Wie Synergiepotenzial optimal genutzt wird

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Management
Synergien
Wie Synergiepotenzial optimal
genutzt wird
Wer die vier Typen von Synergien kennt und nutzt, hat gegenüber der Konkurrenz
die Nase vorn. _ V O N G Ü N T E R M Ü L L E R - S T E W E N S U N D M A T T H I A S B R A U E R
Aufholpotenzial: In vielen
Konzernen werden Synergien nicht genutzt. Der Grund: Viele
Führungskräfte haben ein verengtes Synergieverständnis und verfügen nicht
über die notwendigen Kompetenzen.
Die Autoren zeigen, wie diese Defizite
beseitigt werden können.
In Kürze
PROF. DR . GÜ N T ER
M Ü L L E R - S T E W E N S ist
Direktor des Instituts für Betriebswirtschaft an der Universität
St. Gallen.
[email protected]
P rof . D r . M A T T H I A S
B R A U E R ist Assistenzprofessor
für Strategisches Management an
der Universität St. Gallen.
[email protected]
D
er Begriff der Synergien ist in
vielen Konzernen zu einem Unwort geworden, weil sich viele
diversifizierte Unternehmen an ehrgeizigen Synergienprogrammen die Finger
verbrannt haben. Für diese Entwicklung gibt es zwei wesentliche Ursachen:
Erstens ist in vielen Unternehmen ein
viel zu verengtes Synergienverständnis
anzutreffen. Zweitens fehlt häufig das
Know-how des Managements, um
Synergiepotenziale tatsächlich zu realisieren. Deshalb liegen die erzielten Resultate von Synergieprogrammen in der
Regel weit unter den zudem noch häufig unrealistischen Zielvorgaben, die
man von Unternehmensseite an Aktionäre und Kapitalmarktakteure kommunizierte.
In Zeiten der «kundenzentrierten
Organisation», der «One Firm»-Ansätze, des «One Stop Shopping» oder der
«integrierten Problemlösung» kann
eine solche Ausblendung der Synergienthematik bzw. eine verengte Sichtweise auf einzelne Synergietypen die
Wettbewerbssituation eines diversifizierten Unternehmens wesentlich
schwächen. Diese Ansätze sind nur
dann wertsteigernd, wenn es gelingt, in
diversifizierten Mehr-Geschäfts-Unternehmen (MGU) Synergien zu realisieren. Die Realisierung ist aber letztlich
nur die notwendige Bedingung zur Umsetzung dieser Konzepte. Als hinreichende Bedingung muss gelten, dass der
durch die Synergierealisierung erzielte
Mehrwert die Management- und Koordinationskosten, die bei der Synergie‑
realisierung anfallen, übersteigt. Die
Autoren vertreten die Auffassung, dass
eine Unternehmensgruppe, die über die‑
se Fähigkeit zum Synergienmanagement verfügt, ein wesentliches Differenzierungspotenzial im Wettbewerb
hat. Als Beispiel mögen hier die Vorteile
dienen, die Audi im Wettbewerb mit
BMW und Mercedes aus seiner Zugehörigkeit zur VW-Gruppe ziehen kann.
Den beiden Ursachen für die oft negative Besetzung des Synergienbegriffs
und das Scheitern von Synergienprogrammen sind Mitarbeitende des Instituts für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen in verschiedenen Forschungsprojekten auf die Spur gekommen. Daraus können zwei Resultate beziehungsweise Empfehlungen abgeleitet werden:
1. Fehlende
­Ausdifferenzierung
Die empirischen Forschungsstudien
zeigen, dass Manager oft ein sehr verengtes Synergieverständnis haben: Es
wird nur an operative Synergien gedacht – und dabei erfolgt eine Schwerpunktsetzung auf Effizienzsynergien.
Im Kern lassen sich indes vier Arten von
Synergien unterscheiden (vgl. Abb. 1
auf Seite 32). Neben den operativen Syn‑
ergien kann eine Unternehmensgruppe
versuchen, über Management-, Marktmacht- sowie finanzielle Synergien
Wettbewerbsvorteile zu realisieren. Dabei sind die finanziellen Synergien Standard und stellen einen Nebeneffekt dar,
io new management Nr. 9 | 2010
Synergien
Gemeinsam höhere Ziele erreichen: Möglichkeiten, die sich aus der Zusammenarbeit
ergeben, gilt es zu nutzen. Illustration: Lorenz Meier
da sie die Wertschöpfung der Geschäfte
kaum tangieren. Deutlich seltener wird
über Managementsynergien nachgedacht, obgleich sie interessante Möglichkeiten bieten. Auch bei den operativen Synergien holen erst aktuell die
Wachstums- gegenüber den Kostensynergien auf. Im Folgenden werden die
vier Typen erläutert.
