Seminararbeit Weiler - Technische Universität Wien

Technische Universität Wien
Seminararbeit
Finanz- und Versicherungsmathematik
Counterexamples in Probability
Lorenz Anton Weiler
e1326362
4. Dezember 2015
Zusammenfassung
Zunächst rückt das Wesen eines Gegenbeispieles in den Fokus der Bertrachtung. Es sollen daran anschließend Grenzen der Beweisbarkeit anhand von
Beispielen aus der Wahrscheinlichkeitstheorie aufgezeigt werden. Ein Mathematiker vermeidet, in eine Sackgasse zu geraten. Er versucht vielmehr, seine
Vermutungen zu ändern, um beweisbare Behauptungen aufstellen zu können.
Kapitel 1
Exposition
A conjecture both deep and profound
Is whether a circle is round
In a paper of Erdős
Written in Kurdish
A counterexample is found.
(Leo Moser1 )
In der Logik bezeichnet ein Gegenbeispiel einen empirischen oder konstruierten Sachverhalt, der sich als Ausnahme zu einer bestimmten Behauptung
erweist. Man betrachte als Beispiel die Behauptung, alle Professoren seien
faul. Diese Vermutung weist allen Professoren eine bestimmte Eigenschaft
zu, nämlich Faulheit. Um die Vermutung zu widerlegen, bedarf es bloß eines
einzelnen fleißigen Professors. Jeder solche Professor ist also ein Gegenbeispiel zur Vermutung, alle Professoren seien faul. Ein Gegenbeispiel belegt,
konkret formuliert, die Falschheit einer Allquantifizierung.
Was die Anwendung der Logik auf andere Bereiche wie Philosophie oder
Mathematik anbelangt, ergeben sich Unterschiede in der Art des Gebrauchs
eines Gegenbeispieles. Philosophen weisen mittels Gegenbeispielen auf die
Falschheit eines Standpunktes hin, indem sie dessen Gültigkeit in bestimmten
Situationen widerlegen. Edmund Gettier liefert beispielsweise einen Einwand
1
https://en.wikiquote.org/wiki/Paul_Erdős#Quotes_about_Erdős
1
gegen die klassische Analyse des Wissens. Sie definiert Wissen als gerechtfertigte, wahre Meinung. Gettier entgegnet, dass gerechtfertige wahre Meinung
auch zufällig wahr sein kann. Diese Meinung sei also kein Wissen, was die
klassische Analyse des Wissens widerlegt. Eine nähere Beleuchtung dieses
Sachverhaltes findet sich in Gettier [5].
Eine wichtige Rolle nehmen Gegenbeispiele in der Theorie Karl Poppers
ein. Der Begriff Falsifikationismus bezeichnet die ursprünglich von ihm entwickelte Wissenschaftstheorie, derzufolge Aussagen nur dann wissenschaftliche
Bedeutung zukommen kann, wenn sie eines Gegenbeispieles fähig sind. Popper fordert nicht Verifizierbarkeit, sondern Falsifizierbarkeit eines logischen
Systems. Ihm zufolge können Behauptungen niemals bewiesen, sie können
lediglich widerlegt werden. Einen tieferen Einblick in die Auffassung Poppers
gewährt Popper [9].
Welch tiefgreifende Auswirkungen ein Gegenbeispiel in der Mathematik
haben kann, belegt die Russellsche Antinomie, ein nach Bertrand Russel
benanntes Paradoxon der naiven Mengenlehre. Er weist damit auf die Widersprüchlichkeit eines von Gottlob Frege geschaffenen Axiomensystems der
Mengentheorie hin. In Russel [10] fasst er seine Entdeckung mit den Worten
[I]f w be the class of all classes which as single terms are not
members of themselves as many, the w as one can be proved
both to be and not to be a member of itself as many.
zusammen. Diese Klasse aller Klassen, die sich nicht selbst als Element enthalten lässt sich formal beschreiben durch die sogenannte Russellsche Klasse
R := {x|x 6∈ x}.
Russell liefert eine spezielle Art des logischen Widerspruchs, bei dem zueinander in Widerspruch stehende Aussagen gleichermaßen bewiesen sind.
Einen derartigen Widerstreit der Gesetze behaftet Immanuel Kant mit der
Bezeichnung Antinomie. Näheres dazu in Kant [6]. Frege selbst erhielt durch
eine briefliche Mitteilung Russells Kenntnis von der Antinomie. Sie brachte
sein Lebenswerk zu Fall, woraufhin er der Logik den Rücken kehrte.
2
Kapitel 2
Durchführung
The problem with wrong proofs to correct statements is that it
is hard to give a counterexample.
