen
wurde mit Hilfe von Pflastern für die nächsten Stunden auf dieses Auge eine Klappe
geklebt, so dass ich mit diesem Auge zunächst nichts mehr sah. Das andere Auge
war aufgrund der vor der Untersuchung zugegebenen Augentropfen auch nur noch
sehr beschränkt sehtüchtig.
Als ich nach Abschluss der Behandlung die behandelnde Augenärztin um einen
Transportschein für ein Taxi zur Rückfahrt in mein etwa 25 km entferntes Zuhause
bat, verweigerte sie mir diesen mit der Begründung, dass die Krankenkassen eine
solche Behandlung als ambulant einstufen und solche Fahrten üblicherweise nicht
übernehmen würden, ganz gleich in welchem Zustand ich mich befände. Und wenn
meine Kasse das nicht übernimmt, bleibt die Klinik auf diesen Kosten sitzen. Ich könne aber gerne von der Augenklinik aus meine Krankenkasse anrufen. Wenn die
Krankenkasse die Fahrt übernehmen würde, bekäme ich auch einen Transportschein, ansonsten nicht. Der Anruf bei der Krankenkasse ergab aber tatsächlich,
dass sie die Kosten nicht übernehmen würde. Der angerufene Mitarbeiter entschuldigte sich zwar, aber die von höherer Stelle erlassenen Vorschriften geben ihm keine
Möglichkeit zur Übernahme der Transportkosten (inzwischen weiss ich nach einer
selbst erlebten Gerichtsverhandlung, dass diese Auskunft der Augenärztin und des
Sachbearbeiters der Krankenkasse falsch waren, denn es handelte sich um eine sogenannte ambulante Operation). Da meine Angehörige nicht von ihrem Arbeitsplatz
weg konnte und ich mir wegen meines krankheitsbedingt unklaren weiteren Lebensunterhaltes die teure Taxifahrt nicht leisten konnte, versuchte ich, obwohl ich kaum
sehen konnte und ich damit für die Teilnahme am öffentlichen Verkehr eigentlich
nicht geeignet war, den Weg über Bahn und Bus. Das Taxiunternehmen, das mich
sonst zur Dialyse fuhr, war zufällig in der Nähe und brachte mich freundlicherweise
zum Bahnhof. Da ich auch wegen meiner Sehschwierigkeiten den Fahrkartenautomaten am Bahnhof nicht bedienen konnte, lies die Taxifahrerin mir eine Fahrkarte
heraus und sagte mir, wann und wo der nächste Zug fuhr.
Mit Mühe und halb blind bestieg ich dann den Zug. Nach etwa der Hälfte der Strecke
musste ich in einen Bus umsteigen. Zufällig standen Personen an der Bushaltestelle,
die ich nach der Abfahrtszeit fragte, da ich selbst den Fahrplan noch nicht wieder
lesen konnte. Nach etwa einer halben Stunde bestieg ich dann den Bus zu meinem
Wohnort. Zwischenzeitlich verschwanden die Wolken von dem zuvor verhangenen
Himmel. Der helle Sonnenschein blendete mich derart, dass ich nicht einmal schemenhaft die richtige Bushaltestelle erkennen konnte und ich mich an den Busfahrer
halten musste. Als ich schließlich aussteigen wollte, sah ich die Stufen der Ausstiegstreppe nicht richtig, trat daneben und stürzte aus dem Bus auf die Bordsteinkante, wo
ich mir beide Kniee aufschlug. Am liebsten hätte ich jetzt einen Notarzt gerufen, der
prüfen sollte, ob ich Schäden an den Kniescheiben oder anderen Knochen hätte,
aber ich wollte nur noch nach Hause und mich hinlegen. Ich humpelte also die restlichen 200 m nach Hause, zog die blutverschmierte Hose aus und klebte mir, soweit
ich das fühlen und erkennen konnte, zwei große Pflaster auf die Wunden. In diesem
Moment verdammte ich innerlich dieses System, in dem ein Verwaltungsmitarbeiter
am Telefon anhand von allgemeinen und auch noch falsch verstandenen Vorschrif-
ten entschied, was für meine Situation aus medizinischer Sicht erforderlich war und
was nicht.
Denn, wenn die Augenärztin gewusst hätte, dass sie für diese Art der ambulanten
Operation eine Krankentransportverordnung hätte ausstellen können und der Mitarbeiter der Krankenkasse dies bestätigt hätte, wäre es zu dem Sturz aus dem Bus und
den daraus entstandenen Verletzungen, die glücklicherweise glimpflich abliefen, erst
gar nicht gekommen.