12 | B E R L I N E R G E S P R Ä C H E LEBENSHILFE-ZEITUNG 4/2015 In unserer LHZ-Serie „Berliner Gespräche“ führen ReporterTandems, ein Mensch mit, einer ohne Behinderung, gemeinsame Interviews. Die Interview-Partner kommen aus der Politik, der Wirtschaft, aus der Kultur oder dem Sport. Für diese Kooperation hat die LHZ Schauspieler aus dem integrativen Theater Thikwa in Berlin gewonnen. Dazu gehören Peter Pankow (von links), Nico Altmann, Katharina Maasberg, Torsten Holzapfel, Anne-Sophie Mosch, Robert Janning und Martina Nitz. Wir bereiten die Gespräche immer in der Gruppe vor. Zunächst holen wir Informationen aus dem Internet, dann überlegen wir uns die Fragen. „Für Inklusion brauchen wir keine Schubladen“ Frau Werner, Ihr Vorgänger als behindertenpolitischer Sprecher der Linksfraktion war über viele Jahre Ilja Seifert, der selbst Rollstuhlfahrer ist. Wie kam es, dass Sie seine Nachfolgerin wurden? Einfach gesagt: Ich habe mich in meiner Fraktion um das Amt beworben und wurde gewählt. Ich war davor schon im Menschenrechtsausschuss des Bundestages. Bei der Inklusion geht es ja um Menschenrechte. Und als alleinerziehende Mutter habe ich Erfahrung damit, Anträge zu stellen. Dabei erlebt man auch Ausgrenzung, da gibt es viele Parallelen zu Menschen mit Behinderung. Katrin Werner ist Politikerin der Partei „Die Linke“. Sie ist Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Dort setzt sie sich für Menschen mit Behinderung ein. Mit Katrin Werner sprachen wir über Flüchtlinge, den VW-Skandal und das Bundes-Teilhabe-Gesetz. Das Bild zeigt die Themen des Gesprächs. Das große Thema Flüchtlinge beschäftigt auch uns sehr. Schaffen wir das wirklich, wie die Kanzlerin es sagt? Es war schon wichtig, dass sich die Kanzlerin positiv geäußert hat. Wenn wir die Flüchtlinge als Chance betrachten, ist das zu schaffen. Deutschland ist ein reiches Land, und die große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung macht Hoffnung. Wir brauchen eine soziale Politik, die die Menschen aufnimmt und integriert. Daran ist in den letzten Jahren stark gespart worden. Deswegen scheinen die Herausforderungen nun sehr groß. Deutschland hat aber eine solche Herausforderung schon zweimal bewältigt: nach der Wende 1989 und nach dem Krieg 1945. Die Politiker müssen jetzt aufpassen, was sie zum Flüchtlingsthema sagen, damit sie ablehnende Stimmungen nicht anheizen. Wichtig ist doch zum Beispiel ein menschenwürdiger Ort zum Wohnen. Haben Sie dafür eine Lösung? Bei einer Parlamentarier-Reise durch Österreich habe ich Flüchtlinge in einem zugigen Bahnhof auf Matratzen mit Decken liegen sehen. Andere leben – auch hier in Deutschland – in unbeheizten Zelten. In den sozialen Wohnungsbau wurde bei uns sowieso schon zu wenig investiert. Jetzt müssen wir wegen der Flüchtlinge noch mehrere Schippen drauflegen. Als Sofortmaßnahme muss der Bund seine leer stehenden Gebäude zur Verfügung stellen und mehr Geld für dezentrale Unterbringungsmöglichkeiten geben. Auf Dauer dürfen die Menschen nicht in abgelegenen Massenunterkünften bleiben. Haben Sie persönlich Kontakt zu Flüchtlingen? In der Erstaufnahme-Einrichtung in meinem Wahlkreis Trier war ich schon häufig. Da habe ich mit den Menschen über ihre Probleme gesprochen. Über mein Wahlkreisbüro haben wir auch Spendensammlungen organisiert und das Geld an die Flüchtlinge verteilt. Für eine Familie, die abgeschoben werden sollte, habe ich mich persönlich eingesetzt. Was läuft falsch im weltweiten Kampf gegen den islamistischen Terrorismus, der die Menschen in Massen aus ihren Ländern vertreibt? Es geht um Macht und Geld. In der Vergangenheit ist dort viel schief- sen des Bundestages bräuchten wir jedoch mehr Zeit. Hier müsste das Verhältnis zu den Regierungsparteien umgekehrt sein. Schließlich ist es ja Aufgabe der Opposition, Kritik zu üben. Das geht aber nicht fundiert in wenigen Minuten. Bei Volkswagen ist gerade wieder zu erleben, dass es in der Wirtschaft vor allem darum geht, immer höhere Gewinne zu machen. Die Umwelt und die Menschen bleiben dabei oft auf der Strecke. Was muss sich ändern? Das ist ein grundsätzliches Problem unserer Wirtschaftsweise, dass wir nur mit einer sozialeren Politik in den Griff bekommen. Zunächst muss dieser Skandal umfassend aufgeklärt und die nötigen Konsequenzen gezogen werden. Insgesamt muss in der Arbeit der Leistungsdruck geringer werden. Die Menschen brauchen Zeit für sich, für ihre Familien. Wenige verdienen Millionen mit der Arbeitsleistung vieler, das muss gerechter verteilt werden. Ihre Eltern haben zu DDR-Zeiten bei der Nationalen Volksarmee (NVA) gearbeitet. Sie gehören einer Partei an, die gegen Militäreinsätze