Christen und Muslime in Niedersachsen Mitteilungen 9, 2015 1. Niedersachsen 1.1. Runder Tisch der Religionen wendet sich gegen Stimmungsmache gegen Flüchtlinge Vertreter der Religionsgemeinschaften haben vor einer Stimmungsmache auf Kosten von Flüchtlingen gewarnt. Die Religionen müssten sich dagegen wehren, dass „Ängste und radikale Strömungen“ gezüchtet würden, sagte der Hamburger katholische Weihbischof Hans-Jochen Jaschke beim jährlichen „Tag der Religionen“ des Runden Tisches der Religionen in Deutschland. Der Tag fand in diesem Jahr auf Einladung des Oberbürgermeister der Stadt Hannover, Stefan Schostok, im Rathaus in Hannover statt. Lokaler Kooperationspartner waren der Rat der Religionen und das von ihm geleitete Haus der Religionen in Hannover. Der Vertreter des islamischen DITIB-Bundesverbands, Zekeriya Altug, betonte, in der Flüchtlingsdiskussion müssten in erster Linie die Hilfe suchende Menschen im Zentrum stehen. „Wir wachsen momentan in dieser Situation als Gesellschaft zusammen, so Altug. „Zum ersten Mal haben sich Muslime in Deutschland als Einheimische gefühlt, die neue Menschen willkommen heißen.“ Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl sei eine Chance für die Zukunft. Deutlich wandten sich alle Vertreter des Runden Tisches gegen Forderungen, christliche und muslimische Flüchtlinge in den Aufnahmeeinrichtungen zu trennen, um Konflikte zu vermeiden. Burhan Kersici vom Islamrat fürchtet, eine solche Trennung nach Religionen könne der Anfang einer tiefer gehenden Spaltung sein. Sie werde sich dann möglicherweise im Kindergarten und in der Schule fortsetzen. „Irgendwann hat man die ganze Gesellschaft getrennt.“ Wolfgang Reinbold vom Haus der Religionen warnte davor, in eine „Identitätsfalle“ zu tappen. Konflikte in Flüchtlingsunterkünften drehten sich meist um Alltagsfragen. Sie mit der Religionszugehörigkeit zu verknüpfen, könne zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden (mehr). 1.2. Hannover: Multireligiöses Gedenkgebet für die Opfer des Terrors in Paris Etwa 500 Menschen haben in der Marktkirche in Hannover bei einem multireligiösen Friedensgebet der Opfer der Terroranschläge von Paris (mehr) und Beirut gedacht. „Wir wollen aus Hannover ein Signal nach Paris und nach ganz Europa senden, dass wir mit den Opfern solidarisch sind“, sagte der christliche Sprecher des Rates der Religionen, Propst Martin Tenge. Die muslimische Sprecherin des Rates, Hamideh Mohagheghi, rief dazu auf, jeder Form von Extremismus und Fanatismus entschieden zu widerstehen. „Diese Gewalttaten zeigen uns, wohin Verblendung und Hass angeblich im Namen der Religion führen können“, sagte sie. „Wir dürfen nicht zulassen, dass derartige Brutalität das gute Zusammenleben unter uns ins Schwanken bringt.“ Gott verbiete solche „schändlichen, verwerflichen“ Gewalttaten, betonte Mohagheghi. „Unser Mitgefühl gehört den Opfern, ihren Familien und dem ganzen französischen Volk, die in diesen Stunden ihr Leid zu verarbeiten haben.“ Für die jüdischen Gemeinden rief Ingrid Wettberg dazu auf, sich durch den Terror nicht einschüchtern zu lassen: „Das wird diesen Mördern nicht gelingen, da bin ich mir ganz sicher.“ An dem Gebet, zu dem der Rat der Religionen gemeinsam mit der Marktkirche eingeladen hatte, nahmen unter anderen Oberbürgermeister Stefan Schostok, Bürgermeister Thomas Hermann, der evangelische Landesbischof Ralf Meister, der Vorsitzende des Landesverbands der Muslime in Niedersachsen, Avni Altiner, Rabbiner Gabor Lengyel, die niedersächsische Integrationsbeauftragte Doris Schröder-Köpf, der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder sowie SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi teil (mehr). 