(Hendrik Willem Lenstra1 )
2.1
Eheschließung
Gegeben seien Ereignisse A und B1 , B2 , . . . , Bn eines beliebigen Wahrscheinlichkeitsraumes (Ω, A, P ). Wir betrachten die auf den ersten Blick plausibel
erscheinende Ungleichung
P (A|
[
Bi ) ≥ min{P (A|Bi )}.
i
i
(2.1)
Die Botschaft, die uns diese Ungleichung zu übermitteln versucht, scheint
zu sein, dass Kenntnis über das Eintreten mindestens eines Ereignisses Bi
den Eintritt des Ereignisses A nicht weniger wahrscheinlich machen kann als
Kenntnis über den Eintritt eines ausgewählten Bj , das den Eintritt des Ereignisses A so unwahrscheinlich wie möglich machen soll. Als Beispiel betrachte
man den Fall zweier Ereignisse B1 und B2 , die den Eintritt des Ereignisses
A bedingen. Bezeichne B1 das Ereignis, dass Katrin Lorenz liebe, umgekehrt
B2 das Ereignis, dass Lorenz Katrin liebe und schließlich wollen wir unter
dem Ereignis A verstehen, dass die beiden früher oder später den Bund der
1
http://www.ucs.louisiana.edu/~avm1260/lenstra.html
3
Ehe eingehen werden. Steht es einer unbeteiligten Person frei, zwischen der
Kenntnis über B1 , der Kenntnis über B2 oder der Kenntnis über B1 ∪ B2
zu entscheiden, mag sie zu denken verleitet sein, Kenntnis über B1 oder B2
mache das Ereignis A weniger wahrscheinlich als Kenntnis, dass beide beteiligten Personen einander lieben.
Auf einen zweiten Blick aber erweist sich Ungleichung (2.1) als im Allgemeinen ungültig. Dazu treffen wir die Annahmen
2
P (Bi ) = ,
3
1
P (B1 ∩ B2 ) = ,
3
A = B1 ∩ B2 .
Wegen P (B1 ∪ B2 ) = 1 folgt nun
P (A|B1 ∪ B2 ) =
1
3
1
und P (A|Bi ) = .
2
Unter diesen Umständen ist die Gültigkeit der Ungleichung (2.1) nicht gegeben. Kenntnis, dass Katrin und Lorenz beide einander lieben, mindert demgemäß die Wahrscheinlichkeit einer Eheschließung. Kenntnis, dass bloß einer von beiden den anderen liebt, hingegen erhöht die Wahrscheinlichkeit.
Ausschlaggebend für dieses Resultat im obigen Rahmen ist nicht zuletzt die
konkrete Wahl des Ereignisses A.
Nun stellt sich die Frage, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit
Ungleichung (2.1) gilt. Wir nehmen an, die Ereignisse Bi seien disjunkt. Die
Gültigkeit der Ungleichung folgt mittels vollständiger Induktion, wenn es
gelingt, den Induktionsanfang für den Fall zweier Ereignisse B1 und B2 zu
zeigen. Die Bedingung
P (A|B1 ∪ B2 ) ≥ P (A|B1 ) oder P (A|B1 ∪ B2 ) ≥ P (A|B2 )
ist offenbar äquivalent zu
oder
P (A ∩ B1 )
P (A ∩ B1 ) + P (A ∩ B2 )
≥
P (B1 ) + P (B2 )
P (B1 )
P (A ∩ B1 ) + P (A ∩ B2 )
P (A ∩ B2 )
≥
,
P (B1 ) + P (B2 )
P (B2 )
4
was wiederum äquivalent ist zu
(A ∩ B2 ) · P (B1 ) ≥ P (A ∩ B1 ) · P (B2 )
oder
(A ∩ B1 ) · P (B2 ) ≥ P (A ∩ B2 ) · P (B1 ),
und deshalb trivialerweise erfüllt ist.
2.2
Erbfolge
Derselbe Sachverhalt tritt in einer anderen, dem vorangehenden Beispiel ähnlichen Gestalt auf. Dazu treffen wir die Annahme, dass
P (A|Bi ) ≥ P (A).
Es erhebt sich nun die Frage, ob wir uns darauf stützend auf die Gültigkeit
der Ungleichung
[
P (A| Bi ) ≥ P (A)
(2.2)
i
schließen können? Der Schluss scheint zunächst vernünftig. Denn, wenn jede einzelne Bedingung Bi das Eintreten des Ereignisses A wahrscheinlicher
macht, so wohl auch die Bedingung, dass mindestens eines der Ereignisse
Bi eintritt. Wiederum liegt ein Fehlschluss vor. Wir betrachten einen Wahrscheinlichkeitsraum mit Grundmenge
Ω = {ω1 , ω2 , ω3 , ω4 }.
Es bezeichne A das Ereignis {ω2 , ω4 }, B1 das Ereignis {ω1 , ω2 } und B2 das
Ereignis {ω2 , ω3 }. Nun gilt
1
P (A) = ,
2
1
P (A|Bi ) = ,
2
1
P (A|B1 ∪ B2 ) = ,
3
was Ungleichung (2.1) widerlegt. Eine Auslegung erlaubt eine Variante des
Junge-oder-Mädchen-Problems. Man nehme an, ein König habe ein Geschwister. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Geschwister des Königs
5
männlichen Geschlechtes ist? Die Wahrscheinlichkeit eines männlichen oder
weiblichen Geschwisters mag zunächst dieselbe zu sein scheinen. Wir betrachten die Grundmenge
Ω = {(♂, ♂), (♂, ♀), (♀, ♂), (♀, ♀)}
und wollen under A das Ereignis verstehen, dass der König und sein Geschwister dasselbe Geschlecht teilen. Es bezeichne B1 das Ereignis, dass das
Erstgeborene männlich ist, und weiters B2 das Ereignis, dass das Zweitgeborene männlich ist. Es folgt nun mithilfe der vorangehenden Untersuchung in
der Tat
1
P (A|B1 ∪ B2 ) = .
