Die «WEA-Luftschloss-Armee» für den Verteidigungsfall Eine schonungslose Konfrontation mit den wesentlichen Fakten Dr. iur. Rudolf P. Schaub «Ich, als alter Mann, sage euch, dass wir in einer Vorkriegszeit leben.» Egon Bahr (1922–2015) zu sprachlosen Schülern eines Heidelberger Gymnasiums am 4. Dezember 2013 In Memoriam Dr. Hermann Suter, der unermüdlich und unerschrocken für eine glaubwürdige Armee und gegen eine unfaire Behandlung ihrer Angehörigen gekämpft hat! Inhaltsübersicht Literatur / Berichte / Botschaften / Reglemente 4 Abkürzungsverzeichnis 5 I. Einführung 6 II. Schrumpf-Armee gemäss Botschaft zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Weiterentwicklung der Armee vom 3. September 2014 8 III. Wiederaufbau einer zur Landesverteidigung fähigen Armee bei entstehender Bedrohung 11 IV. Debatte im Ständerat über die WEA-Schrumpf-Armee 16 V. Fähigkeiten der WEA-Schrumpf-Armee 23 VI. Auswirkungen der WEA-Schrumpf-Armee auf die Kampfführung in einem Verteidigungsfall 28 VII. Fehlende Voraussetzungen für eine mobile Kampfführung im Verteidigungsfall 29 VIII. FIS-Heer als untaugliches Hilfsmittel zur Führung von mobilen Truppeneinsätzen 33 IX. Verletzung von militärischen Organisationsprinzipien als Teilursache der «Luftschloss-Armee» 39 X. Schlussbemerkungen 44 3 Literatur / Berichte / Botschaften / Reglemente Amstutz, Marcel (Brigadier)/Schmon, Christoph (Oberst i Gst), Von der Flab zur BODLUV: Ein sicherer Wert, in: Schweizer Soldat, Nr. 07/08 / Juli/August 2015, S. 20ff. (zit. Flab/BODLUV) Amtliches Bulletin 14.069 betreffend Eintretensdebatte im Ständerat Armeebericht 2010 vom 1. Oktober 2010 (zit. Armeebericht 2010) Bachofner, Hans (Divisionär, Kommandant Zentralschulen und Generalstabskurse, Stabchef Operative Schulung), Armeereform in der Beschleunigungsfalle, in: SIFA-Broschüre Nr. 1, S. 1ff. (zit. Armeereform) Blattmann, André (Korpskommandant, Chef der Armee), Weiterentwicklung der Armee ist dringend, in bz Basel Überregional vom 24. Juni 2015 Derselbe, Die hybriden Kriege werden zunehmen, in: Neue Luzerner Zeitung, 27. Juni 2015/ Nr. 146, S. 5 Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik der Schweiz vom 23. Juni 2010 (zit. Bericht Sicherheitspolitik 2010) Botschaft zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Weiterentwicklung der Armee vom 3. September 2014 (zit. Botschaft) Bundeskanzlei, Perspektiven 2025, Lage- und Umfeldanalyse sowie Herausforderungen für die Bundespolitik, Bern (ohne Herausgabedatum) (zit. Perspektiven) Bühler, Stefan (Oberleutnannt)/Muff, Erich (Hauptmann), Gedanken zu einer echten Panzerbrigade, in: Schweizer Soldat, Nr. 07/08 / Juli/August 2015, S. 35ff. Curtenaz/Currit/Lanz/Rieder/Abegglen, Militärdoktrin der Schweizer Armee, Stand der Arbeiten und Perspektiven, in: Military Power Review, Nr. 2/2013, S. 53ff. (zit. Doktrin) Erläuternder Bericht zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Weiterentwicklung der Armee (Umsetzung des Armeeberichts 2010) vom 26. Juni 2013 (zit. Erläuternder Bericht) Ernst, Alfred sel. (Korpskommandant, Kommandant Feldarmeekorps 2), Die Konzeption der schweizerischen Landesverteidigung 1815–1966, Frauenfeld 1971 (zit. Konzeption) Derselbe, Die Leitung des Wehrwesens im Frieden, in: Civitas 22 (1966/67), S. 753ff. Frick, Gotthard, Eine Militärdoktrin der Illusionen, in: http://www.vimentis.ch/, 20.04.2015, S. 7ff. (zit. Militärdoktrin) Hart, Liddel, Geschichte des Zweiten Weltkrieges, 1. Aufl., Düsseldorf 1972 Häsler, Heinz (Korpskommandant, Kommandant Feldarmeekorps 2, Generalstabschef), Der Stellenwert der Miliz / Grundsätzliche Überlegungen eines ehemaligen Generalstabschefs, in: Erinnerungen an die Armee 61, Frauenfeld 2009, S. 95ff. Inspektorat VBS, Führungsinformationssystem Heer (FIS HE) / Schlussbericht zuhanden Chef VBS vom 21. April 2011 (zit. FIS HE-Schlussbericht) Inspektorat VBS, Organisation Militärflugplätze / Schlussbericht vom 16. Juni 2011 (zit. Schlussbericht Militärflugplätze) Müller, Paul (Divisionär a D, Unterstabschef Planung, Kommandant Felddivision 5), Botschaft zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Weiterentwicklung der Armee (WEA) / Beurteilung und Vorschläge, September 2014 (zit. Beurteilung und Vorschläge) 4 Derselbs, Führungsinformationssystem Heer – FIS, 15. Mai 2007 Reglement 51.20, TF 82, Truppenführung (zit. TF 82) Reglement 53.005.01, Einsatz der Infanterie, Teil 1: Führung und Einsatz des Bataillons Reglement 53.005.02, Einsatz der Infanterie, Teil 2: Führung und Einsatz der Kompanie Schweizerische Eidgenossenschaft, Schlussbericht SVU 14, Mai 2015 VBS, Führungsinformationssystem Heer FIS HE: Stand und weiteres Vorgehen / Bericht des VBS zu Handen der Sicherheitspolitischen Kommissionen vom 31. Juli 2012 (FIS HE-Bericht) Verein Sicherheitspolitik und Wehrwissenschaft, Sicherheitspolitische Information, April 2014, Keine Wiederholung alter Fehler! von Erlach, Rudolf (Oberstleutnant i Gst), Über den Ausbau der Heeresorganisation, in: Neue Schweizer Rundschau, 2/1935, S. 543ff. Abkürzungen a.a.O. ai a.M. Art. Bat BBl BV Flpl Füs gl.M. HS i Gst Info Kdo Kdt LBA MG s. S. S vgl. WE Ziff. zV = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = am angegebenen Ort ad interim anderer Meinung Artikel Bataillon Bundesblatt Bundesverfassung Flugplatz Füsilier gleicher Meinung Hervorhebung durch den Schreibenden im Generalstab Infanterie Kommando Kommandant Logistik-Basis Militärgesetz siehe Seite Schützen vergleiche Werterhaltung Ziffer zur Verfügung 5 I. Einführung Zwei Ereignisse veranlassten den Verfasser dieser Schrift, in Sachen Armee einmal mehr zur Feder zu greifen. Nach der Debatte über die Weiterentwicklung der Armee im Nationalrat schrieb Korpskommandant André Blattmann, Chef der Armee, am 24. Juni 2015 in der «bz Basel Überregional» (http://www.bzbasel.ch/kommentar) folgenden Gastkommentar mit der Überschrift «Weiterentwicklung der Armee ist dringend» (HS): «Die Armee ist dank Truppen mit hoher Bereitschaft rasch bereit, kritische Infrastrukturen – davon gibt es in der Nordwestschweiz mehrere existenziell wichtige – zu schützen; und wir verfügen über eine robuste Reserve, mit der wir über beachtliche Fähigkeiten zur Abwehr eines militärischen Angriffs verfügen.» Eine gründliche Auseinandersetzung mit der Behauptung von Korpskommandant Blattmann, unser Land verfüge über beachtliche Fähigkeiten zur Abwehr eines militärischen Angriffs, drängt sich schon allein deshalb auf, weil der gleiche Korpskommandant Blattmann drei Tage später – am 27. Juni 2015 – in der Neuen Luzerner Zeitung und den damit verbundenen Blättern in der Zentralschweiz auf die Frage «Wo hapert es noch?» antwortete (a.a.O., S. 5; HS): «Wenn wir von unserer heutigen Armee mit einem Bestand von 200‘000 Armeeangehörigen ausgehen, fehlen etwa Hauptsysteme. Wir hätten für diesen Bestand nicht genug Radschützenpanzer, geschützte Mannschaftstransporter – auch nicht genug Übermittlungsmittel. 