1.3. Braunschweig: „Museum der Religionen“ in Planung Nach gut einjähriger Sanierung hat das Braunschweigische Landesmuseum seinen Standort „Hinter Aegidien“ zur Religionsgeschichte wieder eröffnet. Damit werde das teilweise 900 Jahre alte Gebäude auf die Zukunft ausgerichtet, sagte Museumsdirektorin Heike Pöppelmann anlässlich der Eröffnung. Vor allem der Eingang und die Räume zur jüdischen Religions- und Kulturgeschichte wurden saniert. Das Museum beherbergt unter anderem die barocke Inneneinrichtung der ehemaligen Synagoge aus Hornburg im Harzvorland. Sie gilt als ein einzigartiges Zeugnis jüdischer Geschichte in Norddeutschland. Künftig solle an dem Standort auf insgesamt 1.400 Quadratmetern ein „Museum der Religionen“ entstehen, sagte Pöppelmann. Dafür seien weitere Sanierungen im derzeit nicht zugänglichen Obergeschoss geplant. Die Exponate würden dann mit einer Ausstellung zum Islam ergänzt. Ziel des Museums sei es auch, „aufzuklären und Begegnungen zu schaffen“ (mehr). 2 1.4. Ahmadiyya-Muslime legen Grundstein für neue Moschee in Nordhorn Repräsentanten der Ahmadiyya-Gemeinde haben in Nordhorn den Grundstein für eine neue Moschee gelegt. Anwesend bei der Zeremonie war unter anderen das weltweite geistliche Oberhaupt der Ahmadiyya, Kalif Mirza Masrur Ahmad, aus London. Zurzeit zählt die Gemeinde der geplanten Moschee nach eigenen Angaben 25 Mitglieder. Die neue Moschee werde zwei Gebetsräume für etwa 100 Personen und ein Minarett haben, erklärte ein Sprecher. Der Kauf des Grundstücks sei abgeschlossen, in Kürze werde ein Bauantrag eingereicht. Die Behörden hätten großes Wohlwollen signalisiert. „Die Bevölkerung in Nordhorn ist uns stets mit großer Offenheit und Toleranz begegnet“, so der Sprecher der Nordhorner Ahmadiyya-Gemeinde, Behzad Ahmad. Der geplante Bau einer Moschee in Buxtehude ist vorerst gestoppt. Grund dafür ist nach Angaben der Stadtverwaltung die Nähe zu einem Chemiebetrieb. Die Moschee würde innerhalb einer Zone liegen, in der nur in dringenden Fällen gebaut werden dürfe, so die Verwaltung (mehr). Der Verband der Ahmadiyya ist in Hessen und Hamburg als Körperschaft des Öffentlichen Rechts anerkannt. Nach eigenen Angaben hat er bundesweit etwa 36.000 Mitglieder (mehr). 1.5. Islamische Religion wird reguläres Studienfach, interkulturelle Kompetenz wird gefördert Lehrerinnen und Lehrer aller Schularten können in Niedersachsen künftig das Fach „Islamische Religion“ studieren. Das Fach sei fest in den Fächerkanon aufgenommen worden, teilte die Landesregierung in Hannover mit. Bislang sei lediglich ein Ergänzungsstudium angeboten worden. Das Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück werde die neuen Studienangebote nach und nach aufbauen. Zugleich mit der Änderung der Verordnung werde auch in anderen Bereichen auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert, hieß es weiter. So sollen alle angehenden Lehrkräfte künftig Grundlegendes zu Themen wie Inklusion und Interkultureller Kompetenz lernen (mehr). 1.6. Radikale muslimische Szene in Niedersachsen wächst Die Zahl radikaler Muslime ist in Niedersachsen weiter gewachsen. Das geht aus mehreren Antworten der Landesregierung im Landtag hervor. Neben Wolfsburg scheint sich Hildesheim zu einer zweiten Hochburg zu entwickeln. So seien mittlerweile 64 Personen aus Niedersachsen bekannt, die in den Krieg in Syrien gezogen sind. 23 von ihnen kamen aus Wolfsburg, 19 aus Hildesheim, je 5 aus Hannover und Oldenburg, je 3 aus Osnabrück und Göttingen. Zentrum der Aktivitäten in Hildesheim ist nach Angaben des Verfassungsschutzes der Verein „Deutschsprachiger Islamkreis e.V.