3
Abschließend sei bemerkt, dass dieses Resultat nur in Ländern Gültigkeit erlangt, in denen das männliche Geschlecht in der Erbfolgeregelung bevorzugt
wird. In Schweden beispielsweise, wo das älteste Kind ungeachtet seines Geschlechtes den Thron besteigt, kann ein König keine ältere Schwester haben.
Es gilt dort
1
(♀, ♂) 6∈ Ω und P (A|B1 ∪ B2 ) = .
2
6
Kapitel 3
Reprise
The bad news is that the discussion is extremely technical and
many of the examples don’t feel very counter. This is some inside
baseball for hardcore probabilists.
(Greg Kuperberg1 )
Dieser Abschnitt behandelt Gegenbeispiele aus dem Buch Counterexamples
in Probability [11]. Der Autor Jordan Stoyanov studierte Mathematik an der
Staatlichen Universität Moskau und erlangte seinen Abschluss in Wahrscheinlichkeitstheorie. Sein Doktorvater ist Albert Schirjajew, ein Schüler Andrei
Kolmogorovs.
Der folgende Auszug aus dem Klappentext des Buches unterstreicht die
Bedeutung von Gegenbeispielen in der Mathematik:
Most mathematical examples illustrate the truth of a statement;
conversely, counterexamples demonstrate a statement’s falsity if
changing the conditions. Mathematicians have always prized counterexamples as intrinsically enjoyable objects of study as well as
valuable tools for teaching, learning and research.
Das Buch ist unterteilt in vier Kapitel, die Gegenbeispiele aus unterschiedlichen Bereichen der Wahrscheinlichkeitstheorie zum Inhalt haben. Den
Beginn eines jeden Kapitels ziert eine Zeichnung Anatoli Fomenkos, eines
1
http://www.amazon.com/gp/pdp/profile/A1Y2ML1JBIAWTS/ref=cm_cr_dp_pdp
7
Kollegen des Autors. Dieser ist Professor für Geometrie und Topologie und
erlangte Bekanntheit als Befürworter der Chronologiekritik. Bei dieser - in
Fachkreisen nicht anerkannten - Form des Geschichtsrevisionismus erhält er
außerdem Unterstützung von Garri Kasparov, dem ehemaligen Weltmeister
im Schachspiel.
Die nun folgenden Gegenbeispiele bedürfen insbesondere des Begriffes der
stochastischen Unabhängigkeit, der an dieser Stelle einer Wiederholung unterzogen werden soll. Der Übersicht halber verzichten wir im Folgenden, sofern aus dem Kontext ersichtlich, auf die ausdrückliche Kennzeichnung der
Multiplikation von Zahlen und des Durchschnittes von Mengen.
Sei (Ω, F, P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Ereignisse A, B ∈ F heißen
unabhängig, falls
P (AB) = P (A)P (B).
(3.1)
Der Begriff der Unabhängigkeit zweier Ereignisse wird erweitert auf die Unabhängigkeit zweier Ereignismengen. So heißen A1 , A2 ⊂ F unabhängig, falls
für jede Wahl von Ereignissen A1 ∈ A1 und A2 ∈ A2 Unabhängigkeit im
Sinne von (3.1) vorliegt. Auf dieser Auffassung aufbauend wird der Begriff
der Unabhängigkeit auf jede endliche Anzahl von Ereignissen oder Ereignismengen ausgeweitet. So heißen etwa Ereignisse A1 , A2 , . . . , An gemeinsam
unabhängig, falls sie den Beziehungen
P (Ai1 Ai2 . . . Aik ) = P (Ai1 )P (Ai2 ) . . . P (Aik )
(3.2)
genügen für alle k und i1 , i2 , . . . , ik , wobei k = 2, 3, . . . , n und 1 ≤ i1 <
i2 < · · · < ik ≤ n. Für gemeinsame Unabhängigkeit von n Ereignissen muss
demnach jede der
n X
n
= 2n − n − 1
k
k=2
Beziehungen (3.2) erfüllt sein. Falls keine der Beziehungen (3.2) gilt, nennen
wir die Ereignisse A1 , A2 , . . . , An total abhängig. Im Falle der Gültigkeit für
k = 2 wollen wir sie mit der Bezeichnung paarweise unabhängig versehen.
Schließlich, falls die Beziehungen (3.2) für alle k mit 2 ≤ k ≤ m für ein m ≤ n
8
gelten, so sagt man, es liege Unabhängigkeit der Ordnung m vor. Paarweise
Unabhängigkeit spiegelt den Fall m = 2 wider, gemeinsame Unabhängigkeit
den Fall m = n. Hinsichtlich einer Familie von Ereignissen sprechen wir
von den Beziehungen (3.2) auf Stufe k, falls sie für jede der nk möglichen
Kombinationen, genau genommen Tupel der Länge k, erfüllt oder nicht erfüllt
sind. Demzufolge können wir jeder Stufe k mit k = 2, 3, . . . , n die Eigenschaft
der Abhängigkeit oder Unabhängigkeit zuordnen.
