Wieviel direkte Demokratie brauchen wir? Demokratiekongress Dresden Internationales Congress Center Dresden 16. Mai 2015 Inhalt Vorwort............................................................................... Seite 5 Prof. Dr. Jochen Rozek Vita.................................................................................... Seite 6 „Zur Ausgestaltung der Volksgesetzgebung in der Sächsischen Verfassung – Status quo und Reformbedarf“.......... Seite 7 Dr. iur. Peter Neumann Vita.................................................................................... Seite 10 „Thesen zum Beitrag: ,Unmittelbare Sachentscheidungen in Deutschland.‘“.................................................................. Seite 11 Robert Nef Vita.................................................................................... Seite 14 „Praxis der Volksabstimmungen in der Schweiz“...................... Seite 15 Univ.-Prof. Dr. iur. Hans Herbert von Arnim Vita.................................................................................... Seite 18 „Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache: Kontrolle durch direkte Demokratie und Verfassungsgerichte“................. Seite 19 Prof. Dr. Werner J. Patzelt Vita.................................................................................... Seite 20 „Referat“............................................................................. Seite 22 3 Vorwort Das Thema „Direkte Demokratie“ ist aktueller denn je. Umfragen zeigen, dass sich immer mehr Menschen mit Ihrer Meinung in Politik und Medien nicht mehr vertreten fühlen. Viele Bürger wollen bei wichtigen Entscheidungen selbst gefragt werden und haben das Vertrauen in die repräsentative Demokratie verloren. Diese Bürger fordern Volksentscheide nach Schweizer Vorbild. Sie vermuten, dass bei einer direkten Abstimmung, z.B. über Euro oder Zuwanderung, die Ergebnisse anders aussehen würden, als derzeit vom politischen System durchgesetzt. Mehr direkte Demokratie ist auch ein politisches Ziel der sächsischen AfD-Fraktion. Sie bereitet parlamentarische Initiativen zu diesem Thema vor. Am 16. Mai 2015 lud deshalb die sächsische AfD-Fraktion deutschlandweit anerkannte Wissenschaftler zu ihrem ersten Kongress ein mit dem Titel „Wieviel direkte Demokratie brauchen wir?“, um aus den Referaten wichtige Impulse für die zukünftige parlamentarische Arbeit zu gewinnen. Über 430 Teilnehmer reisten aus ganz Deutschland an und erlebten Diskussionen auf hohem Niveau. VIP-Empfang zum Kongress im Restaurant Chiaveri 4 Die sächsische AfD-Fraktionsvorsitzende Dr. Frauke Petry eröffnete den Kongress und zog am Ende Resümee. Zahlreiche AfD-Landesvorsitzende hielten ein Grußwort. Ein erlesenes Mittagsbuffet und ein Stehempfang nach dem Kongress rundeten die gelungene Veranstaltung im Dresdner Kongresszentrum ab. 5 Prof. Dr. Jochen Rozek Zur Ausgestaltung der Volksgesetzgebung in der Sächsischen Verfassung – Status quo und Reformbedarf. Universität Leipzig [email protected] Prof. Dr. Jochen Rozek Universität Leipzig Vita • • • • • • • • • • • • • • 6 Geburtsjahrgang: 1960 Geburtsort: Oberhausen 1970-1979: Heinrich-Heine-Gymnasium Bottrop, Abitur 1979-1982: Berufsausbildung zum Bankkaufmann bei der Stadtsparkasse Bottrop 1982-1983: Grundwehrdienst WS 1983/1984-WS 1987/1988: Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Passau ab WS 1985/1886: Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes Januar 1988: Erste Juristische Staatsprüfung in Passau (Examenstermin 1987/2) 1988-1991: Juristischer Vorbereitungsdienst im OLG-Bezirk München Januar 1991: Zweite Juristische Staatsprüfung im Freistaat Bayern (Examenstermin 1990/2) 1991-1996: Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Wirtschaftsverwaltungsrecht der Universität Passau (Prof. Dr. Herbert Bethge) 1992: Promotion 1996: Habilitation 1996-1998: Oberassistent am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Wirtschaftsverwaltungsrecht der Universität Passau • SS 1997: Vertretung des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Verwaltungs-, Wirtschaftsund Umweltrecht an der Juristischen Fakultät der TU Dresden • 1998-2008: Lehrstuhl für Öffentliches Recht unter besonderer Berücksichtigung von Verwaltungsrecht an der Juristischen Fakultät der TU Dresden • seit WS 2008/2009: Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Verfassungsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Juristenfakultät der Universität Leipzig • seit 2000: Dozent an der Akademie für öffentliche Verwaltung des Freistaates Sachsen • seit 2005: Stellvertretender Richter am Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen • seit WS 2013/2014: Dekan der Juristenfakultät Mitgliedschaften • • • • • Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer e.V. Societas Iuris Publici Europaei e.V. Deutscher Hochschulverband Dresdner Juristische Gesellschaft e.V. Institut für Verwaltung und Verwaltungsrecht in den neuen Bundesländern e.V. Welche Möglichkeiten dem Volk zustehen, sich im Einzelfall nicht allein auf die Wahrnehmung seiner Interessen durch die gewählten Vertreter „verlassen“ zu müssen, sondern selbst unmittelbaren Einfluss nehmen zu können, ist ein nicht unwesentlicher Faktor für die Akzeptanz einer repräsentativen parlamentarischen Demokratie. Ihre Ergänzung um direktdemokratische Elemente erweist sich zugleich als ein probates Mittel gegen Staats- und Politikverdrossenheit. Im Gegensatz zum Grundgesetz erkennt die Sächsische Verfassung Landtag und Volk als gleichberechtigte Legislativorgane an (Art. 3 Abs. 2 S. 1 und Art. 70 Abs. 2 SächsVerf). Mit der Aufnahme der Volksgesetzgebung hat der Verfassungsgeber sich dafür entschieden, dem Landtag den Volksgesetzgeber unmittelbar und gleichberechtigt an die Seite zu stellen. Er hat ganz bewusst ein Spannungsverhältnis zwischen parlamentarischer Gesetzgebung und Volksgesetzgebung institutionalisiert. Beide Gesetzgeber können sich wechselseitig korrigieren. Der Volksgesetzgeber kann eigene