6 Dies allein ist schon ein Hinweis darauf, dass wir – wenn wir ehrlich sein wollen – besser einen etwas tieferen Bestand haben sollten – dafür dann mit kompletter Ausrüstung.» Bemerkenswert ist zunächst, dass die Halbierung der personellen Stärke der Armee von 200‘000 auf 100‘000 Armeeangehörige durch Korpskommandant Blattmann als Reduktion «auf einen etwas tieferen Bestand» bezeichnet wurde. Zudem verschwieg der gemäss eigener Aussage um Ehrlichkeit bemühte Korpskommandant Blattmann den Lesern seines Interviews die wichtige Tatsache, dass es noch Jahre dauern wird, bis die um die Hälfte reduzierte «Schrumpf-Armee» (ohne Fähigkeit zur Landesverteidigung gemäss Art. 58 II BV) «weiterentwickelt» und vollständig ausgerüstet sein könnte. Ob dieser angestrebte Zustand je erreicht werden wird, ist in Anbetracht der dringend nötigen Ausgabenreduktionen im unausgeglichenen Bundeshaushalt bereits wieder fraglich geworden. Eine Armee, der «Hauptsysteme» (wie 12 cm Minenwerfer bzw. Mörser, PanzerabwehrLenkwaffen für mittlere Schussdistanz (750 Meter), Fahrzeug- und Panzerminen, Artillerie, Fliegerabwehrmittel und eine hinsichtlich Qualität und Quantität ausreichende Luftwaffe für den Verteidigungsfall) fehlen, kann entgegen der Meinung von Korpskommandant Blattmann nicht über «beachtliche Fähigkeiten zur Abwehr eines militärischen Angriffs» verfügen. Deshalb geht die Armee in ihrer (neuen) Doktrin, welche Korpskommandant Blattmann bestens kennt, davon aus, dass die Schweiz nicht mehr «verteidigungsfähig» ist, sondern sich nur noch darum bemüht, die nötige (theoretische) «Verteidigungskompetenz» bzw. das erforderliche «Verteidigungs-Know-how» zu erhalten (Curtenaz/Currit/Lanz/Rieder/Abegglen sprechen von der «Überführung der Verteidigungsfähigkeit in eine Verteidigungskompetenz» mit Verzicht auf den «Grundsatz der Raumsicherung»; s. Doktrin, S. 53). Als Schweizerin oder Schweizer darf und muss man sich fragen, wie es dazu kommt, dass Korpskommandant Blattmann offenkundig unzutreffende Aussagen über die Fähigkeit unseres Landes zur Abwehr eines militärischen Angriffs macht. Das zweite Ereignis, das den Schreibenden veranlasste, erneut einen Artikel über die wirkliche Situation der «weiterentwickelten» Armee zu verfassen, war ein anregendes und aufschlussreiches Gespräch mit einem intelligenten höheren Berufsoffizier, der aus verständlichen Gründen nicht namentlich erwähnt werden möchte. Dieser bemerkte zu Beginn des Gedankenaustausches über meine bisherigen kritischen Artikel und Schriften in Sachen Sicherheitspolitik und Armee freimütig: «Denken Sie daran, dass man im VBS und im Korps der Berufsmilitärs heute ganz überwiegend sehr wenig bis gar nicht bereit ist, sich mit Kritik positiv und unvoreingenommen auseinanderzusetzen. Solche führt sofort zu Abwehrreaktionen. Mit Kritik erreicht man normalerweise nichts.» Diese mutigen Aussagen des sympathischen Gesprächspartners legen es ebenfalls nahe, die Entwicklung unserer Armee selbst und deren spezielles Umfeld einmal mehr unter die Lupe zu nehmen und dort – wo es angebracht ist – einer ätzenden Kritik zu unterziehen. In einer Institution, in der auf Kritik allergisch reagiert wird und Überheblichkeit an der Tagesordnung ist, kommt es meistens zu verhängnisvollen Fehlentwicklungen. Kritik von aussen ist deshalb geboten. Dieser Auffassung war schon Oberstkorpskommandant Ulrich Wille d.J., der im Jahr 1929 folgende Gedanken äusserte (zit. gemäss Ernst, Konzeption, S. 320): «Kritik ist ein Segen für unser Wehrwesen. Sie war es vor dem Weltkrieg gewesen, denn alle Reformen, welche damals rechtzeitig unserer Wehrkraft im Inland und Ausland zum notwendigen Ansehen verholfen hatten, verdanken wir allein einer freien, furchtlosen Kritik. Eine sachkundige und tätige Heeresleitung fürchtet die Kritik nicht. Sie bedient sich ihrer, greift nicht zum Maulkorb. ... Unser Volksheer verträgt es nicht, wenn die wenigen Leute vom Fach vor der Öffentlichkeit schweigen.» Auch die Ausführungen von Ernst über «die freie Meinungsäusserung im Konzeptionsstreit von 1945 bis 1966» in seinem Buch sind lesenswert (Konzeption, S. 315-321) und fordern zur Kritik an der heutigen «Maulkorb-Strategie» der obersten Armeeführung heraus. Ein typisches Zeichen dafür, dass sich heute sogar nur armeenahe Kreise für die Äusserung von abweichenden Meinungen und Kritik mit gewundenen Sätzen zu entschuldigen versuchen, zeigt der Vorspann der Redaktion des «Schweizer Soldat», der sich als die »eindeutig führenden Militärzeitschrift der Schweiz» bezeichnet, zu einer überzeugenden Studie der Panzeroffiziere Bühler und Muff mit dem Titel «Gedanken zu einer echten dritten Panzerbrigade» (Schweizer Soldat, Nr. 07/08 / Juli/August 2015, S. 35ff.). Die ängstliche und möglicher7 weise auch eingeschüchterte Redaktion bemerkt in ihrem Vorspann zum Artikel: «Im Mai 2015 trat eine Gruppe junger, tüchtiger Panzeroffiziere mit einer Studie zur dritten Panzerbrigade an die Redaktion heran. Dies war vor dem WEA-Entscheid des Nationalrats. In Abwägung der Güter beschloss die Redaktion, die Studie der jungen Offiziere zu veröffentlichen; dies im Wissen, dass die dritte Panzerbrigade den Rahmen der 100‘000 Mann-Armee massiv sprengen würde und dass finanziell durch die Kawestierung von Leopard-Kampfpanzern und den Kauf von Schützenpanzern zusätzliche Kosten entstünden. Die Studie will ausdrücklich nicht die WEA gefährden...» Die Redaktion des «Schweizer Soldat» sollte sich in Sachen WEA freier und mutiger äussern, wenn sie dem Anspruch ihres Blattes, die «eindeutig führende Militärzeitschrift der Schweiz» zu sein, gerecht werden will. Ernst schrieb zu Recht (Konzeption, S. 321; HS): «Im militärpolitischen Bereich gelten die Gebote der Disziplin nicht. Die Erfahrungen Frankreichs haben deutlich gezeigt, wohin der verhängnisvolle Satz von der Armee als ‹grande muette› führt: einerseits zur geistigen Erstarrung, anderseits, wenn die Spannung zu gross geworden ist, zur offenen Revolte!» 