Ansprache des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in

Ansprache des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Lettland, Rolf Ernst Schütte,
bei der Feier zum 90. Geburtstag von Margers Vestermanis, Riga, 18. September 2015
Sehr geehrter Herr Vestermanis,
sehr geehrte Frau Vestermane,
Angehörige und Freunde der Familie,
sehr geehrter Herr Staatssekretär,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus dem Diplomatischen Corps,
Vertreter der jüdischen Gemeinde Lettlands,
meine Damen und Herren,
seit wenigen Tagen vertrete ich die Bundesrepublik Deutschland in Lettland. Das ist eine große Ehre.
Es ist eine ebenso große Ehre, dass ich als offizieller Vertreter Deutschlands zu einer Veranstaltung
eingeladen werde und auch einige Worte sprechen darf, bei der es um die Ehrung eines Holocaustund KZ-Überlebenden geht. Aus meiner Sicht ist das auch im Jahre 2015, d.h. 70 Jahre nach dem
Ende der Nazi-Herrschaft in Deutschland und Europa und also auch des Holocaust und der Befreiung
der Konzentrationslager, durchaus nicht selbstverständlich. Ich danke Ihnen, Herr Vestermanis, für
diese Einladung und diese Ehre.
Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass eine der letzten Veranstaltungen auf meinem bisherigen Posten
und eine der ersten auf meinem neuen Posten im Diplomatischen Dienst einen engen inhaltlichen
Bezug haben. Ich komme gerade aus Boston, wo ich das deutsche Generalkonsulat in den
Neuengland-Staaten leitete. Kurz vor meinem Abschied von dort hatte ich die Ehre, bei der zentralen
Gedenkfeier der Holocaust-Überlebenden im amerikanischen Nordosten eine Ansprache halten zu
dürfen. Der Hauptredner auf dieser Veranstaltung war ein in Riga geborener Jude, der mehrere
Konzentrationslager überlebt hat und dann in den USA ein neues Zuhause fand. Sein Name ist Max
Michelson; vielleicht ist sein Name dem einen oder anderen hier bekannt.
Michelson wurde 1924 in Riga geboren, Sie, sehr verehrter Herr Vestermanis, im Jahre 1925. Es gibt
auch viele andere Gemeinsamkeiten in Ihrer beider Lebenslauf. Was mich darin aber besonders
beeindruckt und auch rührt, ist die Tatsache, dass Sie trotz der bittersten Erfahrungen, die Sie
während der deutschen Besetzung Ihres Landes mit Deutschen machen mussten, sich nicht scheuten,
den Menschen im Nachkriegs- und Nach-Holocaust-Deutschland die Hand der Versöhnung und
Verständigung auszustrecken. Bereits im Jahre 2003 waren Sie, Herr Vestermanis, sogar bereit, aus
den Händen eines meiner Amtsvorgänger die Auszeichnung mit dem Verdienstkreuz der
Bundesrepublik Deutschland entgegenzunehmen, dem höchsten Orden meines Landes.
Auf verschiedenen Stellen, die ich in fast 35 Jahren im deutschen diplomatischen Dienst bekleidet
habe – sei es während meiner Jahre an der deutschen Botschaft in Israel, sei es in verschiedenen
Städten der USA, sei es in Berlin, als ich dort auch für das Emigrantenprogramm der Stadt zuständig
war – bin ich bei meinen intensiven Kontakten zu jüdischen Gemeinden und Organisationen immer
wieder auf große Persönlichkeiten wie Sie, sehr verehrter Herr Vestermanis, gestoßen.
Persönlichkeiten, die das unermessliche Leid, das Sie selbst und ihre Angehörigen und Freunde in der
Zeit der NS-Herrschaft erdulden mussten, selbstverständlich nicht hinter sich gelassen oder es gar
vergessen oder verdrängt haben, die es aber doch als Motivation begreifen, die daraus zu ziehenden
Lehren besonders jüngeren Menschen zu vermitteln, nicht zuletzt auch jungen Deutschen.
Herr Vestermanis, wir brauchen auch heute, 70 Jahre nach der Befreiung der KZ’s, Zeitzeugen wie
Sie, die aus eigener Erfahrung und jahrzehntelanger Beschäftigung mit dem Thema berichten
können, wie es gewesen ist, was zerstört wurde – nicht nur an menschlichem Leben, sondern auch
an Kultur und blühendem gesellschaftlichen Leben. Das von Ihnen gegründete Museum und ihre
zahlreichen Publikationen, vor allem aber auch ihr persönliches Auftreten sind nach meinem
Eindruck eine besonders geglückte Art und Weise, die Vergangenheit in ihren dunklen, aber auch
hellen Elementen im wahrsten Sinne des Wortes zu vermitteln an die, die diese Vergangenheit nicht
selbst erlebt bzw. erduldet haben.
In der jüdischen Tradition wünscht man einem Geburtstagskind, dass es bis zum Alter von 120 Jahren
gesund und munter bleiben möge. Herr Vestermanis, wir freuen uns auf die nächsten 30 Jahre mit
Ihnen!