Prioritäten setzen, aber über kassatorische Volksentscheide auch Veränderungen oder gar Aufhebungen der Entscheidungen des parlamentarischen Gesetzgebers herbeiführen. Ebenso kann aber der Volksgesetzgeber durch den parlamentarischen Gesetzgeber korrigiert werden. Gesetze der Volksgesetzgebung haben keinen anderen Rang als die des parlamentarischen Gesetzgebers. Sie unterliegen auch denselben Zuständigkeitsgrenzen: Die Gesetzgebungsbefugnisse des Volkes reichen nicht weiter als die des Landtages. Es ist dem Volksgesetzgeber daher ebenfalls verwehrt, Regelungen im Bereich von bundes- und europarechtlichen Zuständigkeiten zu treffen. Zusammenfassung des gleichnamigen Referates auf dem Demokratiekongress Nach Art. 73 Abs. 1 SächsVerf sind zudem „Abgaben-, Besoldungs- und Haushaltsgesetze“ der Volksgesetzgebung entzogen. Der Sächsische Verfassungsgerichtshof hat dazu klargestellt, dass unter dem Begriff des Haushaltsgesetzes nicht etwa jedes finanzwirksame Gesetz mit haushaltsrelevanten Folgewirkungen fällt, sondern eben nur das Gesetz über den Landeshaushalt, das den Haushaltsplan feststellt (Art. 93 SächsVerf). Es liegt in der Logik der auf Sachfragen bezogenen Volksgesetzgebung, dass sie materielle Vorgaben für den Haushaltsgesetzgeber schafft; anders ist Volksgesetzgebung angesichts der finanziellen Folgewirkungen nahezu aller Gesetze ernsthaft heute nicht denkbar. Von daher ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass der sächsische Volksgesetzgeber im Unterschied zur Situation in anderen Bundesländern keinem umfassenden sog. „Finanztabu“ unterliegt. Auch im Übrigen erfüllt die Ausgestaltung der Volksgesetzgebung im Freistaat Sachsen bereits gegenwärtig viele Prüfsteine, die verbreitet an eine bürgerfreundliche Direktdemokratie gestellt werden: Das gilt für die freie Unterschriftensammlung („Straßensammlung“) mit ausreichend bemessenen Fristen ebenso wie für den Verzicht auf Mindestzustimmungs- und Mindestbeteiligungsquoren bei Volksentscheiden über einfache Gesetze („Mehrheit entscheidet“). Wenn die Volksgesetzgebung im Freistaat Sachsen gleichwohl seit inzwischen weit mehr als einem Jahrzehnt in eine Art „Dornröschenschlaf“ gefallen ist, dann lassen sich hierfür namentlich zwei Ursachen identifizieren, die insofern einen manifesten Reformbedarf indizieren: Zum einen ist das vom Verfassungsgeber gewählte dreistufige Volksgesetzgebungsverfahren (Volksantrag – Volksbegehren – Volksentscheid) in organisatorischer wie zeitlicher Hinsicht vergleichsweise aufwendig. Vor allem 7 Zur Ausgestaltung der Volksgesetzgebung in der Sächsischen Verfassung – Status quo und Reformbedarf. (Prof. Dr. Jochen Rozek) in zeitlicher Hinsicht verlängert dieses dreistufige Verfahrenden Ablauf eines Volksgesetzgebungsverfahrens bis hin zum Volksentscheid drastisch. Die 2 Initiatoren stehen hier typischerweise vor dem Problem, das Interesse und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit über einen mehrjährigen Zeitraum aufrechtzuerhalten, was – die bisherigen Erfahrungen lehren es – nur in den seltensten Fällen gelingen wird. Angezeigt ist deshalb der Übergang zu einem zweistufigen Verfahren (Volksbegehren – Volksentscheid) nach u.a. bayerischem Vorbild – ein Verfahren übrigens, das für Plebiszite auf kommunaler Ebene in Gestalt von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid auch in Sachsen längst erfolgreich Anwendung findet. Der für das dreistufige Verfahren demgegenüber einst reklamierte Vorteil, dass die Volksgesetzgebung sehr schnell zum Ziel führe, wenn sich der Landtag den Volksantrag zu eigen mache (Art. 72 Abs. 1 SächsVerf), hat sich in der Praxis als illusorisch erwiesen: Von den bislang acht beim Landtagspräsidenten eingereichten Volksanträgen wurde nicht ein einziger vom Landtag beschlossen. Darüber hinaus lässt sich eine entsprechende Option ohne weiteres auch in ein nur zweistufiges Verfahren einbauen. Zum anderen zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass das derzeitige Unterschriftenquorum für Volksbegehren (15 vom Hundert der Stimmberechtigten oder 450.000 Stimmen) eine allzu hohe Hürde darstellt. Drei der vier tatsächlich durchgeführten Volksbegehren wurden wegen nicht ausreichend vieler Unterschriften Prof. Dr. Jochen Rozek 8 für gescheitert erklärt. Die Vorbehalte gegen die Höhe dieses Quorums verstärken sich noch, wenn man die demographische Entwicklung des Freistaates in den Jahren seit 1992 einbezieht. Geboten ist daher eine deutliche Absenkung des Unterschriftenquorums, zumindest eine Anpassung an die demographische Entwicklung. Der von den Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in den 6. Sächsischen Landtag eingebrachte Entwurf eines verfassungsändernden „Gesetzes zur Stärkung der direkten Demokratie im Freistaat Sachsen“ weist insoweit in die richtige Richtung („mindestens 175.000, jedoch nicht mehr als fünf vom Hundert der Stimmberechtigten“). Armin Paul Hampel, Vorsitzender AfD Landesverband Niedersachsen, mit Grußwort an die Kongressteilnehmer Parl. Geschäftsführer der AfDFraktion Uwe Wurlitzer und Fraktionsmitarbeiterin Martina Kirsch verteilen Unterlagen zum laufenden Redebeitrag Die Kombination beider Reformanliegen dürfte eine realistische Aussicht bieten, das vom Verfassungsgeber intendierte Spannungsverhältnis zwischen parlamentarischer Gesetzgebung und Volksgesetzgebung wieder mit praktischem Leben zu erfüllen und der in diesem Bereich bestehenden Diskrepanz zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit abzuhelfen. Deshalb lohnt es sich allemal, für einen breiten verfassungspolitischen Konsens über diese Punkte zu werben. Für die Umsetzung der Reformansätze bedarf es ohnehin entweder einer verfassungsändernden Mehrheit im Sächsischen Landtag (Art. 74 Abs. 2 SächsVerf) oder eines erfolgreichen Verfassungsreferendums (Art. 74 Abs. 3 SächsVerf). Kongressteilnehmer und Medien verfolgen interessiert die Vorträge der Referenten. 