8 II. Schrumpf-Armee gemäss Botschaft zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Weiterentwicklung der Armee vom 3. September 2014 Die «weiterentwickelte» Armee wird verglichen mit der bestehenden Armee einen halbierten Sollbestand von 100‘000 Armeeangehörigen haben. Von den verbliebenen 100‘000 Armeeangehörigen sollen 20‘000 den Erhalt einer theoretischen Verteidigungskompetenz sicherstellen. Es handelt sich um zwei Mechanisierte Brigaden, die allerdings nicht vollständig ausgerüstet werden können (dazu Bühler/Muff, Gedanken zu einer echten dritten Panzerbrigade, S. 35f). Es fehlen gemäss den Berechnungen von Bühler und Muff aktuell 34 Leopard Panzer 87(WE), die aber (kostenlos) aus einer Reserve von 96 Leopard Panzer 87 (ohne WE) beschafft werden könnten. Nötig wären somit nur die Werterhaltungsmassnahmen zu vertretbaren Kosten. Das VBS will seine Panzer-Reserve trotz der Ausrüstungslücke bei den vorgesehenen Mechanisierten Brigaden verschrotten (Botschaft, S. 28). Dafür gibt es keine einleuchtenden Gründe. Weiter fehlen gemäss den Berechnungen von Bühler und Muff 38 Schützenpanzer 2000 (s. a.a.O., S. 36). Diese müssten beschafft werden, was der Bundesrat und die Eidgenössischen Räte den «armen» Schweizerinnen und Schweizern bei den schon «hohen» Armeeausgaben von 0,8 Prozent des BIP höchstwahrscheinlich nicht zumuten wollen. Dabei bleibt aber unberücksichtigt, dass die NATO-Staaten, von deren Verteidigungsanstrengungen die Schweiz als sicherheitspolitische Trittbrettfahrerin pro- fitiert, für ihre Armeen im Durchschnitt 1,8 Prozent des BIP ausgeben. Hier darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich sogar die Bundeskanzlei in ihrer Broschüre «Perspektiven 2025, Lage- und Umfeldanalyse sowie Herausforderungen» zum sicherheitspolitischen Trittbrettfahren der Schweiz freimütig äussert (S. 43; HS): «Die Binnenlage in Europa und unentgeltliche ausländische Sicherheitsleistungen wie beispielsweise ein Raketenschutzschild stellen für die Schweiz einen grossen Sicherheitsgewinn dar.» Falls ausländische Nachrichtendienste auf diese Aussage stossen, werden sie ihren Regierungen möglicherweise raten, dass sie von der (noch) reichen Schweiz (wegen ihrer Vorteile infolge Zulassung zum gemeinsamen Markt der EU) nicht nur weiterhin die Speisung des EU-Kohäsionsfonds, sondern künftig (wegen des eingestandenen Profitierens von Sicherheitsleistungen der umliegenden NATO-Staaten) auch Zahlungen in eine «NATO-Kasse» für «sicherheitspolitische Drückeberger und Trittbrettfahrer» verlangen sollten. Regierungen und Parlamente eines sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer-Landes, welche darauf vertrauen, Nachbarstaaten würden ihnen im Verteidigungsfall sofort und tatkräftig zu Hilfe eilen, verfügen über keine Menschenkenntnis und sind naiv. Im Krieg geht es einzig und allein um das eigene Überleben und die Wahrung der eigenen militärischen Interessen, nicht um zwischenstaatlichen Altruismus, wie die Kriegsgeschichte lehrt. Dieser existiert nicht einmal in Friedenszeiten. Immerhin wurde sowohl im Ständerat als auch im Nationalrat sogar über die Bildung einer dritten Mechanisierten Bri- gade diskutiert, wobei die Vorschläge ziemlich unausgegoren waren. Aus zwei Mechanisierten Brigaden drei zu bilden, macht keinen Sinn. Vielmehr muss die erwähnte (wertvolle) «Leopard-Reserve» genutzt und nicht verschrottet werden. Dies gilt übrigens vernünftigerweise auch für die 162 Panzerhaubitzen M 109. Sie sind zwar kampfwertgesteigert, aber nicht werterhalten worden (dazu Botschaft, S. 28). Freilich darf man – was die Bildung einer (echten) dritten Mechanisierten Brigade angeht – nicht allzu grossem Optimismus verfallen. Denn es ist gemäss Botschaft (S. 27) «bereits absehbar, dass insbesondere bei der Beschaffung von Systemen für die mechanisierten Verbände Abstriche in der Menge vorgenommen werden müssen». 37‘000 Armeeangehörige sind vorgesehen für die Unterstützung ziviler Behörden, die Überwachung, die Sicherung und den Schutz von Verkehrsachsen, wichtigen Objekten, Räumen und Grenzabschnitten sowie das Halten von Stellungen und das Sperren von Durchgängen (Botschaft, S. 15). Bei der Infanterie besteht ein erheblicher «Beschaffungsstau», soll sie dereinst alle genannten Aufgaben erfüllen können. Wie den mechanisierten Verbänden fehlen auch der Infanterie die 12 cm Minenwerfer, die 2010 aus unerfindlichen Gründen liquidiert wurden. Zudem fehlt der Infanterie ein Panzerabwehr-Lenkwaffensystem für mittlere Schussdistanz (750 Meter). Bekanntlich orientierte im November 2007 der damalige Chef der Armee, Korpskommandant Christoph Keckeis, die Kommandanten der Schweizer Armee in einem Schreiben betreffend «Optimierungsmassnahmen in der Schweizer 9 Armee» über die Ausserdienststellung «des im Unterhalt sehr kostspieligen» Panzerabwehr-Lenkwaffensystems «DRAGON». Die Beschaffung eines Ersatzsystems stand damals nicht zur Diskussion. Zudem muss die Panzerfaust abgelöst werden, da sie nicht mehr produziert wird und keine Einsatzmunition mehr für sie erhältlich ist (Botschaft, S. 35). Schliesslich müssten auch noch neue Fahrzeug- und Panzerminen angeschafft werden, wenn die Infanterie Durchgänge nachhaltig sperren können soll. Allein diese Beschaffungsvorhaben dürften wegen des angespannten Bundeshaushalts – wenn überhaupt – nur längerfristig realisierbar sein. 11‘000 Armeeangehörige leisten ihren Dienst in den Flieger- und Flabtruppen. Die Fliegertruppen sorgen dafür, dass die noch vorhandenen 32 F/A-18 und die noch flugtauglichen Tiger F-5 zum Einsatz kommen. Sie sind aber im Unterschied zu Zeiten der früheren Arme 61 nicht mehr in der Lage, ihren Auftrag selbständig als «Totalunternehmer» gemäss dem Prinzip «ein Raum, ein Auftrag, ein Chef» zu erfüllen. Heute kann ein F/A-18 nur starten, wenn die «Logistikbasis» und die «Führungsunterstützungsbasis» gewisse Leistungen erbracht haben. Daran soll festgehalten werden. Dazu wird weiter unten Stellung genommen (VII. Verletzung von militärischen Organisationsprinzipien als Teilursache der «LuftschlossArmee»). Die Luftwaffe weist «Fähigkeitslücken» auf, die geschlossen werden müssen, insbesondere genügt die heutige Restflotte der F/A-18 zahlenmässig überhaupt nicht (Botschaft, S. 33). Ausserdem hat die Luftwaffe seit der Liquidation der Hunter-Flotte die Fähigkeit zum Erdkampf und seit der 10 Ausserbetriebnahme der Mirage IIIRS die Fähigkeit zur operativen Aufklärung aus der Luft eingebüsst (Armeebericht 2010, S. 23). Auf diese wichtigen Fähigkeits- bzw. Kompetenzlücken wird in WEA-Botschaft nicht mehr hingewiesen. Ihre Behebung wäre mit enormen Kosten verbunden. Den Flabtruppen obliegt die bodengestützte Fliegerabwehr. Sie verfügen über drei Systeme, die im Normalfall kombiniert zum Einsatz gelangen: radar-gelenkte 35 cm Kanonen sowie Rapier- und Stinger-Raketen. Diese Systeme kommen in den nächsten Jahren an ihr Nutzungsende und müssen gesamthaft ersetzt werden (Botschaft, S. 34; vgl. Amstutz/ Schmon, Flab/BODLUV, S. 20ff.). 