Die «WEA-Luftschloss-Armee» für den Verteidigungsfall

Die «WEA-Luftschloss-Armee»
für den
Verteidigungsfall
Eine schonungslose Konfrontation
mit den wesentlichen Fakten
Dr. iur. Rudolf P. Schaub
«Ich, als alter Mann, sage euch,
dass wir in einer Vorkriegszeit leben.»
Egon Bahr (1922–2015) zu sprachlosen Schülern eines Heidelberger Gymnasiums
am 4. Dezember 2013
In Memoriam Dr. Hermann Suter, der unermüdlich und unerschrocken für
eine glaubwürdige Armee und gegen eine unfaire Behandlung ihrer Angehörigen
gekämpft hat!
Inhaltsübersicht
Literatur / Berichte / Botschaften / Reglemente
4
Abkürzungsverzeichnis
5
I. Einführung
6
II. Schrumpf-Armee gemäss Botschaft zur Änderung der Rechtsgrundlagen
für die Weiterentwicklung der Armee vom 3. September 2014
8
III. Wiederaufbau einer zur Landesverteidigung fähigen Armee
bei entstehender Bedrohung
11
IV. Debatte im Ständerat über die WEA-Schrumpf-Armee
16
V. Fähigkeiten der WEA-Schrumpf-Armee
23
VI. Auswirkungen der WEA-Schrumpf-Armee auf die Kampfführung
in einem Verteidigungsfall
28
VII. Fehlende Voraussetzungen für eine mobile Kampfführung
im Verteidigungsfall
29
VIII. FIS-Heer als untaugliches Hilfsmittel zur Führung von mobilen
Truppeneinsätzen
33
IX. Verletzung von militärischen Organisationsprinzipien als Teilursache
der «Luftschloss-Armee»
39
X. Schlussbemerkungen
44
3
Literatur / Berichte / Botschaften / Reglemente
Amstutz, Marcel (Brigadier)/Schmon, Christoph (Oberst i Gst), Von der Flab zur BODLUV:
Ein sicherer Wert, in: Schweizer Soldat, Nr. 07/08 / Juli/August 2015, S. 20ff. (zit. Flab/BODLUV)
Amtliches Bulletin 14.069 betreffend Eintretensdebatte im Ständerat
Armeebericht 2010 vom 1. Oktober 2010 (zit. Armeebericht 2010)
Bachofner, Hans (Divisionär, Kommandant Zentralschulen und Generalstabskurse, Stabchef
Operative Schulung), Armeereform in der Beschleunigungsfalle, in: SIFA-Broschüre Nr. 1,
S. 1ff. (zit. Armeereform)
Blattmann, André (Korpskommandant, Chef der Armee), Weiterentwicklung der Armee ist
dringend, in bz Basel Überregional vom 24. Juni 2015
Derselbe, Die hybriden Kriege werden zunehmen, in: Neue Luzerner Zeitung, 27. Juni 2015/
Nr. 146, S. 5
Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik der Schweiz
vom 23. Juni 2010 (zit. Bericht Sicherheitspolitik 2010)
Botschaft zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Weiterentwicklung der Armee vom
3. September 2014 (zit. Botschaft)
Bundeskanzlei, Perspektiven 2025, Lage- und Umfeldanalyse sowie Herausforderungen für
die Bundespolitik, Bern (ohne Herausgabedatum) (zit. Perspektiven)
Bühler, Stefan (Oberleutnannt)/Muff, Erich (Hauptmann), Gedanken zu einer echten Panzerbrigade, in: Schweizer Soldat, Nr. 07/08 / Juli/August 2015, S. 35ff.
Curtenaz/Currit/Lanz/Rieder/Abegglen, Militärdoktrin der Schweizer Armee, Stand der
Arbeiten und Perspektiven, in: Military Power Review, Nr. 2/2013, S. 53ff. (zit. Doktrin)
Erläuternder Bericht zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Weiterentwicklung der
Armee (Umsetzung des Armeeberichts 2010) vom 26. Juni 2013 (zit. Erläuternder Bericht)
Ernst, Alfred sel. (Korpskommandant, Kommandant Feldarmeekorps 2), Die Konzeption
der schweizerischen Landesverteidigung 1815–1966, Frauenfeld 1971 (zit. Konzeption)
Derselbe, Die Leitung des Wehrwesens im Frieden, in: Civitas 22 (1966/67), S. 753ff.
Frick, Gotthard, Eine Militärdoktrin der Illusionen, in: http://www.vimentis.ch/, 20.04.2015,
S. 7ff. (zit. Militärdoktrin)
Hart, Liddel, Geschichte des Zweiten Weltkrieges, 1. Aufl., Düsseldorf 1972
Häsler, Heinz (Korpskommandant, Kommandant Feldarmeekorps 2, Generalstabschef), Der
Stellenwert der Miliz / Grundsätzliche Überlegungen eines ehemaligen Generalstabschefs,
in: Erinnerungen an die Armee 61, Frauenfeld 2009, S. 95ff.
Inspektorat VBS, Führungsinformationssystem Heer (FIS HE) / Schlussbericht zuhanden
Chef VBS vom 21. April 2011 (zit. FIS HE-Schlussbericht)
Inspektorat VBS, Organisation Militärflugplätze / Schlussbericht vom 16. Juni 2011
(zit. Schlussbericht Militärflugplätze)
Müller, Paul (Divisionär a D, Unterstabschef Planung, Kommandant Felddivision 5), Botschaft
zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Weiterentwicklung der Armee (WEA) / Beurteilung
und Vorschläge, September 2014 (zit. Beurteilung und Vorschläge)
4
Derselbs, Führungsinformationssystem Heer – FIS, 15. Mai 2007
Reglement 51.20, TF 82, Truppenführung (zit. TF 82)
Reglement 53.005.01, Einsatz der Infanterie, Teil 1: Führung und Einsatz des Bataillons
Reglement 53.005.02, Einsatz der Infanterie, Teil 2: Führung und Einsatz der Kompanie
Schweizerische Eidgenossenschaft, Schlussbericht SVU 14, Mai 2015
VBS, Führungsinformationssystem Heer FIS HE: Stand und weiteres Vorgehen / Bericht des
VBS zu Handen der Sicherheitspolitischen Kommissionen vom 31. Juli 2012 (FIS HE-Bericht)
Verein Sicherheitspolitik und Wehrwissenschaft, Sicherheitspolitische Information, April
2014, Keine Wiederholung alter Fehler!
von Erlach, Rudolf (Oberstleutnant i Gst), Über den Ausbau der Heeresorganisation, in:
Neue Schweizer Rundschau, 2/1935, S. 543ff.
Abkürzungen
a.a.O.
ai
a.M.
Art.
Bat
BBl
BV
Flpl
Füs
gl.M.
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am angegebenen Ort
ad interim
anderer Meinung
Artikel
Bataillon
Bundesblatt
Bundesverfassung
Flugplatz
Füsilier
gleicher Meinung
Hervorhebung durch den Schreibenden
im Generalstab
Infanterie
Kommando
Kommandant
Logistik-Basis
Militärgesetz
siehe
Seite
Schützen
vergleiche
Werterhaltung
Ziffer
zur Verfügung
5
I. Einführung
Zwei Ereignisse veranlassten den Verfasser
dieser Schrift, in Sachen Armee einmal mehr
zur Feder zu greifen.
Nach der Debatte über die Weiterentwicklung der Armee im Nationalrat schrieb Korpskommandant André Blattmann, Chef der
Armee, am 24. Juni 2015 in der «bz Basel
Überregional» (http://www.bzbasel.ch/kommentar) folgenden Gastkommentar mit der
Überschrift «Weiterentwicklung der Armee
ist dringend» (HS): «Die Armee ist dank
Truppen mit hoher Bereitschaft rasch bereit,
kritische Infrastrukturen – davon gibt es in
der Nordwestschweiz mehrere existenziell
wichtige – zu schützen; und wir verfügen
über eine robuste Reserve, mit der wir über
beachtliche Fähigkeiten zur Abwehr eines
militärischen Angriffs verfügen.»
Eine gründliche Auseinandersetzung mit der
Behauptung von Korpskommandant Blattmann, unser Land verfüge über beachtliche
Fähigkeiten zur Abwehr eines militärischen
Angriffs, drängt sich schon allein deshalb
auf, weil der gleiche Korpskommandant
Blattmann drei Tage später – am 27. Juni
2015 – in der Neuen Luzerner Zeitung und
den damit verbundenen Blättern in der Zentralschweiz auf die Frage «Wo hapert es
noch?» antwortete (a.a.O., S. 5; HS): «Wenn
wir von unserer heutigen Armee mit einem
Bestand von 200‘000 Armeeangehörigen ausgehen, fehlen etwa Hauptsysteme. Wir hätten
für diesen Bestand nicht genug Radschützenpanzer, geschützte Mannschaftstransporter – auch nicht genug Übermittlungsmittel.
6
Dies allein ist schon ein Hinweis darauf, dass
wir – wenn wir ehrlich sein wollen – besser
einen etwas tieferen Bestand haben sollten –
dafür dann mit kompletter Ausrüstung.»
Bemerkenswert ist zunächst, dass die Halbierung der personellen Stärke der Armee
von 200‘000 auf 100‘000 Armeeangehörige
durch Korpskommandant Blattmann als Reduktion «auf einen etwas tieferen Bestand»
bezeichnet wurde. Zudem verschwieg der
gemäss eigener Aussage um Ehrlichkeit
bemühte Korpskommandant Blattmann den
Lesern seines Interviews die wichtige Tatsache, dass es noch Jahre dauern wird, bis die
um die Hälfte reduzierte «Schrumpf-Armee» (ohne Fähigkeit zur Landesverteidigung gemäss Art. 58 II BV) «weiterentwickelt» und vollständig ausgerüstet sein
könnte. Ob dieser angestrebte Zustand je erreicht werden wird, ist in Anbetracht der
dringend nötigen Ausgabenreduktionen im
unausgeglichenen Bundeshaushalt bereits
wieder fraglich geworden.
Eine Armee, der «Hauptsysteme» (wie 12 cm
Minenwerfer bzw. Mörser, PanzerabwehrLenkwaffen für mittlere Schussdistanz (750
Meter), Fahrzeug- und Panzerminen, Artillerie, Fliegerabwehrmittel und eine hinsichtlich Qualität und Quantität ausreichende
Luftwaffe für den Verteidigungsfall) fehlen,
kann entgegen der Meinung von Korpskommandant Blattmann nicht über «beachtliche
Fähigkeiten zur Abwehr eines militärischen
Angriffs» verfügen. Deshalb geht die Armee
in ihrer (neuen) Doktrin, welche Korpskommandant Blattmann bestens kennt, davon
aus, dass die Schweiz nicht mehr «verteidigungsfähig» ist, sondern sich nur noch
darum bemüht, die nötige (theoretische)
«Verteidigungskompetenz» bzw. das erforderliche «Verteidigungs-Know-how» zu erhalten (Curtenaz/Currit/Lanz/Rieder/Abegglen sprechen von der «Überführung der
Verteidigungsfähigkeit in eine Verteidigungskompetenz» mit Verzicht auf den «Grundsatz
der Raumsicherung»; s. Doktrin, S. 53).
Als Schweizerin oder Schweizer darf und
muss man sich fragen, wie es dazu kommt,
dass Korpskommandant Blattmann offenkundig unzutreffende Aussagen über die
Fähigkeit unseres Landes zur Abwehr eines
militärischen Angriffs macht.
Das zweite Ereignis, das den Schreibenden
veranlasste, erneut einen Artikel über die
wirkliche Situation der «weiterentwickelten»
Armee zu verfassen, war ein anregendes und
aufschlussreiches Gespräch mit einem intelligenten höheren Berufsoffizier, der aus verständlichen Gründen nicht namentlich erwähnt werden möchte. Dieser bemerkte zu
Beginn des Gedankenaustausches über
meine bisherigen kritischen Artikel und
Schriften in Sachen Sicherheitspolitik und
Armee freimütig: «Denken Sie daran, dass
man im VBS und im Korps der Berufsmilitärs heute ganz überwiegend sehr wenig
bis gar nicht bereit ist, sich mit Kritik positiv
und unvoreingenommen auseinanderzusetzen. Solche führt sofort zu Abwehrreaktionen. Mit Kritik erreicht man normalerweise
nichts.» Diese mutigen Aussagen des sympathischen Gesprächspartners legen es ebenfalls nahe, die Entwicklung unserer Armee
selbst und deren spezielles Umfeld einmal
mehr unter die Lupe zu nehmen und dort –
wo es angebracht ist – einer ätzenden Kritik
zu unterziehen. In einer Institution, in der
auf Kritik allergisch reagiert wird und Überheblichkeit an der Tagesordnung ist, kommt
es meistens zu verhängnisvollen Fehlentwicklungen. Kritik von aussen ist deshalb geboten.
Dieser Auffassung war schon Oberstkorpskommandant Ulrich Wille d.J., der im Jahr
1929 folgende Gedanken äusserte (zit.
gemäss Ernst, Konzeption, S. 320): «Kritik
ist ein Segen für unser Wehrwesen. Sie war
es vor dem Weltkrieg gewesen, denn alle Reformen, welche damals rechtzeitig unserer
Wehrkraft im Inland und Ausland zum notwendigen Ansehen verholfen hatten, verdanken wir allein einer freien, furchtlosen Kritik.
Eine sachkundige und tätige Heeresleitung
fürchtet die Kritik nicht. Sie bedient sich ihrer, greift nicht zum Maulkorb. ... Unser
Volksheer verträgt es nicht, wenn die wenigen Leute vom Fach vor der Öffentlichkeit
schweigen.»
Auch die Ausführungen von Ernst über «die
freie Meinungsäusserung im Konzeptionsstreit von 1945 bis 1966» in seinem Buch
sind lesenswert (Konzeption, S. 315-321) und
fordern zur Kritik an der heutigen «Maulkorb-Strategie» der obersten Armeeführung
heraus. Ein typisches Zeichen dafür, dass sich
heute sogar nur armeenahe Kreise für die
Äusserung von abweichenden Meinungen
und Kritik mit gewundenen Sätzen zu entschuldigen versuchen, zeigt der Vorspann
der Redaktion des «Schweizer Soldat», der
sich als die »eindeutig führenden Militärzeitschrift der Schweiz» bezeichnet, zu einer
überzeugenden Studie der Panzeroffiziere
Bühler und Muff mit dem Titel «Gedanken
zu einer echten dritten Panzerbrigade»
(Schweizer Soldat, Nr. 07/08 / Juli/August
2015, S. 35ff.). Die ängstliche und möglicher7
weise auch eingeschüchterte Redaktion bemerkt in ihrem Vorspann zum Artikel: «Im
Mai 2015 trat eine Gruppe junger, tüchtiger
Panzeroffiziere mit einer Studie zur dritten
Panzerbrigade an die Redaktion heran. Dies
war vor dem WEA-Entscheid des Nationalrats. In Abwägung der Güter beschloss die
Redaktion, die Studie der jungen Offiziere
zu veröffentlichen; dies im Wissen, dass die
dritte Panzerbrigade den Rahmen der
100‘000 Mann-Armee massiv sprengen
würde und dass finanziell durch die Kawestierung von Leopard-Kampfpanzern und
den Kauf von Schützenpanzern zusätzliche
Kosten entstünden. Die Studie will ausdrücklich nicht die WEA gefährden...» Die
Redaktion des «Schweizer Soldat» sollte sich
in Sachen WEA freier und mutiger äussern,
wenn sie dem Anspruch ihres Blattes, die
«eindeutig führende Militärzeitschrift der
Schweiz» zu sein, gerecht werden will. Ernst
schrieb zu Recht (Konzeption, S. 321; HS):
«Im militärpolitischen Bereich gelten die
Gebote der Disziplin nicht. Die Erfahrungen
Frankreichs haben deutlich gezeigt, wohin
der verhängnisvolle Satz von der Armee als
‹grande muette› führt: einerseits zur geistigen
Erstarrung, anderseits, wenn die Spannung
zu gross geworden ist, zur offenen Revolte!»
8
II. Schrumpf-Armee gemäss Botschaft
zur Änderung der Rechtsgrundlagen für
die Weiterentwicklung der Armee vom
3. September 2014
Die «weiterentwickelte» Armee wird verglichen mit der bestehenden Armee einen halbierten Sollbestand von 100‘000 Armeeangehörigen haben.
Von den verbliebenen 100‘000 Armeeangehörigen sollen 20‘000 den Erhalt einer
theoretischen Verteidigungskompetenz sicherstellen. Es handelt sich um zwei Mechanisierte Brigaden, die allerdings nicht vollständig ausgerüstet werden können (dazu
Bühler/Muff, Gedanken zu einer echten dritten Panzerbrigade, S. 35f). Es fehlen gemäss
den Berechnungen von Bühler und Muff aktuell 34 Leopard Panzer 87(WE), die aber
(kostenlos) aus einer Reserve von 96 Leopard
Panzer 87 (ohne WE) beschafft werden
könnten. Nötig wären somit nur die Werterhaltungsmassnahmen zu vertretbaren Kosten. Das VBS will seine Panzer-Reserve trotz
der Ausrüstungslücke bei den vorgesehenen
Mechanisierten Brigaden verschrotten (Botschaft, S. 28). Dafür gibt es keine einleuchtenden Gründe. Weiter fehlen gemäss den
Berechnungen von Bühler und Muff 38
Schützenpanzer 2000 (s. a.a.O., S. 36). Diese
müssten beschafft werden, was der Bundesrat
und die Eidgenössischen Räte den «armen»
Schweizerinnen und Schweizern bei den
schon «hohen» Armeeausgaben von 0,8 Prozent des BIP höchstwahrscheinlich nicht zumuten wollen. Dabei bleibt aber unberücksichtigt, dass die NATO-Staaten, von deren
Verteidigungsanstrengungen die Schweiz als
sicherheitspolitische Trittbrettfahrerin pro-
fitiert, für ihre Armeen im Durchschnitt 1,8
Prozent des BIP ausgeben.
Hier darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich
sogar die Bundeskanzlei in ihrer Broschüre
«Perspektiven 2025, Lage- und Umfeldanalyse
sowie Herausforderungen» zum sicherheitspolitischen Trittbrettfahren der Schweiz
freimütig äussert (S. 43; HS): «Die Binnenlage
in Europa und unentgeltliche ausländische
Sicherheitsleistungen wie beispielsweise ein
Raketenschutzschild stellen für die Schweiz
einen grossen Sicherheitsgewinn dar.» Falls
ausländische Nachrichtendienste auf diese
Aussage stossen, werden sie ihren Regierungen möglicherweise raten, dass sie von der
(noch) reichen Schweiz (wegen ihrer Vorteile
infolge Zulassung zum gemeinsamen Markt
der EU) nicht nur weiterhin die Speisung des
EU-Kohäsionsfonds, sondern künftig (wegen
des eingestandenen Profitierens von Sicherheitsleistungen der umliegenden NATO-Staaten) auch Zahlungen in eine «NATO-Kasse»
für «sicherheitspolitische Drückeberger und
Trittbrettfahrer» verlangen sollten.
