Skript zur Vorlesung „Allgemeine Evolutionsbiologie“ | WS 2015/2016 | A. Franzke & M. Koch ♦ Vorlesung 3 „Postneodarwinistische Periode“. Hier – später genaueres – werden zunächst nur schlagwortartig einige Entwicklungen der Evolutionsbiologie genannt, die zeitlich nach der Ausarbeitung der Synthese erfolgten und die Evolutionstheorie seit der Synthese erweiterten. Seinerzeit überraschende Befunde aus der Frühzeit der Molekularbiologie führten zur „Neutralen Theorie der molekularen Evolution“, die 1968 erstmals in einer Arbeit in Nature des Japaners Motoo Kimura (1924–1994) formuliert wurde: Ein Großteil molekularer Unterschiede (Unterschiede zwischen Allelen) ist selektionsneutral und die genetische Drift, also zufällige (selektionsunabhängige) Veränderungen von Allelfrequenzen solcher „neutralen“ Allele spielt eine große Rolle in der Evolution. Eine weitere Arbeit zu dieser Theorie erscheint ein Jahr später in Science: King & Jukes 1969. Non-Darwinian Evolution. Der Titel sollte und hat seinerzeit die “Hardliner” unter den Neodarwinisten provoziert und führte zur sogenannten Neutralisten-Selektionisten-Debatte. Die Neutrale Theorie der molekularen Evolution steht aber letztendlich nicht wirklich im Widerspruch zur Modernen Synthese. Der bedeutende US-amerikanische Paläontologe Stephen Jay Gould (1941–2002), der in Folge 8 der 9. Staffel der Simpsons eher etwas unvorteilhaft „rüberkommt“, forderte mit seiner Theorie des „unterbrochenen Gleichgewichts“ („punctuated equilibrium“, Punktualismus, in der „Szene“ abgekürzt als „Punk Eek“) das „neodarwinistische Dogma“ des Gradualismus heraus: Eldredge & Gould 1972. Punctuated equilibria: an alternative to phyletic gradualism. Nach diesem Konzept verläuft die Evolution nicht in kleinen Schritten und konstanter Geschwindigkeit ab („phyletic gradualism“), sondern auf (geologisch) kurze Phasen schneller Evolution folgen längere Zeiträume ohne (größere) Veränderung („stasis“). Dieses, seinerzeit z.T. auch deutlich missverstandene Konzept, steht ebenfalls nicht grundsätzlich im Widerspruch zur Modernen Synthese. Gould kritisierte weiterhin eine Überbetonung des Selektionisbzw. Adaptionismus, z.B. in der sehr diskutierten Veröffentlichung von 1979: The Spandrels of San Marco and the Panglossian: A Critique of the Adaptationist Programme. Eine Spandrille meint ein Merkmal, welches als nicht-adaptives Nebenprodukt bei der Evolution anderer adaptiver Merkmale zwangsläufig, gleichsam konstruktionsbedingt, entsteht und später für eine sekundäre Verwendung zur Verfügung steht: Die vier Spandrillen (Bogenzwickel) − architektonisch korrekt eigentlich Pendentifs (Hängezwickel) – der (zentralen) Himmelfahrtskuppel des Markusdoms in Venedig ergeben sich zwangsläufig, wenn man halt genau solch eine Kuppel konstruiert. Diese Zwickel konnten dann aber später genutzt werden, um genau hier Bilder der vier Evangelisten zu platzieren und der Eindruck kann entstehen, dass es sich hierbei um ein unabdingbares, bewusst gewähltes Designelement der Basilika handelt. Die Nutzung des Nabels ihres Schneckengehäuses durch einige Schnecken als Brutkammer stellt für Gould z.B. eine Spandrille dar. (Dr. Pangloss, eine Figur aus einer satirischen Novelle von Voltaire aus dem Jahr 1759, postulierte die beste aller Welten, weil die Dinge einfach nicht anders sein könnten, als sie nun mal sind: Nasen sind z.B. genau so, damit man eine Brille tragen kann.) In den 1970er