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Jugendamts-Vormünder im Dauereinsatz | Manuskript
Jugendamts-Vormünder im Dauereinsatz
Bericht: Stephan Kloss
Vormund Doreen Kleinert vom Jugendamt Leipzig unterwegs mit ihrem
Klienten Sebastian.
„Gehen wir zur Sparkasse, weil die Kontokarte nicht mehr geht, oder?
„Nee, und zwar, ich hab‘s, es ist jetzt zwei Monate her, seitdem funktioniert das nich dass
ich da Geld abheben tue.“
Sebastian ist 17. Seine alleinerziehende Mutter wurde plötzlich schwer krank und ist seitdem
behindert. Seit eineinhalb Jahren wird er von Doreen Kleinert betreut. Sie regelt als
Vormund all das, was normalerweise Eltern entscheiden würden: Wohnort, Schule,
Behördengänge oder Geld.
Doreen Kleinert, Jugendamt Leipzig
„Bei den Teenagern ist es meistens am Schwierigsten, weil man in eine Situation
reinkommt, in der sie in einer Krise sind. In der sich Eltern abnabeln, in der schon ganz viel
passiert ist, wo man nur noch Löcher flicken kann … und wo die auch sehr skeptisch sind,
dass man jetzt derjenige ist, der da irgendetwas Gutes für sie will.“
In der Sparkasse kann Doreen Kleinert das Problem schnell klären. Die EC-Karte des
Teenagers war kaputt, nun funktioniert sie wieder. Die Mitarbeiterin des Jugendamtes ist
Sebastians Bezugsperson und Beraterin geworden. Das ist sie auch für Dutzende andere
Kinder und Jugendliche. Zurück im Büro zeigt sie ihren Aktenschrank. 48 Fälle. 48 Schicksale.
„Das sind die Kinder die ich aktuell betreue, genau“
Laut Gesetz soll sie sich als Vormund mit jedem ihrer Klienten einmal im Monat treffen. Doch
das ist gar nicht machbar.
Doreen Kleinert, Jugendamt Leipzig
„Bei 48 Kindern und 20 Arbeitstagen und den ganzen Verwaltungsakten, Berichte ans
Gericht, Anträge stellen bei Sozialamt oder anderen Ämtern um das abklären zu lassen.
Mehr als 28 Kontakte habe ich noch nie geschafft zu überschreiten. Das ist das, was
realistisch machbar ist. Wenn kein Urlaub ist, wenn keine Erkrankung ist.“
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Jugendamts-Vormünder im Dauereinsatz | Manuskript
Die insgesamt 9 Vormünder im Leipziger Jugendamt betreuen 420 Fälle, macht im Schnitt 46
pro Mitarbeiter. Tendenz steigend. Ein neues Gesetz regelt, dass ein Vormund höchstens 50
Kinder und Jugendliche betreuen soll [...]
Weil das Personal im Jugendamt trotz der neuen Regelung am Limit arbeitet, sind 330
weitere Fälle ausgelagert, werden von Mitarbeitern eines freien Trägers betreut.
Nächster Fall: Ein heikles Telefonat mit einer hochschwangeren 16jährigen. Sie möchte das
Kind gleich nach der Geburt weg geben und deshalb unbedingt einen Kaiserschnitt. Die Klinik
aber hat Bedenken.
„Ich wollte mit Dir noch mal besprechen wie Du jetzt dazu stehst, wenn die auch
entscheiden, dass die keinen geplanten Kaiserschnitt machen? Dann biste zickig? Das
bringt uns dann ja nicht weiter.“
Doreen Kleinert möchte das Mädchen zu einer normalen Geburt überreden. Viel Zeit bleibt
nicht mehr.
Doreen Kleinert, Jugendamt Leipzig
„Das ist das zweite Kind. Sie hat das erste spontan geboren. Und die kennt den
Geburtsablauf. Und die will das nicht investieren für ein Kind, das sie nicht behält.“
Bedeutet: das Baby wird nach der Geburt sofort zur Adoption freigegeben. Und auch darum
muss sich Doreen Kleinert kümmern.