Regierungen und Parlamente eines sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer-Landes, welche darauf vertrauen, Nachbarstaaten würden ihnen im Verteidigungsfall sofort und
tatkräftig zu Hilfe eilen, verfügen über keine
Menschenkenntnis und sind naiv. Im Krieg
geht es einzig und allein um das eigene Überleben und die Wahrung der eigenen militärischen Interessen, nicht um zwischenstaatlichen Altruismus, wie die Kriegsgeschichte
lehrt. Dieser existiert nicht einmal in Friedenszeiten. Immerhin wurde sowohl im
Ständerat als auch im Nationalrat sogar über
die Bildung einer dritten Mechanisierten Bri-
gade diskutiert, wobei die Vorschläge ziemlich unausgegoren waren. Aus zwei Mechanisierten Brigaden drei zu bilden, macht keinen Sinn. Vielmehr muss die erwähnte
(wertvolle) «Leopard-Reserve» genutzt und
nicht verschrottet werden. Dies gilt übrigens
vernünftigerweise auch für die 162 Panzerhaubitzen M 109. Sie sind zwar kampfwertgesteigert, aber nicht werterhalten worden
(dazu Botschaft, S. 28). Freilich darf man –
was die Bildung einer (echten) dritten Mechanisierten Brigade angeht – nicht allzu
grossem Optimismus verfallen. Denn es ist
gemäss Botschaft (S. 27) «bereits absehbar,
dass insbesondere bei der Beschaffung von
Systemen für die mechanisierten Verbände
Abstriche in der Menge vorgenommen werden müssen».
37‘000 Armeeangehörige sind vorgesehen
für die Unterstützung ziviler Behörden, die
Überwachung, die Sicherung und den
Schutz von Verkehrsachsen, wichtigen Objekten, Räumen und Grenzabschnitten sowie
das Halten von Stellungen und das Sperren
von Durchgängen (Botschaft, S. 15). Bei der
Infanterie besteht ein erheblicher «Beschaffungsstau», soll sie dereinst alle genannten
Aufgaben erfüllen können. Wie den mechanisierten Verbänden fehlen auch der Infanterie die 12 cm Minenwerfer, die 2010 aus
unerfindlichen Gründen liquidiert wurden.
Zudem fehlt der Infanterie ein Panzerabwehr-Lenkwaffensystem für mittlere Schussdistanz (750 Meter). Bekanntlich orientierte
im November 2007 der damalige Chef der
Armee, Korpskommandant Christoph Keckeis, die Kommandanten der Schweizer Armee in einem Schreiben betreffend «Optimierungsmassnahmen in der Schweizer
9
Armee» über die Ausserdienststellung «des
im Unterhalt sehr kostspieligen» Panzerabwehr-Lenkwaffensystems «DRAGON». Die
Beschaffung eines Ersatzsystems stand damals nicht zur Diskussion. Zudem muss die
Panzerfaust abgelöst werden, da sie nicht
mehr produziert wird und keine Einsatzmunition mehr für sie erhältlich ist (Botschaft,
S. 35). Schliesslich müssten auch noch neue
Fahrzeug- und Panzerminen angeschafft
werden, wenn die Infanterie Durchgänge
nachhaltig sperren können soll. Allein diese
Beschaffungsvorhaben dürften wegen des angespannten Bundeshaushalts – wenn überhaupt – nur längerfristig realisierbar sein.
11‘000 Armeeangehörige leisten ihren Dienst
in den Flieger- und Flabtruppen. Die Fliegertruppen sorgen dafür, dass die noch vorhandenen 32 F/A-18 und die noch flugtauglichen Tiger F-5 zum Einsatz kommen. Sie
sind aber im Unterschied zu Zeiten der
früheren Arme 61 nicht mehr in der Lage,
ihren Auftrag selbständig als «Totalunternehmer» gemäss dem Prinzip «ein Raum,
ein Auftrag, ein Chef» zu erfüllen. Heute
kann ein F/A-18 nur starten, wenn die «Logistikbasis» und die «Führungsunterstützungsbasis» gewisse Leistungen erbracht haben. Daran soll festgehalten werden. Dazu
wird weiter unten Stellung genommen (VII.
Verletzung von militärischen Organisationsprinzipien als Teilursache der «LuftschlossArmee»). Die Luftwaffe weist «Fähigkeitslücken» auf, die geschlossen werden müssen,
insbesondere genügt die heutige Restflotte
der F/A-18 zahlenmässig überhaupt nicht
(Botschaft, S. 33). Ausserdem hat die Luftwaffe seit der Liquidation der Hunter-Flotte
die Fähigkeit zum Erdkampf und seit der
10
Ausserbetriebnahme der Mirage IIIRS die
Fähigkeit zur operativen Aufklärung aus der
Luft eingebüsst (Armeebericht 2010, S. 23).
Auf diese wichtigen Fähigkeits- bzw. Kompetenzlücken wird in WEA-Botschaft nicht
mehr hingewiesen. Ihre Behebung wäre mit
enormen Kosten verbunden.
Den Flabtruppen obliegt die bodengestützte
Fliegerabwehr. Sie verfügen über drei Systeme, die im Normalfall kombiniert zum
Einsatz gelangen: radar-gelenkte 35 cm Kanonen sowie Rapier- und Stinger-Raketen.
Diese Systeme kommen in den nächsten Jahren an ihr Nutzungsende und müssen gesamthaft ersetzt werden (Botschaft, S. 34; vgl.
Amstutz/ Schmon, Flab/BODLUV, S. 20ff.).
31‘000 Armeeangehörige erbringen «Basisleistungen», indem sie die Logistik in der
Armee sicherstellen («Logistikbasis») und
eine zeitgerechte und effiziente Führung der
Armee ermöglichen («Führungsunterstützungsbasis»).
Die «Logistikbasis» sorgt dafür, dass die zu
Dienstleistungen einrückenden Truppen ihr
Korpsmaterial, ihre Munition und ihre Fahrzeuge in (gebrauchsfähigem) Zustand fassen
und am Ende der Dienstleistung abgeben
können. Weiter ist die «Logistikbasis» für die
Reparatur oder den Unterhalt und die Lagerung des nach Schulen und Kursen zurückgegebenen Korpsmaterials und der Fahrzeuge verantwortlich (vgl. Botschaft, S. 35f.).
Die «Logistikbasis» stellt aber auch sicher,
dass die F/A-18 und Tiger F-5 auf den Flugplätzen starten und landen können, und betreibt militärische Anlagen. Dazu wird unten
Stellung genommen (VII. Verletzung von mi-
litärischen Organisationsprinzipien als Teilursache der «Luftschloss-Armee»).
Die «Führungsunterstützungsbasis» ist
gemäss Botschaft (S. 36) dafür verantwortlich, «dass die IKT-Systeme und die Datenübertragung in der Armee in allen Lagen sicher funktionieren und permanent verfügbar
sind», was jedenfalls noch während einiger
Jahre nur ein frommer Wunsch sein wird
(dazu unten VIII. FIS-Heer als untaugliches
Hilfsmittel zur Führung von mobilen Truppeneinsätzen). Zusätzlich ist sie für den Betrieb der Sensoren zur Luftraumüberwachung (FLORAKO / TAFLIR) verantwortlich
und erbringt Leistungen in der elektronischen Kriegführung und in der Abwehr von
Cyber-Angriffen. Schliesslich stellt sie die
permanente Führungsfähigkeit des Bundes
und der Kantone sicher (Botschaft, S. 36).
Es ist zu beachten, dass sich in einer verkleinerten Armee das Verhältnis zwischen den
Kampftruppen und den nicht kämpfenden
Unterstützungstruppen regelmässig zu Gunsten der letzteren entwickelt. In der «weiterentwickelten» Schrumpf-Armee werden die
(aktuell geplanten) zwei Mechanisierten Brigaden als harter Kern der Kampftruppen gerade noch 20% der Armee ausmachen. Deshalb kann mit dieser nur noch eine «nötige»
(theoretische) Verteidigungskompetenz bzw.
ein «erforderliches» Verteidigungs-Knowhow erhalten werden (dazu oben, S. 6). Die
Armee hat somit keine Dissuasionswirkung
mehr gegen einen potenziellen Angreifer und
kann das Land und die Bevölkerung nicht
mehr verteidigen, wie es der Wortlaut von
Art. 58 II BV anordnet. Mit dem Verzicht
auf die Verteidigungsfähigkeit gibt die
Schweiz auch ihre Bewaffnete Neutralität auf.
III. Wiederaufbau einer zur Landesverteidigung fähigen Armee bei
entstehender Bedrohung
Gemäss Botschaft (S. 11) ist «die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Angriffs auf die
Schweiz für die absehbare Zukunft nach wie
vor gering». Die Botschaft äussert sich nicht
darüber, was der Bundesrat unter «absehbarer Zeit» gemäss militärischen Gesichtspunkten versteht. Wahrscheinlich hat er keine Vorstellung. Die Botschaft beschreibt auch keine
Szenarien, welche bestimmte Aufrüstungsschritte oder eine zur Landesverteidigung
fähige Armee nötig machen würden. Würde
es genügen, dass Länder, die an die Schweiz
grenzen, ihre Armeen ausbauen oder müssten in diesen Ländern auch friedensfeindliche politische Tendenzen der Bevölkerung
und der «classe politique» feststellbar sein?
Könnten auch Entwicklungen oder Ereignisse in Ländern, die nicht an die Schweiz
grenzen, zum Wiederaufbau einer Verteidigungsarmee veranlassen? Diesen Fragen geht
die Botschaft aus dem Weg. Logischerweise
äussert sie sich auch nicht zu den Problemen
eines «Aufwuchses» der Schrumpf-Armee
zur Wiedererlangung der Verteidigungsfähigkeit, um in einer Bedrohungslage rechtzeitig dissuasiv zu wirken oder im Falle eines
Angriffs Land und Bevölkerung gemäss Art.
58 II BV verteidigen zu können, was von Divisionär a D Paul Müller zur Recht kritisiert
wird (Beurteilung und Vorschläge, S. 8). Es
ist allerdings naheliegend, dass die Botschaft
den Armee-Aufwuchs nicht behandelt. Dieser
ist die Achilles-Ferse der Sicherheitspolitik
des Bundesrates. Dessen Mitglieder als ausgekochte Politiker bringen das Problematische ihrer Politik natürlich nicht zur Sprache.
11
Da sich der Bundesrat schon in seinen im
Jahr 2010 publizierten Berichten über die Sicherheit der Schweiz und die Armee bezüglich des äusserst wichtigen Problems der Wiedererlangung der Verteidigungsfähigkeit
durch die kaputt gesparte Armee in vornehmes Schweigen hüllte, sah sich die Armeeführung veranlasst, sich mit dieser unbeantworteten und eher unerquicklichen Frage zu
beschäftigen.
Die zur Landesverteidigung unfähige Armee
soll durch «Antizipation» eine entstehende
Bedrohungslage erkennen und gestützt darauf durch «Aufwuchs» die erforderliche Verteidigungsfähigkeit rechtzeitig wieder erlangen. Für die «Antizipation» ist primär der
militärische Nachrichtendienst verantwortlich (Curtenaz/Currit/Lanz/Rieder/Abegglen, Doktrin, S. 58). Dazu bemerkt Müller
zu Recht (Beurteilung und Vorschläge, S. 8):
«Kein noch so guter Nachrichtendienst kann
ein zeitgerechtes Aufwachsen garantieren.»
Aber selbst wenn der militärische Nachrichtendienst hervorragende Arbeit leistet, hängt
der rechtzeitige «Armee-Aufwuchs» letztlich
auf Gedeih und Verderb von den politischen
Entscheidungsträgern Bundesrat und Parlament ab. Diese müssen die Einschätzung der
Bedrohungssituation durch den militärischen
Nachrichtendienst und die Armeeführung
teilen, den empfohlenen Wiederaufbau einer
Verteidigungsarmee aufgrund der eigenen
Lagebeurteilung selbst für nötig erachten und
sich über die Ausgestaltung der neuen Verteidigungsarmee einig werden. Denn die allenfalls erhaltene (theoretische) Verteidigungskompetenz beantwortet die Frage
nicht, mit welcher konkreten Armee der sich
abzeichnenden oder bereits entstandenen Be12
drohungslage mit den grössten Erfolgschancen begegnet werden kann (vgl. Müller,
a.a.O., S. 8).
Gemäss seinem Bericht Sicherheitspolitik
2010 (S. 50) würde der Bundesrat «es für verfehlt halten, ein detailliertes Aufwuchskonzept für einen möglichen künftigen Konflikt
auszuarbeiten, weil Art und Ausmass der
benötigten Fähigkeiten von der konkreten
Bedrohung abhängen würde». «Solange
nicht klar ist, worauf die Armee sich vorbereiten muss», soll es gemäss Bundesrat nicht
möglich sein, «die Erlangung der nötigen
militärischen Fähigkeiten im Detail zu planen» (a.a.O., S. 50). Die Auffassung des Bundesrates ist abwegig, wie schon Ausführungen von Ernst aus dem Jahre 1971 zeigen (s.
Konzeption, S. 351ff.). Dieser kommt nach
seinen fundierten Überlegungen zur Vorbereitung der Armee auf den Verteidigungsfall
zu folgender Schlussfolgerung (a.a.O., S. 353):
«Es bleibt uns daher faktisch nichts Anderes
übrig, als – wenigstens dem Grundsatz nach
– schon im Frieden über die operative Zielsetzung zu entscheiden. Wir können sonst
das Kampfinstrument nicht folgerichtig ausgestalten.» Höchstwahrscheinlich hat sich
keine der vier Damen und keiner der drei
Herren im Bundesrat, welche die zitierte Aussage im Sicherheitsbericht 2010 zu verantworten haben, mit den fundierten Gedanken
von Alfred Ernst über die Konzeption der
Landesverteidigung und die Vorbereitung eines allfälligen Krieges befasst. Auch die
grundsätzliche Kritik von Bachofner an der
Idee eines Armee-Aufwuchses im Jahre 2006
dürfte nicht bis ins Bundesratszimmer gelangt sein (Armeereform, S. 10): «Das Aufwuchskonzept ist bizarr. Die Unterschei-
dung von Fähigkeit und Kompetenz zur
Führung von Schlachten ist weltfremd und
bürokratisch.»
Es ist zu befürchten, dass trotz dieser Warnungen von zwei hervorragenden militärischen Experten kein Bundesrat in den künftigen Zusammensetzungen von der Haltung
gemäss Sicherheitsbericht abrücken wird.
Gotthard Frick, ein ständiger und luzider
Kritiker des sicherheitspolitischen Schlendrians der Schweiz, liefert dafür eine einleuchtende Erklärung (Militärdoktrin der Illusionen, S. 7): «Man darf annehmen, es
gelinge unserem Nachrichtendienst, Veränderungen der allgemeinen Sicherheitslage
[HS] wahrzunehmen. Aber es ist eine Illusion
zu glauben, Bundesrat und die Mehrheit des
Parlamentes würden solche Beurteilungen
der Sicherheitslage, die ja nichts anderes als
Interpretationen von Informationen sind,
also Meinungen von Mitarbeitern des Nachrichtendienstes, dannzumal akzeptieren, d.h.
sie hätten dann einen Gesamtüberblick und
würden strategisch denken, und nicht nur
punktuell und kurzfristig wie heute.» Als exponierte VBS-Mitarbeiter wagen die Doktrin-Beauftragten Curtenaz/Currit/Lanz/Rieder/Abegglen keine Bedenken wie Gotthard
Frick pointiert zu artikulieren, sondern beschränken sich auf folgenden «zahmen» Hinweis (Doktrin, S. 63): «Die Antizipationsverantwortung ruht nicht nur auf den Schultern
der Nachrichtendienste. Auch die politischen
Instanzen sind gefordert, denn nur sie sind
ermächtigt, rechtzeitig die notwendigen Entscheidungen zu treffen, um das Land und
seine Bevölkerung vor den verheerenden Folgen eines militärischen Angriffs gegen unser
Territorium zu bewahren.» Leider ist es eine
Illusion zu glauben, dass sich die politischen
Instanzen um ihre Antizipationsverantwortung im Sinne der Doktrin-Beauftragten im
VBS kümmern werden. Sie werden sich auf
die anstehenden politischen Tagesgeschäfte
konzentrieren.
Bundesrat und Parlament müssten die für
den Armeeaufwuchs nötigen Beschlüsse
ohne langes Hin und Her fassen. Diese wären
für den Bundeshaushalt mit einer extremsten
Belastung ungeahnter Höhe und mit innenpolitischen Risiken verbunden (vgl. zum
Ganzen Curtenaz/Currit/Lanz/Rieder/Abegglen, a.a.O., S. 58ff.). Allein die «Konsensfindung» in den verschiedenen politischen
Gremien dürfte wie vor dem Zweiten Weltkrieg sehr viel Zeit in Anspruch nehmen und
von gewissen Gruppen hartnäckig hintertrieben werden. Für den postulierten «Armee-Aufwuchs» gilt sinngemäss auch das,
was von Erlach im Jahr 1935 schrieb (Über
den Ausbau der Heeresorganisation, S. 548):
«Jede um den Frieden besorgte Regierung
hat bei drohender Kriegsgefahr die Tendenz,
mit dem Mobilmachungsbeschluss möglichst
lange zuzuwarten, um die politisch gespannte
Lage durch die Kriegsmobilmachung der Armee nicht zu verschärfen.» Dazu kommt,
dass ein «Aufwuchs-Entscheid» für Bundesrat und Parlament nach Jahren des sicherheitspolitischen und militärischen Schlendrians einen erheblichen Gesichtsverlust zur
Folge hätte. Deshalb würden entscheidende
Fakten, beispielsweise die Warnungen des
militärischen Nachrichtendienstes, viel zu
lange ignoriert. Bekanntlich fürchten Politiker Gesichtsverluste wie der Teufel das Weihwasser.
13
Weiter darf der grosse Zeitbedarf der Armee
für die Beschaffung und die Einführung von
neuem Rüstungsmaterial bei der Truppe
nicht ausser Acht gelassen werden. Die für
die Beschaffungen zuständige Armasuisse
verfügt heute und künftig nicht mehr über
die personellen Ressourcen und das nötige
Know-how, um mehrere komplexe Beschaffungsvorhaben gleichzeitig abzuwickeln.
Beim vorderhand letzten realisierten anspruchsvollen Grossprojekt, dem FIS-Heer,
sind der Armasuisse und den beteiligten militärischen Stellen haarsträubende Fehler unterlaufen (dazu unten VIII. FIS-Heer als untaugliches Hilfsmittel zur Führung von
mobilen Truppeneinsätzen). Die Schweiz als
sicherheitspolitische Trittbrettfahrerin in Europa könnte auch nicht damit rechnen, dass
sie in einen Bedrohungslage «Express-Lieferungen» zur Schliessung der grobfahrlässig
herbeigeführten eigenen Rüstungslücken von
Drittstaaten erhält, welche ihre Armee und
Rüstungsindustrie nicht vernachlässigt haben.