Jahren begann auch die Zeit genozentristischer Sichtweisen (Genozentrismus), die insbesondere von dem britischen Biologen Clinton Richard Dawkins (*1941) propagiert wurden. In seinem 1972 erschienenen Buch „The Selfish Gene“ drehte er die Sichtweise (der Modernen Synthese) um: Bei ihm sind die „egoistischen“ Gene (eigentlich besser Allele) die Einheiten der Selektion, die miteinander konkurrieren und nicht wie im Neo(darwinismus) die Individuen. (Man müsste also eigentlich von „Allelozentrismus“ sprechen.) Diese Sichtweise vertritt auch der US-Amerikaner Edward Osborne Wilson (*1929), Begründer der Soziobiologie (1975, Sociobiology – The New Synthesis), die insbesondere den adaptiven Wert von Verhaltensweisen untersucht. In diesem Zusammenhang geht es oft um Phänomene der sexuellen Selektion und spieltheoretische Ansätze. Die neueren Erkenntnisse der in den 1980er Jahren entstandenen Evolutionären Entwicklungsbiologie (Evo-Devo), welche die Entwicklungsbiologie (vergleichend) in einem evolutionären Kontext untersucht, führt derzeit mit systemischeren Sichtweisen (Entwicklung als evolvierter Komplex von Genetik, Epigenetik, der mit der Umwelt interagiert) gleichsam in eine „post-genozentrische“ Ära und überwindet dabei auch „Einschränkungen“ von Grundannahmen der „klassischen“ Synthese, wie z.B. einen „zwingenden“ Gradualismus bei der Evolution neuer Baupläne. Die um diese Aspekte erweitere Evolutionstheorie wird neuerdings auch als „Erweiterte Synthese“ nach einem Buch von Pigliucci & Müller (2010, „Evolution – The Extended Synthesis“) bezeichnet. ♦ Typen der Selektion – Einteilung nach Ebene der Selektionswirkung. Man kann eine Einteilung nach der Ebene vornehmen, auf der die natürliche Selektion (in verschiedenen Konzepten) wirken soll. Natürliche Selektion bedeutet ganz allgemein einen nicht zufälligen, unterschiedlichen Fortpflanzungserfolg (Fitness) von Klassen biologischer Einheiten (Allele, Genotypen, Individuen, Populationen, Arten), die sich unterscheiden, der dazu führt, dass sich die Phänotypenhäufigkeiten in Folgegenerationen verschieben. Diese sehr allgemeine (rein prozessbezogene) Definition geht sogar 1 Skript zur Vorlesung „Allgemeine Evolutionsbiologie“ | WS 2015/2016 | A. Franzke & M. Koch nicht mal zwingend davon aus, dass Selektion auch tatsächlich immer zu einer Änderung von Genotypfrequenzen (Ergebnis) führt. Da die Selektion langfristig nur zu Veränderungen führt, wenn es um vererbbare Eigenschaften geht, gehen wir folgend generell von vererbbaren Eigenschaften aus. Fitness bezeichnet also ganz allgemein den Reproduktionserfolg einer Einheit; daraus folgend den durchschnittlichen Beitrag eines Allels oder Genotyps an Folgegenerationen. Da die individuelle Fitness auch von Zufallsereignissen abhängen kann, kann Fitness auch allgemeiner als zahlenmäßige durchschnittliche (!) Pro-Kopf-Zuwachsrate definiert werden. Individualselektion: Der Darwinismus und die Synthetische Evolutionstheorie gehen davon aus, dass Individuen (mit ihren Genotypen) die konkurrierenden Einheiten der Selektion sind, die letztlich solche Eigenschaften fördert, die für das Individuum „von Vorteil“ sind. Die Individualselektion kann also (komplexe) Adaptationen erklären. Genselektion: Allele an einem Locus sind die (um maximale Frequenz in einer Population) konkurrierenden Einheiten der Selektion, deren phänotypische Effekte die eigene Ausbreitung fördern. Das Selektionsergebnis