Operative Synergien sind Vorteile für
die Geschäfte eines MGUs, die sich aus
der gemeinsamen Nutzung operativer
Ressourcen in verschiedenen Geschäften ergeben. Die damit einhergehenden
operativen Verbundeffekte können sowohl zu Effizienz- als auch zu Wachstumsvorteilen führen. Der Mechanismus zur Realisierung operativer Syner-
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gien besteht aus dem Teilen (z. B. gemeinsamer Vertrieb), Transferieren (z. B. ein
in einem Bereich bewährtes Key Account
Management System) und Kombinieren
(z. B. gemeinsame Produktentwicklung
auf Basis kombinierter Fähigkeiten aus
mehreren Geschäften) von Ressourcen
zwischen Geschäftseinheiten.
Mit anderen Worten: Die Synergien
erwachsen aus einer horizontalen Koordination der Geschäfte und kommen
nur zustande, wenn die Bereitschaft für
eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit vorhanden ist. Abb. 2 auf Seite 32
zeigt aus einer aktuellen Studie von 97
Schweizer Konzernen, wo die Kostenund Wachstumssynergien künftig zu
erwarten sind. Besonders die Realisie-
Management
rung von Wachstumssynergien stellt
für das Management eine besondere
Herausforderung dar, da sie gegen die
Eigendynamik der vertikalen Geschäftssilos antreten. Um die Grenzen für eine
bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu überschreiten, reichen individuelle Kompetenzen nicht aus. Vielmehr
muss dafür erst das notwendige soziale
Kapital zwischen Mitarbeitern, die zusammenarbeiten sollen, entwickelt
werden. Nicht selten fehlen dazu die erforderlichen Erfahrungen und Kompetenzen im Management.
Deutlich weniger präsent in den
Köpfen von Führungskräften sind die
Managementsynergien. Sie sind weniger einschneidend in die operativen
Wertschöpfungsprozesse als die operativen Synergien, bieten aber interessante Perspektiven, sich im Wettbewerb
der Unternehmensgruppen zu differenzieren. Managementsynergien sind Vorteile, die sich aus bestimmten Fähigkeiten, die auf der Gruppenebene – meist
in einem Corporate Center – angesiedelt
sind, für die Geschäfte ergeben. Der Mechanismus zur Realisierung von Managementsynergien ist das vertikale Infundieren bestimmter Fähigkeiten vom
oder über das Corporate Center in die
Geschäftseinheiten. Als Beispiel kann
die Fähigkeit zum Management von Luxusmarken genannt werden, die auf der
Konzernebene von Luxusgüterkonzernen wie LVMH, PPR oder Richemont angetroffen werden kann. Ein anderes Beispiel ist die Fähigkeit zur Marktforschung, die ein Handelskonzern wie
Tesco seinen Geschäften zu deren Vorteil zur Verfügung stellt.
Im Unterschied zu operativen Synergien, bei denen die horizontale Verflechtung zwischen den Wertketten der einzelnen Geschäftseinheiten im Mittelpunkt steht, fokussieren Managementsynergien auf die vertikale Beziehung
zwischen der Konzernebene und den
einzelnen Geschäftseinheiten. Wäh-
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Synergien
rend operative Synergien auf der Gleichartigkeit oder Komplementarität von
Ressourcen basieren, ist das Fundament
von Managementsynergien der Fit zwischen den Fähigkeiten des Konzernmanagements und den strategischen Bedürfnissen der einzelnen Geschäfte. So
kann ein mittelständischer Uhrenmacher wie IWC beispielsweise vom
Know-how seiner Mutter Richemont
über die internationale Etablierung und
den Vertrieb von Marken profitieren.
Finanzielle Synergien sind Vorteile
eines MGUs, die sich aus der Reduktion
des Gesamtrisikos, dem günstigeren Zugang zu Kapital und dessen optimierender Allokation sowie der Besteuerung (tax shield) ergeben. Der dominante Mechanismus zur Realisierung
ist die Konfiguration des Portfolios der
Geschäfte.
