Bildnis des schreibenden Erasmus von Hans

Art Basel 2015
Abseits, aber nicht abseitig: die kleinen, nicht-kommerziellen K
Off-Spaces
aller Art
4
Neben der berühmten und reichen Kunstdiva
Art gibt es auch Off-Spaces zu entdecken – mit
wenig Mitteln, aber viel Leidenschaft betrieben.
VON SUSANNA PETRIN
1
S.A.L.T.S. in
Birsfelden
Was war zuerst: das Huhn oder
das Ei? Der Künstler Alvaro Urbano stellt die Frage in einem Hinterhof in Birsfelden neu: Lebendigen Hühnern hat er ein Nest aus
einem Riesenei gebaut. Ein unterirdischer Tunnel und ein Notausgang suggerieren, dass diese
Tiere eine höhere Intelligenz besitzen und sich einen cleveren
Fluchtweg erdacht haben. Alvaro
ist einer von vielen Künstlern in
der aktuellen Gruppenausstellung von S.A.L.T.S., in der die Kuratoren Samuel Leuenberger und
Elise Lammer vor allem Pärchen
zur ersten künstlerischen Zusammenarbeit bringen konnten. Daher auch der Titel: «What’s Love
Got to Do with It», kurz:
WLGTDWI?
Mit Liebe hat Leuenberger vor einigen Jahren die einstige Metzgerei samt Hinterhof und Garage zu
einem ambitionierten Ausstellungsort umfunktioniert. Vorne
ein Fischladen und ein Coiffeurladen, hinten das Salz der Kunst. International, non-profit, jung. Only
in Birsfelden.
Hauptstrasse 12, Birsfelden
2
Deli – immer
anderswo
3
Schwarzwaldallee
– nun virtuell
4
Go-Green-Art –
bei der Liste
5
Tank – neuer Ort
im Dreispitz
6
Ausstellungsraum
Klingental
Es ist ihr allererster Auftritt: Das
vor einem Monat gegründete Deli
Projects hat bis 21. Juni einen
Raum im Gundeli gemietet und
den Künstler Simon Deppieraz
dazu eingeladen, ihn zu bespielen. Aber nicht mit Vorgefertigtem,
sondern mit Kunst, die vor Ort im
Zusammenspiel mit der Umgebung, dem Quartier spontan entsteht. In situ Kunst.
Ein schwerer Steinquader hält
schwarze Stricke, die quer durch
den Raum führen, in der Mitte am
Boden zusammen. Deppieraz habe sich den Stein auf einer Baustelle im Quartier «ausgeliehen«,
sagt Benedikt Wyss; er kuratiert
«Deli« mit Jenny Baumat und Philippe Karrer. Während der Art finden allabendlich um 20.30 Uhr
zusätzlich Performances statt.
Gestern las Laurin Buser, am Mittwoch entführten Flötenmenschen
das Publikum in den Hinterhof,
(Bild) heute ist der Musiker James
Legeres dort. Deli will künftig an
allen möglichen Orten Basels
ähnliche in Situ Kunst errichten.
Achtung: Im Ausstellungsraum
Schwarzwaldallee ist derzeit
nichts zu sehen. Der Künstler
PRIZE hat sich Anfang Woche in
einer musikalischen Performance
als gescheiterte Existenz auf der
Suche nach Liebe dargestellt. Wie
es war, kann man sich nur noch
virtuell anschauen, auf der Webseite der Schwarzwaldallee:
www.schwarzwaldallee.ch/index.php/sample/.
Doch dieser Blog sei sehr wichtig,
sagen die Betreiber des Raums,
vier Künstlerinnen und Künstler
sowie ein Kunsthistoriker. Und
kommenden Samstag gehe es
weiter in der umfassendsten
Gruppenausstellung, die sie je organisiert hätten. Bis Ende Juli tritt
hier wöchentlich ein anderer –
oder mehrere – Künstler auf, das
gemeinsame Thema sei«Raum,
Zeit und Ton». Jeder Künstler darf
tun, was er will, und wohnt während des Installierens im Kunstraum. Das Publikum darf gerne
zuschauen, wie so deren Kunst
entsteht. Dies schon ab Dienstag.
Pinke, organisch geformte Teppichflecken führen hinein, drinnen
schwimmen Rochen aus alten Autoteilen den Wänden entlang (Benedikt Tolar) und im Fenster fliegt
eine Formation von Schmetterlingen aus der Oberfläche einstiger
LCD-Monitore (Jaroslava Kadlecová). Wir sind bei Go-Green-Art.