Gegenbeispiel 1 (Unabhängigkeit bezüglich eines Parameters). Wir betrachten in einer Bernoullischen Versuchsfolge mit Parameter p zwei Ereignisse, die - abhängig vom Wert des Parameters p - entweder unabhängig oder
abhängig sind.
Sei K = {Kopf} oder Z = {Zahl} der Ausgang eines Münzwurfes. Die
Wahrscheinlichkeiten des Eintritts der Ereignisse sollen
P (K) = p,
P (Z) = 1 − p
betragen, wobei 0 ≤ p ≤ 1 gelte. Man werfe dieselbe Münze dreimal hintereinander oder, was auf dasselbe hinauskommt, werfe drei gleiche Münzen
gleichzeitig. Die Ereignisse
A = {KKK, KKZ, KZK, ZKK},
B = {KKK, ZZZ}
treten mit den Wahrscheinlichkeiten
P (A) = p3 + 3p2 (1 − p),
P (B) = p3 + (1 − p)3 ,
P (AB) = p3
ein. Die Bedingung für die Unabhängigkeit beider Ereignisse
P (AB) = P (A)P (B)
ist offenbar nur in den trivialen Fällen p = 0, p = 1 und in dem symmetrischen
Fall p = 12 erfüllt. Für alle anderen Werte p aus dem Intervall [0, 1] sind A und
B abhängige Ereignisse. Ob zufällige Ereignisse abhängig oder unabhängig
sind, hängt also nicht zuletzt von der Wahl eines Parameters ab.
9
Gegenbeispiel 2 (Paarweise Unabhängigkeit und gemeinsame Unabhängigkeit). Das folgende Gegenbeispiel geht auf den russischen Mathematiker
Sergei Bernstein zurück. Sein Name birgt Gefahr zur Verwechslung mit dem
deutschen Mathematiker Felix Bernstein. Der amerikanische Komponist Leonard Bernstein mag wohl kaum Interesse für mathematische Belange gehegt
haben. Die aus der Mathematik bekannten Bernsteinpolynome haben ihren Urheber gleichfalls in Sergei Bernstein. Mit ihnen lässt sich ein Beweis
eines klassischen Satzes der Analysis, der formal betrachtet keinen Bezug
zur Wahrscheinlichkeitstheorie aufweist, nämlich der Approximationssatz von
Weierstraß, mithilfe des starken Gesetzes der großen Zahlen führen. Siehe etwa Bauer [3], S. 99.
Man nehme an, eine Kiste enthalte vier Papiersteifen beschriftet mit 112,
121, 211 und 222. Man wähle einen Streifen zufällig aus und betrachte das
Ereignis A1 = {1 an der ersten Stelle}, A2 = {1 an der zweiten Stelle} und
A3 = {1 an der dritten Stelle}. Es gilt
P (A1 ) = P (A2 ) = P (A3 ) =
1
2
und darüber hinaus
1
P (A1 A2 ) = P (A1 A3 ) = P (A2 A3 ) = .
4
Die drei Ereignisse A1 , A2 und A3 sind also paarweise unabhängig. Jedoch
besteht keine gemeinsame Unabhängigkeit, denn es ist
P (A1 A2 A3 ) = 0 6=
1
= P (A1 )P (A2 )P (A3 ).
8
Gegenbeispiel 3 (Abhängigkeit trotz Unabhängigkeit). Ein Würfel werde
zweimal geworfen. Die Grundmenge Ω enthalte als Elemente alle geordneten
Paare (i, j) mit i, j = 1, 2, . . . , 6 und jedes einzelne Elementarereignis trete
mit derselben Wahrscheinlichkeit ein. Gegenstand der Betrachtung sollen die
10
Ereignisse
A = {Erster Wurf ist 1, 2 oder 3}
B = {Zweiter Wurf ist 3, 4 oder 5}
C = {Summe beider Würfe ist 9}
sein. Es gilt AB = {31, 32, 33, 34, 35, 36}, AC = {136}, BC = {36, 45, 54}
und ABC = {36}. Wegen P (A) = 12 , P (B) = 12 und P (C) = 19 erhalten wir
also
1
1 1 1
P (ABC) =
= · · = P (A)P (B)P (C).
36
2 2 9
Hingegen sind die Ereignisse A, B und C nicht gemeinsam unabhängig, denn
1
6
=
6
1
P (AC) =
6
=
36
1
P (BC) =
6
=
12
P (AB) =
1
= P (A)P (B)
4
1
= P (A)P (B)
18
1
= P (B)P (C).
18
Es folgt, in Worten ausgedrückt, dass Unabhängigkeit auf Stufe 3 nicht
zwangsläufig Unabhängigkeit auf Stufe 2 zur Folge hat.
Gegenbeispiel 4 (Unabhängigkeit trotz Abhängigkeit). Eine Münze werde
unabhängig voneinander n-mal hintereinander geworfen. Wir betrachten die
Ereignisse Ak = {Kopf bei Wurf k} für k = 1, 2, . . . , n und das Ereignis
An+1 = {Summe von diesen n Würfen ist gerade}. Offensichtlich gilt
1
P (A1 ) = P (A2 ) = · · · = P (An ) = .