Marktmachtsynergien sind Vorteile
eines Konzerns, die sich aus der Ausnutzung einer stärkeren Marktmacht
und der damit verbundenen Reduktion
des Wettbewerbs ergeben. Der Mechanismus zur Realisierung von Marktmachtsynergien sind Absprachen zwischen den Geschäftseinheiten. Schon
klassisches Beispiel ist die Nutzung der
Monopolmacht von Microsoft im Betriebssystem-Geschäft (Windows), um
Quelle: Knoll, S. (2008); Müller-Stewens, G.; Brauer, M. (2009)
Management
Abb. 1: Synergietypen
Operative Synergien
Managementsynergien
Corporate Center
Corporate Center
Infundieren
von Fähigkeiten
Teilen/Transferieren/Kombinieren
operativer Ressourcen
SGE 1
SGE 2
SGE 3
SGE 1
SGE 2
SGE 3
Marktmachtsynergien
Finanzielle Synergien
Corporate Center
Corporate Center
Konfigurieren des Portfolios
Absprachen zwischen
den Geschäftseinheiten
SGE 1
SGE 2
SGE 3
SGE 1
SGE 2
SGE 3
SGE = Strategische Geschäftseinheit
Managementsynergien werden noch kaum genutzt, bieten aber interessante Möglichkeiten.
Vorteile gegenüber Netscape im Internetbrowser-Geschäft (Explorer) zu erlangen.
Ziel eines jeden Führungsteams
sollte sein, sich der vier Synergietypen
bewusst zu werden, sie in ihrer Gesamtheit zu betrachten, um sie dann gezielt
zu adressieren. Zum anderen ist jeder
Typ mit spezifischen Managementherausforderungen verbunden, derer sich
ein Gruppenmanagement vorab bewusst sein muss, damit es die für eine
erfolgreiche Synergienrealisierung erforderlichen Vorkehrungen treffen
kann. Insbesondere gilt dies für die Realisierung operativer Synergien, da dort
die Interventionen in die Autonomie
der einzelnen Geschäftseinheiten am
einschneidendsten sind. Oft fehlt es an
den entsprechenden Managementkom-
Abb. 2: Kosten- und Wachstumssynergien im Überblick
Bedeutung von Kostensynergien
1
2
3
3.39
IT
Human Resources
F&E
4
3.83
2.86
3.31
Bedeutung von Wachstumssynergien
5
1
2
3
Dachmarke/
koordiniertes Marketing
Bundling von Produkten/
Dienstleistungen
4
5
3.01
3.60
2.96
3.50
2.73
3.16
3.29
3.61
Supply Chain Management/
Logistik
Mittelwerte: 1 = unbedeutend; 5 = sehr bedeutend
3.20
Best Practice Transfer
Cross-Selling/Weitergabe
von Kundenbeziehungen
Vergangene 3 Jahre
Nächste 5 Jahre
Gemeinsame
Produktentwicklung
2.91
2.70
3.81
3.47
3.13
Wachstumssynergien sind schwieriger umzusetzen als Kostensynergien.
io new management Nr. 9 | 2010
Quelle: Müller-Stewens, G.; Menz, M.; Lochbrunner, V. (2010)
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Abb. 3: Erfolgs- und Hemmfaktoren von Synergieninitiativen
Commitment und Glaubwürdigkeit des Managements
Vertrauen zwischen den Geschäftseinheiten
Aktiver und früher Einbezug der SGE in die Initiativen
Interne Kommunikation
Konsequentes Monitoring & Controlling
Unterstützung der SGE durch die Unternehmenszentrale
Incentivierung der Zusammenarbeit
Wertsteigernde Zusammenarbeit als strat. Ziel
Vollzeit Integrationsmanager/Projektteam zur Koordination
Priorisierung der Zusammenarbeit ggü. anderen Aktivitäten
Regelungen/Schiedsgerichte zur Konfliktschlichtung
Integration in bestehende Unternehmensprogramme
Interne Schulungsprogramme zu Koordination
62%
52%
48%
43%
39%
33%
29%
28%
10%
8%
0%
Interessenkonflikte/Zielkonflikte
Operative Überlastung der Geschäftseinheiten
Mangelndes Vertrauen
Keine oder nur unzureichende Incentivierung
Zu geringes Commitment des Managements
Mangelnde Integration in existierende Prozesse
Zu viele oder zu komplexe Koordinationsmechanismen
Keine Verknüpfung mit der Unternehmensstrategie
Keine Konkretisierung durch Business Case
Keine Kommunikation von Erfolgsbeispielen
Schwaches Initiativenmanagement
Unterschiedliche unternehmensweite Begrifflichkeiten
Mangelnde Fähigkeiten der Koordinationsverantwortlichen
Zu wenig Unterstützung durch die Unternehmenszentrale
10%
18%
17%
16%
20%
Erfolgsfaktoren
geschäftseinheitenübergreifender
Zusammenarbeit
(Anteil der Unternehmen in Prozent; n = 109)
30%
40%
50%
60%
53%
70%
58%
45%
38%
32%
17%
15%
14%
13%
12%
10%
9%
7%
4%
Hemmfaktoren
geschäftseinheitenübergreifender
Zusammenarbeit
(Anteil der Unternehmen in Prozent; n = 109)
Wer die Erfolgs- und Hemmfaktoren kennt, kann Synergien besser umsetzen.