Schliesslich fallen mit der «Weiterentwicklung der Armee» 68 Truppenkörper (Bataillone und Abteilungen) weg (Erläuternder Bericht, S.31). Sollte die Armee in einem
künftigen Bedrohungsfall wieder mit diesen
Bataillonen und Abteilungen aufgestockt
werden müssen, wird die Ausbildung der ersten Bataillons- und Abteilungskommandanten bis zu einer genügenden Gefechtsfeldtauglichkeit in ihrer Chefposition ab
Rekrutenschule mindestens 15 Jahre dauern.
Kürzlich berichtete Hauptmann Irène Thomann-Bauer über Klagen in einer Veranstaltung betreffend «Weiterentwicklung der
Armee und die Infanterie» (AMZ 11/2014,
14
S. 33), dass das Gros der Truppenkörperkommandanten nicht mehr wisse, wie Unterstützungswaffen einzusetzen sind. Darüber kann man allerdings nicht ernsthaft
erstaunt sein. Denn die 12 cm Minenwerfer
der Infanterie und der mechanisierten Truppen wurden bekanntlich im Jahr 2010 mit
den entsprechenden Kompanien liquidiert.
Die im Unterhalt zu kostspielige Panzerabwehr-Lenkwaffe DRAGON wurde schon im
Jahr 2007 verschrottet. Für die ausreichend
belasteten Truppenkörperkommandanten
hat seither kein Anlass mehr bestanden, und
wird weiterhin bis zur Einführung des allenfalls beschafften «Mörsers» und einer neuen
Panzerabwehr-Lenkwaffe bei der Truppe
auch keiner bestehen, etwas zu lernen und
zu üben, was wegen Fehlens der entsprechenden Waffe nicht mehr beherrscht werden
muss. Das hat logischerweise Fähigkeitslücken zur Folge, welche gemäss Bundesrat
in Kauf genommen werden (Armeebericht
2010, S. 23).
Alle dargelegten Gründe führen zum Schluss,
dass sich der «Armee-Aufwuchs» aufgrund
«Antizipation» mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit als «Luftschloss» entpuppen wird (ähnlich Müller, Beurteilung und
Vorschläge, S. 8). Bundesrat Ueli Maurer erkannte dies schon im Jahr 2010 und bemerkte deshalb zum «Armeeaufwuchs» im
Bedrohungsfall (Pro Militia, Nr. 4/10 vom
22. November 2010, S. 1), dieses Konzept
habe «vor allem zur Gewissensberuhigung
in Anbetracht des Verlustes der Verteidigungsfähigkeit» gedient. Man könnte auch
von einer «Placebo-Beruhigungspille» sprechen. Frick seziert in seinem Artikel (s. Militärdoktrin, S. 7ff.) das Aufwuchskonzept
für die geplante Schrumpf-Armee und qualifiziert es überzeugend und vernichtend als
eine «Militärdoktrin der Illusionen». Mithin
ist es keineswegs unangebracht, von einer
«Luftschloss-Armee» für den Verteidigungsfall zu sprechen. Freilich darf den Berufsmilitärs, deren Auftrag zur Entwicklung einer
Militärdoktrin für die Schrumpf-Armee auf
«strangulierenden Vorgaben von Bundesrat
und Parlament» (Frick, Militärdoktrin, S. 4)
beruht, nicht vorgeworfen werden, dass sie an
einer «Militärdoktrin der Illusionen» arbeiten
und von einem unrealistischen «Armee-Aufwuchs» träumen. Ohne die Hoffnung auf
einen «Armee-Aufwuchs» müssten sie verzweifelt ihre Arbeit wegen Unsinnigkeit.
dann allenfalls nach einer längeren Vorbereitungsphase wieder zur Antizipation im
Hinblick auf einen nötigen Armeaufwuchs
fähig zu sein.»
Diese Ausführungen haben gezeigt, dass der
rechtzeitige Aufwuchs der geschaffenen
Schrumpf-Armee die Achilles-Ferse der heutigen Schweizer Militärdoktrin bildet. Es besteht aber eine grosse Hoffnung. Wenn der
Bundesrat im übernächsten Sicherheitsbericht immer noch die Auffassung vertritt, die
Wahrscheinlichkeit eines militärischen Angriffs auf die Schweiz sei für die absehbare
Zeit gering, dann müsste es für ihn auch
höchste Zeit sein, den Pferdefuss ArmeeAufwuchs mit der lästigen Antizipationsverantwortung wie die Verteidigungsfähigkeit
schleunigst über Bord zu werfen. Er könnte
dann die derzeitige Argumentation (vgl. Curtenaz/Currit /Lanz/ Rieder/Abegglen, Doktrin, S. 58) ohne weiteres sinngemäss übernehmen und erklären: «Im herrschenden
sicherheitspolitischen Umfeld wird aber von
der Armee nicht mehr erwartet, dass sie aufgrund von Antizipation ihren Aufwuchs einleiten kann. Es genügt, wenn sie die Kompetenz dazu wahrt und weiterentwickelt, um
15
IV. Debatte im Ständerat über die
WEA-Schrumpf-Armee
Der Ständerat, der als «Chambre de réflexion» charakterisiert wird, behandelte die
«Weiterentwicklung der Armee» als Erstrat
in der Frühjahrssession 2015. Die durch bürgerliche Armeebefürworter und Mitglieder
der Sicherheitskommission gehaltenen Voten
verdienen es, zur Kenntnis genommen zu
werden. Sie zeigen, mit welchem Sachverstand und welcher Gründlichkeit die «Weiterentwicklung der Armee» diskutiert wurde.
Auf eine analoge Wiedergabe der Debatte im
Nationalrat, welcher als Zweitrat die «Weiterentwicklung der Armee» in der SommerSession 2015 behandelte und verwarf, muss
aus Platzgründen verzichtet werden. Sie erübrigt sich aber auch, weil sich die Voten im
Nationalrat nicht grundlegend von den Voten
im Ständerat unterscheiden, sieht man von
der kritischen Beurteilung der Reform als
Armee-Halbierung und weitere Schwächung
der Landesverteidigung durch zahlreiche
Mitglieder der SVP-Fraktion ab (NR Amstutz, Borer, Fehr, Bortoluzzi, von Siebenthal,
Aebi ). Das Nein der SVP-Fraktion zur «Weiterentwicklung der Armee» im Nationalrat
überraschte nicht und führte dazu, dass diese
vorläufig abgelehnt wurde. Ob es bei der Ablehnung bleibt, ist leider fraglich.
Im Folgenden werden nur Schlüsselredner
aus dem Kreise der (bürgerlichen) «Armeebefürworter» im Ständerat gemäss dem
Amtlichen Bulletin 14.069 zitiert. Auf die
Wiedergabe der militärisch abstrusen Vorstellungen, welche die «grünen» und «roten»
Armeegegner äusserten, wird verzichtet.
16
Ständerat Kuprecht (eidg. dipl. Versicherungsfachmann und Relations Manager; Korporal) eröffnete als Präsident der Sicherheitskommission und Referent die Eintretensdebatte und erläuterte die Vorlage. Dabei
erinnerte er daran, dass die Grundlagen für
die zu diskutierende Botschaft der sicherheitspolitische Bericht 2010 sowie der Armeebericht 2010 seien. Weiter führte er aus,
die Botschaft des Bundesrates enthalte weder
eine Neukonzeption, noch stehe sie im luftleeren Raum ohne inhaltlichen Rahmen des
Parlaments. Er bezeichnete die Botschaft als
«logischen Akt einer aufbauenden Armeereform» (sic!) und kam zum Schluss, die Aufgaben der Armee, wie Art. 58 Abs. 2 BV sie
vorgebe, blieben unverändert. Den erwähnten Artikel zitierte er der Klarheit halber
gleich selbst: «Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung
des Friedens; sie verteidigt das Land und
seine Bevölkerung.» Ständerat Kuprecht
störte es offensichtlich überhaupt nicht, dass
die weiter entwickelte, aber noch während
Jahren unvollständig ausgerüstete Armee aufgrund ihrer blossen Verteidigungskompetenz
theoretischer Natur den Auftrag gemäss des
zitierten Verfassungsartikels gar nicht erfüllen kann. Mit Art. 58 II BV werden bei den
Schweizerinnen und Schweizern in Zukunft
Vorstellungen geweckt, die nicht der Realität
entsprechen. Ständerat Kuprecht beunruhigte
es offensichtlich auch nicht, dass die Angehörigen der Armee gemäss Verfassung einen Auftrag zu erfüllen haben, zu dessen Erfüllung sie aufgrund der personellen Stärke,
der Bewaffnung und der Ausrüstung der Armee nie und nimmer befähigt sind. Er wies
aber auf die Ereignisse im Nahen Osten, an
der europäischen Peripherie und in europäi-
schen Städten hin, welche klar aufzeigen,
«wie rasch und wie dramatisch sich sicherheitspolitisch relevante Situationen verändern können». Aufgrund dieser Ereignisse
müsste sich ein kompetenter Sicherheitspolitiker fragen, ob die der sicherheitspolitische
Bericht 2010 und der Armeebericht 2010
heute überhaupt noch taugliche Vorgaben
für eine Armeereform sein können.
Ständerat Hess (Dr. iur., Rechtsanwalt und
Notar; Oberleutnant) identifizierte sich ebenfalls mit der «Weiterentwicklung der Armee»
und war der Meinung, mit dieser würden zahlreiche Fehler und Mängel der Armee XXI und
des Entwicklungsschrittes 2008-2011 weitestgehend ausgemerzt. Seines Erachtens ist es
zudem positiv, dass «die Armee wieder vollständig mit der persönlichen Ausrüstung und
mit dem Korpsmaterial ausgerüstet werden»
soll. Allerdings kritisierte er nicht, dass dies
trotz der Halbierung ihres Personalbestandes
selbst bei einer guten Entwicklung der Bundesfinanzen mehr als ein Jahrzehnt dauern
wird. Für Ständerat Hess war auch sehr wichtig, dass die Armee regional verankert wird,
«indem die Territorialdivisionen mit Infanterie-, Genie- und Rettungsbataillonen verstärkt
werden». Hingegen überzeugt seiner Meinung
nach das Modell «Chef der Armee» aus folgenden Gründen nicht: «Ein Friedensgeneral
wirkt in einer Demokratie fremd, in Friedenszeiten ist der Chef VBS der Chef der Armee,
in Kriegszeiten führt der General die Armee.»
In seinen Schlussbemerkungen führte Ständerat Hess aus: «Ohne Eigenlob machen zu
wollen, darf ich feststellen, dass insgesamt in
der vorberatenden Kommission auch dank
der vorzüglichen Leistung des Präsidenten
Alex Kuprecht gute Arbeit geleistet wurde.»
Der Schreibende ist der Auffassung, dass erst
eine echte Bewährungsprobe der «weiterentwickelten Armee» in der Zukunft zeigen
wird, ob die Sicherheitskommission des Ständerates gute oder schlechte Arbeit geleistet
hat.
Ständerat Baumann (a. Regierungsrat; Gefreiter) bezeichnete die «Weiterentwicklung
der Armee» (im Unterschied zu Korpskommandant Blattmann – vgl. oben, S. 6) als
«einschneidende Veränderung, nicht zuletzt
auch im Hinblick auf die Anzahl der Armeeangehörigen». Er forderte, dass endlich eine
«klare und längerfristig verlässliche Wegrichtung für unsere Armee» zu definieren sei. Er
begründete dies damit, dass die Armee – womit er die Armeeführung und die Politik
meine – in den letzten Jahren desorientiert
und demotiviert gewesen sei. Er verlangte,
dass der Ständerat den selbst gemachten
Empfehlungen treu bleibe, und verzichtete
deshalb darauf, die bekannten «Eckwerte»
nochmals zu kommentieren. Die Vorschläge,
die Rekrutenschule auf achtzehn Wochen
und die Zahl der Wiederholungskurse von
sechs auf fünf zu reduzieren, hielt er für einen
richtigen Schritt, weil man damit der Wirtschaft entgegenkäme. Die Tatsache, dass mit
der «Weiterentwicklung der Arme» unser
Land seine Verteidigungsfähigkeit definitiv
zu Gunsten einer theoretischen Verteidigungskompetenz aufgeben wird, war für
Ständerat Baumann aber auch kein Diskussionspunkt, obwohl er zu Beginn seines Votums von einer «einschneidenden Veränderung» für die Armee gesprochen hatte.
Ständerat Baumann erkannte auch nicht,
dass die geforderte «klare und längerfristig
verlässlich Wegrichtung für unsere Armee»
17
eine Änderung von Art. 58 II BV erfordern
würde, weil dieser ein falsches Bild von der
weiter entwickelten Armee vermittelt. Logischerweise äusserte sich Ständerat Baumann
auch nicht zur «Antizipation» bzw. zum
«Aufwuchs» der Armee im Hinblick auf eine
Bedrohungslage, die nach Verteidigungsfähigkeit ruft (dazu oben, S. 8 und 13ff.).
Gemäss Ständerat Baumann sollte es selbstverständlich sein, dass die Gesetzes- und Verordnungsvorgaben sachgerecht umgesetzt
und befolgt werden. Dazu ergänzte Ständerat
Baumann aber vielsagend: «Aber auch wir
als Parlament und – ich erlaube mir zu sagen
– selbst der Bundesrat sind gemeinsam gefordert, die für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Armee notwendigen Immobilien- und Rüstungskredite in Zukunft zu
sprechen.»
Ständerat Bieri (dipl. Ing. Agr. ETH / Dr. sc.
tech; Pferdestellungsoffizier eines Mobilisationsplatzes im Range eines Majors) bat, auf
die Vorlage einzutreten und lehnte einen
höheren Sollbestand als 100‘000 Angehörige
der Armee ab, weil dies einer Verkennung
der im Jahr 2011 gefassten Beschlüsse gleich
käme. Natürlich stellte er sich nicht die Frage,
ob die im Jahre 2011 gefassten Beschlüsse
aufgrund der inzwischen eingetretenen geopolitischen Ereignisse überprüft werden
müssten – oder, ob sie überhaupt richtig waren. Als Mitglied der Finanzkommission
machte er hingegen eine aufschlussreiche
«letzte» Bemerkung: «Wir sind in der SiK
zwar von einem Finanzrahmen von 5 Milliarden Schweizerfranken [pro Jahr] ausgegangen, haben jedoch nie gesagt, dass wir
deshalb den vom Bundesrat vorgeschlagenen
Zahlungsrahmen von 19,5 Milliarden Fran18
ken für die Jahre 2017 bis 2020 nicht anerkennen würden.
Aufgrund der finanziellen Lage und der wirtschaftlichen Aussichten wird es ohnehin eine
Herausforderung sein, diesen Betrag einzuhalten. Daran wird auch der neu eingeführte
vierjährige Zahlungsrahmen, der zu begrüssen ist, wenig ändern.»
Ständerat Eder (lic. phil. I, Sekundarlehrer,
a. Regierungsrat; Büroordonnanz im Range
eines Gefreiten) bekennt sich «zu einer starken, glaubwürdigen, leistungsfähigen, auf
die aktuellen und künftigen Bedrohungen
ausgerichteten Milizarmee, die ihren verfassungsmässigen Auftrag erfüllt». «Alle Versuche, unsere Armee zu schwächen, verkennen [seines Erachtens] die heikle politische
Grosswetterlage und sind deshalb entschieden abzulehnen.» Erwähnenswert sind
schliesslich auch die Bemerkungen von Ständerat Eder über die Gruppe Giardino und
über Pro Militia, in denen sich hohe und
höchste Offiziere mit grosser Diensterfahrung und ausgewiesene Juristen gegen die
geplante «Weiterentwicklung der Armee» engagieren: «Wenn die Weiterentwicklung der
Armee beispielsweise von der Gruppe Giardino offen als ‹Weitere Eliminierung der Armee› bezeichnet wird, ist dies nicht nur ein
Wortspiel. Adjektive wie ‹kurzsichtig, verfassungswidrig, undemokratisch, verantwortungslos, überholt› sind hart und ein vernichtendes Urteil. Intensive persönliche
Gespräche mit Exponenten dieser Organisation – die meisten sind ehemalige verdiente
Offiziere – zeigen mir, dass diese Kräfte gewillt sind, den Worten Taten folgen zu lassen,
um selber glaubwürdig zu bleiben. Pro Militia schreibt auf ihrer Website: ‹Die Weiter-
entwicklung der Armee ist keine Weiterentwicklung, sondern in erster Line ein zusätzlicher personeller, materieller und baulicher
sowie organisatorischer und leistungsmässiger Abbau der Armee.›
Ich teile diese Beurteilung nicht und beantrage, auf die Gesetzesrevision einzutreten.»
Die «réflexion», für welche die Mitglieder
des Ständerates allgemein gelobt werden,
scheint sich bei diesem Votum eine Auszeit
in der Wandelhalle genommen zu haben. Für
den Fall, dass Herr Ständerat Eder meine
Schrift liest, versichere ich als Mitglied der
Gruppe Giardino ihm, dass ich sie nicht verfasst habe, «um selber glaubwürdig zu bleiben». Ich verweise in diesem Zusammenhang
auf meine Einführung unter Ziffer I. (S. 6f.).
Ständerat Föhn (Unternehmer; Gefreiter)
unterstützte «grundsätzlich» die Weiterentwicklung der Armee und war der Auffassung,
«dass sie uns in die richtige Richtung führt».
Allerdings äusserte er folgenden wichtigen
Vorbehalt: «Ich möchte aber einen Punkt
aufgreifen, der aufgrund der aktuellen Entwicklung angepasst werden muss. Ich spreche … vom Armeebestand. Diese Anzahl
von 100‘000 Armeeangehörigen basiert auf
einer Sicherheitslage, die mittlerweile überholt ist. Leider, muss ich sagen, ist sie überholt, denn sie geht auf eine friedlichere Zeit
zurück.» Er beantragte deshalb einen Armeebestand von 140‘000 Militärdienstpflichtigen und erinnerte dabei an die jüngsten
Vorfälle in Paris, wo 88‘000 Sicherheitskräfte
im Einsatz standen.
Ständerat Hösli (Leiter Alterszentrum; Soldat) unterstrich, dass ein kleines Land grosse
Wehrhaftigkeit beweisen müsse, wenn es sich
verteidigen wolle [sic!]. Dazu bemerkte er weiter, er mache auch ein gewisses Fragezeichen,
ob da jetzt 100‘000 Armeeangehörige genug
seien oder nicht. In der Detailberatung kam
Ständerat Hösli auf seine Bedenken zurück
und führte aus (HS): «Der Auftrag der Armee
ist es ja, das Land im Krieg … zu verteidigen
und die Bevölkerung nicht nur zu schützen,
… , sondern auch zu verteidigen. Und da
stellt sich natürlich schon die Frage, ob
100‘000 Armeeangehörige genügen. … Die
Wehrbereitschaft eines kleinen Landes muss
wahrscheinlich einfach relativ hoch sein, damit man es auch verteidigen kann. Von daher
wäre ich eigentlich schon froh, wenn vom
Bundesrat vielleicht noch Ausführungen
dazu gemacht werden könnten, wie man
denn auf eine wirklich akute Veränderung
der Bedrohungslage innert nützlicher Frist
reagieren könnte.»