2
Weiters erhalten wir
1
P (An+1 ) = n
2
n
n
2n−1
1
+
+ ... = n = ,
0
2
2
2
11
denn es ist
2n = (1 + 1)n + (1 − 1)n
n n X
X
n
n
=
+
(−1)k
k
k
k=0
k=0
n X
n
=
1 + (−1)k
k
k=0
n
X
n
=2
.
2k
k=0
Zudem ist

1 für n gerade,
P (An+1 |A1 A2 . . . An ) =
0 für n ungerade.
Daraus folgt nun die Unmöglichkeit von
P (A1 A2 . . . An An+1 ) = P (A1 )P (A2 ) . . . P (An )P (An+1 ),
da die rechte Seite der Gleichung gleich 2−(n+1) ist und die linke Seite gleich
P (A1 A2 . . . An An+1 ) = P (A1 A2 . . . An )P (An+1 |A1 A2 . . . An ) = 2−n , falls n
gerade und gleich 0, falls n ungerade. Die Ereignisse A1 , A2 , . . . , An , An+1
können also nicht gemeinsam unabhängig sein.
Man wähle nun n dieser Ereignisse aus. Fällt die Wahl auf A1 , A2 , . . . , An ,
dann sind sie unabhängig, da für jedes Ai1 , Ai2 , . . . , Aik mit 2 ≤ k ≤ n
die Gleichheit P (Ai1 Ai2 . . . Aik ) = P (Ai1 )P (Ai2 ) . . . P (Aik ) besteht. Schließlich betrachten wir den Fall, dass unsere Auswahl an Ereignissen neben
n − 1 Ereignissen aus A1 , A2 , . . . , An auch das Ereignis An+1 enthalte, etwa A2 , A3 , . . . , An , An+1 . Für deren Unabhängigkeit genügt es zu überprüfen,
dass
P (Ai1 Ai2 . . . Aim An+1 ) = P (Ai1 )P (Ai2 ) . . . P (Aim )P (An+1 )
(3.3)
gilt, wobei 1 ≤ m ≤ n − 1 und i1 , i2 , . . . , im aus 2, 3, . . . , n sei. Wir erhalten
P (Ai1 ) = P (Ai2 ) = · · · = P (Aim ) = P (An+1 ) = 21 , weswegen die rechte Seite
12
von (3.3) gleich 2−(m+1) ist. Ferner ist
P (Ai1 Ai2 . . . Aim An+1 ) = P (Ai1 Ai2 . . . Aim )P (An+1 |Ai1 Ai2 . . . Aim )
= 2−m 2−1
= 2−(m+1) .
Geichung (3.3) ist demnach erfüllt, womit jede Wahl von n Ereignissen unter
den n + 1 Ereignissen gemeinsam unabhängig ist. Trotz Abhängigkeit auf
Stufe n + 1 liegt Unabhängigkeit der Ordnung n vor.
Zusammenfassend erhalten wir, dass n + 1 Ereignissen, bei denen stets n
Ereignisse gemeinsam unabhängig sind, nicht zwingend die Eigenschaft der
Unabhängigkeit zukommt. Dies stellt, im Grunde genommen, eine Verallgemeinerung zu Gegenbeispiel 2 dar.
Gegenbeispiel 5 (Bedingte und gemeinsame Unabhängigkeit). Ereignisse
A1 , A2 , . . . , An heißen bedingt unabhängig gegeben dem Ereignis B, das mit
positiver Wahrscheinlichkeit eintrete, falls
P (A1 A2 . . . An |B) = P (A1 |B)P (A2 |B) . . . P (An |B).
Gegenstand der Untersuchung soll nun der Zusammenhang zwischen bedingter und gemeinsamer Unabhängigkeit sein.
Wir nehmen an, es stünden uns zwei verschiedene Münzen zur Verfügung,
etwa a und b, deren eine Seite durch einen Kopf und deren andere Seite durch
eine Zahl gegeben sei. Es bezeichne pa und pb mit pa 6= pb die Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten eines Kopfes bei einem Münzwurf. Man wähle eine
Münze zufällig aus und werfe sie anschließend zweimal hintereinander. Wir
betrachten die Ereignisse A1 = {Kopf bei Wurf 1}, A2 = {Kopf bei Wurf 2}
und B = {Münze a wurde ausgewählt}. Es gilt dabei
P (A1 A2 |B) = p2a ,
P (A1 |B) = pa ,
P (A2 |B) = pa .
Demnach sind die Ereignisse A und B bedingt unabhängig gegeben dem
13
Ereignis B. Allerdings ist
1
P (A1 A2 ) = (p2a + p2b ),
2
1
P (A1 ) = (pa + pb ),
2
1
P (A2 ) = (pa + pb ),
2
und deshalb besteht nach Annahme ungleicher Wahrscheinlichkeiten pa und
pb keine gemeinsame Unabhängigkeit.
Bei einem anderem Experiment werde eine faire Münze zweimal hintereinander geworfen. Man betrachte die Ereignisse Ak = {Kopf bei Wurf k}
und B = {mindestens einmal Zahl}. Dann gilt
1
P (A1 ) = P (A2 ) = ,
2
1
P (A1 A2 ) = ,
4
was die Unabhängigkeit der Ereignisse A und B belegt. Ferner erkennt man,
dass
1
P (A1 |B) = P (A2 |B) = .