“, der unter anderem Seminare anbietet. Diese könnten „einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Radikalisierung und mögliche Ausreiseabsichten nach Syrien/Irak“, sagte ein Behördensprecher. Von den ausgereisten 64 Personen, drei Viertel von ihnen Männer, sind nach Angaben der Landesregierung vermutlich 13 ums Leben gekommen, 3 davon als Selbstmordattentäter. 22 Personen sind mittlerweile nach Niedersachsen zurückgekehrt, unter ihnen die beiden Wolfsburger, denen derzeit vor dem Oberlandesgericht Celle der Prozess gemacht wird. „Das zeigt, dass die Gefahr des islamistischen Terrorismus weiterhin sehr ernst zu nehmen ist“, sagte der Rechtsexperte der GrünenFraktion im Landtag, Helge Limburg. „Es zeigt auch, dass die bestehenden Gesetze ausreichen“. Versuche von Salafisten, Asylsuchende anzuwerben, hat es nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes bisher nur in Einzelfällen gegeben. Bisher handele es sich dabei nicht um ein „flächendeckendes Phänomen“, so die Behörde (mehr). 1.7. Universität Osnabrück: Neue Weiterbildung „Jugendarbeit in den Moscheegemeinden“ Die Universität Osnabrück bietet Moscheen erneut Hilfe beim Kampf gegen Extremismus an. Das Institut für Islamische Theologie starte im Dezember mit dem zweiten Weiterbildungsprogramm „Jugendarbeit in den Moscheegemeinden und Extremismusprävention“, teilte die Universität mit. Gemeinsam mit dem Museum für Islamische Kunst in Berlin werde ein neuer Schwerpunkt „kulturelle Bildung“ gesetzt. Die einjährige Fortbildung gebe dem Moschee-Personal Informationen über Geschichte, Politik, Recht und Gesellschaft der Bundesrepublik, erklärte der Direktor des Instituts, Bülent Ucar. Zudem würden pädagogische Kenntnisse über Jugend- und Gemeindearbeit und den interreligiösen Dialog vermittelt. Ziel sei es, Jugendliche vor dem Abgleiten in religiösen Extremismus zu bewahren. Neu sei die Zusammenarbeit mit dem Museum für Islamische Kunst im Berliner Pergamonmuseum. „Wir freuen uns darauf, die europaweit einzigartige Sammlung des Museums mit seinen herausragenden Zeugnissen islamischer Kunst und Kultur noch viel mehr Muslimen in Deutschland zugänglich zu machen“, so der Direktor des Museums für Islamische Kunst, Stefan Weber. Die Kunstwerke sollen für die praktische Arbeit in den Moscheegemeinden erschlossen werden (mehr). Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers, Haus kirchlicher Dienste, Kirche und Islam Prof. Dr. Wolfgang Reinbold, [email protected], 0511 – 1241-972 www.kirchliche-dienste.de ISSN 2191-6772 3 1.8. Osnabrück: Bülent Ucar erhält Bundesverdienstkreuz Der Direktor des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück, Bülent Uçar, ist von Bundespräsident Gauck mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden. Professor Uçar erhalte das Verdienstkreuz am Bande insbesondere für seine Pionierarbeit im Bereich der Islamischen Religionspädagogik, teilte das Bundespräsidialamt mit. In der Verleihungsbegründung heißt es unter anderem: „Bülent Uçar ist national wie international ein gefragter Ansprechpartner und Vermittler für Politik und Öffentlichkeit. Er wirkte am Modellprojekt ‚Weiterbildung von Imamen‘ mit, unterstützte die Islamkonferenz des Bundesministers des Innern als Experte und wurde in die Arbeitsgemeinschaft ‚Deutschlands Selbstbild‘ beim Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin berufen.“ Ebenso werden Uçars Verdienste um das muslimische Studienwerk „Avicenna“ hervorgehoben, dessen Vorsitzender er seit der Gründung im Jahr 2012 ist (mehr). 