petenzen. Das führt zur zweiten Ursache für die skeptische Haltung gegen‑
über Synergien und das häufige Scheitern von Synergienprogrammen.
2. Unzureichende
Managementkompetenzen
Das Konzernmanagement macht sich
keine leichte Aufgabe, wenn es mit einer Synergieninitiative auf die Tochtergesellschaften oder Geschäftseinheiten
zugeht: Skepsis gegenüber dem Nutzen
dominieren, oft begründet durch vergangene Erfahrungen. Befürchtungen
einer lähmenden Zentralisierung und
Bürokratisierung werden als Argumente angeführt. Ebenfalls wird der damit verbundene Eingriff in die Eigenverantwortlichkeit der Geschäftsführungen nicht begrüsst.
Wird also eine Synergieninitiative
gestartet, so muss der «Business Case»,
über den sie sich gegenüber den Geschäften legitimiert, überzeugend sein und
das Konzernmanagement muss über die
Fähigkeiten zum Handhaben einer sol-
io new management Nr. 9 | 2010
chen Initiative verfügen. Dazu gehört
das Wissen und Bewusstsein der wichtigsten Faktoren, die den Erfolg einer solchen Synergieninitiative bestimmen.
Aus einer dazu durchgeführten Studie
ergaben sich die Erfolgs- und Hemmfaktoren auf Abbildung 3 auf dieser Seite,
die hinsichtlich ihrer Gültigkeit auf den
Einzelfall zu reflektieren sind.
Synergien richtig nutzen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
sich MGUs ernsthafter und emotionsloser mit dem Thema Synergien auseinandersetzen müssen, wenn sie im
Wettbewerb gewinnen wollen. Viele
Gründe wie komplexere Kundenbedürfnisse, wachsender Kostendruck oder Bedarf an Innovationen sprechen für eine
steigende Relevanz der Thematik.
Synergien zu nutzen ist allerdings
keine leichte Aufgabe. Man wird das
Thema meist nur dann angehen, wenn
es an anderer Stelle keine leichter zu realisierenden Wertsteigerungen gibt.
Hat sich jedoch ein MGU über die Jahre
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Quelle: Müller-Stewens, G.; Knoll, S. (2006)
Management
Synergien
Kompetenz zum Synergienmanagement aufgebaut, so kann sich hieraus
ein Corporate-Wettbewerbsvorteil ergeben. Dafür dürfen Synergien nicht
Selbstzweck sein, sondern es muss
einen Legitimationsdruck zur Darlegung des Netto-Vorteils für Geschäfte
ergeben. ■
Literatur
Bilhuber, E.; Müller-Stewens, G. (2010): Die
Bedeutung des Social Capital für die Strategienrealisierung. In: Business + Innovation, Nr. 1, S. 10-18.
Knoll, S. (2008): Cross-Business Synergies: A Typology of Cross-business Synergies and a Mid-range
Theory of Continuous Growth Synergy Realization. Dissertation Universität St. Gallen.
Müller-Stewens, G.; Brauer, M. (2009): Corporate Strategy & Governance, Wege zur nachhaltigen Wertsteigerung im diversifizierten Unternehmen. Schäffer-Poeschel, Stuttgart.
Müller-Stewens, G.; Knoll, S. (2006): Smart Linking: Steigerung von Wachstum und Profitabilität
durch innovatives Geschäftseinheiten-übergreifendes Synergiemanagement. Studie der Universität
St. Gallen.
Müller-Stewens, G.; Menz, M.; Lochbrunner, V.
(2010): The future for business in Switzerland.
How to stay ahead by aligning the national and
corporate agendas. Gemeinsame Studie der Universität St. Gallen und Deloitte.