9 RA Dr. iur. Peter Neumann TU Dresden Direktor Deutsches Institut für Sachunmittelbare Demokratie [email protected] Thesen zum Beitrag: „Unmittelbare Sachentscheidungen in Deutschland.“ Dr. iur. Peter Neumann Direktor DISUD an der TU Dresden Vita: • Geburtsjahrgang 1963 • Abitur 1983, Studium und Referendardienst in Trier, Köln, Düsseldorf, Speyer • 1. Staatsprüfung 1990 mit Schwerpunkt Arbeitsrecht, OLG Düsseldorf • Von 1992 bis 2001 Lehrbeauftragter für Staats- und Verwaltungsrecht und juristische Methodik an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen, Abteilung Köln • Seit 1992 weitere wissenschaftliche und Lehrtätigkeiten an den Universitäten in Leipzig und Köln • Seit 1993 diverse Zeitschriften- und Buchveröffentlichungen im Staats-, Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht • 2. Staatsprüfung 1995 mit Schwerpunkt Staats- und Verwaltungsrecht • 1997 bis 2002 Aufbau des Landesverbandes Mehr Demokratie in NRW, zuletzt dessen Landesgeschäftsführer, Bundesvorstand Mehr Demokratie e.V. (19972001), seit 2002 Mitglied des Kuratoriums von Mehr Demokratie e.V. • 1995-2002 Betreiben der Verfassungsänderung in NRW mit der Reform der Volksgesetzgebung und Einführung der Volksinitiative im Jahre 2002 • Seit 1999 zugelassen als Rechtsanwalt beim Landgericht Köln • 1999/2001 Verfassungsprozess Mehr Demokratie e.V. ./. Landesregierung NRW 10 • Seit 2000 Sachverständiger in den Landtagen von Hessen, Nordrhein-Westfalen, im Freistaat Thüringen und im Freistaat Sachsen zu Fragen des Verfassungsund Kommunalverfassungsrechts • Seit 2002 zugelassen als Rechtsanwalt beim Landgericht Dresden • 2001/2002 Beratung des Bürgerbegehrens der Bürgerinitiative pro Hallenbad in Mechernich (NRW) • 2001/2002 Verfassungsprozess Mehr Demokratie in Thüringen ./. Landesregierung Freistaat Thüringen • Seit 2002 Lehrbeauftragter an der Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung in Meißen • 2003/2004 Gutachten Bürgerbegehren Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden e.V. ./. Landeshauptstadt Dresden2003/2004 Rechtsgutachten „Personenbezogene Vermögenseinziehung bei straf- und verwaltungsrechtlicher Rehabilitierung“ zur Vorlage beim Bundesverfassungsgericht und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) • Seit 2003 Lehrbeauftragter an der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden • 2004/2005 Rechtsgutachten „Entschädigung von Haftzwangsarbeit in der DDR“ • Direktor des „DOI-Dresdner-Osteuropa-Instituts“ e.V. seit 2004 • Seit 2004 Direktor des „Deutschen Instituts für Sachunmittelbare Demokratie“ e.V. (DISUD) • Promotion an der Juristischen Fakultät der Universität zu Köln 2006, Dissertation: „SACHUNMITTELBARE DEMOKRATIE im Bundes- und Landesverfassungsrecht unter besonderer Berücksichtigung der neuen Länder.“ (Professor Dr. Michael Sachs , Prof. Dr. Otto Depenheuer ) • 2006 Zulassung am Oberlandesgericht Dresden • 2006 Kanzleigründung Forschungsgegenstand: • • • • • • • Referenden Bürgerbegehren; Bürgerentscheide Volksbegehren; Volksentscheide Bundesrepublik Deutschland Schweiz Kroatien International Schriftleitung Schriftenreihen: • „Studien zur Sachunmittelbaren Demokratie“ (StSD) • „Dresdner Schriften zum Bürgerentscheid“ (DSB) Die Begriffe direkte Demokratie und unmittelbare Demokratie sind austauschbar. In 16 von 17 deutschen Verfassungen ist von unmittelbarer Demokratie bzw. unmittelbaren Wahlen die Rede. Nur in Berlin wird von direkter Demokratie bzw. direkten Wahlen gesprochen. Wahlen sind unmittelbare Personalentscheidungen des Volkes. Abstimmungen sind unmittelbare Sachentscheidungen des Volkes. Man kann daher von direkter Demokratie in Sachfragen (Abstimmungen) auf der einen Seite und direkter Demokratie in Personalfragen (Wahlen) auf der anderen Seite sprechen. Es lassen sich grundsätzlich zwei Formen der unmittelbaren Demokratie in Sachfragen unterscheiden: Initiativen und Referenden. Es gibt eine Vielzahl von Instrumenten sachdirekter bzw. sachunmittelbarer Demokratie. Alle diese Instrumente lassen sich unter diese beiden Fallgruppen einordnen. Bei Initiativen stammt die Vorlage über die entschieden werden soll aus der Mitte der Bürgerschaft oder des Staatsvolkes. Bund/Land: Volksinitiative, Volksantrag, Volksbegehren, Volksentscheid. Kommunal: Bürgerbegehren, Bürgerentscheid. Bei Referenden stammt die Vorlage dagegen aus einem Repräsentativorgan. Schreibt das Gesetz ausdrücklich vor, dass eine Volksabstimmung über eine Vorlage von einem Repräsentativorgan stattzufinden hat, handelt es sich um ein obligatorisches Referendum. Bei fakultativen Referenden finden Volksabstimmungen nur auf einen Antrag hin statt. Man unterscheidet nach den Antragstellern: – Bund/Land: Regierung, Parlament, Bundesrat, Wirtschaftsrat etc. und auch das Volk. – Kommune (Kreis/Gemeinde/Bezirk): Landrat, Bürgermeister, Kreistag, Gemeinderat, Zusammenfassung des gleichnamigen Referates auf dem Demokratiekongress Ortsvorsteher, Ortsvertretung (Ratsreferendum aufgrund Ratsbegehren) und auch der Bürger. Achtung: Der Antrag des Volkes auf Durchführung eines fakultativen Referendums ist keine Initiative! Dieser Antrag des Volkes hat einen eigenen Namen: Referendumsbegehren bzw. Referendumsinitiative. Besondere Fälle des Referendums sind die unverbindlichen konsultativen Referenden. – Finanzreferendum: Gegenstand eines Finanzreferendums ist ein Teil des öffentlichen Haushalts eines Kantons (Bundeslandes, des Bundes) oder einer Gemeinde. Verwaltungs(akt)referendum: Verwaltungsentscheidung – und nicht Gesetz – ist Gegenstand des Referendums. – Konstruktives Referendum: Der Begriff ist ein Oberbegriff, der verschiedenen Modelle eines Gegenentwurfs, der neben einen zur Abstimmung vorgesehenen Entwurf tritt, erfasst. – Territorialreferendum: Volksabstimmung/Bevölkerungsabstimmung Bestand, Zusammenlegung von Staaten, Landesteilen, Gemeinden. über Grenzen, Es gibt zwei Arten von Referenden: Verfassungsändernde Referenden sind durch die vorhandene Verfassung beschränkt, während verfassungsgebende Referenden grundsätzlich ohne begrenzenden Rahmen zur Legitimierung der zu verabschiedenden Verfassung erforderlich sind. Für die staatspolitische Praxis bedeutet das: Wer eine Revolution will, für den sind die verfassungsändernde Volksgesetzgebung (Initiative!) oder das verfassungsändernde Referendum untaugliche Mittel. Wer die Volksgesetzgebung oder das 11 Applaus und Zustimmung für die Redebeiträge Thesen zum Beitrag: „Unmittelbare Sachentscheidungen in Deutschland.