31‘000 Armeeangehörige erbringen «Basisleistungen», indem sie die Logistik in der Armee sicherstellen («Logistikbasis») und eine zeitgerechte und effiziente Führung der Armee ermöglichen («Führungsunterstützungsbasis»). Die «Logistikbasis» sorgt dafür, dass die zu Dienstleistungen einrückenden Truppen ihr Korpsmaterial, ihre Munition und ihre Fahrzeuge in (gebrauchsfähigem) Zustand fassen und am Ende der Dienstleistung abgeben können. Weiter ist die «Logistikbasis» für die Reparatur oder den Unterhalt und die Lagerung des nach Schulen und Kursen zurückgegebenen Korpsmaterials und der Fahrzeuge verantwortlich (vgl. Botschaft, S. 35f.). Die «Logistikbasis» stellt aber auch sicher, dass die F/A-18 und Tiger F-5 auf den Flugplätzen starten und landen können, und betreibt militärische Anlagen. Dazu wird unten Stellung genommen (VII. Verletzung von mi- litärischen Organisationsprinzipien als Teilursache der «Luftschloss-Armee»). Die «Führungsunterstützungsbasis» ist gemäss Botschaft (S. 36) dafür verantwortlich, «dass die IKT-Systeme und die Datenübertragung in der Armee in allen Lagen sicher funktionieren und permanent verfügbar sind», was jedenfalls noch während einiger Jahre nur ein frommer Wunsch sein wird (dazu unten VIII. FIS-Heer als untaugliches Hilfsmittel zur Führung von mobilen Truppeneinsätzen). Zusätzlich ist sie für den Betrieb der Sensoren zur Luftraumüberwachung (FLORAKO / TAFLIR) verantwortlich und erbringt Leistungen in der elektronischen Kriegführung und in der Abwehr von Cyber-Angriffen. Schliesslich stellt sie die permanente Führungsfähigkeit des Bundes und der Kantone sicher (Botschaft, S. 36). Es ist zu beachten, dass sich in einer verkleinerten Armee das Verhältnis zwischen den Kampftruppen und den nicht kämpfenden Unterstützungstruppen regelmässig zu Gunsten der letzteren entwickelt. In der «weiterentwickelten» Schrumpf-Armee werden die (aktuell geplanten) zwei Mechanisierten Brigaden als harter Kern der Kampftruppen gerade noch 20% der Armee ausmachen. Deshalb kann mit dieser nur noch eine «nötige» (theoretische) Verteidigungskompetenz bzw. ein «erforderliches» Verteidigungs-Knowhow erhalten werden (dazu oben, S. 6). Die Armee hat somit keine Dissuasionswirkung mehr gegen einen potenziellen Angreifer und kann das Land und die Bevölkerung nicht mehr verteidigen, wie es der Wortlaut von Art. 58 II BV anordnet. Mit dem Verzicht auf die Verteidigungsfähigkeit gibt die Schweiz auch ihre Bewaffnete Neutralität auf. III. Wiederaufbau einer zur Landesverteidigung fähigen Armee bei entstehender Bedrohung Gemäss Botschaft (S. 11) ist «die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Angriffs auf die Schweiz für die absehbare Zukunft nach wie vor gering». Die Botschaft äussert sich nicht darüber, was der Bundesrat unter «absehbarer Zeit» gemäss militärischen Gesichtspunkten versteht. Wahrscheinlich hat er keine Vorstellung. Die Botschaft beschreibt auch keine Szenarien, welche bestimmte Aufrüstungsschritte oder eine zur Landesverteidigung fähige Armee nötig machen würden. Würde es genügen, dass Länder, die an die Schweiz grenzen, ihre Armeen ausbauen oder müssten in diesen Ländern auch friedensfeindliche politische Tendenzen der Bevölkerung und der «classe politique» feststellbar sein? Könnten auch Entwicklungen oder Ereignisse in Ländern, die nicht an die Schweiz grenzen, zum Wiederaufbau einer Verteidigungsarmee veranlassen? Diesen Fragen geht die Botschaft aus dem Weg. Logischerweise äussert sie sich auch nicht zu den Problemen eines «Aufwuchses» der Schrumpf-Armee zur Wiedererlangung der Verteidigungsfähigkeit, um in einer Bedrohungslage rechtzeitig dissuasiv zu wirken oder im Falle eines Angriffs Land und Bevölkerung gemäss Art. 58 II BV verteidigen zu können, was von Divisionär a D Paul Müller zur Recht kritisiert wird (Beurteilung und Vorschläge, S. 8). Es ist allerdings naheliegend, dass die Botschaft den Armee-Aufwuchs nicht behandelt. Dieser ist die Achilles-Ferse der Sicherheitspolitik des Bundesrates. Dessen Mitglieder als ausgekochte Politiker bringen das Problematische ihrer Politik natürlich nicht zur Sprache. 11 Da sich der Bundesrat schon in seinen im Jahr 2010 publizierten Berichten über die Sicherheit der Schweiz und die Armee bezüglich des äusserst wichtigen Problems der Wiedererlangung der Verteidigungsfähigkeit durch die kaputt gesparte Armee in vornehmes Schweigen hüllte, sah sich die Armeeführung veranlasst, sich mit dieser unbeantworteten und eher unerquicklichen Frage zu beschäftigen. Die zur Landesverteidigung unfähige Armee soll durch «Antizipation» eine entstehende Bedrohungslage erkennen und gestützt darauf durch «Aufwuchs» die erforderliche Verteidigungsfähigkeit rechtzeitig wieder erlangen. Für die «Antizipation» ist primär der militärische Nachrichtendienst verantwortlich (Curtenaz/Currit/Lanz/Rieder/Abegglen, Doktrin, S. 58). Dazu bemerkt Müller zu Recht (Beurteilung und Vorschläge, S. 8): «Kein noch so guter Nachrichtendienst kann ein zeitgerechtes Aufwachsen garantieren.» Aber selbst wenn der militärische Nachrichtendienst hervorragende Arbeit leistet, hängt der rechtzeitige «Armee-Aufwuchs» letztlich auf Gedeih und Verderb von den politischen Entscheidungsträgern Bundesrat und Parlament ab. Diese müssen die Einschätzung der Bedrohungssituation durch den militärischen Nachrichtendienst und die Armeeführung teilen, den empfohlenen Wiederaufbau einer Verteidigungsarmee aufgrund der eigenen Lagebeurteilung selbst für nötig erachten und sich über die Ausgestaltung der neuen Verteidigungsarmee einig werden. Denn die allenfalls erhaltene (theoretische) Verteidigungskompetenz beantwortet die Frage nicht, mit welcher konkreten Armee der sich abzeichnenden oder bereits entstandenen Be12 drohungslage mit den grössten Erfolgschancen begegnet werden kann (vgl. Müller, a.a.O., S. 8). Gemäss seinem Bericht Sicherheitspolitik 2010 (S. 50) würde der Bundesrat «es für verfehlt halten, ein detailliertes Aufwuchskonzept für einen möglichen künftigen Konflikt auszuarbeiten, weil Art und Ausmass der benötigten Fähigkeiten von der konkreten Bedrohung abhängen würde». «Solange nicht klar ist, worauf die Armee sich vorbereiten muss», soll es gemäss Bundesrat nicht möglich sein, «die Erlangung der nötigen militärischen Fähigkeiten im Detail zu planen» (a.a.O., S. 50). Die Auffassung des Bundesrates ist abwegig, wie schon Ausführungen von Ernst aus dem Jahre 1971 zeigen (s. Konzeption, S. 351ff.). Dieser kommt nach seinen fundierten Überlegungen zur Vorbereitung der Armee auf den Verteidigungsfall zu folgender Schlussfolgerung (a.a.O., S. 353): «Es bleibt uns daher faktisch nichts Anderes übrig, als – wenigstens dem Grundsatz nach – schon im Frieden über die operative Zielsetzung zu entscheiden. Wir können sonst das Kampfinstrument nicht folgerichtig ausgestalten.» Höchstwahrscheinlich hat sich keine der vier Damen und keiner der drei Herren im Bundesrat, welche die zitierte Aussage im Sicherheitsbericht 2010 zu verantworten haben, mit den fundierten Gedanken von Alfred Ernst über die Konzeption der Landesverteidigung und die Vorbereitung eines allfälligen Krieges befasst. Auch