«Innovation fällt nicht einfach so vom Himmel»

6| Samstagsgespräch
Wirtschaftregional | 30. Mai 2015
Bilder: Daniel Ospelt
Kreativ Vor 16 Jahren hat Gabriela Manser die Mineralquelle Gontenbad von ihren Eltern
übernommen. Der Wechsel vom Kindergarten in den Chefsessel gelang. Heute ist sie so etwas wie
die Zwergin unter den Riesen – klein, selbstbewusst und eigenständig. Und voll kreativen Potenzials.
– diese beiden Produkte ergänzen unser
Sortiment somit sinnvoll.
Frau Manser, Coca Cola hat mit «Cola Sie bringen durchschnittlich alle zwei
Life» eine mit Stevia gesüsste Cola-Va- Jahre ein neues Produkt auf den Markt.
riante auf den Markt gebracht und be- Wie kommen Sie auf all die Ideen?
hauptet, damit der erste Produzent zu Ein Punkt unserer Unternehmens-Phisein, der auf diese Idee kam. Ihre Ste- losophie lautet «Kreativ Grosses bewevia-Cola ist jedoch bereits seit fünf Jah- gen». Ein Teil unseres Teams trifft sich
ren auf dem Markt. Wie fühlen Sie sich etwa acht Mal im Jahr zum sogenannten «Forum». Da wird dann intensiv dein dieser Situation?
Gabriela Manser: Wir waren zwar nicht gustiert, Ideen gesammelt, Marktanalydie Ersten, die generell mit Stevia ge- se betrieben und Namensfindung praksüsst hatten, aber tatsächlich die erste tiziert. Innovation fällt nicht einfach so
Cola-Variante mit Stevia. Damals muss- vom Himmel. Klar muss es irgendwann
ten wir noch eine Bewilligung vom Bun- eine Idee geben, aber die Ideen an sich
sind nicht das Prodesamt für Gesundheit
«Wir hatten scheinbar blem, denn an ihnen
einholen, um Stevia als
den richtigen Riecher. mangelt es meist nicht.
Lebensmittel ZusatzDie Arbeit besteht
stoff einsetzen zu dürAber eben auch ein
darin, sich für eine zu
fen. Das war also noch
sehr viel kleineres
entscheiden und diese
eine zusätzliche Hürde,
Marketingbudget.»
dann marktkonform zu
die wir nehmen mussten. Spannend an der jetzigen Situation entwickeln. Das braucht dann schon
ist, dass die Grossen von den Kleinen ein bis zwei Jahre.
lernen. Und das macht mich stolz. Wir
hatten scheinbar den richtigen Riecher. Wie wichtig ist der Mut, etwas Neues zu
Aber eben auch ein sehr viel kleineres wagen und Projekte wieder zu stoppen,
Marketingbudget. Letztlich wird der wenn sie nicht rentabel sind?
Markt seine Antwort geben. Hier in der Wir hatten schon Produkte auf dem
Region kommt die Goba-Cola gut an. Markt, die wir wieder eingestellt haben.
Eine absolute Erfolgsgeschichte ist es Das passiert. Manchmal ist es risikoreiaber nicht. Es ist vielmehr ein Nischen- cher, beim Altbewährten zu bleiben und
produkt. Der Cola-Markt ist nunmal nichts zu wagen. Es gilt immer abzuwäeiner der schwierigsten Märkte, die es gen, was nötig ist und was machbar.
gibt, da er bereits von vielen starken Grundsätzlich also so viel wie nötig, so
wenig wie möglich. Jede Innovation kosMarken besetzt ist.
tet Geld, Energie und Aufwand. Wir wolAber das war Ihnen doch bereits vor der len uns weiterentwickeln, auch damit
Lancierung klar. Was hat Sie dennoch die Menschen wissen, dass es uns noch
dazu bewogen, gegen Konzerne wie gibt und dass wir, immer wieder SpanCoca-Cola, Pepsi oder Red Bull anzutre- nendes kreieren können. Wichtig ist
aber auch, es nicht zu übertreiben. Zum
ten?