“ (RA Dr. iur. Peter Neumann) Referendum über eine Verfassungsänderung betreibt, bewegt sich innerhalb der staatlichen Ordnung und ist an die Verfassung gebunden. Er respektiert die Gewaltenteilung und die Verfassungsgerichte als authentische Interpreten der Verfassung. Es findet gerade keine Revolution statt. Es ist ein bemerkenswerter Befund, dass Referenden im Gegensatz zu Initiativen im Landesverfassungsrecht rudimentär geregelt und selten praktiziert werden. Dort wo fakultative Verfassungs- oder Gesetzesreferenden nominiert sind, fehlt es bis zu „Stuttgart 21“ gänzlich an Staatspraxis. Entsprechende Gesetzesentwürfe mit Vorschlägen zur Ausgestaltung der Initiative wurden immer wieder im Bundestag oder den Länderparlamenten eingebracht. Erstaunlich ist dabei die Abstinenz von Forderungen und Gesetzesvorschlägen zum Referendum. Fakultative Referenden auf Antrag des Volkes und Finanzreferenden sind dort bis 2013 überhaupt kein Thema. Zustimmung in der Bevölkerung zur Entwicklung der Volksrechte in Deutschland Forsa deutschlandweit 05.06.2009: „Sollte es Volksbegehren und Volksentscheide auch für bundespolitische Fragen geben?“ bundesweit für Volksentscheide NEIN 26 % / JA 68 % ARD-Deutschland-Trend deutschlandweit 23.07.2010: bundesweit für Volksentscheide NEIN 21 % / JA 76 % Allensbach deutschlandweit 27.11.2011: 2/3 der Meinung, mit bundesweit für Volksentscheide Volksabstimmungen werde alles besser Forsa deutschlandweit 27.02.2012: Dr. iur. Peter Neumann Volksentscheide und Volksbefragungen sollte es auf NEIN 26 % / JA 74 % Bundesebene geben TNS EMNID deutschlandweit 07.03.2013: Sind Sie für Volksabstimmungen über strittige Themen NEIN 11% / JA 87 % (im Bund)? Die Kongressteilnehmer nutzen die Nachfragerunden im Anschluss an die Redebeiträge Zustimmung der Parteimitgliedschaft Forsa, Differenzierung nach Parteianhängerschaft deutschlandweit 27.02.2012: 12 Anhänger der JA NEIN CDU/CSU 66 34 FDP 66 34 SPD 71 29 Grünen 79 21 Linke 85 15 13 Robert Nef Praxis der Volksabstimmungen in der Schweiz. Schweizer Publizist und Autor [email protected] Robert Nef Publizist und Autor Vita: Veröffentlichungen: • • • • • Bibliographie zum Bau-, Boden- und Planungsrecht der Schweiz, 1968-1975. Institut für Orts-, Regional- und Landesplanung, Zürich 1976 • Robert Nef, Martin Lendi: Staatsverfassung und Eigentumsordnung. Institut für Kommunalwissenschaften und Umweltschutz, Linz 1981 • Lob des Non-Zentralismus. Academia-Verlag, St. Augustin 2001 • Politische Grundbegriffe. NZZ-Verlag, Zürich 2002 • • • • • • • • 14 Geburtsjahrgang: 1942 Geburtsort: St. Gallen Robert Nef studierte Rechtswissenschaften in Zürich und Wien zwischen 1961 und 1991 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Rechtswissenschaft an der ETH Zürich 1979 hat er das Liberale Institut in Zürich gegründet, welches er heute präsidiert von 1994 bis 2008 war er Mitherausgeber der Schweizer Monatshefte er ist Mitglied der Mont Pelerin Society sowie der Friedrich August von HayekGesellschaft und Präsident der Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur 2008 wurde er mit der Hayek-Medaille ausgezeichnet seit 2010 ist er zudem Präsident des Vereins Gesellschaft und Kirche wohin? sowie Stiftungsrat der Stiftung Freiheit und Verantwortung Nef vertritt betont wirtschaftsliberale und staatskritische Positionen für die Zeitschrift „eigentümlich frei“ ist er als Autor tätig und Mitglied des Redaktionsbeirats zu Nefs 70. Geburtstag ist unter dem Titel „Kämpfer für die Freiheit“ eine Festschrift erschienen, u.a. mit Beiträgen von Charles B. Blankart, Christoph Blocher, Peter Forstmoser, Heidi Hanselmann, Konrad Hummler, Václav Klaus, Gerhard Schwarz, Tito Tettamanti, Erich Weede Die in der Schweiz auf lokaler Ebene seit Jahrhunderten und auf nationaler Ebene seit 1874 praktizierte direkte Demokratie der Volksmehrheit (und in Verfassungsfragen eine Volksmehrheit und eine Mehrheit der sehr unterschiedlichen Kantone) ist kein Modell, das sich unverändert auf andere politische Systeme übertragen lässt. Sie ist aber ein erfolgreiches Experiment, das, mit entsprechenden Anpassungen, durchaus auch auf deutsche Verhältnisse übertragbar wäre. Tatsache ist, dass die Parlamente schon bei der Gesetzgebung darauf Rücksicht nehmen, ob die Beschlüsse auch im Sinne der Volksmehrheit seien und einem allfälligen Referendum standhielten. Das Gesetzesreferendum als Volksveto ist wegen seiner präventiv steuernden Wirkung daher das wichtigere und entscheidendere Volksrecht als die Volksinitiative. Es zähmt das Parlament, und hat auch die Tendenz, es gelegentlich zu lähmen. In der Außenpolitik stehen völkerrechtliche Verträge und Beitritte zu internationalen Organisationen auch unter dem Vorbehalt des Staatsvertragsreferendums, was den diesbezüglichen Handlungsspielraum ebenfalls einschränkt. Die Schweizer sind nicht intelligenter als ihre Nachbarn. Ihr politisches System enthält aber eine zusätzliche Reflexionsstufe an der Basis, die zwar nicht immer „richtig“, aber doch nicht weniger qualifiziert entscheidet als die gewählte Volksvertretung in den beiden Kammern. Das macht die Politik insgesamt langsamer. Dies bedeutet aber auch, dass man oft langsamer in die falsche Richtung geht. Als „falsche Richtung“ bezeichne ich: Mehr Staat, mehr Steuern, mehr Regulierung, mehr Zentralismus, weniger lokale, gliedstaatliche und nationale Eigenständigkeit. Zusammenfassung des gleichnamigen Referates auf dem Demokratiekongress Drei Volksabstimmungen der Jahre 2013 und 2014 haben auch international sowohl Kritik als auch Zustimmung ausgelöst. Bei der Minarettverbotsinitiative