Ausnahmsweise darf die Antwort von Bundesrat Maurer auf die Voten der Ständeräte
Föhn und Hösli den Lesern dieser Schrift
nicht vorenthalten werden; denn sie zeigt,
wie es um Helvetiens Wehrwesen wirklich
steht. Bundesrat Maurer erklärte: «Das kann
man tatsächlich. Nur müssen Sie wissen,
dass Sie natürlich einen Prozess in Gang setzen, der Jahre dauert und mehr Finanzen
erfordert, wenn sie hier drin irgendwann
entscheiden, es seien jetzt 120‘000 oder
140‘000.
Daher ist die Frage, die Herr Föhn aufgeworfen hat, wie lange die Bestandeserhöhung denn dauern und was sie kosten
würde, nicht unberechtigt. Diese Frage kann
ich Ihnen nicht beantworten, weil wir diese
Berechnungen nicht im Detail gemacht ha19
ben. Wir haben Berechnungen für 120‘000
gemacht, aber nicht für 140‘000. So gesehen,
wären, denke ich, durchaus auch der Bundesrat und die Armeeführung an den Fragen
interessiert, die Herr Föhn aufgeworfen hat.
Nur können wir uns das hier nicht durch
die Blume sagen.»
Die Antwort von Bundesrat Maurer zeigt,
dass der Aufwuchs auch im Jahr 2015 keine
ernsthaft in Betracht zu ziehende Option ist,
was die Sicherheitspolitik von Bundesrat
und Parlament zu einer verantwortungslosen «Spekulation» macht.
Zusammenfassend muss folgendes festgehalten werden: In der Eintretensdebatte des
Ständerates stiess die Vorlage auf keine nennenswerte Opposition. Alle Votanten identifizierten sich mit dem in der Botschaft des
Bundesrates genannten Ziel, die Leistungen
der Armee «mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen» wieder dauerhaft in Einklang zu bringen (Botschaft, S. 8). Gemäss
dem Erläuternden Bericht (S. 34) soll damit
die Milizarmee «gestärkt» werden, was nicht
zutrifft. Der «Erläuternde Bericht» enthält
übrigens keine Informationen über die Reduktion des Korps der Berufsmilitärs infolge
der Halbierung des Armeebestandes (s.
a.a.O., S. 38). Hingegen soll das militärische
Personal «wieder stärker im Bereich der Ausbildung zum Einsatz kommen, während in
der Verwaltung die Kontinuität vermehrt
durch Zivilangestellte mit militärischem Milizhintergrund angestrebt wird» (a.a.O., S.
38). Diese Aussage befremdet in Anbetracht
der «Professionalisierung der Ausbildung»,
die vor einigen Jahren verkündet worden ist
und verhindern sollte, «dass Lehrlinge Lehr20
linge ausbilden». Auch in der weiterentwickelten Schrumpf-Armee werden Berufsmilitärs die mittlere Führungsetage für sich
in Anspruch nehmen. Der Milizgedanke, der
wichtig für die Existenz der Armee ist, wird
nicht gestärkt werden. Die Armeereform ist
auch aus diesem Grunde problematisch und
abzulehnen.
Klarheit besteht hingegen gemäss dem Erläuternden Bericht, dass selbst bei einem
Budget von 5 Milliarden Franken pro Jahr
grosse Einschnitte unausweichlich sind, vor
allem bei der
- Einsatzinfrastruktur (Flugplätze),
- Kampfinfrastruktur (Sperrstellungen und
Festungsartillerie – Bison bzw. Festungsminenwerfer),
- Ausbildungsinfrastruktur (Übungs- und
Schiessplätze),
- Logistikinfrastruktur (Munitions- und
Materiallager, kombinierte Anlagen),
- Sanitätsinfrastruktur (Militärspitäler),
- Ausrüstung und Bewaffnung sowie beim
Berufspersonal (a.a.O., S. 34f.).
Bei der damit verbundenen Aufgabe der Verteidigungsfähigkeit zu Gunsten der schwammigen (theoretischen) Verteidigungskompetenz handelt es sich um eine Extremlösung,
mit der alles auf eine Karte – «Friede in Zentraleuropa» – gesetzt wird, was für den Bundesrat im Jahr 1966 aus prinzipiellen Überlegungen noch keine Option darstellte (vgl.
Ernst, Konzeption, S. 438). Der heutige Bundesrat beachtet die Maxime seiner Vorgänger
nicht mehr, weil er «die Wahrscheinlichkeit
eines militärischen Angriffs auf die Schweiz
… für die absehbare Zukunft» als gering ein-
schätzt. Seine Einschätzung erhebt er für den
unkritischen Leser der Botschaft zu einer
(feststehenden) Tatsache, indem er ausführt
(HS): «Die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Angriffs auf die Schweiz ist für die absehbare Zukunft nach wie vor gering» (Botschaft, S. 11). Für die Grösse, Ausrüstung,
Bewaffnung und Infrastruktur der Armee
sind gemäss dem Bundesrat und den WEABefürwortern im Parlament nicht militärische, sondern finanzielle Überlegungen massgebend. Es wird nicht auf die gefährlichste,
sondern auf die (angeblich) wahrscheinlichste Bedrohungslage abgestellt. Diese wird so
definiert, dass die Armee Land und Bevölkerung mangels Kriegsgefahr nicht mehr –
wie in Art. 58 II BV festgehalten – verteidigen
können muss. Art. 58 II BV, der mangels Verteidigungsfähigkeit der Armee etwas Unzutreffendes vortäuscht, soll aber nicht geändert
werden. Denn die damit verbundenen Diskussionen im Volk fürchten die Berner Strategen und Strateginnen ausserordentlich. Sie
könnten zu einem Gesichtsverlust führen.
Täuschend wird auch von «den zur Verfügung stehenden Ressourcen» gesprochen, als
ob es sich um eine vorgegebene, fixe und objektive «Grösse» handeln würde. Über die
Höhe der finanziellen Ressourcen für die Armee entscheiden einzig und allein die Eidgenössischen Räte aufgrund ihrer Finanzhoheit (Art. 167 BV). Die bestimmende
Mehrheit der Eidgenössischen Räte ist verantwortlich dafür, dass die Armee seit dem
Zusammenbruch des Sowjetimperiums 1990
finanziell kaputt gespart worden ist, bedenklichste Ausrüstungs- und Bewaffnungslücken
aufweist und ihren Auftrag gemäss Art. 58
II BV nicht mehr erfüllen kann. Anstatt der
Armee die nötigen Mittel zur Verfügung zu
stellen, zog es die Mehrheit der Nationalund Ständeräte vor, beispielsweise von Jahr
zu Jahr höhere Beträge für wirkungslose Entwicklungshilfe, für ausufernde (ungesunde)
Sozialhilfe, für die Förderung von Kulturschaffenden (die sich anscheinend mehr mit
unserem Staat identifizieren als die Dienst
leistenden Armeeangehörigen) und für die
Unterstützung von Berufssportlern auszugeben. Für die Armeeangehörigen ist die Haltung von Bundesrat und Parlament gegenüber der Armee in den letzten 25 Jahren eine
schallende Ohrfeige und zeugt von einer selten anzutreffenden Geringschätzung ihres
Engagements und von einer bodenlosen Respektlosigkeit. Mit der «Weiterentwicklung
der Armee» gemäss den Vorstellungen in der
Botschaft des Bundesrates, die auf dem überholten Sicherheitsbericht 2010 und dem
ebenso überholten Armeebericht 2010 beruhen, wird diese Politik der Geringschätzung
der Armeeangehörigen fortgesetzt.
Gemäss dem Protokoll der Ständeratsdebatte
(14.069) beherrschten vier Themen die Debatte: 1. der personelle Bestand der Armee,
2. die Kosten der Armee, 3. die Anzahl und
Dauer von Dienstleistungen in Schulen und
Kursen sowie 4. Einzelne (untergeordnete)
organisatorische Punkte. Die fundamentalen
Strukturmängel gemäss Botschaft, S. 20) wurden nicht erkannt und angesprochen (dazu
unten IX. Verletzung militärischer Organisationsprinzipien als Teilursache der «Luftschloss-Armee»). Die eingenommenen
Standpunkte wurden nicht gestützt auf militärische Erfordernisse und Überlegungen
vertreten, was darauf zurückzuführen ist,
dass alle Votanten nur einen ungenügenden
21
oder gar keinen militärischen Schulsack haben. Bei den Voten einzelner Ständeräte kann
sich der aufmerksame Leser des Protokolls
nicht des Eindruckes erwehren, dass sie im
Zeitpunkt ihres Statements den Kern der geplanten «Weiterentwicklung der Armee»
noch nicht erfasst hatten. Denn sie erklärten,
sie würden sich zu einer starken Armee bekennen und die weiterentwickelte Armee sei
im Sinne von Art. 58 Abs. 2 BV verfassungskonform. Dies bedeutet nichts anderes, als
dass diese Votanten davon ausgingen, die
weiterentwickelte (halbierte) Armee sei
gemäss Verfassungstext in der Lage, Land
und Bevölkerung zu verteidigen, wozu nicht
einmal die aktuelle Armee in der Lage ist.
Diese falsche Vorstellung erklärt auch, weshalb das ungelöste und unlösbare Problem
eines Armeeaufwuchses durch «Antizipation» zur Wiedererlangung der Verteidigungsfähigkeit nur am Rande erwähnt und
überhaupt nicht diskutiert wurde. Bundesrat
Maurer war nicht in der Lage, zu diesem zentralen Punkt aufgrund der Halbierung der
angeblich weiterentwickelten Armee eine
auch nur ansatzweise überzeugende Antwort
zu geben. Seine oben zitierte Stellungnahme
verdient das Prädikat «erbärmlich» (s. S. 19f.).
Er konnte die gewünschte Antwort nicht einmal für eine Erhöhung der Armeestärke auf
120‘000 Angehörige geben. Dabei ist zu bedenken, dass in der Botschaft betreffend Armee 1995 vom 8. September 1993 im Zusammenhang mit dem Verteidigungsfall
noch festgehalten wurde (a.a.O., S. 8): «Für
die Erfüllung des Auftrages der Armee ist
ein Bestand von 400‘000 Armeeangehörigen
… erforderlich und angemessen. Damit können Land und Volk auch im schlimmsten
Fall verteidigt werden.» Diskussionen über
22
den «Aufwuchs durch Antizipation» – einer
der zentralen Schwachpunkte der Armeereform» – müssen tunlichst vermieden werden. Andernfalls wird das vom Bundesrat
mit der Armeeführung errichtete Armee-Reform-Kartenhaus erschüttert und fällt in sich
zusammen. Es ist keineswegs respektlos, zu
sagen, die Debatte im Ständerat habe sich
durch Oberflächlichkeit ausgezeichnet. Oberflächlichkeit ist häufig die Zwillingsschwester
der Inkompetenz, von der die Mitglieder der
Eidgenössischen Räte aber nichts zu befürchten haben (dazu Schaub, Rudolf P., Fahrlässige Sicherheitspolitik – ohne Haftungsrisiko
der Verantwortlichen).
Als Schweizerin und Schweizer darf und
muss man sich die Frage stellen, ob die Eidgenössischen Räte überhaupt in der Lage
seien, die Oberaufsicht über das VBS gemäss
Art. 169 BV auszuüben.
V. Fähigkeiten der WEA-Schrumpf-Armee
Die «WEA-Schrumpf-Armee» ist aufgrund
ihrer Grösse, ihrer Gliederung und ihrer Bewaffnung nicht mehr in der Lage, gemäss
Art. 58 II BV einen Beitrag zur Kriegsverhinderung und zur Erhaltung des Friedens
zu leisten sowie das Land und seine Bevölkerung zu verteidigen. Deshalb wird gemäss
Doktrin die ehemalige «Verteidigungsfähigkeit» zu Gunsten einer «theoretischen Verteidigungskompetenz» im Sinne von «savoir
faire» aufgegeben (vgl. Curtenaz/Currit/
Lanz/Rieder/Abegglen, Doktrin, S. 53 und
58). Das Verteidigungs-Know-how soll
primär durch zwei unvollständig ausgerüstete
Mechanisierte Brigaden erhalten werden.
Diese «üben das Gefecht der verbundenen
Waffen bis Stufe Brigade» (Botschaft, S. 15).
In diesem Zusammenhang ist aber zu
berücksichtigen, dass der «Kampf Brigade
gegen Brigade» nicht geübt werden kann,
weil in der «WEA-Schrumpf-Armee» gemäss
Botschaft weder genügend Kampfpanzer
noch genügend Schützenpanzer vorhanden
sind, um die verbliebenen beiden Mechanisierten Brigaden gleichzeitig etatmässig vollständig auszurüsten (dazu oben, S. 8f.). Zudem fehlt eine Feuerunterstützung in den
Bataillonen, bis die neuen 12 cm Panzermörser bei der Truppe eingeführt sein werden.
Es ist damit zu rechnen, dass künftig erforderliche Beschaffungen für die beiden Mechanisierten Brigaden aus finanziellen Gründen nicht in der erforderlichen Menge oder
überhaupt nicht getätigt werden können (vgl.
Botschaft, S. 27). Zudem ist auch mit «qualitativen Beschränkungen» zu rechnen, da
«wo immer möglich bei Systemerneuerungen
nur ein mittleres Technologieniveau ange-
strebt wird» (Botschaft, S. 27). Im Sicherheitsbericht 2010 äusserte sich der Bundesrat
noch anders (S. 36; HS): «Die Armee muss
die zentralen Fähigkeiten zur Führung militärischer Verteidigungsoperationen erhalten
und weiterentwickeln, qualitativ hochstehend, aber quantitativ begrenzt.» Eine laufende Reduktion der Anforderungen, welche
die Bewaffnung und Ausrüstung der Armee
zu erfüllen haben, gehört offensichtlich zu
den Legislaturzielen des Bundesrats.
Ob es gelingen wird, mit den verbliebenen
beiden Brigaden die erforderliche Verteidigungskompetenz zu erhalten, ist aufgrund
der dargestellten Fakten mehr als fraglich.
In einigen Jahren könnten der Bundesrat und
die Eidgenössischen Räte – nebenbei bemerkt – sogar zum Schluss gelangen, auch
die «teure» Erhaltung der theoretischen Verteidigungskompetenz erübrige sich, weil die
Wahrscheinlichkeit eines militärischen Angriffs auf die Schweiz für die absehbare Zeit
weiterhin gering sei und mit einem Krieg
aufgrund der jüngeren Geschichte gar nicht
mehr gerechnet werden müsse. Mit der Verteidigungskompetenz könne man sich bei einer solchen Sachlage wieder beschäftigen,
wenn durch «Antizipation» erkannt worden
sei, dass ein (theoretisches) VerteidigungsKnow-how nötig werden könnte. Bei solchen
Annahmen und einer leeren Bundeskasse
dürfte es für Bundesrat und Parlamentsmehrheit einmal mehr naheliegend sein, «das Verhältnis zwischen den für die Sicherheit des
Landes notwendigen Leistungen der Armee
und den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen in ein nachhaltiges Gleichgewicht
zu bringen» (vgl. Botschaft, S. 8). Es könnte
auf die Verteidigungskompetenz mit dem
23
Argument verzichtet werden, es werde bloss
eine «bewährte Praxis» fortgeführt und der
Art. 58 Abs. 2 BV bedürfe auch keiner Änderung. Es könnte zudem wie bei der jetzt
geplanten «Weiterentwicklung» der Armee
beteuert werden, es bestehe «weder die Notwendigkeit noch eine Absicht des Bundesrates, die Armeeaufgaben in Frage zu stellen»
(Botschaft, S. 8).
In der Armee 61 zeichneten sich die Panzertruppen durch eine hohe Motivation, eine
solide Beherrschung ihres anspruchsvollen
Handwerks und einen besonderen Stolz aus.
Sie bildeten den grossen «Hammer», mit dem
die Kommandanten der Feldarmeekorps und
der Felddivisionen eine Entscheidung herbeiführen konnten. Die Infanteristen hinterliessen mit ihrer Ausrüstung gegenüber den
Panzerbesatzungen auf den ersten Blick einen
eher Mitleid erregenden Eindruck. Gemäss
den von jüngeren Panzeroffizieren erhaltenen Auskünften soll die oben vorgenommene
Charakterisierung der Panzertruppen in der
Armee 61 für die heutige Situation nur noch
beschränkt zutreffen. Der Verfasser kann sich
zu dieser Einschätzung mangels eigener Erfahrungen nicht äussern. Hingegen ist er
überzeugt, dass eine weitere Abnahme der
früheren Qualitäten der Panzertruppen keineswegs erstaunlich wäre. Denn die blosse
Erhaltung einer theoretischen Verteidigungskompetenz mit sog. Fähigkeitslücken wird
an der Leistungsbereitschaft der Truppe nagen, dies umso mehr als die Fähigkeitslücken
durch die «Classe politique» bewusst in Kauf
genommen werden und eingestanden wird,
daraus ergäben sich Unsicherheiten für die
Ausbildung; denn es sei unklar, über welche
Mittel die Armee verfügen bzw. nicht verfü24
gen werde (Armeebericht 2010, S. 23). Ernst
argumentierte verantwortungsbewusster, als
er schrieb (Konzeption, S. 402): «Es ist eine
Illusion, zu glauben, Aktionen, die im Frieden nie eingeübt werden können, würden
im Krieg gelingen.» Diese Tatsache veranlasste Ernst auch zur Forderung (a.a.O., S.
423), die Kontinuität im Bereich der Landesverteidigung müsse gewahrt bleiben –
Lücken könnten nicht von einem Augenblick
auf den anderen geschlossen werden. Ernst
warnte zudem (a.a.O., S. 421): «Die Vernachlässigung der Ausbildung lässt sich in einem
Milizheer auf lange Zeit hinaus nicht mehr
korrigieren.»
Schliesslich ist zu bedenken, dass die Erhaltung theoretischer Kenntnisse über den Verteidigungskampf kein absolutes, sondern nur
ein eingeschränktes Engagement der Truppe
verlangt. Auf besonders unangenehme Aktivitäten, die nun einmal zur militärischen Ausbildung zwecks Kriegstauglichkeit gehören,
kann verzichtet werden, weil es bloss um die
Erhaltung des «savoir faire» und nicht um
das Bestehen der Truppe im brutalen Ernstfall
geht. Mit einem solchen ist gemäss Botschaft
in der absehbaren Zukunft ja nicht zu rechnen. Die Ausbilder in der Armee dürften in
der gegebenen Situation jedenfalls dann auf
die Durchsetzung harter, aber nötiger Ausbildungsforderungen verzichten, wenn sie damit negative Medienberichte auslösen und
ihre Beförderungschancen gefährden könnten. Sie müssen dabei nicht einmal ein
schlechtes Gewissen haben; denn sie wissen,
dass die Verteidigungsfähigkeit für einen echten Verteidigungsfall eine viel härtere Ausbildung erfordern würde. Das angestrebte «savoir faire» ist somit durchaus vorhanden.