die grundsätzliche Kritik von Bachofner an der Idee eines Armee-Aufwuchses im Jahre 2006 dürfte nicht bis ins Bundesratszimmer gelangt sein (Armeereform, S. 10): «Das Aufwuchskonzept ist bizarr. Die Unterschei- dung von Fähigkeit und Kompetenz zur Führung von Schlachten ist weltfremd und bürokratisch.» Es ist zu befürchten, dass trotz dieser Warnungen von zwei hervorragenden militärischen Experten kein Bundesrat in den künftigen Zusammensetzungen von der Haltung gemäss Sicherheitsbericht abrücken wird. Gotthard Frick, ein ständiger und luzider Kritiker des sicherheitspolitischen Schlendrians der Schweiz, liefert dafür eine einleuchtende Erklärung (Militärdoktrin der Illusionen, S. 7): «Man darf annehmen, es gelinge unserem Nachrichtendienst, Veränderungen der allgemeinen Sicherheitslage [HS] wahrzunehmen. Aber es ist eine Illusion zu glauben, Bundesrat und die Mehrheit des Parlamentes würden solche Beurteilungen der Sicherheitslage, die ja nichts anderes als Interpretationen von Informationen sind, also Meinungen von Mitarbeitern des Nachrichtendienstes, dannzumal akzeptieren, d.h. sie hätten dann einen Gesamtüberblick und würden strategisch denken, und nicht nur punktuell und kurzfristig wie heute.» Als exponierte VBS-Mitarbeiter wagen die Doktrin-Beauftragten Curtenaz/Currit/Lanz/Rieder/Abegglen keine Bedenken wie Gotthard Frick pointiert zu artikulieren, sondern beschränken sich auf folgenden «zahmen» Hinweis (Doktrin, S. 63): «Die Antizipationsverantwortung ruht nicht nur auf den Schultern der Nachrichtendienste. Auch die politischen Instanzen sind gefordert, denn nur sie sind ermächtigt, rechtzeitig die notwendigen Entscheidungen zu treffen, um das Land und seine Bevölkerung vor den verheerenden Folgen eines militärischen Angriffs gegen unser Territorium zu bewahren.» Leider ist es eine Illusion zu glauben, dass sich die politischen Instanzen um ihre Antizipationsverantwortung im Sinne der Doktrin-Beauftragten im VBS kümmern werden. Sie werden sich auf die anstehenden politischen Tagesgeschäfte konzentrieren. Bundesrat und Parlament müssten die für den Armeeaufwuchs nötigen Beschlüsse ohne langes Hin und Her fassen. Diese wären für den Bundeshaushalt mit einer extremsten Belastung ungeahnter Höhe und mit innenpolitischen Risiken verbunden (vgl. zum Ganzen Curtenaz/Currit/Lanz/Rieder/Abegglen, a.a.O., S. 58ff.). Allein die «Konsensfindung» in den verschiedenen politischen Gremien dürfte wie vor dem Zweiten Weltkrieg sehr viel Zeit in Anspruch nehmen und von gewissen Gruppen hartnäckig hintertrieben werden. Für den postulierten «Armee-Aufwuchs» gilt sinngemäss auch das, was von Erlach im Jahr 1935 schrieb (Über den Ausbau der Heeresorganisation, S. 548): «Jede um den Frieden besorgte Regierung hat bei drohender Kriegsgefahr die Tendenz, mit dem Mobilmachungsbeschluss möglichst lange zuzuwarten, um die politisch gespannte Lage durch die Kriegsmobilmachung der Armee nicht zu verschärfen.» Dazu kommt, dass ein «Aufwuchs-Entscheid» für Bundesrat und Parlament nach Jahren des sicherheitspolitischen und militärischen Schlendrians einen erheblichen Gesichtsverlust zur Folge hätte. Deshalb würden entscheidende Fakten, beispielsweise die Warnungen des militärischen Nachrichtendienstes, viel zu lange ignoriert. Bekanntlich fürchten Politiker Gesichtsverluste wie der Teufel das Weihwasser. 13 Weiter darf der grosse Zeitbedarf der Armee für die Beschaffung und die Einführung von neuem Rüstungsmaterial bei der Truppe nicht ausser Acht gelassen werden. Die für die Beschaffungen zuständige Armasuisse verfügt heute und künftig nicht mehr über die personellen Ressourcen und das nötige Know-how, um mehrere komplexe Beschaffungsvorhaben gleichzeitig abzuwickeln. Beim vorderhand letzten realisierten anspruchsvollen Grossprojekt, dem FIS-Heer, sind der Armasuisse und den beteiligten militärischen Stellen haarsträubende Fehler unterlaufen (dazu unten VIII. FIS-Heer als untaugliches Hilfsmittel zur Führung von mobilen Truppeneinsätzen). Die Schweiz als sicherheitspolitische Trittbrettfahrerin in Europa könnte auch nicht damit rechnen, dass sie in einen Bedrohungslage «Express-Lieferungen» zur Schliessung der grobfahrlässig herbeigeführten eigenen Rüstungslücken von Drittstaaten erhält, welche ihre Armee und Rüstungsindustrie nicht vernachlässigt haben. Schliesslich fallen mit der «Weiterentwicklung der Armee» 68 Truppenkörper (Bataillone und Abteilungen) weg (Erläuternder Bericht, S.31). Sollte die Armee in einem künftigen Bedrohungsfall wieder mit diesen Bataillonen und Abteilungen aufgestockt werden müssen, wird die Ausbildung der ersten Bataillons- und Abteilungskommandanten bis zu einer genügenden Gefechtsfeldtauglichkeit in ihrer Chefposition ab Rekrutenschule mindestens 15 Jahre dauern. Kürzlich berichtete Hauptmann Irène Thomann-Bauer über Klagen in einer Veranstaltung betreffend «Weiterentwicklung der Armee und die Infanterie» (AMZ 11/2014, 14 S. 33), dass das Gros der Truppenkörperkommandanten nicht mehr wisse, wie Unterstützungswaffen einzusetzen sind. Darüber kann man allerdings nicht ernsthaft erstaunt sein. Denn die 12 cm Minenwerfer der Infanterie und der mechanisierten Truppen wurden bekanntlich im Jahr 2010 mit den entsprechenden Kompanien liquidiert. Die im Unterhalt zu kostspielige Panzerabwehr-Lenkwaffe DRAGON wurde schon im Jahr 2007 verschrottet. Für die ausreichend belasteten Truppenkörperkommandanten hat seither kein Anlass mehr bestanden, und wird weiterhin bis zur Einführung des allenfalls beschafften «Mörsers» und einer neuen Panzerabwehr-Lenkwaffe bei der Truppe auch keiner bestehen, etwas zu lernen und zu üben, was wegen Fehlens der entsprechenden Waffe nicht mehr beherrscht werden muss. Das hat logischerweise Fähigkeitslücken zur Folge, welche gemäss Bundesrat in Kauf genommen werden (Armeebericht 2010, S. 23). Alle dargelegten Gründe führen zum Schluss, dass sich der «Armee-Aufwuchs» aufgrund «Antizipation» mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als «Luftschloss» entpuppen wird (ähnlich Müller, Beurteilung und Vorschläge, S. 8). Bundesrat Ueli Maurer erkannte dies schon im Jahr 2010 und bemerkte deshalb zum «Armeeaufwuchs» im Bedrohungsfall (Pro Militia, Nr. 4/10 vom 22. November 2010, S. 1), dieses Konzept habe «vor allem zur Gewissensberuhigung in Anbetracht des Verlustes der Verteidigungsfähigkeit» gedient. Man könnte auch von einer «Placebo-Beruhigungspille» sprechen. Frick seziert in seinem Artikel (s. Militärdoktrin, S. 7ff.) das Aufwuchskonzept für die geplante Schrumpf-Armee und qualifiziert es überzeugend und vernichtend als eine «Militärdoktrin der Illusionen». Mithin ist es keineswegs unangebracht, von einer «Luftschloss-Armee» für den Verteidigungsfall zu sprechen. Freilich darf den Berufsmilitärs, deren