ist. Gab oder gibt es da Spannungen in der Familie? (Lacht) Ich bin in einer Armeesiedlung in Mecklenburg-Vorpommern groß geworden. Mein Vater war Major und Werkstattleiter, meine Mutter war Fachgebietsleiterin des Militärhandels der NVA. Spannungen gab und gibt es zwischen uns nicht. Man muss sich schon wundern, was man so über sich und seine Familie im Internet findet. „Tochter eines Mauerschützen“ habe ich da einmal über mich gelesen. Dagegen bin ich dann vorgegangen. Katrin Werner mit Peter Pankow vom Theater Thikwa. Die Fragen hatten die Schauspieler vorher gemeinsam in einem Bild künstlerisch umgesetzt. Foto: Peer Brocke gelaufen. Vor allem bei den vielen Waffenexporten in die Region. Das hat die Konflikte dort weiter verschärft. Deutschland ist übrigens der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Unser Geld sollten wir besser den friedlichen Nichtregierungsorganisationen in diesen Ländern geben. Überlagern die Flüchtlinge andere wichtige soziale Aufgaben oder Projekte? Sind zum Beispiel das geplante Bundesteilhabegesetz und damit die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Gefahr? Ich will das nicht beschönigen. Ich befürchte, das Bundesteilhabegesetz könnte unter diesen Entwicklungen leiden. Bundesfinanzminister Schäuble, der an der schwarzen Null festhält, trägt sicher dazu bei. Das ist nicht hilfreich! Umso wichtiger ist es, den öffentlichen Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen. Die verschiedenen Gruppen, die in unserer Gesellschaft diskriminiert werden, müssen zusammenstehen. Alle Menschen, egal ob behindert oder Flüchtling, haben das gleiche Recht auf gesellschaftliche Teilhabe. Sind Sie für eine inklusive Schule, in der Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam unterrichtet werden? Ja, ohne Wenn und Aber! Die Linke und ich kämpfen für die Umsetzung der UN-Konvention. Kinder lernen schon im Kindergarten mit ihren Unterschieden umzugehen. Wenn man sie in der Schule wieder voneinander trennt, verlernen sie das wieder. Wir brauchen barrierefreie Schulen und mehr gut ausgebildete Lehrer. Wir Menschen mit Behinderung fordern seit langem höhere, gerechtere Entgelte für Werkstattarbeit oder bessere Zu- und Übergänge in den ersten Arbeitsmarkt. Was tun Sie dafür? Meine Partei will, dass Werkstattbeschäftigte ein Recht auf ein reguläres Arbeitsverhältnis und eine tarifliche Entlohnung bekommen. Für Inklusion brauchen wir keine Schubladen. Deshalb gehört die Unterscheidung zwischen „werkstattfähigen“ und „nicht werkstattfähigen“ Menschen abgeschafft, ebenso der „arbeitnehmerähnliche Status“ in der Werkstatt. Wer auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt wird, soll ein unbefristetes Rückkehrrecht für die Werkstatt behalten. Das sind unsere Positionen, die wir in diesem Jahr mit unserem Antrag „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung“ in den Bundestag eingebracht haben. Es wurde noch nicht darüber abgestimmt, aber wir gehen davon aus, dass der Antrag von der Regierungsmehrheit abgelehnt wird. Können Sie im Deutschen Bundestag überhaupt etwas von Ihren politischen Vorstellungen gegen die Übermacht der Großen Koalition durchsetzen? Das ist tatsächlich ein riesengroßes Problem als Opposition. Aber wir haben immerhin die kleinen und großen Anfragen. Auch die Reden im Bundestag sind eine Möglichkeit, Öffentlichkeit herzustellen. Denken Sie an den Mindestlohn. Den haben wir schon vor zehn Jahren gefordert, nun wurde er beschlossen. Wir können Themen setzen, vor allem auf kommunaler und Länderebene. Bei den Anhörungen in den Ausschüs- Sie pendeln zwischen Berlin und Ihrem Wahlkreis Trier. Wie schaffen Sie den Politiker-Job als Mutter einer achtjährigen Tochter? Mit der Unterstützung meiner Familie und des Kinderhorts geht das. Die Zeit, die meine Tochter und ich dann gemeinsam verbringen, ist oft intensiver. Kommen Sie noch zu Ihrem Hobby, dem Schachspielen? Das habe ich schon als Kind im Schachverein gelernt. Der wurde von der Armee gesponsert. Ich habe an Kreis-, Bezirks- und DDR-Meisterschaften teilgenommen. Nach der Wende dann sogar an der ersten gesamtdeutschen Meisterschaft. Das Geld für die Reise musste ich mir mit Kellnern verdienen. In Trier habe ich später eine Zeitlang Schach in der Schule unterrichtet. Heute spiele ich manchmal mit meiner Tochter und sonst noch zwei, drei Partien im Jahr. In der Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge in Trier habe ich auch schon mit meinem Großen Straßenschach gespielt. Das ist das Tolle an Schach: Man braucht keine Sprache, die Regeln sind auf der ganzen Welt gleich.
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