Die verbliebenen 16 Infanteriebataillone in
den Territorialdivisionen (leider konnte der
Schreibende nicht verlässlich ausfindig machen, ob es tatsächlich 16 Bataillone sind)
«trainieren die Überwachung, die Sicherung
und den Schutz von Verkehrsachsen, wichtigen Objekten, Räumen und Grenzabschnitten, aber auch wie Stellungen gehalten und
Durchgänge gesperrt werden» (Botschaft,
S. 15), sofern sie nicht Assistenzdienst leisten
müssen. Dieser wird in normalen Zeiten eher
die Ausnahme bilden, so dass die Infanteriebataillone die oben genannten Tätigkeiten
üben können. Für den Assistenzdienst im
Sinne von «Schaufel und Pickel-Einsätzen»
muss und kann die Truppe gemäss den Erfahrungen des Schreibenden nicht ausgebildet werden. Bei solchen Diensten sind die
geforderten Detachemente gemäss den bekannt gegebenen Kriterien zur Verfügung zu
stellen (Holzer-Wiederholungskurs des Füs
Bat 102 nach dem Sturm «Vivian» (1990) mit
Kompanien in den Kantonen Glarus, Uri,
Schwyz und Obwalden: Bildung von Detachementen mit Forstpersonal und/oder
Landwirten zum Fällen von Bäumen oder
zum Zersägen umgestürzter Bäume, von
Detachementen mit Bauarbeitern zum Entasten von gefällten Bäumen sowie von Detachementen mit Angehörigen anderer Berufsgattungen als Hilfspersonal zur Ausführung
der ungefährlichsten Arbeiten). Die unterschiedlichen Detachemente wurden durch
die zuständige zivile Behörde fachtechnisch
instruiert und während ihrer Arbeit überwacht. Bei der Leistung von Assistenzdienst
sollte nur ein (kleiner) Teil des Kaders mit
der Truppe abkommandiert werden. Mit
dem Rest kann auf Stufe Bataillon (oder
Kompanie) intensiver Kaderunterricht be-
trieben werden. Damit wirkt sich der Assistenzdienst wenigstens für das Kader bezüglich Stand der Ausbildung positiv aus, sofern
Gefechts- und Scharfschiessübungen auf
Stufe Gruppe und Zug in den Einsatzbereichen gemäss Botschaft (s. S. 15) möglich sind.
Problematisch ist der personelle Bestand der
Infanterie in der weiterentwickelten
Schrumpf-Armee. Er genügt überhaupt
nicht, um Land und Bevölkerung (zusammen mit den zwei vorgesehenen Mechanisierten Brigaden) gemäss Art. 58 II BV zu
verteidigen. Die Armee 61 hatte neben den
Grenz-, Reduit- und Festungsbrigaden drei
Gebirgsdivisionen, sechs Felddivisionen und
drei Mechanisierte Divisionen mit einem
Sollbestand von 625‘000 Armeeangehörigen.
Ernst bemerkte in diesem Zusammenhang
(Konzeption, S. 420): «Die Auflösung einer
einzigen Division würde im Falle der Rundumabwehr einen erfolgreichen Widerstand
im Sinne der ‹Area Defence› ausschliessen.
Wir wären also gezwungen, den Bestandesrückgang durch den Übergang zur ‹Mobile
Defence› auszugleichen. Das hiesse: Beschaffung von Angriffswaffen und Aufstellung von
Verbänden, die einen Bewegungskrieg zu
führen vermöchten. Eine solche kleine, aber
technisch hochgezüchtete Armee würde ein
Vielfaches unserer Milizarmee kosten.» Die
Armee 61 haben wir nicht mehr, und eine
analoge Armee wird aufgrund der politischen
Gegebenheiten kaum wieder aufgebaut werden können. Eine technisch hochgezüchtete
Armee zur «Mobile Defence» haben wir aber
auch nicht, und sie wird aufgrund der politischen Gegebenheiten wie eine (neue)
flächendeckende Milizarmee im Sinne der
Armee 61 ein Wunschtraum bleiben. Die ge25
schilderte Situation ist das Resultat davon,
dass Bundesrat und Parlament seit dem Ende
des Kalten Krieges die Armee sträflich vernachlässigt haben, um exzessive «Friedensdividenden» an das Volk (und einen zunehmend aufgeblähten Beamtenapparat)
auszuschütten. Deshalb behaupteten vier Damen und drei Herren – ohne jeden militärischen Sachverstand und mit ungenügenden
Geschichtskenntnissen – kühn (Bericht Sicherheitspolitik 2010, S. 12f.): «Eine militärische Bedrohung für die Schweiz, sei sie direkt gegen die Schweiz gerichtet oder Folge
bewaffneter Konflikte in oder zwischen anderen Staaten, hat gegenwärtig eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit. Niemand erwartet, dass Staaten im Umfeld der Schweiz sie
militärisch angreifen werden.» Nicht einmal
fünf Jahre später müssen und dürfen zu dieser Einschätzung der politischen Wetterlage
bereits fett gedruckte Fragezeichen gesetzt
werden. Es drängt sich heute durchaus die
Frage auf, ob ein «Armee-Aufwuchs» in Anbetracht seiner Dauer bereits angebracht sei.
Für die grosse Mehrheit der «Classe politique» sind die zitierten Behauptungen des
Bundesrates aber nach wie vor eine in Stein
gemeisselte Tatsache, welche es erlaubt, mit
der Schweizer Armee eine weitere Abmagerungskur durchzuführen, so dass sie nur
noch über Muskeln wie die magersüchtigen
Models auf den Laufstegen der grossen Pariser Modeschauen verfügt.
Gemäss einem «Zusatzbericht zum Armeebericht 2010», datiert 4. April 2011, soll mit
den für Bewachungsaufträge vorgesehenen
Truppen der «Schrumpf-Armee» von 100‘000
Angehörigen folgendes in «Mischformen»
möglich sein, wobei aus dem Bericht nicht
hervorgeht, was wirklich möglich ist:
26
Objektschutz
Überwachung von 45 mittleren Objekten
+ 15 sipol Objekten
Sicherung von 15 – 22 mittleren Objekten
+ 5 – 8 sipol Objekten
Bewachung von 8 – 15 mittleren Objekten
+ 3 – 5 sipol Objekten
Transversalen
Überwachung von 900 km
Sicherung von 900 km
Bewachung von 100 km
Grenzabschnitt
Überwachung von 750 km
Sicherung von 250 km
Bewachung von 85 km
Die einzelnen angegebenen Werte sind sehr
grosszügig bemessen, insbesondere auch für
den Fall, dass ungünstige Bedingungen herrschen. Zudem werden sie massiv kleiner,
wenn einzelne Truppenkörper aus dem
Dienst entlassen werden müssen. 37‘000 Armeeangehörigen können nicht verpflichtet
werden, die «Schweiz» während Monaten
oder Jahren zu «bewachen», während sich
die restliche Bevölkerung ausserhalb der Armee den ihr zusagenden (einträglichen oder
vergnüglichen) Beschäftigungen widmet. Es
sei hier an Art. 59 I BV erinnert, wonach jeder Schweizer verpflichtet ist, «Militärdienst
zu leisten». Die «WEA-Schrumpf-Armee»
lässt sich im Verteidigungsfall mit der zitierten Verfassungsbestimmung nicht vereinbaren und verletzt die «Wehrgerechtigkeit».
Mit Bewachungstruppen von maximal
37‘000 Armeeangehörigen dürfte die Schweiz
ein Paradies zur Durchführung von wir-
kungsvollen Sabotage- und Terroraktionen
bilden. Für diese werden unzählige unbewachte bestens geeignete Objekte zum Auswählen bereitstehen: 130 Unterwerke mit den
sie verbindenden Hochspannungsleitungen,
70 Tanklager für Benzin, Dieselöl und Heizöl,
4 SBB Verkehrsleitstellen (welche den Zugsverkehr in ihren Regionen regeln, indem sie
unzähligen wichtigen Stellwerken die elektrischen Impulse zur Steuerung der Weichen
und Signale in den Bahnhöfen und auf den
Strecken geben), Wasser- und Gasversorgungsanlagen, öffentliche Gebäude, militärische Einrichtungen, Industrieanlagen mit
grossem Immissionspotential im Brandfall
(beispielsweise im Raum Basel) und vieles
mehr. Bei Sabotage- und Terroraktionen
spielt die Überraschung eine entscheidende
Rolle. Sie ergibt sich aus der Wahl des Ortes
(bzw. des Objektes), des Zeitpunktes und des
Vorgehens sowie aus dem Ausmass der Aktion (s. TF 82, Ziff. 145). Bewachungskonzepte können immer ausgetrickst werden,
indem eine Aktion dort durchgeführt wird,
wo auf Bewachung aus irgendwelchen Gründen verzichtet worden ist oder wo sie ungenügend dotiert worden ist und deshalb nur
eine Überwachung stattfindet. Je kleiner die
für Bewachungsaufträge zur Verfügung stehenden Truppen sind, desto mehr Bewachung erheischende Objekte bleiben unbewacht oder ungenügend bewacht, und desto
besser werden die Chancen von SabotageVerbänden, spektakuläre Aktionen mit grosser psychologischer und / oder materieller
Wirkung erfolgreich durchzuführen.
Aus den bisherigen Darlegungen ergibt sich,
dass die geplante Schrumpf-Armee nicht einmal in der Lage ist, ihre wichtigsten Aufträge
gemäss Botschaft zu erfüllen. Sie wird den
rechtzeitigen Aufwuchs durch Antizipation
zu einer Verteidigungsarmee für den realen
Verteidigungsfall aufgrund der politischen
Gegebenheiten und der Schwierigkeiten bei
der Realisierung von Rüstungsprojekten bei
einer sich abzeichnenden Bedrohung nicht
schaffen (s. oben, S. 11ff.). Sie wird aufgrund
des personellen Bestandes auch nicht in der
Lage sein, die gefährdeten Infrastrukturen
des Landes und das Volk vor Sabotageaktionen und Terroranschlägen nachhaltig zu
schützen. Am Tag, an dem die Armee zur
Verteidigung des Landes und der Bevölkerung antreten sollte, wird sie qualitativ und
quantitativ ungenügend ausgerüstet und bewaffnet sein. Sie wird auch ungenügend ausgebildet sein und höchstwahrscheinlich nicht
gemäss den bestehenden Anforderungen geführt werden. Dies dürfte die Eidgenössischen Räte oder den Bundesrat aber nicht
davon abhalten, die Armee aufzubieten und
in einem chancenlosen Kampf gegen einen
weit überlegenen Gegner untergehen zu lassen. Denn wer eine Armee seit Jahren skrupellos in einen desolaten Zustand gespart
hat, empfindet auch keine Skrupel, die kaputt
gesparte Armee in einem sie überfordernden
Verteidigungskampf zu «verheizen». Davon
abzusehen, wäre zum vorneherein das klare
Eingeständnis, eine falsche Sicherheitspolitik
unter Verletzung des unmissverständlichen
Auftrages in Art. 58 II BV betrieben zu haben. Der Bundesrat weist in seiner Botschaft
sogar darauf hin, dass er bereit ist, die «WEALuftschloss-Armee» trotz ihrer Unfähigkeit,
das Land zu verteidigen, in einen Verteidigungskampf zu befehlen. Er erklärt (S. 8f.):
«Trotzdem kann die die ganze Armee in der
Verteidigung eingesetzt werden.» Gemäss
27
Botschaft (S. 9) muss die Armee «im Interesse der Handlungsfreiheit beides können:
Allein kämpfen und mit anderen Streitkräften zusammen kämpfen».
VI. Auswirkungen der Schrumpf-Armee
auf die Kampfführung
im Verteidigungsfall
Erhält die oberste Armeeführung den Auftrag, die Schweiz und ihre Bevölkerung
gemäss Art. 58 II BV zu verteidigen, bleibt
ihr wegen der viel zu kleinen Armee nichts
Anderes übrig, als «Mobile Defence» anstatt
«Area Defence» zur Auftragsausführung zu
betreiben (vgl. Ernst, Konzeption, S. 420).
Die unumgängliche «Mobile Defence» ist
eine Folge davon, dass die Armee im Unterschied zur Armee 61 nicht in der Lage ist,
den Kampf gegen den Aggressor flächendeckend im ganzen Land oder in wesentlichen Teilen davon, an topographisch vorteilhaften Orten mit (primär) statisch
eingesetzten und für ihren Auftrag gut bewaffneten und ausgebildeten Truppen zu
führen. Die Schweizer Schrumpf-Armee
muss – sinnbildlich ausgedrückt – dem Gegner in einem künftigen Verteidigungsfall
«entgegen- oder hinterherfahren». In der
Botschaft (S. 11) wird dies angedeutet: «Die
Armee muss operative Schwergewichte bilden, was nur dann möglich ist, wenn die
Verbände rasch und geschützt verschoben
werden können.» Beim Leisten von Assistenzdienst oder bei Einsätzen zu Gunsten
von Konferenzen müssen keine operativen
Schwergewichte gebildet werden, die rasche
und geschützte Verschiebungen von Verbänden erfordern. In solchen Fällen genügen die
DUROS, die mit Kosten von CHF 250‘000.00
pro Fahrzeug mit neuen Motoren und Getrieben sowie einigen anderen Verbesserungen ausgestattet werden (Rüstungsprogramm
2015+). Auf das Erfordernis rascher und geschützter Verschiebungen zur Bildung ope-
28
rativer Schwergewichte wird unten ausführlicher eingetreten. Fest steht allemal, dass die
verfügbaren Kampftruppen von bestenfalls
57‘000 Armeeangehörigen auch für eine
«Mobile Defence» zahlenmässig viel zu
schwach und höchstwahrscheinlich nicht
einmal vollständºig ausgerüstet sein werden
(s. oben, S. 8ff.). Auch im Falle der «Mobile
Defence» gilt die mit der Weiterentwicklung
der Armee missachtete Warnung von Ernst
(Konzeption, S. 351): «Wenn wir auf ein ausgewogenes Verhältnis von Kampfkraft und
Raum verzichten, setzen wir den Erfolg unseres Widerstandes aufs Spiel.» Die in der
Botschaft vorgesehene «Mobile Defence»
scheitert aber nicht nur wegen des ungenügenden personellen Bestandes der Armee
bzw. ihrer Kampftruppen. Auch andere
grundlegende Voraussetzungen für eine bewegliche Kampfführung sind nicht erfüllt
(dazu unten VII.).
VII. Fehlende Voraussetzungen
für eine mobile Kampfführung
im Verteidigungsfall
Wer «Mobile Defence» betreiben oder – mit
anderen Worten – den Verteidigungskampf
beweglich führen will, muss heute und in
Zukunft den Luftraum über dem und um
das Kampfgebiet einschliesslich Verschiebungswege am Boden wegen der «Luft-Boden-Abstandswaffen» weiträumig beherrschen. Dies steht bereits seit der Endphase
des Zweiten Weltkrieges fest, als die Alliierten
Italien und Frankreich befreiten. Gemäss
dem international anerkannten englischen
Kriegshistoriker Liddel Hart «lähmten» in
diesen Kämpfen die überlegenen «Tiefflieger» der Alliierten (u. a. Jagdbomber North
American P-51 Mustang) die Deutschen Bodentruppen geradezu und fügten diesen mit
ihren 12.7 mm Maschinengewehren und
Bomben laufend schwere Verluste zu (Geschichte des Zweiten Weltkrieges, S. 679f.,
685, 812, 879; s. auch Wikipedia, North American P-51). Bekanntlich wurde sogar Feldmarschall Erwin Rommel auf einer Dienstfahrt in seinem Fahrzeug bei Caen
beschossen und schwer verwundet. Die Gefahren aus der Luft sind für die heutigen Bodentruppen – insbesondere bei Verschiebungen mit Fahrzeugen aller Art – noch grösser
geworden, weil die Bewaffnung der heutigen
Erdkampfflugzeuge und Kampfhelikopter erheblich wirkungsvoller geworden ist (Einsetzbarkeit Tag/Nacht/Nebel, Einsatzdistanz,
Treffgenauigkeit, Wirkung im Ziel). Die
Schweizer Luftwaffe mit ihrem Restbestand
von 32 F/A-18 vermag – trotz ihrer hervorragenden Piloten – die unerlässliche Luftherrschaft für eine «Mobile Defence» nicht
29
nachhaltig zu gewährleisten und müsste
(massiv) aufgestockt werden, um dazu in der
Lage zu sein. Dieser Auffassung ist sogar der
Bundesrat, der in der Botschaft (S. 33) immerhin ausführt, die Lücke in den Fähigkeiten der Luftwaffe bestehe nach dem GripenDebakel weiter und müsse mit der Zeit [sic!]
geschlossen werden: 32 Kampfflugzeuge (die
F/A-18 Flotte) genügten nicht. Man darf gespannt sein, ob Bundesrat und Parlament
überhaupt den Mut haben, diese gravierendste Fähigkeitslücke zu schliessen und wie viel
Zeit verstreicht, bis wir neue Kampfflugzeuge
gemäss heutigem Standard in Europa am
Schweizer Himmel sehen. Mit der aktuellen
Luftwaffe ist die «Mobile Defence» eine Illusion.
Die Aussage des Bundesrates in der Botschaft
(S. 11), die Bildung von operativen Schwergewichten durch die Armee sei nur möglich,
wenn die Verbände «geschützt» verschoben
würden könnten, ist grundsätzlich richtig.
Der Bundesrat scheint sich aber nicht bewusst zu sein, was «geschützt» wirklich bedeutet. Denn anschliessend hält er fest
(a.a.O., S. 11): «Heute bieten Transportmittel
einen sehr guten Schutz. Sie machen damit
zu einem gewissen Grad feste Anlagen
unnötig.» Dies mag für einzelne Bedrohungsformen durchaus zutreffen. Aber Ketten- und
Radpanzer bieten keinen sehr guten Schutz,
wenn sie durch Erdkampfflugzeuge oder
Kampfhelikopter mit den dafür bestimmten
Waffen beschossen werden. Dies ist heute
möglich, ohne dass die Mitglieder der Besatzungen, die aus den Lucken nach Erdkampfflugzeugen oder Kampfhelikoptern
Ausschau halten, die Angreifer jemals sehen
oder hören. Bei Angriffen aus der Luft sind
30
Kampf- oder Schützenpanzer sowie gepanzerte Artilleriegeschütze genauso verletzlich
wie ein Saurer 2 DM, mit dem in der Armee
61 ein Füsilier Zug von 37 Mann zum Stellungsbau an seinen Einsatzort transportiert
wurde. Der heutige Infanteriezug von 50
Mann verschiebt normalerweise nicht mehr
auf einem Lastwagen, sondern in sechs Radschützenpanzern. Diese sind auch beweglicher und nicht auf Strassen angewiesen, können aber aus der Luft wie ihr Vorgänger 2
DM problemlos beschossen und vernichtet
werden. Sehr guter Schutz für sich bewegende Motorfahrzeuge und Panzer aller Art
bedeutet deshalb nichts Anderes als Luftherrschaft der eigenen Luftwaffe im gesamten Luftraum, aus dem die Panzer oder Fahrzeuge durch gegnerische Erdkampfflugzeuge
oder Kampfhelikopter beschossen werden
können. Diese unerlässliche Luftherrschaft
hat die Schweizer Schrumpf-Armee für die
«absehbare Zukunft» – um ein wichtiges
Wortpaar der Botschaft zu verwenden – ohne
Beschaffung neuer Kampfflugzeuge nicht.