hängt somit letztlich von den Fitnesswerten der einzelnen Allele eines Organismus ab. Der US-Amerikanische Evolutionsbiologe George Christopher Williams (1926–2010) war einer der ersten, der diese genozentrische Sichtweise vertrat: „Adaptation and Natural Selection“ (1966). Die Genselektion ist letztlich die treibende Kraft der Verwandtenselektion, dessen ausführliche theoretische Ausarbeitung auf den britischen Evolutionsbiologen und Vorläufer der Soziobiologie William Donald Hamilton (1936–2000) zurückgeht. Mit der Verwandtenselektion (bzw. Genselektion) können insbesondere altruistische (selbstlose) Verhaltensweisen erklärt werden: Die Förderung der Fitness von Verwandten auf Kosten der eigenen Fitness führt mit großer Wahrscheinlichkeit dazu „eigenes“ Erbgut gleichsam indirekt weiterzugeben. In den 1930er Jahren hat der theoretische Biologe und Genetiker John Burdon Sanderson Haldane (1892–1964) diesen Gedankengang bekanntermaßen einmal so formuliert: "I would lay down my life for two brothers or eight cousins". Das Konzept der Gruppenselektion (Vero Wynne-Edwards 1962: Animal Dispersion in Relation to Social Behavior) geht davon aus, dass viele (altruistische) Verhaltensweisen durch Selektion von Gruppen zu erklären sind: Rein „egoistische Populationen“ sterben aus, weil sie z.B. ihre Nahrungsressourcen erschöpfen. Das Konzept der Gruppenselektion („zum Wohle der Gruppe oder gar der Art“) wurde allerdings überwiegend abgelehnt. Ein Einwand besteht schon darin, dass der „Individuen-Turnover“ naturgemäß schneller ist, als der von Populationen und sich somit ein egoistisches Allel eigentlich immer schneller – durch Genfluss auch in vorher rein „altruistische Populationen“ – ausbreitet als Populationen ggf. aussterben. Allerdings wird seit einiger Zeit eine Bedeutung einer Gruppenselektion in bestimmten Zusammenhängen wieder stärker diskutiert. Das Konzept der Artenselektion (oder allgemeiner Taxonselektion) wird von einigen Evolutionsbiologen herangezogen um makroevolutionäre Prozesse zu erklären: Hier konkurrieren Arten oder höhere taxonomische Einheiten mit ihren Eigenschaften miteinander und diversifizieren sich bzw. sterben aus. (Makroevolution ist hier dann nicht die Summe mikroevolutionärer „Schritte“. Ein prominenter Verfechter dieser Idee war Stephen Jay Gould (1941–2002). ♦ Unit-of-Selection-Debatte. Mit der Etablierung genozentrischer Sichtweisen und den Ideen der Gruppenselektion setzte in den späten 1960er Jahren eine lang andauernde Debatte über die Bedeutung der verschiedenen Ebenen bzw. Einheiten der Selektion ein. In einer klassischen Arbeit zum Thema (Lewontin 1970, The Units of Selection) heißt es sehr weit gefasst „the principles can be applied equally to genes, organisms, populations, species, and at opposite ends of the scale, prebiotic molecules and ecosystems”, wohin andere Autoren seinerzeit ”nur” Gene und Organismen als Einheiten der Selektion gelten lassen wollten. Wir machen es uns einfach und vertrauen dem „Futuyma“, der folgende Selektionseinheiten nennt: Allele, Genotypen, Individuen, Populationen (Gruppen), Arten (bzw. Taxa). ♦ Typen der Selektion – Einteilung nach Richtung der Selektionswirkung. Eine weitere Einteilung der Selektion kann nach ihrer Wirkrichtung erfolgen: Die stabilisierende Selektion selektiert gegen Phänotypen, die von einem „optimalen“ Wert nach oben oder unten abweichen. Die (wohl selten auftretende) disruptive (oder diversifizierende) Selektion bevorzugt zwei (oder mehr) extreme Phänotypen, selektiert also die dazwischen liegenden Ausprägungen heraus und kann so möglicherweise bei sympatrischen Artbildungen eine Rolle spielen (s.u.). Die gerichtete Selektion selektiert einseitig von der derzeitigen mittleren Ausprägung auf einen höheren oder niedrigeren Wert. (Abbildungen hierzu finden Sie „überall“). ♦ Positive & negative Selektion. Alle genannten Selektionstypen (stabilisierend, disruptiv, gerichtet) bedeuten immer, dass es gleichsam „Genotypengewinner“ und damit (dann auch gleichzeitig) „Genotypenverlierer“ gibt: Die positive oder Darwinsche Selektion selektiert auf ein Merkmal, das die Fitness steigert, wohingegen die negative oder reinigende Selektion zur Eliminierung (seltener), nachteiliger bzw. gesundheitsschädlicher Allele führt. Diese eigentlich nicht zu trennenden Begriffe 2 Skript zur Vorlesung „Allgemeine Evolutionsbiologie“ | WS 2015/2016 | A. Franzke & M. Koch sollen lediglich die Kommunikation erleichtern: Bei der positiven Selektion liegt der Blick eher auf dem Zuwachs an Fitness und Adaptation, bei der negativen Selektion auf der Entfernung schädlicher bzw. nachteiliger Varianten und damit einer Bewahrung „mühsam evolvierter“ Strukturen. ♦ Haldane-Dilemma. In seiner – wohl nur für eine Handvoll Menschen nachvollziehbaren sehr theoretischen – Arbeit "The Cost of Natural Selection" von 1957 legte John Burdon Sanderson Haldane (1892−1964) gleichsam dar, dass bei Säugetieren mit relativ langsamer Reproduktionszeit (Kühe) „paradoxerweise“ eigentlich kaum eine Evolution stattfinden kann, da die sogenannten Substitutionskosten („costs of substitution“) gleichsam (unrealistisch) hoch sein müssten. Die Substitutionskosten (oder Kosten der natürlichen Selektion) im Sinne Haldanes ist die Zahl der Tode (normalisiert zur Populationsgröße), die sich ergibt, wenn ein neues, „besseres“ Allel alle anderen „schlechteren“ substituiert, also in der Population fixiert (s.u.) wird. Etwas anschaulicher: Wir starten mit einer Kuhpopulation und es tritt eine „abträgliche“ Umweltveränderung ein. Einige Individuen haben eine genetische Variation (Allel), die ihnen erlaubt diese neue Situation (besser) zu bewältigen. Durch die natürliche Selektion wird sich dieses in der Population ausbreiten. Gleichzeitig sterben aber „alle“, die noch die schlechteren Allele haben, weil sich die Umwelt eben verändert hat (Substitutionskosten). „Nur fürs Protokoll“: Unter den von Haldane vorgenommen Annahmen (!) ergab sich für diploide Organismen, dass eine Substitution „30 mal die Populationsgröße“ Tote fordert, bei einer Populationsgröße von 100.000 wären das also 3 Mio. Damit es überhaupt zu einer Substitution kommen kann, ohne dass die Population gleichsam ausstirbt, bedeutet dies, dass (theoretisch) eigentlich nur ein (einziges) Allel pro 300 Generationen fixiert werden kann. (Die offensichtliche Problematik seiner Ableitung erkannte Haldane natürlich auch selber: "… I am quite aware that my conclusions will probably need drastic revision.