Der Terminkalender von Kollegin Katja Genedl ist ebenfalls randvoll. Seit ein paar Monaten
haben die Vormünder im Jugendamt ein weiteres, schnell wachsendes Aufgabengebiet: Sie
müssen sich um minderjährige Flüchtlinge kümmern, die in Leipzig landen. Gerade fährt
Katja Genedl zu drei Teenagern, die beim Kinder- und Jugendnotdienst in Leipzig-Grünau
untergebracht sind.
Katja Genedl, Jugendamt Leipzig
„Ich bin ungefähr zwischen 60 bis 80 Prozent der Zeit im Außendienst. Dazu kommen noch
Hilfeplangespräche, Krisengespräche, gemeinsame Termine die noch wahrgenommen
werden müssen. Da ist man schon gut unterwegs.“
Als die drei syrischen Jungen vor ein paar Wochen ankamen, direkt aus dem Kriegsgebiet,
hatten sie nur das dabei, was sie am Leibe trugen. Eine Kollegin vom Notdienst war mit den
dreien Einkaufen, stolz präsentieren sie die Ausbeute.
Die Jungs sprechen weder deutsch noch englisch. Verständigung, so gut es eben geht.
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Jugendamts-Vormünder im Dauereinsatz | Manuskript
„Zeig mal, was habt ihr gekauft. Ah, schön. Eine kurze Hose? Schick.“
Wo sind Eure Familien, fragen wir auf Arabisch.
„Seine in Ägypten. Meine in Syrien und seine auch in Syrien.“
„Was ist denn mit Deutschkurs gestern? Gestern deutsch? Wo wart denn ihr? Geht zu
Deutsch,
Das ist ganz wichtig! Ja? Ok“.
Obwohl die Teenager kein Deutsch verstehen, können sie wohl gut erahnen, was Katja
Genedl meint.
Katja Genedl, Jugendamt Leipzig
„Erst mal Schule. Also, einen Schritt nach dem anderen. Da müssen wir gucken, dass es
auch läuft. Sie müssen erst mal ankommen.“
Katja Genedl, Jugendamt Leipzig
„…man muss sich irgendwie mit den sprachlichen Gegebenheiten auseinandersetzen, die
kulturellen Gegebenheiten … einfach ist es auf keinen Fall.“
Zurück im Jugendamt. Nächster Fall. Pascal und seine Pflegemutter haben einen Termin bei
Doreen Kleinert.
„Nehmt ihr bitte noch mal einen Moment Platz, ich muss noch ein Telefonat beenden.“
Von klein auf lebt der inzwischen 15-jährige Pascal wohl behütet bei seinen Pflegeeltern. Ihm
geht es gut. Trotzdem wird dieser Termin bis zu 2 Stunden dauern. Einmal im Jahr planen
alle Abteilungen des Jugendamtes gemeinsam mit der Pflegefamilie die nächsten Schritte.
Pascal ist bei der freiwilligen Feuerwehr, will mit in Einsätze. Die Pflegemutter hält ihren
Pflegesohn zu jung dafür.
„Der geht dann wirklich mit in Einsätze, das wollte ich mal hier auch noch mal absprechen“
„Ich gehe doch nicht acht Jahre zu Feuerwehr, um dann nichts zu machen“
„Du hast aber viel gelernt, so kann man es nicht sehen“
„Trotzdem!“
„Vielleicht ist es wirklich einzugrenzen, in welchen Bereichen Du eingesetzt werden kannst
und was man noch zwei Jahre zurückstellt“.
„Gibt‘s auch Mädchen?
„Naja, nicht in meinem Alter. Keine Ahnung …“
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Jugendamts-Vormünder im Dauereinsatz | Manuskript
Der ansonsten pflegeleichte Teenager fügt sich. Dass die Erwachsenen am Ende kurz alleine
sprechen wollen, stört ihn nicht. Er weiß sich zu helfen.
Der letzte Fall für heute bei Doreen Kleinert: mit einem anderen Amt muss sie für einen ihrer
Schützlinge einen unangenehmen Termin absprechen.
„Wir hatten vor einiger Zeit mal Kontakt wegen Termin in einer Strafsache. Die Polizei hat
sich noch mal bei mir gemeldet wegen Vernehmungstermin mit ... Zur Vernehmung werde
ich dann da sein, also mit ihm in die Vernehmung gehen.“
Dann noch der Papierkram. Die Ordner einiger ihrer Mündel umfassen fast 1.000 Seiten. Und
jedes Jahr kommen zahlreiche neue Fälle dazu.
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