Deshalb ist es vorderhand gerechtfertigt, von
einer «WEA-Luftschloss-Armee» zu sprechen. Der fehlende robuste «Luftschirm» ist
aber nicht der einzige Grund, welcher diese
Qualifikation rechtfertigt.
In der Armee 61 hatte die Infanterie der
Feldarmeekorps im Mittelland die Aufgabe,
einen eingedrungenen Aggressor aus Sperren
und Stützpunkten mit ausgebauten Stellungen in Zugs- oder Kompaniestärke, allenfalls
verstärkt mit Grenadier-, Minenwerfer- oder
Panzerabwehrzügen, zu stoppen und zu vernichten. Solche Sperren und Stützpunkte hätten sich jeweils in «Hinterhängen» im Infanterie- oder Panzer-/Infanteriegelände
befunden, wenn immer möglich mehrere
hintereinander in der Tiefe des Raumes, um
den Gegner fortgesetzt auf Minenfelder auffahren zu lassen und zu vernichten (s. TF 82,
Ziff. 297, S. 80, Bild 26). Die Infanterie hätte
keinen weiträumigen Bewegungskrieg führen
können. Realistisch waren einzig eingeübte
bewegliche Einsätze auf kurze Distanzen wie
Gegenstösse zu Gunsten von Sperren und
Stützpunkten der eigenen Kompanie oder einer Nachbarkompanie, die entweder durch
den Gegner erobert oder massiv geschwächt
worden waren, so dass mit einer endgültigen
Einnahme zu rechnen war. Bei günstigen
Verhältnissen wären unter Umständen auch
vorbereitete Angriffe mit kurzen Verschiebungen in Deckungen möglich gewesen.
Natürlich gab es in der Armee 61 auch Kommandanten bis auf Divisionsstufe, welche
diese taktischen Vorgaben nicht genügend
verinnerlicht hatten und sich in entscheidenden Momenten nicht mehr daran erinnerten.
Ernst kritisierte dies scharf (Konzeption, S.
355): «Oft wurden infanteristische Verbände
in Manövern am heiterhellen Tage in Räumen eingesetzt, in denen sie von feindlichen
Panzern ohne weiteres zusammengeschossen
und überrannt worden wären. Ganze Regimenter fuhren auf Lastwagen verladen umher, als ob es keine gegnerischen mechanisierten Kräfte gäbe.» Ernst hätte der
Vollständigkeit halber noch darauf hinweisen
können, dass diese Regimenter im Ernstfall
auch aufgrund von Fliegerangriffen für die
letzte Ruhe auf einem Soldatenfriedhof prädestiniert gewesen wären. Er liess es aber
nicht bei blosser Kritik bewenden, sondern
verabschiedete den betreffenden Divisionskommandanten Ende Jahr vorzeitig. Wenn
es nur noch um die blosse Erhaltung einer
theoretischen Verteidigungskompetenz im
Sinne von «savoir faire» geht, dürfte die angeordnete Entsorgung des Divisionärs mit
gravierenden taktischen Bildungslücken als
unverhältnismässig betrachtet werden.
Die einzigen Kampftruppen, die in der Armee 61 bei entsprechendem Raumschutz der
Fliegertruppen mit den Tigern F-5 «herumfahren» durften und mussten, waren die Panzertruppen, welche Gegenschläge auszuführen hatten, und die mechanisierte
Artillerie, welche ihre Stellungsräume wechseln musste. Auch diese Einsätze wurden eingeübt und mit den davon tangierten Infanteristen abgesprochen. Die vorgesehene
mehrheitlich statische und vorbereitete
Kampfweise von (kompakten) Füs bzw. S
Kompanien und Bataillonen und die vorbereiteten Panzergegenschläge ermöglichten es,
vom störanfälligen Funk zurückhaltend Gebrauch zu machen und die Kommunikation
bis zum Feindkontakt bzw. bis zum unmittelbaren Angriffsbeginn mit entsprechenden
Telefonverbindungen sicherzustellen. Es galt
jeweils der Funkbereitschaftsgrad «Funkstille». Die angenehmen Funkgeräte durften
nicht benutzt werden, weil man befürchtete,
durch das Funken eigene Dispositionen, Absichten oder eingeleitete Aktionen zu verraten. In Manövern wurde die Einhaltung der
Funkbereitschaftsgrade überwacht. Bei festgestellten Verstössen wurden die Fehlbaren
bestraft. Ebenso wurde der Funk durch
Störung regelmässig unbrauchbar gemacht,
um die Führung in entscheidenden Momenten zu erschweren oder zu verunmöglichen.
Dies wäre ein erstrangiges Ziel der elektronischen Kriegführung eines allfälligen Aggressors gewesen.
31
Eine «Mobile Defence» mit Bildung von
Schwergewichten auf Armeestufe durch rasche Verschiebungen von Truppenkörpern
(Botschaft, S. 11) funktioniert mit dem «Funkregime» der «Funkstille» gemäss Armee 61
in einem künftigen Verteidigungsfall nicht.
Die mechanisierten Bataillone und die mobilen Infanteriebataillone lassen sich
während raschen Verschiebungen nur mit
Funk bzw. (jederzeitiger) «Funkbereitschaft»
führen. Selbstverständlich können dabei auch
zur Verfügung stehende Kabel- und Richtstrahlverbindungen genutzt werden. Es bleibt
aber stets eine Schlussstrecke, die mit einer
Funkverbindung überbrückt werden muss.
Bei der im Falle der «Mobile Defence» unerlässlichen Führung durch Funk ist nicht zu
befürchten, dass der Gegner den Inhalt der
Funksprüche erfährt bzw. rechtzeitig entschlüsseln kann. Die Verschlüsselungstechnik in der Schweizer Armee befindet sich auf
einem Stand, der die Entschlüsselung von
Funksprüchen auf taktischer Stufe nicht in
einer Zeitspanne zulässt, dass die gewonnenen Informationen auf dem Gefechtsfeld
rechtzeitig zur Verfügung stehen. Hingegen
bestehen zwei andere Gefahren: Ein allfälliger Gegner würde den Funk zwischen den
Sende- und Empfangsstationen durch
Störung («Jamming») unbrauchbar machen
oder aufgrund des Funkverkehrs die Sendeund Empfangsstationen orten und dann mit
Artilleriefeuer oder Angriffen aus der Luft
ausschalten. Beides ist möglich, wenn die
Schweizer Luftwaffe den Luftraum nicht beherrscht. In diesem Falle können die gegnerischen «EKF-Flugzeuge» den Funkverkehr
wirkungsvoll stören oder die Funkstationen
orten und die zur Vernichtung nötigen Informationen über Bodenstationen oder di32
rekt an angriffsbereite Erdkampfflugzeuge
weiterleiten. Zusammenfassend ist festzuhalten: Entweder funktioniert der für die «Mobile Defence» unerlässlich Führungsfunk
wegen Störung durch die gegnerischen EKFFlugzeuge nicht oder er funktioniert nicht
mehr, weil die georteten Sende- und Empfangsstationen durch Erdkampfflugzeuge
zusammengeschossen worden sind. Den geschilderten Gefahren scheinen sich auch Amstutz/Schmon bewusst zu sein. Denn sie
schreiben (Flab/BODLUV, S. 23; HS): «Die
vernetzte Operationsführung erhöht Effizienz, Effektivität und Handlungsfreiheit. Was
aber, wenn die anspruchsvollen Anforderungen an die Datenkommunikation zeitweilig unterbrochen werden, aus technischen Gründen partiell ausfallen oder gar
als Folge von Cyberbedrohung nicht zuverlässig funktionieren?»
VIII. FIS-Heer als untaugliches Hilfsmittel
zur Führung von mobilen Truppeneinsätzen
Am 24. Juni 2015 verkündete Korpskommandant Blattmann im bereits erwähnten
Gastkommentar mit dem Titel «Weiterentwicklung der Armee ist dringend» in der «bz
Basel Überregional» zudem folgendes
(s. oben, S. 6; HS): «In verschiedenen Medien
wird leider immer wieder kolportiert, dass
FIS nicht funktioniere. Das ist definitiv
falsch. FIS Heer funktioniert. Die im vergangenen Jahr durchgeführte Sicherheitsverbundübung 2014 (SVU 14) hat das einmal
mehr bestätigt. Der Schlussbericht SVU 14
hält unmissverständlich fest, dass Führungsund Einsatzfähigkeit der Armee jederzeit und
umfassend gegeben war. Es wäre schön, wenn
das gelegentlich breit zur Kenntnis genommen würde.» Noch viel schöner wäre es,
wenn Herr Korpskommandant Blattmann
als Gastkommentator von «bz Basel Überregional» keine falschen Aussagen machen
würde.
Bei der SVU 14 handelte es sich um eine
Stabsübung, die sich mit dem «Szenario
Stromausfall und langandauernde Strommangellage überlagert von einer Grippepandemie» auseinandersetzte (Toni Frisch, Projekt und Übungsleiter, Schlussbericht SVU
14, S. 6). Die Armee führte eine sog. Stabsrahmenübung durch, was bedeutet, dass
keine Mechanisierte Brigade an der Übung
teilnahm (Schlussbericht SVU 14, S. 46).
«Assistenzdienst» war das Thema der Stabsrahmenübung, nicht die Verteidigung des
Landes mit mobilen Einsätzen von Truppenkörpern der Armee. Deshalb spielten die
beim FIS Heer nicht funktionierenden Funkverbindungen zur Datenübermittlung keine
Rolle. Logischerweise wurden auch keine
gegnerischen EKF-Einsätze simuliert, welche
die ohnehin nicht funktionierenden Funkverbindungen beim FIS Heer gestört oder
unterbrochen hätten. Die Stabsrahmenübung
SVU 14 war von vorneherein nicht geeignet,
die (umfassende) Funktionstauglichkeit von
FIS Heer gemäss den Vorstellungen beim Beschaffungsentscheid zu bestätigen.
Im gleichen Gastkommentar erklärte Korpskommandant Blattmann sinngemäss, das
FIS Heer sei unverzichtbar mit folgender Begründung: «Die Alternative dazu wäre die
Rückkehr zu Filzstiften, Packpapier und Plastikfolie. Erfolgreich wären wir damit nicht
mehr.» Interessant im Zusammenhang mit
den zitierten Aussagen von Korpskommandant Blattmann ist die Antwort von Bundesrat Maurer in einem allerdings älteren Interview im Tages-Anzeiger (7. Oktober 2010, S.
3) auf die Frage, wie es beim Führungsinformationssystem (FIS) Heer aussähe, für das
bereits 900 Millionen Franken ausgegeben
worden seien und das kaum funktioniere:
«Aus heutiger Sicht würde ich das FIS Heer
nicht mehr beschaffen. Die Armee weiss immer noch nicht genau, wie sie es einsetzen
soll.» Vielleicht weiss sie es jetzt, falls sie endlich zur Kenntnis genommen hat, dass es im
mobilen Truppeneinsatz nicht bestimmungsgemäss verwendet werden kann. Jedenfalls
lohnt es sich aber, das Projekt FIS Heer unter
die Lupe zu nehmen. Es handelt sich um das
schlimmste Beschaffungsdesaster der Armee,
das die sog. Mirage-Affäre bei weitem in den
Schatten stellt. Bei dieser wurde der bewilligte Rüstungskredit für die Beschaffung von
33
100 Mirage-Kampfflugzeugen erheblich
überschritten, was zu einer Reduktion der
Mirage-Flotte auf 57 Maschinen zur Folge
hatte. Aber immerhin hatte die Luftwaffe mit
dem Mirage IIIS ein hervorragendes Jagdflugzeug und mit dem Mirage IIIRS ein hervorragendes Aufklärungsflugzeug erhalten.
Beide waren dem durch die Bundesrepublik
Deutschland gleichzeitig gekauften Starfigther überlegen und konnten mit normalem
Absturzrisiko geflogen werden. Trotzdem
wurde der damalige Luftwaffenchef Etienne
Primault entlassen. Generalstabschef Jakob
Annasohn und Bundesrat Paul Chaudet
mussten zurücktreten.
Mit dem FIS Heer verfügt die Armee hingegen vorläufig über nichts Brauchbares für
ihren mobilen Einsatz, das den ursprünglichen Vorstellungen und den vertraglichen
Spezifikationen entspricht. Für das WEF, allfällige OSZE-Konferenzen und Assistenzdienstleistungen ist das FIS Heer ein verschwenderischer Luxus (gl.M. Müller,
Führungsinformationssystem Heer – FIS, datiert 15. Mai 2007, S. 2), der aufgrund der
Ausrüstungslücken und den ungenügenden
finanziellen Mitteln der Armee nicht zu
rechtfertigen ist. Interessanterweise wird im
Reglement 53.005.01 d «Einsatz der Infanterie», Teil 1: Führung und Einsatz des Bataillons, betreffend «Unterstützungs- und Sicherungseinsätze» erklärt (Ziff. 343): «Da
zur militärischen Leistungserbringung keine
taktische Verbandsleistung benötigt wird,
sind Kommandanten, Zug- und Gruppenführer in Unterstützungs- und Sicherungseinsätzen primär in den Bereichen Disziplin,
Ordnung und Organisation gefordert» (vgl.
oben, S. 25). Dafür ist das FIS Heer, welches
34
bereits Hunderte von Millionen Franken gekostet hat, nicht erforderlich. Die Abwicklung des Projektes «FIS Heer» ist selbst für
jeden eingefleischten Armeebefürworter als
Steuerzahler eine Zumutung, was mit den
folgenden Ausführungen erhärtet wird.
In der Botschaft zum Rüstungsprogramm
2006 (BBl 2006, 5347) wurden die «mobilen
Führungs- bzw. Führungsinformationssysteme» bzw. das FIS Heer als «Kernstück
der Investitionen bis 2011» bezeichnet.
Gemäss Botschaft waren die Hauptaufgaben
von FIS Heer die «Unterstützung und Sicherstellung des Führungsprozesse in der
Einsatzplanung und Einsatzführung von
Territorialregionen, Einsatzverbänden, Bataillonen und/oder Kampfgruppen und besonderen Einsatzdetachementen bei Operationen zur Raumsicherung und Abwehr
eines militärischen Angriffs sowie bei subsidiären Einsätzen». Für die erste Tranche
gemäss Rüstungsprogramm 2006 wurde ein
Kredit von 424 Millionen Franken beantragt.
Ausgerüstet werden sollten Teile des Heeresstabes, des Stabes einer Territorialregion,
ein Einzelstab auf Brigade-Stufe, zwei
Führungsunterstützungsbataillone, je ein Infanterie-, Panzer- und Aufklärungsbataillon
sowie Elemente der militärischen Sicherheit.
Damit sollte ein erster Führungsverbund aufgebaut werden mit der Fähigkeit zur vernetzten Operationsführung in allen Lagen, zur
Sicherstellung der subsidiären Einsätze und
zur Schulung der Abwehr eines militärischen
Angriffs. Mit dem ersten Ausbauschritt sollten auch die Umrüstung von Fahrzeugen beginnen, welche der Truppe als mobile Arbeitsplätze für Stäbe auf Stufe Brigade und
Bataillon, als Kommando-, Aufklärungs-, Sa-
nitäts- und Verbindungsfahrzeuge dienten
(zum Ganzen FIS HE-Bericht, S. 5). Das Parlament stimmte der beantragten Beschaffung
zu.
In der Botschaft zum Rüstungsprogramm
2007 vom 28. Februar 2007 (BBl 2007, 1829)
wurde ein zweiter Ausbauschritt des FIS Heer
mit einem Kredit von 278 Millionen Franken
beantragt und ein dritter Ausbauschritt angekündigt. Der zweite Ausbauschritt wurde
durch das Parlament gutgeheissen. Zum angekündigten dritten Beschaffungsantrag kam
es wegen der eingetretenen Schwierigkeiten
nicht mehr. Hingegen wurden umfangreiche
Prüfarbeiten in Auftrag gegeben (zum
Ganzen FIS HE-Bericht, S. 6). Bundesrat
Maurer liess in seinem Tages-Anzeiger Interview die Behauptung des Journalisten, für
das FIS Heer seien bereits 900 Millionen
Franken ausgegeben worden, ohne Widerspruch im Raum stehen (s. oben, S. 33). Somit dürfte der erwähnte Betrag jedenfalls
nicht zu hoch sein. Ursprünglich waren für
das FIS Heer Gesamtkosten von 1.5 – 1.8
Milliarden Franken veranschlagt worden.
Personen, welche den FIS Heer-Sumpf
überblicken, beziffern die bisher aufgelaufenen Kosten auf 1.3 Milliarden Franken. Der
gravierendste Mangel des Führungssystems
besteht darin, dass der erforderliche Datenverkehr bei mobilen Einsätzen der Truppe
nicht funktioniert. Gemäss dem Inspektorat
VBS (FIS HE-Schlussbericht, S. 9) wurde
schon bereits in einer ersten Berichterstattung darauf hingewiesen, dass sich die
Schwierigkeiten mit der Datenübertragung
erst durch die Beschaffung einer neuen Generation von Funkgeräten beheben liessen.
Das Inspektorat VBS bemängelt allerdings,
dass der viel wichtigere Aspekt, wie das Problem der Datenübertragung konkret gelöst
werden könnte, nicht dargestellt wurde.
Gemäss FIS HE-Schlussbericht (S. 16 und
20) waren vor dem Beschaffungsentscheid
folgende wichtige Tests nicht durchgeführt
worden: Datenreplikation, Funk mit SE 240,
mobiler Betrieb, Hard- und Software-Funktionalitäten und Betriebssicherheit, was bei
der Beschaffung eines EDV-Systems sträfliche Unterlassungen sind. Man kaufte die
Katze somit im Sack. Schliesslich enthält der
Bericht des VBS Inspektorats folgende vernichtende Gesamtbeurteilung des FIS HeerBeschaffungsprozesses (S. 22): «Das Inspektorat VBS stellt fest, dass die Beschaffungsreife für das FIS HE ohne die Voraussetzungen, wie sie im Management System,
der Armasuisse vorgeschrieben und im Art.
19 der Verordnung über die Beschaffung
von Armeematerial spezifiziert sind, genehmigt wurde. Die verantwortlichen Unterzeichner des Dokuments wurden dazu nicht
befragt, sie sind bereits aus dem VBS ausgeschieden bzw. pensioniert» (vgl. in diesem
Zusammenhang Schaub, Fahrlässige Sicherheitspolitik – ohne Haftungsrisiko der Verantwortlichen, S. 8ff.).
