Positive Einflussfaktoren auf den Geburtsverlauf aus Sicht der Mütter

Abgeschlossene Forschungsprojekte des
Forschungsschwerpunkts Maternal Health
www.maternal-health.de
Positive Einflussfaktoren auf den Geburtsverlauf aus Sicht der Mütter
Laufzeit: 1999 – 2000
Hintergrund: Die meisten PatientInnen-Befragungen sowie auch Befragungen von
Wöchnerinnen konzentrieren sich auf die Zufriedenheit mit der Betreuung im klinischen
Setting. Selten wird danach gefragt, welche Bedingungen aus der Sicht der KlientInnen oder
PatientInnen für die Entstehung oder Erhaltung von Gesundheit und Wohlbefinden als
wesentlich erachtet werden. Ebenso selten ist immer noch die salutogenetische
Herangehensweise, bei der bei Gesunden nach den Ursachen für Gesundheit geforscht wird
und nicht, wie in der medizinischen Forschung üblich, bei Kranken nach den Ursachen von
Krankheit. In Anwendung dieser Ansätze auf die Geburtshilfe hatte die Untersuchung das
Ziel, subjektive, salutogenetische Einflussfaktoren auf den Geburtsverlauf zu erfassen.
Methoden: Es erfolgte eine retrospektive Datengewinnung mittels semistrukturierter Faceto-Face Interviews mit 31 Frauen 6-8 Monate post partum. Um möglichst unterschiedliche
Geburtserfahrungen sammeln zu können, wurden sowohl Frauen mit Klinkgeburten (n=18)
als auch Frauen, die Zuhause (n=8) bzw. im Geburtshaus (n=5) entbunden hatten, in die
Studie aufgenommen. Zusätzlich wurde die SOC L-9 Scale eingesetzt und ein Fragebogen
zur Erfassung soziodemografischer Daten.
Ergebnisse: Die Auswertung der Interviews erfolgte durch qualitative Inhaltsanalysen nach
Mayering und zeigte, dass eine Geburt aus subjektiver Sicht der befragten Mütter dann
optimal verläuft, wenn sie in einer Atmosphäre der Sicherheit und Geborgenheit stattfindet,
das jeweilige Setting weitestgehend ihren Erwartungen und Vorinformationen entspricht und
sie die Möglichkeit haben, gemäß ihrer Persönlichkeit und ihren Fähigkeiten selbständig
Einfluss auf alle Rahmenbedingungen zu nehmen. Sehr häufig wurde in den Interviews
hervorgehoben, dass eine kontinuierliche und kompetente Hebammenbetreuung einen
positiven Einfluss auf den Geburtsverlauf hatte („Also, was ich sehr gut fand, dass die
Hebamme, dass die halt den ganzen Tag da war. Also wenn die Tür aufging, dann wusste ich
genau, wer reinkommt.“). Ebenfalls als sehr vorteilhaft empfanden viele der befragten Mütter
die Anwesenheit des Partners, Ruhe und Ungestörtheit sowie eine gut funktionierende
Teamarbeit bei der Geburt. Offensichtlich vermitteln die oben genannten Faktoren den
Frauen das für eine entspannte Geburtsarbeit notwendige Sicherheitsgefühl.
Weitere, oft genannte Protektivfaktoren ließen sich der Kategorie Selbstbestimmung
zuordnen. Es wurde z. B. als sehr hilfreich erlebt, wenn Hebammen sich non-direktiv
verhielten („… einfach das Gefühl, mich aufgehoben zu fühlen und gleichzeitig, dass ich
selbst auch ganz viel mitbestimmen kann. Dass ich dafür nicht kämpfen muss – dafür, wie ich
das gerne hätte oder was mir wichtig ist“), wenn die Privatsphäre geschützt wurde und wenn
die Frauen Wahlmöglichkeiten in Bezug auf den Entbindungsort (Klinik, Geburtshaus,
Zuhause) anwesende Personen, Gebärpositionen, medizinische Interventionen und die
Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme hatten. Als dritter wichtiger Aspekt, neben Sicherheit
und Selbstbestimmung, kristallisierte sich in den Interviews die Kategorie Kongruenz heraus.
Irritationen durch widersprüchliche Informationen können nach Aussagen der
Studienteilnehmerinnen vermieden werden, wenn in der Vorbereitung auf die Geburt
realistische Vorinformationen gegeben wurden und eine empathische Geburtsbegleitung
stattfindet („Ich hatte das Gefühl, die hatten so alle Sensoren aufgestellt. Die hatten irgendwo
Empfänger für meine Situation, für meine Äußerungen, wie auch immer. Die haben mich
gelesen wie ein Buch“). Inkongruenz kann hingegen entstehen, wenn das für Frauen so
bedeutsame und oft einmalige Geburtserlebnis in Klinikroutine unterzugehen droht. So wurde
z. B. auch die Anwesenheit anderer Frauen teilweise als sehr ungünstig für den
Geburtsverlauf erlebt („Und dann war da so ein Stress da, weil die Frau wieder in die
Badewanne musste. Sie war am Rumschreien da und dann musste ich schnell wieder
rausgeschoben werden, damit sie rein konnte“).
Bei der Analyse der Interviews fiel außerdem auf, dass bei der Schilderung positiver
Einflussfaktoren auf den Geburtsverlauf, eigene Kompetenzen bzw. körperliche und
psychische Voraussetzungen von den Müttern bis auf sehr wenige Aussagen („habe ein
gebärfreudiges Becken“) nicht erwähnt wurden.
Der im Studienkollektiv ermittelte SOC-Wert lag deutlich über dem von Schumacher et al.
ermittelten Durchschnittswert der Bundesbürgerinnen in der Altersgruppe von 18 bis 40
Jahren. Eine Matched-Pairs-Vergleichs-analyse der acht Frauen aus dem HausgeburtsTeilsample mit einer entsprechenden Teilgruppe von acht Frauen aus dem Kliniksample
zeigte signifikant höhere SOC-Werte bei den Frauen mit Hausgeburten.
Diskussion: Möglicherweise trägt ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl dazu bei, sich für die
Geburt eine Umgebung auszusuchen, die durch emotionale Sicherheit, Selbstbestimmung und
Kongruenz gekennzeichnet ist. Diese Art von Setting könnte dann wiederum dazu beitragen,
das Kohärenzgefühl zu stärken, wodurch dann wieder eine bessere Ausgangsposition für die
nächste Geburt oder eine andere Herausforderung erreicht wird.
Beteiligte Wissenschaftlerinnen: Brigitte Borrmann, Beate Schücking
Ausgewählte Publikationen:
Borrmann B (2003): Salutogenetische Einflussfaktoren im Geburtsverlauf aus Muttersicht.
In: Neises M, Bartsch S, Dohnke H, Falck H-R, Kauffels W, Schmidt-Ott G, Schwerdtfeger
J, Walter H (Hg.): Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe, S. 303-311. Giessen: P