Die tschechische Galerie ist spezialisiert auf Künstlerinnen und
Künstler aus der Heimat, die sich
den Themen Natur und Recycling
widmen.
Wie eine einmal jährlich blühende
Pflanze taucht die sympathische
Galerie seit vier Jahren jeden Juni
während der Art in nächster Umgebung der Messe Liste auf –
heuer gleich gegenüber. Ein
Stand an der Liste selber sei für
sie zu teuer, sagen die Galeristinnen Barbora Gerny und Michaela
Brachtlová. Eine Frau kauft ein
Werk und strahlt. «Hier können
sich Leute, die ein Original wollen,
aber nicht viel Geld haben, ein
Stück Kunst leisten», sagt Gerny.
Noch bis Sonntag um 19 Uhr.
Im Herzen des täglich lebendiger
werdenden Dreispitz-Areals treibt
ein weiteres Organ den Puls in die
Höhe: keine Pumpe, «der Tank».
So heisst der neue Ausstellungsraum des Campus der Künste. Ein
gläserner Würfel.
Die Kuratorin Chus Martinez lud
als erstes den Künstler Fabian
Marti dazu ein, ihn zu bespielen.
Er hat sich an eine schöne Zeit in
seinem Leben erinnert, die Zeit
als er an einem verlassenen
Strand in Brasilien in einem einfachen, selbst gebauten Haus lebte. Ein Künstlerprojekt unter
Freunden. Es heisst TwoHotel,
weil man in dieser einsamen Gegend besser zu zweit sein sollte.
Nun hat Marti dieses TwoHotel als
Kopie wieder aufgebaut. An den
Wänden hängen zahlreiche Arbeiten von anderen Künstlern. Vor
dem Haus stehen schwarz-weisse
Tonskulpturen, die Marti diesen
im Gegenzug schenkt. Vor dem
Haus rauscht hier nicht das Meer,
aber eine Schaumparty während
der Eröffnung.
«Meanwhile, elsewhere». Währenddessen, woanders. Drei
Künstler, zwei Frauen und ein
Mann, bringen in dieser Gruppenausstellung im Ausstellungsraum
Klingental Räume und Zeiten neu
zusammen. Sybella Perry hat in
Südkorea tagsüber ein verlassenes Autokino gefilmt. Nun projiziert sie die Super-8-Bilder auf
drei Leinwänden. «So drehte man
früher in Hollywood Westernfilme», erklärt die Kuratorin Mareike
Spendel. Und so bringt Perry alte
Filmzeiten und Formate mit einem
neuen, alt aussehenden Autokino
auf der anderen Seite der Welt zusammen, während wir hier stehen
und schauen. Poetisch ist auch
ihr Landschaftsgarten-Video,
über das echtes Wasser fliesst
(Bild).
Sylvain Baumann zeigt, wie Architektur und Natur zusammenspielen und sich doch widersprechen
und Lorenza Diaz hat eine unheimliche Landschaft geschaffen,
die von einer menschenverlassenen Zukunft der Erde spricht.
Güterstrasse 271, Basel
Voltaplatz 41, Basel
Burgweg 14, Basel
Freilagerplatz 13, Münchenstein
Kasernenstrasse 23, Basel
KULTUR 39
NORDWESTSCHWEIZ
SAMSTAG, 20. JUNI 2015
unsträume Basels – eine kleine Auswahl
1
Der unbelauschte Moment
Mein Lieblingswerk aus dem Kunstmuseum (20) Désirée Meiser, künstlerische Leiterin des
«Gare Du Nord», wählte Hans Holbeins «Bildnis des schreibenden Erasmus»
2
3
6
5
● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●
A ROLAND FOR AN OLIVER
Basels ultimativer Off-Spaces-Guide
E
s ist einfach, in Basel die grossen Museen zu finden. Es ist
schwierig, die vielen kleinen
Off-Spaces zu finden. Ausser man hat
ihn, den Roland for an Oliver. Die
handliche Broschüre gibt es gratis in
allen Kulturboxen der Stadt – oder online. Sie bietet in der neusten Auflage
eine Übersicht über 30 nicht-kommerzielle Kunstorte der Stadt. Jeder
Raum wird kurz vorgestellt, auf einer
kleinen Karte geografisch verortet
und mit Adresse und Öffnungszeiten
ergänzt. Ein Innenteil widmet sich zudem speziell den Off-Spaces während
der Art. Basels Projekträume sind
zum zweiten Mal in einer Broschüre
vereint.