“). Einer (von mehreren) berechtigten Einwänden – die helfen das später sogenannte Haldane-Dilemma (Van Valen 1963) zu überwinden – ist der, dass Haldane die Selektion in seinen Überlegungen als zu hart angenommen hat (s.u.). ♦ Typen der Selektion – Einteilung nach Intensität. Harte Selektion bedeutet, dass die Selektion hier „erbarmungslos“ alle Individuen aussortiert, die bestimmte „Grenzwerte“ nicht einhalten, z.B. alle Individuen, die weniger als 5 kg wiegen oder im Winter blühen. Das bedeutet, dass zur immer vorhandenen (zufälligen) Grundsterblichkeit, die die Populationsgrößen konstant hält (z.B. durch begrenzte Nahrungsressourcen) sich noch die Selektionssterblichkeit zusätzlich addiert und dazu führen kann, dass die Population kleiner wird. Abiotische Umweltfaktoren selektieren oft sehr hart. Bei der weichen (milden) Selektion stirbt lediglich ein Anteil der Schlechten, z.B. werden die 25% langsamsten Tiere einer Herde von Räubern gefressen. Die Selektionssterblichkeit ist dann („im Idealfall“) nur ein Teil der Gesamtsterblichkeit aus Grund- und -Selektionssterblichkeit. Die weiche Selektion verursacht dann also keine Extrakosten. (Die harte und weiche Selektion sind aber sicherlich nur als Extrembeispiele eines Kontinuums zu betrachten.) In diesem Zusammenhang noch der Begriff des selection noise, der den zufälligen Verlustanteil von ansonsten fitten Individuen meint: „Ameise des Jahres vom Blitz getroffen!“. In evolutionären Algorithmen spielt dann ggf. die sogenannte „noisy fitness“ eine Rolle. ♦ Evolutionsprozesse. Generell ist die Evolution (hier im Sinne von Mikroevolution) ein Zweistufenprozess: 1.) Bereitstellung von vererbbarer Variation in Populationen (Mutationen, Rekombination, Genfluss, Hybridisierung) und 2.) Aussonderung von Varianten, insbesondere durch Selektion, Isolation und genetische Drift, die zu einer Genpooländerung der Population, also Mikroevolution, führt. Vor einem Einstieg in die Grundlagen der Populationsgenetik Einführendes zu diesen Begriffen. ♦ Variation. Qualitative oder diskrete Merkmale (z.B. behaart oder nicht) haben ihre genetische Basis unter Umständen „minimalerweise“ darin, dass verschiedene Allele eines Locus (Genort) für jeweils verschiedene Ausprägungen verantwortlich sind. Weit häufiger sind Merkmale und insbesondere qualitative Merkmale (z.B. Blattlängen) polygen beeinflusst. Phänotypische Variation kann daneben auch „keine“ direkte genetische Basis haben, sondern rein durch die Umwelt geformt sein. Ein eindrucksvolles Beispiel für eine (adaptive) phänotypische Plastizität ist der Saisondimorphismus bei den Raupen des Nachtfalters Nemoria arizonaria (südl. USA & Mexiko, „Campbell alt/neu“ Abb. 23.2/5, Futuyma Abb.13.18). (Bei solchen Verhältnissen, wo die umweltbeeinflussten Merkmalsausprägungen diskret, also nicht durch Übergänge miteinander verbunden sind, spricht man dann auch von einem „Polyphänismus“). Phänotypische Plastizität: Fähigkeit eines Organismus umweltabhängig Phänotypen auszubilden; meist geht man dabei davon aus, dass diese Fähigkeit eine Adaptation ist. ♦ 3 Skript zur Vorlesung „Allgemeine Evolutionsbiologie“ | WS 2015/2016 | A. Franzke & M. Koch Genetische Variation in Populationen. Der durchschnittliche Heterozygotiegrad als durchschnittlicher Prozentsatz von Genloci, die heterozygot (mischerbig) vorliegen, ist eine Möglichkeit genetische Variation zu quantifizieren. (Bei Drosophila melanogaster-Populationen beträgt dieser Wert wohl etwa 14%.) Eine Abschätzung des Heterozygotiegrads kann mit Isoenzymanalysen (auch Alloenzymanalysen genannt) erfolgen: Allelprodukte eines Locus (Enzyme) können aufgrund evtl. vorhandener Ladungsunterschiede durch Gelelektrophorese getrennt bzw. erkannt werden. Hier erfolgt in der Regel eine Unterschätzung der „wahren“ Variation, weil