Einerseits war uns das schon bewusst, zweiten Teil Ihrer Frage: Den Mut zu finandererseits vielleicht doch ein biss- den, ein Produkt wieder vom Markt zu
chen zu wenig klar, wie schwierig es tat- nehmen, ist genau so wichtig. Allerdings
sächlich ist. Aber wir hatten für uns ist dies für mich viel eher eine Erfaheinen ausschlaggebenden Grund es zu rung, denn ein Misserfolg. Das ist eine
wagen: Wir betreiben viel Sponsoring Frage der Lebensphilosophie.
bei Veranstaltungen und sind dort dann
als exklusiver Vertragspartner vor Ort. Was meinen Sie damit konkret?
Bevor wir Goba-Cola entwickelt hatten, Wenn wir ein neues Produkt wieder
mussten wir immer Cola von Fremdan- vom Markt nehmen und es als Misserbietern zulassen. Jetzt haben wir eine folg verbuchen, dann entwerten wir all
wahre Produktexklusivität inklusive die Arbeit und das Herzblut, das wir
Goba-Cola und unserem Eistee «Iisfee» zuvor reingesteckt haben. Da geht man
«Manchmal ist
es risikoreicher,
beim Altbewährten
zu bleiben und
nichts zu wagen.»
Gabriela Manser,
Geschäftsführerin der Goba AG
dann nicht sehr nett mit sich selbst um.
Wenn ich aber sage, dass das eine Erfahrung ist, die einen weitergebracht
hat, dann gebe ich dem Ganzen einen
Wert. Das Resultat ist zwar beides Mal
gleich: Man muss ein Produkt vom
Markt nehmen. Die Frage ist aber, was
man davon mitnimmt und vielleicht in
die nächste Innovation integrieren
kann. Für meine Art, in der Welt zu stehen, ist es einfach zentral, vermeintliche Rückschläge als wichtige Erfahrungen anzusehen.
Haben Sie das Leben schon immer so
gesehen oder mussten Sie sich diese Philosophie erst aneignen?
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, ich
bin mit einer gewissen Portion Zuversicht geboren worden, weil ich das berühmte Glas eigentlich schon immer als
halb voll wahrgenommen habe. Aber es
ist schon so, dass es auch in meinem
Leben irgendwann einmal eine Entscheidung gebraucht hat. Also aktiv zu
sagen: Ich habe die Wahl. Ich kann mir
das Leben selbst schwer machen,
indem ich nur Probleme sehe oder ich
konzentriere mich auf die Chancen.
Das bedeutet natürlich Arbeit an sich
selbst, ohne da jetzt all zu esoterisch rüberkommen zu wollen. Vielleicht ist das
aber auch eine Entwicklung, die eng mit
meinem ersten Berufsleben als Pädagogin zusammenhängt. Da siehst du
jeden Tag Kinder, die umfallen, wieder
aufstehen und daraus lernen.
Sie haben gerade Ihr erstes Berufsleben
angesprochen. Sie waren 17 Jahre Pädagogin, bevor Sie die Mineralquelle
von Ihren Eltern übernommen haben.
Das Unternehmen war damals arg angeschlagen. Waren Sie da auch schon so
zuversichtlich oder hatten Sie Angst?
Also wenn meine Angst grösser gewesen
wäre als die Vision, dann hätte ich es
nicht gemacht. Ich habe die Möglichkeiten gesehen, die grösser waren als das
gefühlte Risiko und auch eine gewisse
Dringlichkeit verspürt. Als ich den Weg
gegangen bin, habe ich nicht darüber
nachgedacht, ob das jetzt eine mutige
Entscheidung ist. Aber rückblickend
denkt man sich dann manchmal schon:
«Hui, das war aber ganz schön mutig!»
Das war es in der Tat. Aber inwiefern
verspürten Sie eine Art Dringlichkeit?