forderten die Initianten mit 100 000 Unterschriften folgende Verfassungsbestimmung: „Der Bau von Minaretten ist in der ganzen Schweiz verboten“. Obwohl die Initiative nur von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) unterstützt wurde (Wähleranteil 27 Prozent) wurde sie überraschend von einer Volksmehrheit von 57 Prozent angenommen. Das Recht auf freie Religionsausübung ist dadurch nicht tangiert. Das Resultat ist nur erklärbar, wenn man davon ausgeht, dass viele Wählerinnen den Islam als frauenfeindlich wahrnehmen und viele religiös Gesinnte eine Gefährdung der christlichen Grundwerte befürchteten, die es schon auf der Ebene der baulichen Symbolik zu stoppen gelte. In den großen Städten, wo in erster Linie Minarette geplant waren, ist das Verbot abgelehnt worden. Das Resultat zeigt, dass es zweckmäßiger gewesen wäre, die Materie im jeweiligen lokalen Baurecht zu lösen und dafür zu tolerieren, dass sich Dörfer und kleinere Städte aufgrund der Mehrheitsmeinung ihrer Bürgerschaft weigern, einen Minarettbau zu bewilligen. Bei der „Initiative gegen die Abzockerei“ ging es um eine Änderung des Aktienrechts im Hinblick auf eine Beschränkung der Spitzengehälter großer Publikumsgesellschaften. Das Thema war hoch aktuell und hoch populär, die Auswirkungen sind allerdings eher bescheiden. Die These, dass sich die direkte Demokratie zunehmend populistisch und wirtschaftsfeindlich auswirken könnte, hat dadurch Auftrieb bekommen. Umgekehrt hat sich gezeigt, dass die Volksrechte auch eine Art Ventil sind für Probleme, die in den Parlamenten durch korporatistische Kompromisse (crony capitalism) verdrängt werden. 15 Semperoper Dresden Praxis der Volksabstimmungen in der Schweiz. (Robert Nef) Die Initiative gegen die Masseneinwanderung ist, ebenfalls überraschend, 2014 mit einer hauchdünnen Mehrheit angenommen worden. Sie lässt Einwanderung weiterhin zu, möchte sie aber auf nationaler Ebene zahlenmäßig im Griff haben. Dies steht im Widerspruch zur Personenfreizügigkeit innerhalb des Schengen-Abkommens, dem auch die Schweiz bilateral beigetreten ist. Dieser Widerspruch stellt die Schweiz und die EU vor schwierige Probleme, die aber bei beidseitiger Bereitschaft zur Rücksichtnahme nicht unlösbar sind. Die Einwanderungsquote nähert sich in der Schweiz der Dreißigprozent-Grenze. Aus liberaler Sicht ist Einwanderung grundsätzlich ein Positivsummenspiel, und die Schweiz verdankt ihren Einwanderern viel. Die Einwanderung ist aber nicht zuletzt auch eine Frage des Maßes und der Assimilierungsfähigkeit. Das Recht, über die Zugehörigkeit zur eigenen Bevölkerung mitzubestimmen ist, wie dies der in Genf lebende liberale deutsche Ökonom Röpke betont hat, eines der wichtigsten demokratischen und politischen Rechte. Anhand der Beispiele lassen sich folgende Gefahren der direkten Demokratie auflisten, die aber nach den Erfahrungen in der Schweiz gegenüber den offensichtlichen Chancen nicht überwiegen: Die erhebliche, präventiv bremsende Auswirkung der Volksrechte auf den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess, die Erschwerung der internationalen Zusammenarbeit, die relativ tiefe Stimmbeteiligung (drei bis vier Abstimmungen pro Jahr), die Überforderung durch die Komplexität der Fragestellung, der Minderheitenschutz, die Gefahr der Förderung rechter und linker Populismen, die Gefahr der „Käuflichkeit“ von Mehrheiten, das Problem der Behördenpropaganda, die allfällige Verletzung von bestehendem Verfassungsrecht, von Staatsverträgen und von Völkerrecht (die in der Schweiz durch kein Verfassungsgericht korrigiert werden kann), die praktischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung durch den Gesetzgeber und das Problem des Missbrauchs der Volksrechte für parteipolitische Propaganda. Robert Nef Schlusswort von Dr. Frauke Petry VIP-Gäste und Redner in der ersten Reihe verfolgen die Einführung des Kongresses 16 17 Univ.-Prof. Dr. iur. Hans Herbert von Arnim Dipl.-Volkswirt Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [email protected] Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache: Kontrolle durch direkte Demokratie und Verfassungsgerichte Univ.-Prof. Dr. iur. Hans Herbert von Arnim Vita: Forschungsschwerpunkte u.a.: Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, juristische Staatsexamen (1962 und 1967), Diplom in Volkswirtschaftslehre (1966) und rechtswissenschaftliche Promotion (1969) in Heidelberg. • Verfassungslehre und Demokratietheorie • Finanzrecht • Parteienrecht und Politikfinanzierung • Kommunalrecht und Kommunalpolitik • • • • • • • • • • • 1968-1978 Leiter des Karl-Bräuer-Instituts des Bundes der Steuerzahler in Wiesbaden 1974-1977 Lehraufträge für „Wirtschaftspolitik für Juristen“ an den Universitäten Regensburg und Würzburg 1976 Habilitation für Staats- und Verwaltungsrecht, Finanz- und Steuerrecht an der Universität Regensburg 1978-1981 Professor in Marburg 1981 Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Kommunalrecht und Haushaltsrecht, Verfassungslehre in Speyer 1981 Rufe auf Lehrstühle an den Universitäten Marburg und Osnabrück abgelehnt 1988 Ruf auf den Lehrstuhl für Staatslehre und Politik an der Universität Göttingen (ehemaliger Lehrstuhl Leibholz) – abgelehnt 1993-1996 Mitglied des Verfassungsgerichts Brandenburg 1993-1995 Rektor der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer 2000-2001 Gastprofessur an der Medizinischen Universität Lübeck seit 01.04.2005 Entpflichtet in Speyer Weiterhin Weiterbildungsveranstaltungen an der DHV und Ordentliches Mitglied des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung 18 Mitgliedschaften: Mitglied mehrerer Sachverständigenkommissionen, z.B. der Enquete-Kommission „Wahlrecht und Kommunalverfassung“ des Landtages Rheinland-Pfalz (1988-1990), der von Bundespräsident Richard von Weizsäcker berufenen „Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung“ (1992/93) und der „Gemeinsamen Kommission Bayern/Nordrhein-Westfalen zur Neuordnung der Bezüge von Mitglieder der