Auftrag zur Entwicklung einer Militärdoktrin für die Schrumpf-Armee auf «strangulierenden Vorgaben von Bundesrat und Parlament» (Frick, Militärdoktrin, S. 4) beruht, nicht vorgeworfen werden, dass sie an einer «Militärdoktrin der Illusionen» arbeiten und von einem unrealistischen «Armee-Aufwuchs» träumen. Ohne die Hoffnung auf einen «Armee-Aufwuchs» müssten sie verzweifelt ihre Arbeit wegen Unsinnigkeit. dann allenfalls nach einer längeren Vorbereitungsphase wieder zur Antizipation im Hinblick auf einen nötigen Armeaufwuchs fähig zu sein.» Diese Ausführungen haben gezeigt, dass der rechtzeitige Aufwuchs der geschaffenen Schrumpf-Armee die Achilles-Ferse der heutigen Schweizer Militärdoktrin bildet. Es besteht aber eine grosse Hoffnung. Wenn der Bundesrat im übernächsten Sicherheitsbericht immer noch die Auffassung vertritt, die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Angriffs auf die Schweiz sei für die absehbare Zeit gering, dann müsste es für ihn auch höchste Zeit sein, den Pferdefuss ArmeeAufwuchs mit der lästigen Antizipationsverantwortung wie die Verteidigungsfähigkeit schleunigst über Bord zu werfen. Er könnte dann die derzeitige Argumentation (vgl. Curtenaz/Currit /Lanz/ Rieder/Abegglen, Doktrin, S. 58) ohne weiteres sinngemäss übernehmen und erklären: «Im herrschenden sicherheitspolitischen Umfeld wird aber von der Armee nicht mehr erwartet, dass sie aufgrund von Antizipation ihren Aufwuchs einleiten kann. Es genügt, wenn sie die Kompetenz dazu wahrt und weiterentwickelt, um 15 IV. Debatte im Ständerat über die WEA-Schrumpf-Armee Der Ständerat, der als «Chambre de réflexion» charakterisiert wird, behandelte die «Weiterentwicklung der Armee» als Erstrat in der Frühjahrssession 2015. Die durch bürgerliche Armeebefürworter und Mitglieder der Sicherheitskommission gehaltenen Voten verdienen es, zur Kenntnis genommen zu werden. Sie zeigen, mit welchem Sachverstand und welcher Gründlichkeit die «Weiterentwicklung der Armee» diskutiert wurde. Auf eine analoge Wiedergabe der Debatte im Nationalrat, welcher als Zweitrat die «Weiterentwicklung der Armee» in der SommerSession 2015 behandelte und verwarf, muss aus Platzgründen verzichtet werden. Sie erübrigt sich aber auch, weil sich die Voten im Nationalrat nicht grundlegend von den Voten im Ständerat unterscheiden, sieht man von der kritischen Beurteilung der Reform als Armee-Halbierung und weitere Schwächung der Landesverteidigung durch zahlreiche Mitglieder der SVP-Fraktion ab (NR Amstutz, Borer, Fehr, Bortoluzzi, von Siebenthal, Aebi ). Das Nein der SVP-Fraktion zur «Weiterentwicklung der Armee» im Nationalrat überraschte nicht und führte dazu, dass diese vorläufig abgelehnt wurde. Ob es bei der Ablehnung bleibt, ist leider fraglich. Im Folgenden werden nur Schlüsselredner aus dem Kreise der (bürgerlichen) «Armeebefürworter» im Ständerat gemäss dem Amtlichen Bulletin 14.069 zitiert. Auf die Wiedergabe der militärisch abstrusen Vorstellungen, welche die «grünen» und «roten» Armeegegner äusserten, wird verzichtet. 16 Ständerat Kuprecht (eidg. dipl. Versicherungsfachmann und Relations Manager; Korporal) eröffnete als Präsident der Sicherheitskommission und Referent die Eintretensdebatte und erläuterte die Vorlage. Dabei erinnerte er daran, dass die Grundlagen für die zu diskutierende Botschaft der sicherheitspolitische Bericht 2010 sowie der Armeebericht 2010 seien. Weiter führte er aus, die Botschaft des Bundesrates enthalte weder eine Neukonzeption, noch stehe sie im luftleeren Raum ohne inhaltlichen Rahmen des Parlaments. Er bezeichnete die Botschaft als «logischen Akt einer aufbauenden Armeereform» (sic!) und kam zum Schluss, die Aufgaben der Armee, wie Art. 58 Abs. 2 BV sie vorgebe, blieben unverändert. Den erwähnten Artikel zitierte er der Klarheit halber gleich selbst: «Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung.» Ständerat Kuprecht störte es offensichtlich überhaupt nicht, dass die weiter entwickelte, aber noch während Jahren unvollständig ausgerüstete Armee aufgrund ihrer blossen Verteidigungskompetenz theoretischer Natur den Auftrag gemäss des zitierten Verfassungsartikels gar nicht erfüllen kann. Mit Art. 58 II BV werden bei den Schweizerinnen und Schweizern in Zukunft Vorstellungen geweckt, die nicht der Realität entsprechen. Ständerat Kuprecht beunruhigte es offensichtlich auch nicht, dass die Angehörigen der Armee gemäss Verfassung einen Auftrag zu erfüllen haben, zu dessen Erfüllung sie aufgrund der personellen Stärke, der Bewaffnung und der Ausrüstung der Armee nie und nimmer befähigt sind. Er wies aber auf die Ereignisse im Nahen Osten, an der europäischen Peripherie und in europäi- schen Städten hin, welche klar aufzeigen, «wie rasch und wie dramatisch sich sicherheitspolitisch relevante Situationen verändern können». Aufgrund dieser Ereignisse müsste sich ein kompetenter Sicherheitspolitiker fragen, ob die der sicherheitspolitische Bericht 2010 und der Armeebericht 2010 heute überhaupt noch taugliche Vorgaben für eine Armeereform sein können. Ständerat Hess (Dr. iur., Rechtsanwalt und Notar; Oberleutnant) identifizierte sich ebenfalls mit der «Weiterentwicklung der Armee» und war der Meinung, mit dieser würden zahlreiche Fehler und Mängel der Armee XXI und des Entwicklungsschrittes 2008-2011 weitestgehend ausgemerzt. Seines Erachtens ist es zudem positiv, dass «die Armee wieder vollständig mit der persönlichen Ausrüstung und mit dem Korpsmaterial ausgerüstet werden» soll. Allerdings kritisierte er nicht, dass dies trotz der Halbierung ihres Personalbestandes selbst bei einer guten Entwicklung der Bundesfinanzen mehr als ein Jahrzehnt dauern wird. Für Ständerat Hess war auch sehr wichtig, dass die Armee regional verankert wird, «indem die Territorialdivisionen mit Infanterie-, Genie- und Rettungsbataillonen verstärkt werden». Hingegen überzeugt seiner Meinung nach das Modell «Chef der Armee» aus folgenden Gründen nicht: «Ein Friedensgeneral wirkt in einer Demokratie fremd, in Friedenszeiten ist der Chef VBS der Chef der Armee, in Kriegszeiten führt der General die Armee.» In seinen Schlussbemerkungen führte Ständerat Hess aus: «Ohne Eigenlob machen zu wollen, darf ich feststellen, dass insgesamt in der vorberatenden Kommission auch dank der vorzüglichen Leistung des Präsidenten Alex Kuprecht gute Arbeit geleistet wurde.» Der Schreibende ist der Auffassung, dass erst eine echte Bewährungsprobe der «weiterentwickelten Armee» in der Zukunft zeigen wird, ob die Sicherheitskommission des Ständerates gute oder schlechte Arbeit geleistet hat. Ständerat Baumann (a. Regierungsrat; Gefreiter) bezeichnete die «Weiterentwicklung der Armee» (im Unterschied zu Korpskommandant Blattmann – vgl. oben, S. 6) als «einschneidende