3
Hingegen gilt
P (A1 A2 |B) = 0,
weswegen die unabhängigen Ereignisse A1 und A2 nicht bedingt unabhängig
sind gegeben dem Ereignis B.
Fasst man beide Gegenbeispiele zusammen, so lässt sich der Schluss ziehen, dass im Allgemeinen kein Zusammenhang zwischen bedingter Unabhängigkeit und gemeinsamer Unabhängigkeit besteht.
Gegenbeispiel 6 (Abhängigkeit erzeugter Ereignismengen). Sei (Ω, F, P )
der Wahrscheinlichkeitsraum mit Ω = [0, 1] und F = B[0,1] . Es bezeichne P
das Lebesgue-Maß. Wir betrachten zwei Ereignismengen A1 = {A11 , A12 }
und A = {A2 } mit
A11
1
1 3
= 0,
∪ ,
,
4
2 4
A12
1
2
= 0,
∪ ,1 ,
3
3
14
1
A2 = 0,
2
.
Wegen P (A11 ) = 12 , P (A12 ) = 23 , P (A) =
1
2
gilt
1 1
1
= · = P (A11 )P (A2 ),
2
2 2
1
2 1
P (A12 A2 ) = = · = P (A12 )P (A2 ).
3
3 2
P (A11 A2 ) =
Demnach sind die Ereignismengen A1 und A2 unabhängig. Hingegen ist ersichtlich, dass die von A1 und A2 erzeugten σ-Algebren σ(A1 ) und σ(A2 )
nicht unabhängig sind. Sei beispielsweise A1 = A11 A12 , dann besteht auf grund P (A1 ) = 31 und A1 A2 = 0, 14 keine Unabhängigkeit, denn
P (A1 A2 ) =
1
1 1
6= · = P (A1 )P (A2 ).
4
3 2
Es sei drauf hingewiesen, dass bei unabhängigen und durchschnittsstabilen
Ereignismengen A1 und A2 die erzeugten Systeme σ(A1 ) und σ(A2 ) durchaus
unabhängig sind. Genaueres dazu in Bauer [3], S. 45.
Gegenbeispiel 7 (Nicht-triviale unabhängige Ereignisse). Sei (Ω, F, P ) ein
Wahrscheinlichkeitsraum. Ereignisse A, B ∈ F sind nicht-trivial und unabhängig, falls
0 < P (A) < 1,
0 < P (B) < 1 und P (AB) = P (A)P (B).
Man mag zu denken verleitet sein, dass jeder Wahrscheinlichkeitsraum nichttriviale unabhängige Ereignisse enthalte. Dass dem nicht so ist, lehrt das
folgende Gegenbeispiel.
Sei Ω eine endliche Menge, etwa Ω = {ω1 , ω2 , . . . , ωn }, und
P ({ω1 }) = 1 − (n − 1)ε,
P ({ω2 }) = P ({ω3 }) = · · · = P ({ωn }) = ε,
wobei ε eine irrationale Zahl bezeichne und 0 < ε < (n − 1)−1 gelte. Wir
nehmen an, es gäbe zwei nicht-triviale unabhängige Ereignisse A und B.
Folgende drei Möglichkeiten können dabei auftreten:
(1) ω1 6∈ A, ω1 6∈ B
(2) ω1 6∈ A, ω1 ∈ B
15
(3) ω1 ∈ A, ω1 ∈ B
Der Fall (2) mag auch umgekehrt auftreten. Es stellt sich heraus, dass in
keinem der drei Fälle Unabhängigkeit vorliegt. Es möge Fall (2) als Beispiel dienen. Hier enthalte das Ereignis A etwa k Ergebnisse ausgewählt aus
ω2 , ω3 , . . . , ωn und das Ereignis B bestehe aus ω1 und etwa l Ergebnissen
wiederum ausgewählt aus ω2 , ω3 , . . . , ωn . Deren Anzahl sei m, wobei m < k
gelte. Unter der Annahme der Unabhängigkeit erhalten wir
mε = [1 − (n − 1)ε + lε]kε.
Es folgt
ε=
k−m
,
k(n − 1 − l)
was im Widerspruch zur Annahme der Irrationalität von ε steht. Eine ähnliche Argumentation kann in den Fällen (1) und (3) verwendet werden. Somit
enthält dieses Beispiel eines Wahrscheinlichkeitsraumes keine nicht-trivialen
unabhängigen Ereignisse.
Gegenbeispiel 8 (Lemma von Borel-Cantelli). Wir betrachten eine Folge
(An )n∈N von Ereignissen eines Wahrscheinlichkeitsraumes (Ω, F, P ) und erinnern uns der Definition des Limes superior einer Mengenfolge, und zwar
lim sup :=
n→∞
∞ [
∞
\
Am .
n=1 m=n
Vergleiche dazu etwa Klenke [7], S. 5. Dies ist die Menge aller ω ∈ Ω, welche
in unendlich vielen der Mengen An enthalten sind, für welche also ω ∈ Ω für
unendliche viele n ∈ N gilt. Das Lemma von Borel-Cantelli, op. cit., S. 53,
besagt nun:
∞
P
(a) Wenn
P (An ) < ∞, dann lim sup An = 0.
n=1
(b) Wenn
∞
P
n→∞
P (An ) = ∞ und (An )n∈N unabhängig, dann lim sup An = 1.
n→∞
n=1
Mittels eines Gegenbeispieles zeigen wir, dass die Umkehrung von Aussage
(a) falsch ist und dass auf die Forderung der Unabhängigkeit in Aussage (b)
nicht verzichtet werden kann.