Landesregierungen“ (1999/2000). Regelt das Parlament das Wahlrecht oder die Bezahlung von Abgeordneten, Fraktionen oder parteinahen Stiftungen, so entscheidet es in eigener Sache und ist deshalb befangen. Solche Regelungen sind einerseits besonders wichtig, weil es um den Erwerb, den Erhalt und den Genuss der Macht im Staate geht. Andererseits ist ihre angemessene Gestaltung besonders gefährdet, weil die Abgeordneten und ihre Parteien dabei versucht sind, sich nicht am Gemeinwohl, sondern an ihren Eigeninteressen an Macht und Geld zu orientieren. Solche Entscheidungen sind zwar in der parlamentarischen Demokratie nicht von vornherein unzulässig. Sie bedürfen aber der besonderen Kontrolle, vor allem durch Öffentlichkeit, durch die Verfassungsrechtsprechung und durch direkte Demokratie. Die Notwendigkeit einer intensiven Kontrolle von Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache haben das Bundesverfassungsgericht und die Landesverfassungsgerichte wiederholt dargelegt. So hat das Bundesverfassungsgericht eine intensive Kontrolle von Abgeordnetendiäten und neuerdings auch von Sperrklauseln bei Kommunal- und Europawahlen ausgeübt. Das Gericht kann allerdings nur auf Antrag tätig werden. Oft aber fehlt Bürgern, die gegen ein verfassungswidriges Gesetz klagen wollen, die Antragsbefugnis. Diese haben zwar die Begünstigten selbst, machen davon aber aus nahe liegenden Gründen meist keinen Gebrauch. Immerhin: Diskriminierte Parteien können erfolgreich klagen, wie viele Beispiele belegen. Auch die öffentliche Kontrolle wirkt bisher nur begrenzt, da sie immer wieder ausgehebelt wird, zum Beispiel durch Blitzgesetze. Zusammenfassung des gleichnamigen Referates auf dem Demokratiekongress des Machterhalts und Machtgenusses nicht von den in Eigeninteressen befangenen Machthabern beschlossen werden, sondern von denen, für welche die Repräsentanten die Macht innehaben, also vom Volk. Direkte Demokratie, etwa in Form von Volksbegehren und Volksentscheid, ist bisher allerdings nur auf Landes- und Kommunalebene eröffnet. Soweit die Regelungen dort nicht prohibitiv ausgestaltet sind, etwa durch übertrieben hohe Quoren von Volksbegehren, bieten sie sich für die Kontrolle von in eigener Sache entscheidenden Parlamenten geradezu an. Die üblichen Vorbehalte, die bestimmte Bereiche, wie den Haushaltsplan sowie Besoldungs- und Finanzfragen der direkten Demokratie entziehen, sind restriktiv zu interpretieren und stehen etwa Volksbegehren und Volksentscheiden über Abgeordnetendiäten und die Finanzierung von Fraktionen nicht entgegen. Verfassungsgerichte und direkte Demokratie können also – auch in den bisher bestehenden Grenzen – durchaus eine wichtige Kontrolle von Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache darstellen, und sie müssen dies im Interesse der Legitimität unserer Demokratie auch tun. Angesichts der Lückenhaftigkeit der Gerichtskontrolle und der Entschärfung der öffentlichen Kontrolle durch die zu Kontrollierenden selbst kommen die Möglichkeiten der direkten Demokratie in den Blick. In der Tat liegt es nahe, dass gerade die Regeln 19 Der gut gefüllte Kongress-Saal beim Vortrag von Univ.-Prof. Dr. iur. Hans Herbert von Arnim Univ.-Prof. Dr. iur. Hans Herbert von Arnim Fraktionsvorsitzende Dr. Frauke Petry im Gespräch mit PGF Uwe Wurlitzer und MdL Carsten Hütter 20 21 Prof. Dr. Werner J. Patzelt Lehrbereiche Preise TU Dresden Tel. 03 51 / 463-328 88 [email protected] • Deutsche Politik (politisches System der Bundesrepublik Deutschland, politisches System der DDR, deutsche Parteien, deutscher Parlamentarismus) • Vergleichende Regierungslehre (westliche Demokratien, totalitäre und autoritäre Regime, politische Eliten) • Institutionenforschung, v.a. Historischer und Evolutorischer Institutionalismus • Parlamentarismusforschung, repräsentative Demokratie, Abgeordnete und ihr Amtsverständnis • Methoden der Sozialwissenschaften (Epistemologie und Methodologie sozialwissenschaftlicher Forschung; Inhaltsanalyse; Umfrageforschung; Statistik) • Sachunmittelbare Demokratie • 1985 Kulturpreis Ostbayern für „Ethnomethodologie“ • 1995 Wissenschaftspreis des Deutschen Bundestages für „ Abgeordnete und Repräsentation“ Mitgliedschaften Vita Forschungsbereiche Prof. Dr. Werner J. Patzelt ist Gründungsprofessor des Dresdner Instituts für Politikwissenschaft und hat den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich seit 1991 inne. • Vergleichende Regierungslehre • Vergleichende Parlamentarismusforschung • Politische Kommunikation Schwerpunkte seiner Lehr- und Forschungstätigkeit sind unter anderem die vergleichende Analyse politischer Systeme, die Parlamentarismusforschung, politische Kommunikation, die vergleichende historische Analyse politischer Institutionen sowie evolutionstheoretische Modelle in der Politikwissenschaft. • 1963-1972 Humanistisches Gymnasium Leopoldinum, Passau • 1972-1974 Militärdienst (derzeitiger Dienstgrad: Major) • 1974-1980 Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte an den Universitäten München, Straßburg und Ann Arbor / MI • 1980 M.A., Ludwig-Maximilians-Universität München • 1980-1984 wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Passau • 1984 Promotion (summa cum laude), Universität Passau • 1984-1990 wissenschaftlicher Assistent, Universität Passau • 1990 Habilitation, Universität Passau • 1990 Gastprofessur, Universität Salzburg • 1991 Gastprofessur,Technische Universität Dresden • 1991-1992 Gründungsprofessor des Instituts für Politikwissenschaft an der TUDresden • seit 1992 Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich, Technische Universität Dresden 22 Forschungsprojekte • Transzendenz und Gemeinsinn als Ressourcen politischer Ordnungskonstruktion, 2009 – (finanziert von der DFG im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 804 „Transzendenz und Gemeinsinn“) • Instrumentelle und symbolische Funktionen von Repräsentationsinstitutionen (Vergleich von Französischer Nationalversammlung, Kanadischem Senat, Deutschem