1.9. Hannover/Münster: Peter Antes erhält Friedenspreis des Islam-Instituts Der Religionswissenschaftler Peter Antes aus Hannover ist mit dem Friedenspreis des Zentralinstituts Islam-Archiv Deutschland ausgezeichnet worden. Antes sei einer der Pioniere des ChristlichIslamischen Dialogs, sagte der Direktor des Instituts, Mohammad Salim Abdullah bei der Preisverleihung im westfälischen Soest. Peter Antes forschte und lehrte von 1973 bis 2012 als Religionswissenschaftler an der Leibniz Universität in Hannover. Er ist Gründungsmitglied des Vereins „Haus der Religionen“ und beratendes Mitglied des Rates der Religionen in Hannover. Das Haus der Religionen würdigte ihn als Wegbereiter des interreligiösen Dalogs. „Professor Antes setzt sich seit vier Jahrzehnten mit aller Kraft ein für den interreligiösen Dialog.“ Nicht zuletzt seinem Engagement sei es zu verdanken, dass es in Hannover das bundesweit einzigartige Haus der Religionen gebe, erklärte der Vereinsvorsitzende Wolfgang Reinbold (mehr). 2. Allgemeine Lage Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Navid Kermani Der iranisch-deutsche Autor Navid Kermani hat eindringlich an die internationale Gemeinschaft appelliert, den Krieg in Syrien und dem Irak zu beenden. Dazu seien weit entschlossenere diplomatische und möglicherweise auch militärische Schritte notwendig, sagte der Orientalist und Schriftsteller in der Frankfurter Paulskirche vor fast 1000 Besuchern. Dort nahm er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegen. Die Terrormiliz Islamischer Staat mit ihren maximal 30.000 Kämpfern könne besiegt werden, so Kermani, der als Sohn iranischer Einwanderer in Siegen geboren wurde und in Köln lebt. „Wahrscheinlich werden wir Fehler machen, was immer wir jetzt noch tun. Aber den größten Fehler begehen wir, wenn wir weiterhin nichts oder so wenig gegen den Massenmord vor unserer europäischen Haustür tun, den des ‚Islamischen Staates‘ und den des Assad-Regimes.“ Kermani bezeichnete es als „beglückend“, dass sich vor allem in Deutschland so viele Menschen für Flüchtlinge einsetzten. Zugleich forderte er eine Debatte über die Ursachen des Terrors und der Fluchtbewegung. „Wir fragen nicht, warum unser engster Partner im Nahen Osten ausgerechnet Saudi-Arabien ist“, kritisierte Kermani und warf dem Land die Finanzierung des Dschihadismus vor. Der Westen dürfe aus den desaströsen Kriegen im Irak und in Libyen nicht den Schluss ziehen, sich bei Völkermord besser herauszuhalten. Der Orientalist beklagte, dass die im Mittelalter tolerante multikulturelle islamische Kultur in den muslimischen Ländern ausgelöscht sei. Alle Völker des Orients hätten durch den Kolonialismus und säkulare Diktaturen „eine brutale von oben verordnete Modernisierung“ erlebt. Die Fundamentalisten hätten die Zerstörung der Tradition weiter vorangetrieben (mehr). 3. Veranstaltungen Dialog!? Wofür steht die Gülen-Bewegung? Religionen im Gespräch 26. November 2015, 19 Uhr, Haus der Religionen, Böhmerstr. 8, Hannover Gäste: Ercan Karakoyun, Mahmut Altinzencir, Friedmann Eißler. Moderation: Wolfgang Reinbold. Veranstalter: Haus kirchlicher Dienste der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers (mehr). Hannover, den 16.11.2015 Unser Angebot enthält Links zu Webseiten Dritter, für deren Inhalte wir keine Gewähr übernehmen. Die verlinkten Seiten wurden zum Zeitpunkt der Verlinkung auf Rechtsverstöße überprüft, rechtswidrige Inhalte waren nicht erkennbar. Eine permanente Kontrolle der verlinkten Seiten ist ohne konkrete Anhaltspunkte einer Rechtsverletzung nicht zumutbar. Bei Bekanntwerden von Rechtsverletzungen werden wir derartige Links umgehend entfernen. 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