16
Sei Ω = [0, 1], F = B[0,1] und bezeichne P das Lebesgue-Maß. Wir betrachten die Folge
1
An = 0,
, n ∈ N.
n
T
Offenbar gilt An ↓ in n, wenn n → ∞, also lim supn→∞ An = ∞
n=1 An = ∅,
und folglich
lim sup = 0.
n→∞
Allerdings gilt
∞
X
P (An ) =
n=1
∞
X
1
= ∞.
n
n=1
Die Umkehrung von Aussage (a) ist somit im Allgemeinen falsch. Betrachten
P
wir Aussage (b), so erkennt man, dass aus der Bedingung ∞
n=1 P (An ) = ∞
nicht lim supn→∞ An = 1 folgt. Die Unabhängigkeit der Folge (An )n∈N ist also
wesentlich.
In Bauer [3], S. 74, findet sich ein Beweis einer auf Paul Erdős und Alfréd
Rényi zurückgehenden Verschärfung des Lemmas von Borel-Cantelli. Danach
genügt es, paarweise Unabhängigkeit der Folge (An )n∈N zu fordern.
Gegenbeispiel 9 (Unabhängige und erschöpfende Familien von Ereignissen). Sei (Ω, F, P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum und (Ai )i∈Λ eine Familie von
Ereignissen, wobei Λ eine beliebige nicht-leere Indexmenge bezeichne. Eine
solche Familie heißt unabhängig, falls für jedes k ≥ 2 und jede Wahl von
Ereignissen Ai1 , Ai2 , . . . , Aik mit i1 , i2 , . . . , ik ∈ Λ gilt, dass
P
k
\
!
A ij
=
j=1
k
Y
P (Aij ).
j=1
Eine Familie (Ai )i∈Λ ist also genau dann unabhängig, wenn jede endliche Teilfamilie gemeinsam unabhängig im Sinne von (3.2) ist. Sie heißt erschöpfend,
falls
!
[
P
Ai = 1.
i∈Λ
Es erhebt sich nun die Frage, ob die Familie (Ai )i∈Λ sowohl unabhängig
17
als auch erschöpfend sein kann. Wir unterscheiden zwei Fälle, und zwar den
Fall einer endlichen und einer unendlichen Indexmenge Λ.
Sei die Indexmenge Λ zunächst endlich. Unter der Annahme, dass (Ai )i∈Λ
eine unabhängige Familie sei, folgt die Unabhängigkeit der komplementären
Familie (Aci )i∈Λ , siehe etwa Klenke [7], S.52. Mithin gilt
!
P
[
Ai
!
=1−P
i∈Λ
\
Ai
=1−
i∈Λ
Y
P (Aci ).
i∈Λ
Offensichtlich kann die Familie (Ai )i∈Λ nicht erschöpfend sein, falls P (Aci ) > 0
für alle i ∈ Λ. Allerdings, falls es ein i ∈ Λ gibt mit P (Aci ) = 0, so ist
P (Ai ) = 1 und Ai = Ω . Nur in diesem trivialen Fall kann eine endliche Familie unabhängiger Ereignisse erschöpfend sein. Selbstverständlich kann eine
endliche Familie (Ai )i∈Λ auch erschöpfend sein, ohne dass ihr die Eigenschaft
der Unabhängigkeit zukommt.
Sei nun Λ = N. Wir konstruieren zwei verschiedene unabhängige Familien
von Ereignissen, sodass eine davon erschöpfend ist und die andere nicht.
Man wähle eine beliebige Zahl x ∈ [0, 1] aus. Sei Ai das Ereignis, dass die
i-te Stelle in der binären Darstellung der Zahl x gleich 0 ist. Offenbar ist die
Famliie (Ai )i∈N unabhängig und ferner gilt P (Ai ) = 12 für jedes i ∈ N. Somit
folgt
∞
X
= ∞.
i=1
Das Lemma von Borel-Cantelli liefert nun
!
∞
[
P
Ai = 1.
i=1
Demnach ist die Familie (Ai )i∈N unabhängig und erschöpfend.
Darauf aufbauend betrachten wir als weiteres Beispiel die Familie (Bi )
definiert durch
Bi =
s
\
j=r
Aj
1
wobei r = i(i − 1) + 1,
2
18
1
s = i(i + 1).
2
B1 ist das Ereignis, dass die erste Stelle in der binären Darstellung der Zahl
x gleich 0, B2 das Ereignis, dass die zweite und dritte Stelle gleich 0 sind, B3
das Ereignis, dass die nächsten drei Stellen gleich 0 sind, und so fort. Wegen
P (Bi ) = 2−i erhalten wir
∞
X
P (Bi ) < ∞,
i=1
weshalb mit (Bi ) zwar eine unabhängige, jedoch keine erschöpfende Familie
von Ereignissen vorliegt, denn es gilt wiederum nach dem Lemma von BorelCantelli, dass
!