Bundesrat, Volkskammer der DDR, Föderalversammlung der CSSR und Europäischem Parlament), 1997-2008 (finanziert von der DFG im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit“) • Sachsens kommunale Mandatsträger, 1999-2001 (finanziert von der DFG) • Wahlkreisarbeit und gesellschaftliche Vernetzung deutscher Parlamentarier, 1996-1999 (finanziert von der DFG) • Parlamentsperzeption in Deutschland, 1994-95 (finanziert von der DFG) • Deutsche Abgeordnetenstudie, 1994-95 (finanziert von der DFG) • Parteien und Verbände in Sachsen, 1992-1994 (finanziert von der Kommission für sozialen und politischen Wandel in Ostdeutschland) • Parlamentarismusgründung in den neuen Bundesländern (finanziert von der FritzThyssen-Stiftung) • Rollenverhalten und Amtsverständnis bayerischer Parlamentarier, 1988-90 (finanziert von der Fritz-Thyssen-Stiftung) ausgewählte Publikationen • Einführung in die sozialwissenschaftliche Statistik. 1985. München/Wien: Oldenbourg • Sozialwissenschaftliche Forschungslogik. Einführung. 1986. München/Wien: Oldenbourg • Grundlagen der Ethnomethodologie. Theorie, Empirie und politikwissenschaftlicher Nutzen einer Soziologie des Alltags. 1987. München: Fink • Einführung in die Politikwissenschaft. Grundriß des Faches und studiumbegleitende Orientierung. 1992. Passau: Wissenschaftsverlag Rothe, 5. erw. u. überarb. Aufl. 2003 • Abgeordnete und Repräsentation. Amtsverständnis und Wahlkreisarbeit. 1993. Passau: Wissenschaftsverlag Rothe • Aufgaben politischer Bildung in den neuen Bundesländern. 1994. Dresden: Landeszentrale für Politische Bildung • Abgeordnete und ihr Beruf. Interviews, Umfragen, Analysen. 1995. Berlin: AkademieVerlag • Parlamente und ihre Symbolik. Programm und Beispiele institutioneller Analyse, Opladen 2001 • Die Volkskammer der DDR. Sozialistischer Parlamentarismus in Theorie und Praxis, Opladen 2002 • Parlamente und ihre Funktionen. Institutoinelle Mechanismen und institutionelles Lernen im Vergleich, Wiesbaden 2003 • Parlamente und ihre Macht. Kategorien und Fallbeispiele institutioneller Analyse, Nomos 2005 • Evolutorischer Institutionalismus. Theorie und exemplarische Studien zu Evolution, Institutionalität und Geschichtlichkeit, Würzburg 2007 Mitgliedschaften • Mitglied des Executive Committee der International Political Science Association (IPSA) • IPSA-Beauftragter im Vorstand der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) • Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft • Deutsche Gesellschaft für Politikwissenschaft • Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen • Deutsche Vereinigung für Politische Bildung • International Political Science Association Gremientätigkeiten • • • • • • • Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien Kuratorium der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung Redaktion der ‚Zeitschrift für Parlamentsfragen‘ Research Committee of Legislative Specialists (seit 2007 Co-Chair) Mitglied des Vorstands der Stiftung HAUS der action 365 Mitherausgeber der Buchreihe „Politikwissenschaftliche Theorie“ (Ergon-Verlag) federführender Herausgeber der Buchreihe ‚Studien zum Parlamentarismus‘ (NomosVerlag) • Vertrauensdozent der Konrad Adenauer-Stiftung an der TU Dresden • Wissenschaftlicher Beirat des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Dresden • Wissenschaftlicher Beirat des Deutschen Instituts für sachunmittelbare Demokratie (Vorsitzender) 23 Bestimmungen sind plebiszitäre Instrumente leichter oder schwerer nutzbar, wirkungsvoll oder folgenlos. Leicht nutzbare plebiszitäre Instrumente wirken dann allein schon durch ihre Existenz – wie einst die Folterinstrumente, die oft auch nur vorgezeigt, doch nicht angewandt werden mussten, um ihre Wirkung zu tun. Welche Volksabstimmungen können wir brauchen? Prof. Dr. Werner J. Patzelt I. Formen von Volksabstimmungen Im Wesentlichen gibt es sechs Grundformen von Volksabstimmungen: •Verfassungsmäßig vorgeschriebene („obligatorische“) Referenden. Auf Bundesebene gibt es sie im Fall einer Neugliederung des Bundesgebietes, in manchen Ländern bei Verfassungsänderungen, in einigen Staaten bei als besonders wichtig erachteten Gesetzen. Sie müssen in jedem Fall durchgeführt werden – und schrecken oft vor Maßnahmen ab, für deren Vollzug eine Volksabstimmung unvermeidlich würde. • Volksgesetzgebung (meist dreistufig: Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid). Sie gibt es in vielen Staaten, in Deutschland in allen Bundesländern, doch nicht auf Bundesebene. Auf dem Weg der Volksgesetzgebung, herbeigeführt von einer „Antragsinitiative“ (einem Verband, einer Bürgerinitiative, einer Partei …) durch Sammlung einer verfassungsmäßig vorgesehenen Mindestanzahl von Unterstützungsunterschriften, kann das Volk selbst ein Gesetzgebungsverfahren einleiten und zum Abschluss bringen. Hierzu kommt es vor allem, wenn Parlament und Regierung Gestaltungsanliegen nicht aufgreifen, die von einem artikulationsstarken Teil der Bevölkerung gewünscht werden. • Gesetzesaufhebende Referenden. Damit kann, gemäß dem Verfahren bei der Volksgesetzgebung, eine „Referendumsinitiative“ eine Volksabstimmung über die Frage herbeiführen, ob ein bereits parlamentarisch beschlossenes Gesetz aufgehoben werden soll. Das hindert selbst eine mit starker Parlamentsmehrheit ausgestattete Regierung am „Durchregieren“. Das setzt aber auch die Opposition unter Handlungsdruck, wann immer sie behauptet, ein Gesetz verletze wichtige Interessen des Volkes. Und obendrein eröffnet die Verfügbarkeit gesetzesaufhebender Referenden eine Alternative zum 24 Zusammenfassung des gleichnamigen Referates auf dem Demokratiekongress eingerissenen Oppositionsbrauch, politische Fragen auf verfassungsrechtliche Fragen zuzuspitzen und diese dann vom Verfassungsgericht beantworten zu lassen. Ein solcher Weg aber führt gerade nicht zu mehr Demokratie. Leider gibt es dieses wirkungsvolle plebiszitäre Instrument bislang nur in wenigen Staaten, etwa in Italien, manchen südamerikanischen Ländern und einigen Kantonen