Ich war eine sehr glückliche Kindergärtnerin. Nebenbei habe ich noch die
Schulleitung von 45 Kindergärten übernommen und ziemlich schnell gemerkt,
dass mir das gefällt. Ich wollte in meinen verbleibenden 20, 30 Berufsjahren
gerne noch Herausforderungen angehen und das Führen von Menschen
schien mir immer erstrebenswerter. Zu
dem Zeitpunkt zielte der Gedanke aber
eigentlich nur in Richtung Schulleitung,
bis mir auf einmal klar wurde, dass wir
zu Hause ein Unternehmen haben, das
verkauft werden soll und das ich doch
eigentlich führen könnte. Und dann
ich die richtigen Menschen am richtigen
Ort. Das Team muss funktionieren, das
ist meine Aufgabe und das verstehe ich
unter «Führen». Ich fordere sehr viel von
meinen Mitarbeitern, mir ist ein konstruktives Miteinander sehr wichtig.
Seit Ihrer Übernahme ist die Goba AG
beständig gewachsen. Wie beurteilen Sie
die derzeitige Grösse?
Eine weitere Säule unserer Unternehmensphilosophie ist es, gesund klein zu
bleiben. Gesund heisst rentabel. Und
das bedeutet auch Wachstum. Wir haben
immer viele Investitionsprojekte. Gerade
ist die Flauderei eröffnet worden und
jetzt ist ein grosses Reservoir im Bau. Die
Grösse ist immer wieder kritisch zu hinterfragen und genau zu analysieren, was
macht wo Sinn und was nicht. Auf der
anderen Seite haben wir mit der Mineralquelle eine begrenzte Ressource. Es
geht also immer darum, Wertigkeit zu
schaffen. Genau da hockt der Hund im
Pfeffer und das ist spannend.
«Innovation fällt
nicht einfach so
vom Himmel»
MIT GABRIELA MANSER
SPRACH KIRSTIN DESCHLER
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Erste! Gabriela Manser mit einem
Sixpack ihrer «Goba-Cola». Die hat
sie bereits vor fünf Jahren mit Stevia
gesüsst – also lange vor der CocaCola-Variante «Cola Life».
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STECKBRIEF
Name: Gabriela Manser
Funktion: Geschäftsführerin der
Goba AG, Mineralquelle und Manufaktur
Jahrgang: 1962
Karriere: Gabriela Manser übernahm 1999 die Mineralquelle Gontenbad AG (Goba). Nach einer
kaufmännischen Lehre und Ausbildung zur Kindergärtnerin arbeitete die gebürtige Appenzellerin 17
Jahre als Pädagogin im Kindergarten, im Spital und als Schulleiterin.
Sie hat sich laufend im Bereich
Führung und Management weitergebildet. Manser ist zudem Atemtherapeutin. Als Unternehmerin
wurde sie vielfach ausgezeichnet,
unter anderem mit dem Prix
Veuve Clicquots als Unternehmerin des Jahres 2005.
Das Unternehmen: Die Goba AG
beschäftigt an drei Standorten
(Gontenbad, Bühler, Appenzell)
derzeit 55 Mitarbeiter. Seit der
Übernahme durch Gabriela Manser
im Jahr 1999 konnte der Absatz
verachtfacht werden auf insgesamt
17 Millionen Flaschen pro Jahr. Das
neuste Produkt ist «Chalte Kafi».
auch noch eine Firma, die sich mit so
etwas Lebendigem wie Wasser beschäftigt. Die Herausforderung war dann allerdings die Frage, wie die Mineralquelle wieder zu einem gut funktionierenden Betrieb gemacht werden kann.
War das nicht schwierig, als Tochter anzukommen und allerlei Innovationen
vornehmen zu wollen?
Ich glaube für das Unternehmen war es
eine riesige Chance, dass der Papa zu
diesem Zeitpunkt einfach nicht mehr
wollte. Wir hatten einen klaren Schnitt
und er hat mir nicht reingeredet. Ich
schätze meinen Papa sehr dafür, er hat
das goldig gemacht. Das ist eine wahnsinnige Leistung, zu sagen: «Da, nimm
und mach, wie du es für richtig hältst!»