Den Sicherheitspolitischen Kommissionen
wurde in der Zusammenfassung des FIS HEBerichts folgendes mitgeteilt (S. 3): «Die Beschaffung von FIS HE erfolgte alles andere
als optimal. Zwar wurde eine gut funktionierende und für die Bedürfnisse der Armee
nützliche Soft- und Hardware gekauft, doch
blieb bei der Planung und Beschaffung des
Systems der Aspekt der Telekommunikation
zur Schaffung eines Netzes aus den Einzelstationen vernachlässigt. Entgegen der bei
35
der Beschaffung geäusserten Absicht können
die Systeme bis heute nicht zu einem Netz
verbunden werden, ausser sie seien an einem
festen Standort an einem fixen Kommunikationsnetz angeschlossen. Der Nutzen von
FIS HE im mobilen Einsatz ist so kaum gegeben.» Diese Situation hat sich bis dato nicht
geändert. Denn die nötigen neuen BreitbandFunkgeräte sind gemäss den seit 2012 publizierten Rüstungsprogrammen noch nicht beschafft worden. Es liegt auch keine Botschaft
mit einem entsprechenden Beschaffungsantrag vor. Der FIS HE-Bericht an die Eidgenössischen Räte verdient die Qualifikation
«geschönt», denn die gekaufte – angeblich
gut funktionierende und nützliche – Software
musste wegen schwerwiegender Programmierungsfehler – vollständig neu konzipiert –
neu geschrieben werden. Mithin kann keine
Rede sein von einer gut funktionierenden
und nützlichen Software. Diese Neu-Programmierung geschah auf Kosten des VBS,
ohne dass das VBS Eigentümerin des SourceCodes der neuen Software geworden ist, was
zurückhaltend kommentiert, unverständlich
ist.
Selbst wenn es gelingen sollte, die funktechnischen Probleme von FIS Heer beim mobilen Einsatz der Armee mit der Beschaffung
neuer Funkgeräte zu lösen, zeugt die Aussage
von Korpskommandant Blattmann, das FIS
Heer funktioniere definitiv, von einem ungerechtfertigten Optimismus. Denn es ist
nach wie vor zu bezweifeln, dass das FIS Heer
im Ernstfall unter feindlicher Einwirkung
tatsächlich funktionieren wird. FIS Heer generiert im mobilen Truppeneinsatz einen
pausenlosen, höchst intensiven Funkverkehr, der die bereits oben unter Ziff. VII.
36
(s. S. 31f.) erwähnten Gefahren mit sich bringen wird. Entweder stört oder unterbricht
der Gegner den Funkverkehr mit seinen
überlegenen EKF-Mitteln. Der ständige
Funkverkehr zur Abstimmung der Breitbandfunkgeräte ermöglicht es ihm aber auch,
die Funkstationen zu peilen bzw. zu orten,
womit er in der Lage ist, diese und weitere
Führungsinstallationen in ihrem Umfeld mit
Angriffen aus der Luft zu vernichten.
Es ist eigenartig, dass die Armeeführung in
einer Zeit, in welcher Cyber-War und elektronische Kriegführung (EKF) als wichtigste
Bedrohungen beurteilt werden, die Führung
der Armee im Verteidigungskampf «in extremis» von elektronischen Hilfsmitteln und
Funkverbindungen abhängig macht und somit «in extremis» dem gegnerischen CyberWar bzw. der Elektronischen Kriegführung
(EKF) aussetzt. Das logische Denken scheint
sich wie ein fauler Rekrut im Gebüsch «verschlauft» zu haben – etwas salopp formuliert.
Elektronische Führungssysteme entsprechend dem FIS Heer mögen in Afghanistan
gute Dienste leisten, weil der Taliban weder
elektronische Kriegführung betreibt noch
über eine Luftwaffe verfügt. Der Schreibend
hat grösste Zweifel, dass die eindrücklichen
«Wagen- und Containerburgen», die für den
Betrieb des FIS Heer jeweils aufgebaut werden, in einem Verteidigungskampf der
Schweiz lange Bestand haben werden. Die
Liquidation der Festungsminenwerfer wegen
ihres verringerten Kampfwerts infolge moderner Präzisions- und Abstandswaffen (Armeebericht, S. 31) ist lächerlich in Anbetracht
der «Wagen- und Containerburgen», die
heutzutage bei Demonstrationen des FIS
Heer zur Schau gestellt und offensichtlich als
nicht problematisch betrachtet werden. Sie
laden Erdkampfflugzeuge zu Angriffen geradezu ein, während die unauffälligen Deckel
der Festungsminenwerfer (Fläche ca. 1 m2) –
in unübersichtlichem Gelände gut versteckt –
von den Piloten nicht ausgemacht werden
können. Im Unterschied zu den «Wagen- und
Containerburgen» lassen sich die Deckel der
Festungsminenwerfer auch bestens tarnen
und gegen einen allfälligen Beschuss wirkungsvoll schützen. Dieses Know-how
scheint zusammen mit der Armee 61 liquidiert worden zu sein.
Mit dem FIS Heer soll die zu kleine Armee
effizienter und schlagkräftiger gemacht werden. Der Schreibende hält nichts von der
konkreten Umsetzung dieser Idee. Die Nachteile einer zu schwachen Armee können nicht
mit «Mikro-Management» oder «militärischer
Planwirtschaft» aus fernen Kommando-Bunkern wettgemacht werden. Die Informationen über die Gefechtslage, die in die
Führungsbunker gelangen, werden nicht nur
unvollständig, sondern teilweise auch falsch
oder ungenau sein. Sie lassen keine sachgerechten Lagebeurteilungen, Entschlüsse und
Befehle weit ab vom Gefechtsfeld zu. Die
Aussage von Korpskommandant Blattmann,
das FIS Heer sei unser «Newsroom», die Alternative dazu wäre die Rückkehr zu Filzstiften, Packpapier und Plastikfolie, erfolgreich
wären wir damit nicht mehr, ist Quatsch. Der
Armeechef scheint bei den Flabtruppen nicht
gelernt zu haben, dass schon bei Truppenübungen unter widrigen Verhältnissen in
Friedenszeiten nur das Einfache und Robuste
zuverlässig funktioniert. Diese Erfahrung
machte jedenfalls der Schreibende, der sich
als Zugführer und Kompaniekommandant
der Infanterie bei Befehlsausgaben meistens
in eher dunklen Kellern ohne ausreichende
Beleuchtung und ohne Stromstecker aufhielt,
seine Absichten mit ein paar Filzstift-Strichen auf Packpapier aufzeichnen und seine
Befehle mündlich erteilen musste. Das entsprach der früheren «Doktrin»; denn gemäss
TF 82, Ziff. 113, waren die Befehle – wenn
immer möglich – mündlich zu erteilen. Bei
wichtigen Befehlen war eine schriftliche
Bestätigung allerdings geboten. Heute soll
im Kompaniekommandoposten mit Power
Point etc. gearbeitet werden (dazu aufschlussreich Reglement 53.005.02 Einsatz der Infanterie, Teil 2: Führung und Einsatz der
Kompanie, Ziff. 1071 – 1092). In den erwähnten Wagen- und Containerburgen ist
dies vielleicht eine gewisse Zeit möglich, spätestens nach dem ersten Flugzeug- oder
Kampfhelikopter-Angriff wird wieder mit
Filzstift und Packpapier im Keller gearbeitet
werden müssen, falls noch geeignete Offiziere mit den genannten Utensilien arbeitsfähig sind. Gemäss dem Reglement «Führung
und Einsatz der Kompanie» gelten auch sehr
hohe Anforderungen für die Räumlichkeiten
eines Kommandopostens. Es soll beispielsweise einen «Vor- und Nachbearbeitungsraum» eingerichtet werden zur Durchführung von «Gesamtbefehlsausgaben vor
versammelter Mannschaft». Dieser Vor- und
Nachbearbeitungsraum hat «eine Amphitheaterbestuhlung» aufzuweisen, welche
«die Sicht auf das Geländemodell für Zuschauer resp. Mannschaft gewährleisten»
muss (a.a.O., Ziff. 1077/1078). Als der Schreibende diese Bestimmungen das erste Mal gelesen hatte, war er sprachlos. Mittlerweile ist
37
er in Reglementen der US Army auf Bestimmungen gestossen, welche solche LuxusKommandoposten für die grossen Truppenlager in Afghanistan definieren. Die
Aussenposten sollen aber im Unterschied zu
den «luxuriösen» Truppenlagern äusserst
spartanisch sein. Vor- und Nachbearbeitungsräume, in denen Kompanie-Kommandanten der Schweizer Infanterie ihre Befehlsausgaben mit Power-Point-Präsentationen
an ihre Offiziere, Unteroffiziere in bequemer
Amphitheater-Bestuhlung mit Sicht auf ein
Geländemodell durchführen können, werden
im realen Verteidigungskampf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Fata
Morgana bilden. In einer Armee, die finanziell auf dem «Zahnfleisch» marschiert, sind
die im Reglement betreffend Führung der
Infanteriekompanie geäusserten Vorstellungen über die Ausgestaltung der Kommandoposten realitätsfremd, ja geradezu grotesk.
Zur These der Schweizer Luftschlossarmee
sei schliesslich an ein auf der Frontseite der
ASMZ 05/2015 publiziertes, vielsagendes
Bild mit dem Titel «Der moderne Soldat»
erinnert. Bei den beiden abgebildeten Infanteristen mit einem Busch im Hintergrund
dürfte es sich um zwei FIS Heer-Soldaten
handeln. Jeder hat ein robustes feldgraues
Notebook vor sich und trägt eine Funksprechgarnitur. Beide FIS Heer-Soldaten
blicken in die Ferne. Der eine scheint gleichzeitig irgendeine Nachricht mit dem ZehnFinger-System in sein Notebook zu tippen.
Der andere hält sein Funkgerät. Offensichtlich herrscht gutes Wetter mit Sonnenschein,
denn das Bild zeigt helle Stellen im Sonnenlicht und dunkle Stellen im Schatten. Das gefällige Bild liess beim Verfasser sein letztes
38
Kompaniegefechtsschiessen mit der Schützen
Kompanie III/4 auf dem Glaubenberg im Gedächtnis aufleben. Es fand im Spätherbst
bei wechselhaftem Wetter statt. Die Temperatur war bei Tagesanbruch bzw. Angriffsauslösung um Null Grad. Schneefall und Regen lösten sich ab. Der Verfasser persönlich
und der bei ihm liegende Minenwerfer-Beobachter wie alle anderen Übungsteilnehmer
in der Nähe froren nach dem beschwerlichen
Anmarsch mit vollständiger Ausrüstung und
Munition durch unwegsames Gelände und
hatten in den gefassten Fausthandschuhen
der Armee klamme Finger. Gelegentlich
klapperten Zähne. Der Minenwerfer-Beobachter hatte grösste Mühe, mit dem Kompass
benötigte Azimute zu bestimmen, nötige
Aufzeichnungen zu vorzunehmen und sein
Funkgerät zu bedienen. Aufgrund seiner Bilder im Gedächtnis fragt sich der Verfasser,
wie die fotografierten FIS Heer-Soldaten –
im Regen oder Schneetreiben, durchnässt,
frierend oder sogar schlotternd und mit steifen Fingern – ihre Aufgabe erfüllen können.
Vielleicht ist dies möglich, da die Armee in
der Lage ist, die FIS Heer-Soldaten nicht nur
mit einem absolut wetterfestes Notebook,
sondern auch mit speziell isolierten und elektrisch beheizten Fingerhandschuhen aus geschmeidigem Kalbsleder auszurüsten. Sonst
besteht ein sehr hohes Risiko, dass die abgebildeten «modernen Soldaten» ihre wichtigen
Funktionen ausserhalb der geheizten FIS
Heer-Fahrzeuge und -Container bei unwirtlichem Wetter von Ende Oktober bis Ende
April nicht ausüben können. Auch hier
scheint die Vorstellungen, was auf dem realen
Gefechtsfeld zuverlässig funktioniert und was
nicht, abhandengekommen zu sein. Man lebt
in einer Traumwelt dahin, ohne die immer
wieder nötige Frage zu stellen: Funktioniert
das in allen möglichen Situationen zuverlässig? Ist das kriegstauglich? Ernst warnte mit
guten Gründen (Konzeption, S. 399): «Nicht
alles Neue ist vernünftig. … Wir sollten uns
hüten, auf militärischem Gebiete der Mode
folgend blosser Neuerungssucht nachzugeben.» Auch Heinz Häsler äussert sich zu diesem Apekt unmissverständlich (Der Stellenwert der Miliz / Grundsätzliche Überlegungen eines ehemaligen Generalstabschefs,
S. 108): «Das Kopieren und kritiklose Verwenden von Aufbau und Vorschriften ausländischer Berufsstreitkräfte kann nicht die
Lösung sein. Was z.B. bei den US-Streitkräften als völlig selbstverständlich gilt, ist in
vielen Fällen kaum für die Einführung bei
unserer Armee geeignet.» Die Professionalisierung der Schweizer Armee, die vor einigen Jahren als nötig und vorteilhaft propagiert wurde, hat bis dato wenig Überzeugendes hervorgebracht und muss stets
mit kritischem Auge verfolgt werden.
IX. Verletzung militärischer Organisationsprinzipien als Teilursache der
«Luftschloss-Armee»
In einer Vereinbarung vom 1. Juni 2005 zwischen dem damaligen Kommandanten der
Luftwaffe, Oberstkorpskommandant Hansruedi Fehrlin, und dem Chef der Logistikbasis der Armee, Divisionär Werner Bläuenstein, wurde neu eine Aufgabenteilung
zwischen der Luftwaffe und der Logistik Basis der Armee festgelegt (s. Schlussbericht
Militärflugplätze, S. 11). Gemäss Vertrag
übernahm die Logistikbasis der Armee von
der Luftwaffe in einer ersten Phase per 1. Januar 2006 die Verantwortung für den Betrieb
der Infrastruktur, für die Materialwirtschaft
sowie für die Bereitstellung und den Betrieb
der Spezialfahrzeuge der Luftwaffe. Im Betrieb der Infrastruktur waren Räumung und
Reinigung der Pistensysteme eingeschlossen
(Schlussbericht Militärflugplätze, S. 11). In
einer zweiten Phase, d.h. per 1. Januar 2008,
sollte die Logistikbasis der Armee zudem
auch Instandhaltungstätigkeiten A bei den
Luftwaffensystemen (Flugzeuge, Radar, Kabelfangnetze etc.) übernehmen. Dies wurde
mit einer Änderungsvereinbarung zwischen
dem (neuen) Kommandanten der Luftwaffe,
Korpskommandant Walter Knutti, und dem
Chef der Logistikbasis der Armee per 1. Juni
2007 widerrufen (a.a.O., S. 11). Der Schreibende war aufgrund seiner Berufserfahrung
bass erstaunt, als er von diesen Vereinbarungen erfuhr. Einen solchen Vertrag hatte er
vorher unter rechtlichen Gesichtspunkten
nicht für möglich gehalten. Hier sind aber
keine rechtlichen, sondern nur militärische
Aspekte zu erörtern. Auch sie führen bei jeder Person mit militärischem Sachverstand
39
zu Kopfschütteln. Die Vereinbarung vom 1.
Juni 2005 verstösst gegen das fundamentale
militärische Prinzip «ein Raum, ein Auftrag,
ein (verantwortlicher) Chef». Dieses Prinzip
sollte bei der komplexen Luftwaffe, die als
«Totalunternehmerin» – ohne auf Dritte angewiesen zu sein – rasch und wirkungsvoll
handeln können muss, besondere Beachtung
finden. Offensichtlich ist diese Auffassung
in der Zeit zwischen dem Ende des Kalten
Krieges 1990 und Juni 2005 aus den Köpfen
der Verantwortlichen entwichen.
Wie es zu erwarten war, kam es beim Vollzug
der Vereinbarung zu völlig unbefriedigenden, ja untragbaren Verhältnissen, weshalb
das Inspektorat VBS mit der Vornahme von
Abklärungen und der Erstattung eines
schriftlichen Berichtes Anfang 2011 beauftragt wurde. In seinem Bericht schilderte das
Inspektorat VBS die Zustände wie folgt
(Schlussbericht Militärfluplätze, S. 13 und
14; zitierter Text in fetter Kursivschrift):
• Die für den Einsatz bedeutenden Ressourcen
sind nicht mehr alle in der Hand des Flpl
Kdt. Er kann somit keine einsatzrelevante
Priorisierung vornehmen. Damit ist die
Führung unter erschwerten Bedingungen
nicht möglich. … Bei Engpässen bestimmt
die LBA die Prioritäten bezüglich des Einsatzes ihres Personals auf dem Flpl, ohne
mit dem Flpl Kdo Rücksprache zu nehmen.
• Die Befehlsgebung bei einem Einsatz an
die Teilbereiche der LBA ist langwierig und
zeitraubend. Dies ist beispielsweise für den
Flugdienstleiter problematisch, wenn er
eine Pistenräumung/Pistenreinigung anordnen muss, die Mitarbeitenden aber
nicht dem Flpl Kdo unterstellt sind. Eine
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weitere Schnittstellenproblematik ist der
mangelnde Informationsfluss. Dies hatte
… zu Einsatzausfällen für die LW geführt,
da … verpasst wurde, die Schneeräumung
durchzuführen.
• Bei ausserordentlichen Aktivitäten werden
Arbeiten nicht ausgeführt, weil Mitarbeitende der Meinung sind, dass sie nicht in
ihr Aufgabengebiet gehören. Oder es führt
zu Ineffizienz, weil Arbeiten oft doppelt in
Angriff genommen werden.
• Die Mitarbeitenden der LBA sind zwar
dem Flpl Kdo leistungsmässig zugewiesen,
aber die Entscheide über Personaleinsätze,
Prioritäten, Ersatzanstellungen, Personalabbau und -umbau werden an anderer
Stelle bei der LBA getroffen.
• Dem Flpl Kdo fehlt ein direkter Ansprechpartner mit Befehlsgewalt und Weisungsbefugnissen für die direkte Führung der
LBA-Mitarbeitenden auf Platz. Damit können flugsicherheitsrelevante Störungen
nicht mit der nötigen Priorität für die LW
behoben werden (bspw. bei Radar, Barrieren und Flugplatzanlagen). Bei einem Ausfall dieser Systeme kann nicht mehr geflogen werden, da sie Safety-relevant sind.
Zusammenfassend hielt das Inspektorat VBS
in seinem Bericht fest (S. 15): Das Inspektorat VBS ist der Meinung, dass dem Kdt Flpl
entscheidende Elemente zur Bewältigung seines umfassenden Luftwaffenauftrages entzogen wurden. Es liegt auf der Hand, dass
eine schnelle und kompromisslose Führung
des Ereignisses für den Erfolg entscheidend
ist. Dies funktioniert mit Sicherheit nicht,
wenn das nötige Personal und das Material
der Unterstützungsorgane von verschiedenen
Organisationen befehligt werden.
Weitere Zitate aus dem Bericht über die grotesken Zustände auf den Militärflugplätzen
erübrigen sich.