der Schweiz. • „Von oben herbeigeführte“ Sachreferenden. Das sind Entscheidungen, die dem Volk von Verfassungsorganen (in vielen Staaten: vom Präsidenten oder Regierungschef) ganz nach deren politischem Ermessen vorgelegt werden. In vielen deutschen Kommunalverfassungen gibt es sie als „Ratsvorlage“. In nicht wenigen Staaten sind sie, dann ohne rechtliche Bindewirkung, als „konsultatives“ Referendum ausgestaltet. • „Von unten herbeigeführte“ Sachreferenden. Sie werden von einer „Referendumsinitiative“ herbeigeführt, also gerade nicht von Inhabern öffentlicher Ämtern. Das ist ein eher seltenes plebiszitäres Instrument, weil dessen Zentraleffekt auch durch Volksgesetzgebung bewirkt werden kann. • Parlamentsauflösung durch Volksentscheid. Der wird von einer „Referendumsinitiative“ herbeigeführt, wie es in manchen deutschen Landesverfassungen und in Schweizer Kantonalverfassungen vorgesehen ist. In der Praxis können diese Instrumente in vielerlei Abwandlungsformen vorkommen, geprägt von sehr unterschiedlichen Bestimmungen über Antrags-, Beteiligungs- und Zustimmungsquoren, über Ausschlussmaterien, über eine richterliche Vorab-Prüfung der Gegenstände von Volksabstimmungen sowie über Informationsmaterialien, die von Amts wegen allen Abstimmungsberechtigten zur Verfügung zu stellen sind. Je nach solchen Alle diese Instrumente funktionieren sehr verschieden und haben höchst ungleiche Folgen. Vor allem ihre Wirkungsrichtung unterscheidet sie. Die einen wirken vom Volk hin zu dessen Vertretern, sind also – gerade in einer repräsentativen Demokratie – Instrumente zur Stärkung von Demokratie. Die anderen wirken von der politischen Führung hin zum Volk, sind also Instrumente zur Stärkung der Regierung oder wenigstens zur Schwächung des Parlaments bzw. der Opposition. Deshalb sollte die Faustformel für Demokraten lauten: Gut sind Volksabstimmungen, die „von unten nach oben“ wirken – und schlecht sind solche, die „von oben nach unten“ wirken. Also kann man sinnvollerweise nicht für oder gegen Volksabstimmungen „also solche“ sein, sondern hat sein Urteil davon abhängig zu machen, um welche Form einer Volksabstimmung es jeweils geht. II. Abzulehnende und demokratienützliche Volksabstimmungen Leider ist gerade die populärste Form einer Volksabstimmung die demokratieschädlichste: das vom Präsidenten, der Regierung oder einer Parlamentsmehrheit herbeigeführte Sachreferendum – etwa darüber, wo ein Endlager für Atommüll gebaut oder ob die Türkei als EU-Mitglied akzeptiert werden soll. Mit derlei Volksabstimmungen schiebt nämlich die politische Klasse die Verantwortung für die Folgen von Entscheidungen aufs Volk ab. Das ist in einer repräsentativen Demokratie pflichtwidrig. Aber abzulehnen. Es ist gut, dass wir dergleichen auf Landes- und Bundesebene ohnehin nicht haben. Und auch auf kommunaler Ebene machen wir mit „Ratsvorlagen“ oft keine guten Erfahrungen. Klar „von unten nach oben“ wirken hingegen Volksgesetzgebung, gesetzesaufhebende Referenden sowie von einer Referendumsinitiative herbeigeführte Sachreferenden. Sie führen wirklich zu „mehr Demokratie“, weil mit ihnen das Volk auch zwischen den Wahlen zielgerichtet und punktgenau auf staatliche Entscheidungen Einfluss nehmen kann. Weil in Deutschland alle wesentlichen staatlichen Maßnahmen einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, sind von einer Referendumsinitiative herbeiführbare Sachreferenden im Grunde unnötig. Wo sie zu Spannungen zwischen der Gesetzeslage und dem konkret Beschlossenen führen könnten, wären sie sogar nachteilig. Also reicht es, zusätzlich zur Volksgesetzgebung gesetzesaufhebende Referenden einzuführen. Letztere sind auch gar nicht von einem häufigen Vorbehalt gegen plebiszitäre Instrumente betroffen: Gesetzgebung sei zu kompliziert für die Volksgesetzgebung. Bei gesetzesaufhebenden Referenden geht es ja nur um die Entscheidung, ob ein bereits beschlossenes, inhaltlich leicht bekanntzumachendes Gesetz beibehalten oder aufgehoben werden soll. Und wer ein Volk selbst von einer so einfachen Entscheidung für überfordert hält, der muss wohl auch bezweifeln, ob man es überhaupt über Parteien und Abgeordnete abstimmen lassen kann. Außerdem sind solche Sachreferenden manipulationsanfällig. Das betrifft nicht nur die Formulierung der Entscheidungsfrage. Sondern oft geht es bei einer solchen Volksabstimmung letztlich um zwei verschiedene Fragen, auf die man aber nur eine einzige Antwort geben kann. Das eine ist die Frage auf dem Abstimmungszettel. Die andere liegt hinter dieser und lautet: Will man jenen Spitzenpolitiker stärken oder schwächen, der diese Volksabstimmung angesetzt hat? Damit aber wird zu einer – sinnvollerweise allein durch Wahlen zu beantwortenden – Personalfrage, was wie eine Sachfrage einherkommt. Es ist nicht zu erkennen, dass solch manipulationsträchtige Doppeldeutigkeit der Demokratie nützen könnte. Deshalb sind „von oben herbeigeführte“ Sachreferenden ohne Wenn und 25 Prof. Dr. Werner J. Patzelt begeistert mit seinem Vortrag Dr. Frauke Petry (Bundessprecherin und Fraktionsvorsitzende), Marcus Pretzell (MdEP), Stefan Vogel (OB-Kandidat, AfD-Stadtratsfraktion) und Beatrix von Storch (MdEP) Die Kongressteilnehmer nutzen zahlreich die Nachfragerunden im Anschluss Abgeordnete der sächsischen AfDLandtagsfraktion und Kongressteilnehmer im Gespräch 26 27 Erfahren Sie mehr über unsere Fraktionsarbeit im Internet auf: www.afd-fraktion-sachsen.de Impressum / Herausgeber: AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag Pressestelle, Bereich Presse- & Öffentlichkeitsarbeit Bernhard-von-Lindenau-Platz 1• 01067 Dresden [email protected] • [email protected] AfD-Fraktion im Web afd-fraktion-sachsen.de AfD-Fraktion bei Twitter twitter.com/AfD_SLT AfD-Fraktion bei facebook facebook.com/AfD.Fraktion.Sachsen AfD-Fraktion bei youtube http://bit.ly/1L9Tblf Diese Publikation dient der Information und darf in einem Wahlkampf nicht zur Parteienwerbung eingesetzt werden.
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