Für mich, die ich ja absolut branchenfremd war, gab es aber schon Momente,
in denen ich mir ein bisschen einsam
vorgekommen bin. Rückblickend war es
genau richtig. Ausserdem wusste ich
ziemlich bald, was ich kann und was
nicht und habe mir von Anfang an
Fachleute geholt. Es ist ja nicht mein
Job, alles bis ins kleinste Detail zu wissen, sondern vielmehr, den Blumestrauss immer wieder zusammenzubinden. Für die einzelnen Blüten brauche
Ihr aktuellstes Projekt ist kein Getränk,
sondern, wie eben erwähnt, die «Flauderei». Was verbirgt sich denn dahinter?
Wir haben eine starke, regionale Marke,
sind sozusagen an der Quelle verwurzelt. Wir verwenden Kräuter von Bauern
aus der Region und mit diesem Ort, mitten in Appenzell, wollten wir eine kleine
Welt erschaffen, es möglich machen,
dass man in die Gobawelt eintauchen
kann. Die Tapeten wurden für uns hergestellt, mit Abbildungen und Zeichnungen von den verwendeten Kräutern
in den Produkten. Sie können verweilen
und degustieren. Nach einer ganz kurzen Bauzeit haben wir am 6. Dezember
eröffnet. Es ist nicht einfach nur ein
Laden, es ist viel mehr, ein wirkliches
Herzensprojekt.
Nicht nur durch Flauder ist Goba ganz
nah mit Ihrer Person verknüpft. Ist das
Vor- oder Nachteil? Oder beides?
Ich sag es mal so, ausgesucht habe ich
mir das nicht. Aber: Wenn man kein
Marketingbudget hat, gibt es nicht so
viele Möglichkeiten. Und so lag es auf
der Hand, dass wir die Firma personifizieren. Der Vorteil ist, dass die Kunden
wissen, wer dahinter steht. Das gibt
auch Vertrauen.
Sie bewegen sich als Geschäftsführerin
in einer eher männerbesetzten Ebene.
Die Frauenquote wird nach wie vor
heiss diskutiert. Ihre Meinung?
Ich bin der Meinung, dass Frauen in Führungsetagen gehören. Es gibt so viele
topausgebildete Frauen, die auch mit Familie ausgezeichnete Arbeit leisten können. Hier ist auch die Frage nach alternativen Arbeitszeitmodellen wichtig –
und zwar nicht nur für Frauen, sondern
auch für Männer. Um Ihre Frage nach der
Frauenquote zu beantworten: Ja, ich
glaube es bräuchte eine Quotenregelung,
zumindest temporär. Wenn Frauen dann
einmal in Führungsgremien sitzen, wird
sich herausstellen, dass die Mischung
spannend und gewinnbringend ist.
Gretchenfrage: Wie halten Sie’s denn
mit der Quote?
Ich habe erst kürzlich am eigenen Leib
gespürt, wie schwierig es sein kann, diese
auch tatsächlich zu praktizieren und
nicht nur zu vertreten. Im Verwaltungsrat
sind wir drei Frauen und drei Männer. In
der Geschäftsleitung sind wir zu viert.
Zwei Stellen waren neu zu besetzen. Für
den Verkauf haben wir sofort einen Mann
gefunden, also war klar, dass ich für die
Administration eine Frau einstellen
werde. Ja, aber bringen Sie das mal den
Bewerbern bei! Wenn genügend Fachleute zur Verfügung stehen, hat ein ausgewogenes Gremium allerdings Priorität.
Mittlerweile sind Sie fast so lange Geschäftsführerin der Goba AG wie Pädagogin. Sie wollten beim Wechsel eine
neue Herausforderung. Haben Sie die
bekommen? Sind Sie glücklich?
Ja, sogar sehr! Das variiert natürlich und
bei dem Arbeitspensum im letzten Jahr
habe ich auch zeitweise gehadert,
warum ich mir das eigentlich antue.
Aber jetzt, wo die Flauderei fertig ist,
weiss ich, wozu es gut war. Und das
macht einfach Freude, weil ich etwas bewirken kann. Und das immer wieder zu
erfahren, das hilft mir. Ich fühle mich
sehr privilegiert, weil meine Arbeit so
vielfältig ist.