Aus Passion und Interesse
Zum fünften Mal haben die Kuratorinnen und Kuratoren von deuxpiece die
Arbeit auf sich genommen, all diese
Daten zusammenzutragen. «Ergänzend (zu Basels bedeutenden Museen)
tragen viele, viele kleine Projekträume zum aussergewöhnlichen Ruf der
Kunst-Stadt Basel bei», heisst es im
Editorial: «A Roland for an Oliver
setzt dieses vielfältige Angebot zu ei-
Hans Holbein d. J.: «Bildnis des schreibenden Erasmus von Rotterdam» (1523). 37,1 × 30,8 cm; Mischtechnik auf Papier, auf Tannenholz aufgeklebt.
MARTIN P. BÜHLER / KUNSTMUSEUM BASEL
«
Wie ein Kunstplanet.
nem übersichtlichen Mosaik zusammen und wird zum Reiseführer durch
die Basler Kunstlandschaft.»
A Roland for an Oliver heisse auf Englisch so viel wie «eine Hand wäscht
die andere», sagt Co-Autorin Claire
Hoffmann. Die gut 30 nicht-kommerziellen Kunsträume würden aus Leidenschaft und Interesse betrieben.
Manchmal sei es auch ein Sprungbrett
zu einer kommerziellen Galerie.
www.arolandforanoliver.ch
Wann ich mich entschieden habe, das Porträt des Erasmus von
Holbein dem Jüngeren (1497–1543) als
mein Lieblingsbild zu deklarieren (was
ja genauso schwer zu bestimmen ist
wie das Lieblingsessen ...), weiss ich
nicht mehr, aber es ist halt passiert.
Meine ‹Beziehung› zu Erasmus begann
vor vielen Jahren, als ich noch am Nadelberg 17 lebte, über der Buchhandlung Labyrinth im Haus zur alten Treu, wo einst
auch Erasmus in seinen späten Jahren
wohnte. Ich wollte damals mehr über
meinen berühmten Vormieter erfahren,
las das ‹Lob der Torheit› und ging ins
Kunstmuseum. Dieses Bildnis, das mich
In der Biografie «Triumph und Tragik
des Erasmus von Rotterdam» beschreibt
Stefan Zweig ziemlich genau, was mich
an diesem Bild damals so faszinierte und
bis heute berührt: ‹Grossartig gelangt in
dieser Darstellung der sonst unbelauschte Moment der chemischen Kraftumschaltung von geistiger Materie zu Form
und Schrift zur Erscheinung. Stundenlang kann man dieses Bild ansehen und
seiner schwingenden Stille lauschen,
denn im Symbol des arbeitenden Erasmus hat Holbein den heiligen Ernst jedes
geistigen Arbeiters, die unsichtbare Geduld jedes wahren Künstlers verewigt.›
Schön, oder?!»
ZVG
Désirée Meiser.
sofort in seinen Bann zog, vermittelte
mir einen so starken Eindruck von diesem grossen Humanisten und meinem
damaligen ‹Hausgeist›, dass ich fast das
Gefühl hatte, ihn persönlich zu kennen.
SERIE
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
Mein Lieblingswerk
Mit der bz-Serie «Mein Lieblingswerk aus
dem Kunstmuseum» wollen wir während
der Zeit der Schliessung des Basler Kunstmuseums dessen Schätze in unser Bewusstsein rufen. Dies, obwohl einige Meisterwerke im Museum der Gegenwartskunst
(Moderne) und im Museum der Kulturen
(Alte Meister) zugänglich sind. Jede Woche stellt eine bekannte Persönlichkeit aus
der Region ihr Lieblingswerk aus der
Sammlung vor. Am 30. Mai wählte der
Schriftsteller Wolfgang Bortlik Walter Kurt
Wiemkens «Das Denkmal des Generals»
(1937), Am 6. Juni stellte Hans-Georg Hof-
mann, Leiter künstlerische Planung beim
Sinfonieorchester Basel, Ernst Ludwig
Kirchners Bild «Amselfluh» (1922) vor und
am 13. Juni Antonio Loprieno, der scheidende Rektor der Universität Basel, Arnold
Böcklins Bild «Odysseus und Kalypso»
(1882). (FLU)
●
●