nicht jede Mutation auf der DNAEbene auch zu einer Ladungsänderung im Protein führt. Isoenzymanalysen hatten früher eine große Bedeutung, heute spielen natürlich (direkte) DNA-Sequenzierungen die Hauptrolle, die es z.B. erlauben die Nukleotidvariation, als paarweisen prozentualen Unterschied, zu ermitteln. (Bei Drosophila melanogaster-Populationen beträgt dieser Wert im Mittel wohl etwa 1%). ♦ Quellen genetischer Variation – Mutationen. Neue Allele entstehen (aus „alten“) durch zufällige Mutationen: Punktmutationen, die zu einem Basenaustausch führen, entstehen durch Replikationsfehler und führen ggf. zu einem Aminosäureaustausch und evtl. auch zu phänotypischen Unterschieden. Größenordnungsmäßig geht man bei Tieren und Pflanzen von etwa einer Mutation pro 100.000 Genen und Generation aus. Bei (mehrzelligen) Tieren sind für die Evolution nur Mutationen im Erbgut der Keimzellen entscheidend. Bei Pflanzen, die keine Keimbahn haben, sind hingegen viele Zelllinien an der Gametenbildung beteiligt. Chromosomenmutationen und insbesondere Genduplikationen sind eine weitere Quelle für genetische Variation. Zu Genduplikationen kommt es auch bei (kompletten) Genomverdopplungen (Polyploidie, „whole genome duplication“). Genduplikationen bedeuten gleichsam Spielwiesen für die Evolution: Eine der nun vorhandenen zwei Kopien eines Gens kann nun ohne „größere Zwänge“ ggf. auch zu ganz neuen Funktionen evolvieren. ♦ Quellen genetischer Variation – Rekombination. Insbesondere die im Rahmen der sexuellen Fortpflanzung stattfindenden Vorgänge der Rekombination sind die bedeutsamen Prozesse bei denen genetische Variation erzeugt wird: Zufällige Neukombinationen ergeben sich bei der Gameten- und Zygotenbildung („Campbell“ Abb. 13.11 & 12). ♦ Populationsgenetik. Zunächst die Klärung einiger populationsgenetischer Begriffe. Population: Summe der Individuen einer Art in einem mehr oder weniger gut geografisch definiertem Lebensraumausschnitt mit genetischer Kontinuität über mehrere Generationen; ökologische und reproduktive Interaktionen finden häufiger innerhalb der Population statt als mit Individuen aus anderen Populationen. Metapopulation: Gruppe lokaler Populationen zwischen denen nur eingeschränkter Genfluss stattfindet (Levins, 1969: „population of populations“). Siehe auch “Campbell alt/neu” Abb. 23.5/6. Der Genpool charakterisiert die genetische Zusammensetzung einer Population: Sämtliche Allele aller Loci (Genorte) aller Individuen. Fixiertes Allel: Alle Individuen sind homozygot für dieses Allel. Bei 2 oder mehreren Allelen pro Locus können Individuen für diesen Locus homozygot (reinerbig) sein, haben also nur ein Allel oder heterozygot (mischerbig), haben also − wenn sie diploid sind − zwei verschiedene Allele. ♦ Aufgaben ♦ Klassiker.“Eldredge & Gould (1972): Punctuated equilibria: an alternative to phyletic gradualism.” finden Sie unter http://www.blackwellpublishing.com/ridley/classictexts und „Gould & Lewontin 1979. The Spandrels of San Marco and the Panglossian Paradigm: A Critique of the Adaptationist Programme.” Unter http://www.blackwellpublishing.com/ridley/classictexts ♦ Und den klassischen Artikel ”The cost of natural selection” von JBS Haldane finden Sie online hier: http://www.blackwellpublishing.com/ridley/classictexts/haldane2.pdf. Einfach mal gesehen haben. Vielleicht wird es ja sogar ein Erweckungserlebnis. ♦ 4
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