Einsparungen wurden und werden mit der
vereinbarten «Chaos-Organisation» mit friktionsträchtigen Schnittstellen und absurden
Kommunikationswegen verständlicherweise
nicht realisiert. Dies wurde vor einiger Zeit
sogar durch einen höheren Berufsoffizier,
der es wissen muss, in einer Mitteilung an
Interessierte bestätigt. Im Schlussbericht
wurde völlig zu Recht verlangt (S. 18), dass
sämtliche einsatzrelevanten Supportaufgaben aus dem ehemaligen Bereich «Support
Luftwaffe», welche für die zeitkritische Auftragserfüllung zu Gunsten der Luftwaffe
nötig sind, wieder durch das Flugplatzkommando wahrgenommen werden müssen. Der
gleiche Unsinn wie die Auslagerung der einsatzkritischen Arbeiten auf den Flugplätzen
in die Logistikbasis der Armee ist die Auslagerung der Sensoren wie FLORAKO und
TAFLIR in die Führungsunterstützungsbasis
der Armee. Auch sie müssten zur Luftwaffe
gehören, damit diese ihre Aufgabe als «Totalunternehmerin» zuverlässig und effizient
nach dem Grundsatz «ein [Luft]Raum, ein
Auftrag und ein (verantwortlicher) Chef» erfüllen könnte.
Der Schlussbericht Militärflugplätze hat allerdings bis heute nichts bewirkt. Der Chef
der Armee hat gegen die ihm bekannte
Chaos-Struktur aus dem Jahre 2005 bis zur
Drucklegung dieser Schrift nichts unternommen. Seine Untätigkeit ist schon erstaunlich in Anbetracht des Umstandes, dass
Bundesrat Maurer bei seinem Amtsantritt
im Dezember 2008 lautstark verkündete, die
Schweizer Armee solle die «beste Armee der
Welt» werden. Diese Forderung, die von BR
Maurer wiederholt ausgesprochen wurde,
hätte den Chef der Armee nach Kenntnisnahme vom Schlussbericht zur sofortigen
Korrektur der untragbaren Zustände im
Sinne der Forderungen des VBS Inspektorats
veranlassen müssen. Eine Luftwaffe mit einem ungenügenden Bestand an Flugzeugen,
muss diese wenigstens effizient und ohne
zeitliche Verzögerungen einsetzen können.
Den Schweizerinnen und Schweizern sei die
Frage erlaubt, ob ein derart untätiger Chef
der Armee, der aber beinahe im Tages-Rhythmus Kolumnen für Boulevard-Blätter
schreibt, der richtige Chef zur Führung der
Armee sei.
Mit der geplanten Weiterentwicklung der Armee soll die wichtige Luftwaffe in eine noch
prekärere Situation gebracht werden, indem
sie dem Chef Operationen unterstellt wird
und ihr Kommandant eine Herabstufung
zum Divisionär erfährt (ebenfalls ablehnend
Müller, Beurteilung und Vorschläge, S. 10f.
wegen der Wichtigkeit der Luftwaffe; dazu
TF 82, Rdz. 46/1). Hingegen soll die Logistikbasis der Armee, von deren Diensten die
Luftwaffe seit dem Jahr 2006 extrem abhängig ist, dem Chef der Armee unterstellt sein.
Der bedauernswürdige Kommandant der
Luftwaffe, bei dem sich ein Flugplatzkommandant über ungenügende Dienstleistungen der Logistikbasis beschwert, ist somit gezwungen, die erhaltene Beschwerde auf dem
Dienstweg über den Chef Operationen, den
Chef der Armee, den Chef Unterstützung*
und den Chef Logistikbasis an den Vorgesetzten des verantwortlichen Missetäters zu
41
richten (vgl. dazu Botschaft, S. 20; * Ergänzung durch das Parlament). Es ist mehr als
erstaunlich, dass der Chef der Armee eine
derartige Struktur (höchstwahrscheinlich gegen den Willen des Luftwaffenchefs) vorgeschlagen hat. Und nicht weniger erstaunlich
ist es, dass dieser Vorschlag durch Bundesrat
Maurer akzeptiert worden ist.
Als Schweizerin und als Schweizer darf man
sich ohne weiteres fragen, weshalb Bundesrat
Maurer den Chef der Armee, der den Kommandanten der Luftwaffe in der WEASchrumpfarmee weiter entmachten will,
nicht längst zu einer «Befehlsausgabe» über
die umgehende Behebung der organisatorischen Mängel im Bereich der Luftwaffe aufgeboten hat. Entweder ist Bundesrat Maurer
nie ein Radfahrer mit der dieser Truppengattung nachgesagten Härte gewesen, oder
er leidet bereits jetzt an schwerer chronischer
Altersmilde.
Leider ist damit das Kapitel «Organisationsmängel» der WEA-Schrumpf-Armee noch
nicht abgeschlossen. Gemäss Organigramm
auf Seite 20 der Botschaft gibt es neu einen
Lehrverband Fliegerabwehr / Führungsunterstützung im Bereich Ausbildung. Die Flabtruppen sollen somit dem Chef Ausbildung
unterstellt sein, obwohl zwischen der Luftwaffe und der terrestrischen Fliegerabwehr
im Verteidigungsfall eine engste Zusammenarbeit unerlässlich ist. Die Flieger- und Flabtruppen müssen deshalb eine gemeinsame
Einsatzdoktrin haben. Dafür plädiert auch
der Verein «Sicherheitspolitik und Wehrwissenschaft» in seiner Broschüre «Sicherheitspolitische Information» vom April 2014
nachdrücklich, indem er warnt (S. 8): «Mit
42
einer Trennung von Führung und Ausbildung drohen … zwei verschiedene Doktrinen zu entstehen. Das erschwert es, Personal
bedarfsgerecht in die Truppe zu übernehmen. Gerade für Milizkommandanten ist es
zentral wichtig, dass ihre Truppen einheitlich
funktionieren.» Mithin müsste die Ausbildung der Fliegerabwehr logischerweise in
bzw. mit der Luftwaffe erfolgen, was aktuell
noch der Fall ist. In diesem Sinne bestimmt
Art. 48 I MG, dass die Truppenkommandanten für die Ausbildung und den Einsatz der
ihnen unterstellten Truppen verantwortlich
sind. Art. 48 I MG soll zwar auch in der weiterentwickelten Schrumpf-Armee unverändert gelten. Denn in der Botschaft wird keine
Änderung beantragt. Trotzdem war in den
bisherigen parlamentarischen Debatten die
Trennung der Flabtruppen von den Fliegertruppen während der Ausbildung kein Diskussionspunkt.
Im erwähnten Organigramm der Botschaft
fehlt allerdings ein Hinweis auf die Unterstellung der ausgebildeten und aus ihrem
Lehrverband ausgeschiedenen Fliegerabwehrtruppen. Jedenfalls sind sie weder beim
Heer, noch bei den Territorialdivisionen
noch bei der Luftwaffe als Verband auszumachen. Bei dieser wird zwischen «Einsatz»
und «Luftwaffen-Ausbildungs- und Trainingsbrigade» unterschieden. Allerdings
stösst der aufmerksame Leser der Botschaft
unter Ziff. 1.1.11 Entwicklungslinien Luftwaffe auf den Unterabschnitt «Entwicklungslinien der bodengestützten Fliegerabwehr»
(S. 34). Man darf deshalb annehmen, die Fliegerabwehr sei nach wie vor ein Bestandteil
der Luftwaffe. Sie müsste deshalb in bzw. mit
dieser ausgebildet werden. Auch in der Aus-
bildung und Führung darf es analog dem
Prinzip «ein Raum, ein Auftrag, ein (verantwortlicher) Chef» keine geteilte Verantwortung geben. Diese würde dem Chef im
Kampf die Möglichkeit verschaffen, seine
Niederlage mit dem schlechten Ausbildungsstand der Truppe zu entschuldigen, und der
Ausbilder könnte die Niederlage der durch
ihn falsch ausgebildeten Truppe mit der
schlechten Führung des Chefs im Kampf begründen. Bemerkenswert ist übrigens, dass
Amstutz/Schmon an der heutigen Flab-Organisation folgendes bemängeln (Flab/BODLUV, S. 22; Hervorhebung durch den Verfasser): «Die heutigen Fliegerabwehr-Systeme
wirken bis auf 3000 Meter über Grund. Darüber sind die luftgestützten Mittel für die
Luftverteidigung zuständig. Zudem sind die
Flab-Sensoren von der Luftraumüberwachung separiert. Sie leisten somit keinen Beitrag zur zentral erkannten und identifizierten Luftlage, was ein Nachteil ist.» Die
bemängelte Separierung der Flab-Sensoren
von der Luftraumüberwachung erstaunt in
Anbetracht der Tatsache, dass der erste Chef
der Armee – Korpskommandant Keckeis –
als Pilot von der Luftwaffe kam und der aktuelle Chef der Armee immerhin eine 20 mm
Flab Abteilung kommandierte. Die Luftwaffe
und die terrestrische Luftabwehr müssen als
«Totalunternehmer» agieren können, was die
beklagte «Separierung» ausschliesst. Gemäss
Erinnerung des Verfassers waren die FlabTruppen in der Armee 61 nicht von der Luftraumüberwachung durch FLORIDA (= halbautomatisches Luftüberwachungs- und
Führungssystem der Flieger- und Fliegerabwehrtruppen für Flugzeuge und Fliegerabwehrlenkwaffen) abgeschottet. Wer sich über
weitere organisatorische Mängel der WEA-
Schrumpf-Armee orientieren will, stösst bei
Müller auf weitere Kritikpunkte (Beurteilung
und Vorschläge, S. 10f.), die hier aus Platzgründen unerwähnt bleiben.
43
X. Schlussbemerkungen
Den gegenwärtigen und künftigen Armeeangehörigen darf es nicht verübelt werden, wenn
sie die angebliche Weiterentwicklung der Armee gemäss Botschaft als (weiteren) Affront
empfinden und ihre Wiederholungskurse und
anderen Dienste nur noch mit mässigem Einsatzwillen oder sogar widerwillig leisten oder
alles daran setzen, überhaupt nicht zu Dienstleistungen in Schulen und Kursen der Armee
aufgeboten zu werden.
• Die Armee soll von 200‘000 auf einen Sollbestand von100‘000 Angehörigen halbiert
werden, damit allen Armeeangehörigen
wieder eine persönliche Ausrüstung abgegeben werden kann. Damit soll die Armee
an Schlagkraft gewinnen.
• Die halbierte Armee soll aber weiter die im
Vordergrund stehende staatliche Institution
zum Sparen sein. Die geplanten Armeeausgaben der reichen Schweiz sollen aufgrund
der «zur Verfügung stehenden Mittel» noch
ca. 0.8 % des BIP betragen. Damit wird die
Schweiz – bisher nur geografische Nachbarin von Österreich – zur lächerlichen CoTrittbrettfahrerin der traditionellen sicherheitspolitischen Minimalistin in Europa.
Die übrigen europäischen Länder geben –
daran sei erinnert – im Durchschnitt 1.8 %
des BIPs für ihre Armeen aus.
• Die Armee soll neue Waffensysteme zur
Verteidigung – wenn überhaupt – aus Spargründen nur noch in geringer Stückzahl
und mit qualitativen Beschränkungen beschaffen, damit wenigstens das erforderliche
Ausbildungsmaterial für die einzelnen Truppen in den Wiederholungskursen zur Verfügung steht. In der Armee sollen «Fähig44
keitslücken» und die dadurch entstehenden
Unsicherheiten in Kauf genommen werden.
• Die Armee, die ihren Auftrag, Land und
Bevölkerung zu verteidigen, nicht mehr erfüllen kann, bietet ihre Angehörigen in Zukunft zu Dienstleistungen auf, damit sie ein
theoretischen Verteidigungs-Know-hows
erhalten kann. Für die kleine Minderheit
der noch Militärdienst leistenden Armeeangehörigen besteht in einem Verteidigungsfall das Risiko, rücksichtslos «verheizt» zu werden, während der ganz
überwiegende Teil der Bevölkerung nicht
gehalten sein wird, das Leben für die Gemeinschaft zu opfern.
Diese Gründe allein genügen, um die Weiterentwicklung der Armee gemäss Botschaft
abzulehnen. Die in der vorliegenden Schrift
aufgezeigten gravierenden organisatorischen
Mängel der Armee, die weitgehend auf Fehlentscheidungen der Armeeführung beruhen,
sollen mit der angeblichen Weiterentwicklung
der Armee nicht korrigiert, sondern zementiert und dazu mit weiteren unzweckmässigen
Lösungen ergänzt werden. Auch das ist ein
guter Grund zur Ablehnung der Vorlage.
Diese ist auch deshalb unakzeptabel, weil sie
unter rechtlichen Gesichtspunkten bedenklich
ist. Wenn die Armee nur noch über eine theoretische Verteidigungskompetenz (savoir faire,
anstatt pouvoir faire) verfügt, kann sie ihren
Auftrag gemäss Art. 58 II BV nicht mehr erfüllen. Art. 58 II BV spiegelt etwas vor, was
nicht der Realität entspricht, und ist deshalb
entsprechend den neuen Gegebenheiten im
Verfahren der Verfassungsänderung anzupassen. Die Vorlage ist schliesslich eine «Mogelpackung», weil sie unterstellt, bestimmte
rechtliche Bestimmungen bedürften einer An-
passung, obwohl dies für die angestrebte Änderung gar nicht nötig ist. Alle unter militärischen Gesichtspunkten sinnvollen Reformen
zur Korrektur von früher initiierten Fehlentwicklungen, welche ohne Gesetzesänderung
möglich sind, hätten längst vorgenommen
werden können und müssen. Sie dürfen jetzt
nicht missbraucht werden, um ein unappetitliches Menü schmackhaft zu machen.
Mit der Rückweisung der Vorlage an ihre Autoren ist es allerdings nicht getan. Wer eine
Führungsstruktur der Armee gemäss Botschaft (s. S. 20) vorschlägt und bestehende organisatorische Missstände zementieren bzw.
neue einführen will, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht geeignet,
Führungsstrukturen auszuarbeiten. Gemäss
Müller ist die in der Botschaft wiedergegebene
Führungsstruktur einseitig auf die «Schönwetterlage» ausgerichtet und «viel zu kompliziert aufgebaut» (Beurteilung und Vorschläge,
S. 10). Müller spöttelt, der Chef der Armee
führe keine Einsätze [der Armee], sondern
lasse führen (a.a.O., S. 10). Wäre der scharfsinnige und sich pointiert äussernde Hans Bachofner noch am Leben, würde er die vorgeschlagene Führungsstruktur wie den
«Armeeaufwuchs» (s. a.a.O., S. 10) als «bizarr»,
«weltfremd» und «bürokratisch» bezeichnen.
Die Armee ist aufgrund der herrschenden
politischen Verhältnisse in einer äusserst
prekären Lage. In dieser Situation muss sie
wenigstens eine Führungsstruktur haben, die
sich über Jahrzehnte bewährt hat und gewährleistet, dass in der Armee keine ChaosKommandostrukturen aufrecht erhalten oder
neu geschaffen werden. Deshalb ist zum
früheren System der «Landesverteidigungs-
kommission» (LVK) gemäss Vorschlag von
Müller zurückzukehren (s. a.a.O., S. 11). Dieses System mag etwas schwerfälliger sein. Es
verhindert aber Fehlentwicklungen, wie sie
durch die Korpskommandanten Keckeis und
Blattmann als Chefs der Armee mitinitiiert
worden sind. Es stellt eine breit abgestützte
und sorgfältige Meinungsbildung sicher, welche geeignet ist, sachgerechten Entscheidungen zu bewirken (in diesem Sinne schon
Ernst, Die Leitung des Wehrwesens im Frieden, in: Civitas 22 (1966/67), S. 760). Solche
können von Einzelpersonen, die im Alleingang handeln, weniger erwartet werden, auch
wenn sie Gespräche mit (unterstellten) Mitarbeitern bzw. Beratern führen. Vorurteile
und persönliche Animositäten werden in einem grösseren Gremium eliminiert oder wenigstens abgeschwächt. Ein allenfalls schwacher Chef VBS kann weniger einfach einen
ihm genehmen und willfährigen Chef der
Armee bestimmen, welcher es wegen des
«absoluten Vorrangs der Politik» nie wagt,
wenigstens unangenehmen Forderungen zu
stellen oder dezidierten Widerspruch zu erheben. Nicht einmal die Streitkräfte der USA,
die laufend in Kriege verwickelt sind, werden
durch einen «Chef der Armee», sondern
durch die «Joint Chiefs of Staff» geführt. Die
Schweiz, die gemäss Bundesrat in absehbarer
Zeit mit keinem Angriff rechnen muss, kann
sich in der Armee ein etwas schwerfälligeres
Führungsgremium mit qualitativen Vorteilen
durchaus leisten, ja sie muss es sich aufgrund
der in den letzten Jahren gemachten Erfahrungen leisten.
Walchwil, im September 2015
Rudolf P. Schaub
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Dr. iur. Rudolf P. Schaub
Oberstleutnant a D, ehemaliger zugeteilter Stabsoffizier
Infanterieregiment 24 (Aargau)
Militärische Laufbahn:
1968 Rekrutenschule
1969 Unteroffizierschule/Offiziersschule/Zugführer Füs Kp I/46 (Leutnant)
1975 Kommandant a i S Kp III/4 (Oberleutnant)
1977 Kommandant S Kp III/4 (Hauptmann)
1979 Kommandant Füs Stabskp 46
1982 zugeteilter Hauptmann Füs Bat 46
1984 Offizier z V Kdt Inf Rgt 24
1987 Kommandant Füs Bat 102 (Major)
1991 zugeteilter Stabsoffizier Inf Rgt 24 (Oberstleutnant)
1995 Entlassung aus der aktiven Dienstpflicht
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Bisherige Publikationen:
- Hochseilakt der Schweizer Armee mit Absturzgefahr
(Gruppe Giardino / Schweizer Soldat)
- Verfassungs- und völkerrechtswidrige Sicherheitspolitik von Bundesrat und Parlament
(Gruppe Giardino / Pro Libertate)
- Fahrlässige Sicherheitspolitik – ohne Haftungsrisiko der Verantwortlichen
(Gruppe Giardino / Pro Libertate)
- Recht und Pflicht von Armeeangehörigen zur Befehlsverweigerung in einem künftigen
Verteidigungsfall / Konsequenzen einer grobfahrlässigen Sicherheitspolitik
(Gruppe Giardino / Pro Libertate / AUNS)
- Referendumsdrohung von «Giardino» gegen die «Weiterentwicklung» der Armee gemäss
Botschaft des Bundesrates vom 3. September 2014
(Gruppe Giardino)
- Reglement «Führung und Stabsorganisation der Armee 17» (FSO 17) – Untauglich als
Lehrmittel und Führungshilfe zur Sicherstellung der «Verteidigungskompetenz» im
Sinne von «savoir faire»
(Gruppe Giardino)
Bildnachweis:
Frontseite: http://willyloman.wordpress.com/2014/08/16/about-that-russian-military-convoy-russia-is-to-kiev-as-isis-is-to-baghdad/
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Impressum
Redaktion:
Oberst Thomas Fuchs,
Grossrat und alt Nationalrat, Bern
Geschäftstelle: Schweizerische Vereinigung
PRO LIBERTATE
Postfach 587
3052 Zollikofen
Tel. 031 332 57 84
Fax 031 332 57 85
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