∞
[
P
Bi < 1.
i=1
Die vorangehenden Beispiele lehren, dass keine allgemeine Aussage über
unabhängige und erschöpfende Familien von Ereignissen getroffen werden
kann.
19
Kapitel 4
Coda
I can illustrate the method from Wittgenstein’s later way of discussing problems. He once greeted me with the question: ‘Why do
people say that it was natural to think that the sun went round
the earth rather than that the earth turned on its axis?’ I replied:
‘I suppose, because it looked as if the sun went round the earth.’
‘Well,’ he asked, ‘what would it have looked like if it had looked
as if the earth turned on its axis?’
(Anscombe [1], S. 155)
4.1
Zweifelhaftes
Wahrscheinlichkeitstheorie wird an der Technischen Universität Wien im Studienzweig Mathematik in einer dreistündigen Veranstaltung über die Dauer
von zwei Semestern gelehrt. Inhalt ist dabei nicht nur die Wahrscheinlichkeitstheorie, sondern auch die zugrundeliegende Maß- und Integrationstheorie. Manch einer mag Zweifel hegen, ob zwei Semester ausreichen, um derart
umfangreiche Themenkreise der Mathematik gebührend zu behandeln. Gewiss aber sollte eine Behauptung aus dem Kusolitsch [8], das der Lehrveranstaltung als Grundlage dient, Zweifel wecken. Auf S. 131 heißt es sinngemäß:
Es ist f genau dann integrierbar, wenn |f | integrierbar ist.
20
Dass die Bedingung der Messbarkeit von f nicht entbehrlich ist, belegt das
folgende schlichte Gegenbeispiel, entnommen aus Elstrodt [4], S. 130. Es seien
(Ω, F, P ) = (R, L, λ), A ⊂ [0, 1], A 6∈ L, B := [0, 1]\A, f := χA −χB . Dann ist
|f | = χ[0,1] integrierbar, aber f ist nicht messbar, also auch nicht integrierbar.
4.2
Sonderbares
Die englischsprachige Wikipedia beinhaltet eine List of disproved mathematical ideas 1 , die sonderbare Geschehnisse aus der Welt der Mathematik offenbart. Die Darstellung zweier solcher Begebenheiten möge die Erörterung
von Gegenbeispielen abrunden.
Kuriosum 1. Der britische Mathematiker Erik Christoper Zeeman, der sich
mit Topologie und der Theorie dynamischer Systeme beschäftigt, gab sich
über die Dauer von sieben Jahren dem Versuch hin zu zeigen, dass man einen
Knoten auf einer 4-Spähre nicht lösen könne. Eines Tages aber entschloss er
sich, das Gegenteil zu beweisen. Dieser Entschluss war innerhalb weniger
Stunden von Erfolg gekrönt.
Kuriosum 2. Angeblich werden mathematische Resultate erst anerkannt,
nachdem sie einer gründlichen Prüfung unterzogen worden sind. Das Gegenteil belegt ein im Jahre 1961 von Jan-Erik Roos veröffentliches Theorem,
das besagt, dass eine [AB4∗ ] abelsche Kategorie, lim1 auf Mittag-Leffler Folgen verschwindet. Was auch immer der genaue der Inhalt dieser Aussage
sein mag, das Theorem wurde - obwohl es bereits von vielen Mathematikern Verwendung fand - im Jahre 2002 von Amnon Neeman anhand eines
Gegenbeispieles widerlegt.
1
https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_disproved_mathematical_ideas
21
Literaturverzeichnis
[1] Anscombe, Elizabeth. An Introduction to Wittgenstein’s Tractatus. Second Edition. New York: Harper & Row, 1963.
[2] Bauer, Heinz. Maß- und Integrationstheorie. Erste Auflage. Berlin:
Walter de Gruyter, 1992.
[3] Bauer, Heinz. Wahrscheinlichkeitstheorie. Vierte Auflage. Berlin: Walter de Gruyter, 2002.
[4] Elstrodt, Jürgen. Maß- und Integrationstheorie. Siebte Auflage. Berlin:
Springer, 2011.
[5] Gettier, Edmund. Ist gerechtfertige, wahre Meinung Wissen? In Analytische Philosophie der Erkenntnis, hrsg. v. Peter Bieri. Frankfurt am
Main: Athenäum, 1987, S. 91-93.
[6] Kant, Immanuel. Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. v. Ingeborg Heidemann. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1966, S. 449-451.
[7] Klenke, Achim. Wahrscheinlichkeitstheorie. Dritte Auflage. Berlin:
Springer, 2013.
[8] Kusolitsch, Norbert. Maß- und Wahrscheinlichkeitstheorie. Zweite Auflage. Berlin: Springer, 2014.
[9] Popper, Karl. Logik der Forschung. In Wissenschaftsphilosophie, hrsg.
v. Volker Gardenne und Aldo Visintin. Freiburg: Alber, 1999, S. 87-105.
22
[10] Russell, Bertrand. The Principles of Mathematics. Reissued Edition.
New York: W. W. Norton & Company, 1996, S. 101-107.
[11] Stoyanov, Jordan. Counterexamples in Probability. Third Edition. New
York: Dover Publications, 2013.
23