Veränderung, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Anzahl der Armeeangehörigen». Er forderte, dass endlich eine «klare und längerfristig verlässliche Wegrichtung für unsere Armee» zu definieren sei. Er begründete dies damit, dass die Armee – womit er die Armeeführung und die Politik meine – in den letzten Jahren desorientiert und demotiviert gewesen sei. Er verlangte, dass der Ständerat den selbst gemachten Empfehlungen treu bleibe, und verzichtete deshalb darauf, die bekannten «Eckwerte» nochmals zu kommentieren. Die Vorschläge, die Rekrutenschule auf achtzehn Wochen und die Zahl der Wiederholungskurse von sechs auf fünf zu reduzieren, hielt er für einen richtigen Schritt, weil man damit der Wirtschaft entgegenkäme. Die Tatsache, dass mit der «Weiterentwicklung der Arme» unser Land seine Verteidigungsfähigkeit definitiv zu Gunsten einer theoretischen Verteidigungskompetenz aufgeben wird, war für Ständerat Baumann aber auch kein Diskussionspunkt, obwohl er zu Beginn seines Votums von einer «einschneidenden Veränderung» für die Armee gesprochen hatte. Ständerat Baumann erkannte auch nicht, dass die geforderte «klare und längerfristig verlässlich Wegrichtung für unsere Armee» 17 eine Änderung von Art. 58 II BV erfordern würde, weil dieser ein falsches Bild von der weiter entwickelten Armee vermittelt. Logischerweise äusserte sich Ständerat Baumann auch nicht zur «Antizipation» bzw. zum «Aufwuchs» der Armee im Hinblick auf eine Bedrohungslage, die nach Verteidigungsfähigkeit ruft (dazu oben, S. 8 und 13ff.). Gemäss Ständerat Baumann sollte es selbstverständlich sein, dass die Gesetzes- und Verordnungsvorgaben sachgerecht umgesetzt und befolgt werden. Dazu ergänzte Ständerat Baumann aber vielsagend: «Aber auch wir als Parlament und – ich erlaube mir zu sagen – selbst der Bundesrat sind gemeinsam gefordert, die für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Armee notwendigen Immobilien- und Rüstungskredite in Zukunft zu sprechen.» Ständerat Bieri (dipl. Ing. Agr. ETH / Dr. sc. tech; Pferdestellungsoffizier eines Mobilisationsplatzes im Range eines Majors) bat, auf die Vorlage einzutreten und lehnte einen höheren Sollbestand als 100‘000 Angehörige der Armee ab, weil dies einer Verkennung der im Jahr 2011 gefassten Beschlüsse gleich käme. Natürlich stellte er sich nicht die Frage, ob die im Jahre 2011 gefassten Beschlüsse aufgrund der inzwischen eingetretenen geopolitischen Ereignisse überprüft werden müssten – oder, ob sie überhaupt richtig waren. Als Mitglied der Finanzkommission machte er hingegen eine aufschlussreiche «letzte» Bemerkung: «Wir sind in der SiK zwar von einem Finanzrahmen von 5 Milliarden Schweizerfranken [pro Jahr] ausgegangen, haben jedoch nie gesagt, dass wir deshalb den vom Bundesrat vorgeschlagenen Zahlungsrahmen von 19,5 Milliarden Fran18 ken für die Jahre 2017 bis 2020 nicht anerkennen würden. Aufgrund der finanziellen Lage und der wirtschaftlichen Aussichten wird es ohnehin eine Herausforderung sein, diesen Betrag einzuhalten. Daran wird auch der neu eingeführte vierjährige Zahlungsrahmen, der zu begrüssen ist, wenig ändern.» Ständerat Eder (lic. phil. I, Sekundarlehrer, a. Regierungsrat; Büroordonnanz im Range eines Gefreiten) bekennt sich «zu einer starken, glaubwürdigen, leistungsfähigen, auf die aktuellen und künftigen Bedrohungen ausgerichteten Milizarmee, die ihren verfassungsmässigen Auftrag erfüllt». «Alle Versuche, unsere Armee zu schwächen, verkennen [seines Erachtens] die heikle politische Grosswetterlage und sind deshalb entschieden abzulehnen.» Erwähnenswert sind schliesslich auch die Bemerkungen von Ständerat Eder über die Gruppe Giardino und über Pro Militia, in denen sich hohe und höchste Offiziere mit grosser Diensterfahrung und ausgewiesene Juristen gegen die geplante «Weiterentwicklung der Armee» engagieren: «Wenn die Weiterentwicklung der Armee beispielsweise von der Gruppe Giardino offen als ‹Weitere Eliminierung der Armee› bezeichnet wird, ist dies nicht nur ein Wortspiel. Adjektive wie ‹kurzsichtig, verfassungswidrig, undemokratisch, verantwortungslos, überholt› sind hart und ein vernichtendes Urteil. Intensive persönliche Gespräche mit Exponenten dieser Organisation – die meisten sind ehemalige verdiente Offiziere – zeigen mir, dass diese Kräfte gewillt sind, den Worten Taten folgen zu lassen, um selber glaubwürdig zu bleiben. Pro Militia schreibt auf ihrer Website: ‹Die Weiter- entwicklung der Armee ist keine Weiterentwicklung, sondern in erster Line ein zusätzlicher personeller, materieller und baulicher sowie organisatorischer und leistungsmässiger Abbau der Armee.› Ich teile diese Beurteilung nicht und beantrage, auf die Gesetzesrevision einzutreten.» Die «réflexion», für welche die Mitglieder des Ständerates allgemein gelobt werden, scheint sich bei diesem Votum eine Auszeit in der Wandelhalle genommen zu haben. Für den Fall, dass Herr Ständerat Eder meine Schrift liest, versichere ich als Mitglied der Gruppe Giardino ihm, dass ich sie nicht verfasst habe, «um selber glaubwürdig zu bleiben». Ich verweise in diesem Zusammenhang auf meine Einführung unter Ziffer I. (S. 6f.). Ständerat Föhn (Unternehmer; Gefreiter) unterstützte «grundsätzlich» die Weiterentwicklung der Armee und war der Auffassung, «dass sie uns in die richtige Richtung führt». Allerdings äusserte er folgenden wichtigen Vorbehalt: «Ich möchte aber einen Punkt aufgreifen, der aufgrund der aktuellen Entwicklung angepasst werden muss. Ich spreche … vom Armeebestand. Diese Anzahl von 100‘000 Armeeangehörigen basiert auf einer Sicherheitslage, die mittlerweile überholt ist. Leider, muss ich sagen, ist sie überholt, denn sie geht auf eine friedlichere Zeit zurück.» Er beantragte deshalb einen Armeebestand von 140‘000 Militärdienstpflichtigen und erinnerte dabei an die jüngsten Vorfälle in Paris, wo 88‘000 Sicherheitskräfte im Einsatz standen. Ständerat Hösli (Leiter Alterszentrum; Soldat) unterstrich, dass ein kleines Land grosse Wehrhaftigkeit beweisen müsse, wenn es sich verteidigen wolle [sic!]. Dazu bemerkte er weiter, er mache auch ein gewisses Fragezeichen, ob da jetzt 100‘000 Armeeangehörige genug seien oder nicht. In der Detailberatung kam Ständerat Hösli auf seine Bedenken zurück und führte aus (HS): «Der Auftrag der Armee ist es ja, das Land im Krieg … zu verteidigen und die Bevölkerung nicht nur zu schützen, … , sondern auch zu verteidigen. Und da stellt sich natürlich schon die Frage, ob 100‘000 Armeeangehörige genügen. … Die Wehrbereitschaft eines kleinen Landes muss wahrscheinlich einfach relativ hoch sein, damit man es auch verteidigen kann. Von daher wäre ich eigentlich schon froh, wenn vom Bundesrat vielleicht noch Ausführungen dazu gemacht werden könnten, wie man denn auf eine wirklich akute Veränderung der Bedrohungslage innert nützlicher Frist reagieren könnte.» Ausnahmsweise darf die Antwort von Bundesrat Maurer auf die Voten der Ständeräte Föhn und Hösli den Lesern dieser Schrift nicht vorenthalten werden; denn sie zeigt, wie es um Helvetiens Wehrwesen wirklich steht. Bundesrat Maurer erklärte: «Das kann man tatsächlich. Nur müssen Sie wissen, dass Sie natürlich einen Prozess in Gang setzen, der Jahre dauert und mehr Finanzen erfordert, wenn sie hier drin irgendwann entscheiden, es seien jetzt 120‘000 oder 140‘000. Daher ist die Frage, die Herr Föhn aufgeworfen hat, wie lange die Bestandeserhöhung denn dauern und was sie kosten würde, nicht unberechtigt. Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, weil wir diese Berechnungen nicht im Detail gemacht ha19 ben. Wir haben Berechnungen für 120‘000 gemacht, aber nicht für 140‘000. So gesehen, wären, denke ich, durchaus auch der Bundesrat und die Armeeführung an den Fragen interessiert, die Herr Föhn aufgeworfen hat. Nur können wir uns das hier nicht durch die Blume sagen.» Die Antwort von Bundesrat Maurer zeigt, dass der Aufwuchs auch im Jahr 2015 keine ernsthaft in Betracht zu ziehende Option ist, was die Sicherheitspolitik von Bundesrat und Parlament zu einer verantwortungslosen «Spekulation» macht. Zusammenfassend muss folgendes festgehalten werden: In der Eintretensdebatte des Ständerates stiess die Vorlage auf keine nennenswerte Opposition. Alle Votanten identifizierten sich mit dem in der Botschaft des Bundesrates genannten Ziel, die Leistungen der Armee «mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen» wieder dauerhaft in Einklang zu bringen (Botschaft, S. 8). Gemäss dem Erläuternden Bericht (S. 34) soll damit die Milizarmee «gestärkt» werden, was nicht zutrifft. Der «Erläuternde Bericht» enthält übrigens keine Informationen über die Reduktion des Korps der Berufsmilitärs infolge der Halbierung des Armeebestandes (s. a.a.O., S. 38). Hingegen soll das militärische Personal «wieder stärker im Bereich der Ausbildung zum Einsatz kommen, während in der Verwaltung die Kontinuität vermehrt durch Zivilangestellte mit militärischem Milizhintergrund angestrebt wird» (a.a.O., S. 38). Diese Aussage befremdet in Anbetracht der «Professionalisierung der Ausbildung», die vor einigen Jahren verkündet worden ist und verhindern sollte, «dass Lehrlinge Lehr20 linge ausbilden». Auch in der weiterentwickelten Schrumpf-Armee werden Berufsmilitärs die mittlere Führungsetage für sich in Anspruch nehmen. Der Milizgedanke, der wichtig für die Existenz der Armee ist, wird nicht gestärkt werden. Die Armeereform ist auch aus diesem Grunde problematisch und abzulehnen. Klarheit besteht hingegen gemäss dem Erläuternden Bericht, dass selbst bei einem Budget von 5 Milliarden Franken pro Jahr grosse Einschnitte unausweichlich sind, vor allem bei der - Einsatzinfrastruktur (Flugplätze), - Kampfinfrastruktur (Sperrstellungen und Festungsartillerie – Bison bzw. Festungsminenwerfer), - Ausbildungsinfrastruktur (Übungs- und Schiessplätze), - Logistikinfrastruktur (Munitions- und Materiallager, kombinierte Anlagen), - Sanitätsinfrastruktur (Militärspitäler), - Ausrüstung und Bewaffnung sowie beim Berufspersonal (a.a.O., S. 34f.). Bei der damit verbundenen Aufgabe der Verteidigungsfähigkeit zu Gunsten der schwammigen (theoretischen) Verteidigungskompetenz handelt es sich um eine Extremlösung, mit der alles auf eine Karte – «Friede in Zentraleuropa» – gesetzt wird, was für den Bundesrat im Jahr 1966 aus prinzipiellen Überlegungen noch keine Option darstellte (vgl. Ernst, Konzeption, S. 438). Der heutige Bundesrat beachtet die Maxime seiner Vorgänger nicht mehr, weil er «die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Angriffs auf die Schweiz … für die absehbare Zukunft» als gering ein- schätzt. Seine Einschätzung erhebt er für den unkritischen Leser der Botschaft zu einer (feststehenden) Tatsache, indem er ausführt (HS): «Die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Angriffs auf die Schweiz ist für die absehbare Zukunft nach wie vor gering» (Botschaft, S. 11). Für die Grösse, Ausrüstung, Bewaffnung und Infrastruktur der Armee sind gemäss dem Bundesrat und den WEABefürwortern im Parlament nicht militärische, sondern finanzielle Überlegungen massgebend. Es wird nicht auf die gefährlichste, sondern auf die (angeblich) wahrscheinlichste Bedrohungslage abgestellt. Diese wird so definiert, dass die Armee Land und Bevölkerung mangels Kriegsgefahr nicht mehr – wie in Art. 58 II BV festgehalten – verteidigen können muss. Art. 58 II BV, der mangels Verteidigungsfähigkeit der Armee etwas Unzutreffendes vortäuscht, soll aber nicht geändert werden. Denn die damit verbundenen Diskussionen im Volk fürchten die Berner Strategen und Strateginnen ausserordentlich. Sie könnten zu einem Gesichtsverlust führen. Täuschend wird auch von «den zur Verfügung stehenden Ressourcen» gesprochen, als ob es sich um eine vorgegebene, fixe und objektive «Grösse» handeln würde. Über die Höhe der finanziellen Ressourcen für die Armee entscheiden einzig und allein die Eidgenössischen Räte aufgrund ihrer Finanzhoheit (Art. 167 BV). Die bestimmende Mehrheit der Eidgenössischen Räte ist verantwortlich dafür, dass die Armee seit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums 1990 finanziell kaputt gespart worden ist, bedenklichste Ausrüstungs- und Bewaffnungslücken aufweist und ihren Auftrag gemäss Art. 58 II BV nicht mehr erfüllen kann. Anstatt der Armee die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, zog es die Mehrheit der Nationalund Ständeräte vor, beispielsweise von Jahr zu Jahr höhere Beträge für wirkungslose Entwicklungshilfe, für ausufernde (ungesunde) Sozialhilfe, für die Förderung von Kulturschaffenden (die sich anscheinend mehr mit unserem Staat identifizieren als die Dienst leistenden Armeeangehörigen) und für die Unterstützung von Berufssportlern auszugeben. Für die Armeeangehörigen ist die Haltung von Bundesrat und Parlament gegenüber der Armee in den letzten 25 Jahren eine schallende Ohrfeige und zeugt von einer selten anzutreffenden Geringschätzung ihres Engagements und von einer bodenlosen Respektlosigkeit. Mit der «Weiterentwicklung der Armee» gemäss den Vorstellungen in der Botschaft des Bundesrates, die auf dem überholten Sicherheitsbericht 2010 und dem ebenso überholten Armeebericht 2010 beruhen, wird diese Politik der Geringschätzung der Armeeangehörigen fortgesetzt. Gemäss dem Protokoll der Ständeratsdebatte (14.069) beherrschten vier Themen die Debatte: 1. der personelle Bestand der Armee, 2. die Kosten der Armee, 3. die Anzahl und Dauer von Dienstleistungen in Schulen und Kursen sowie 4. Einzelne (untergeordnete) organisatorische Punkte. Die fundamentalen Strukturmängel gemäss Botschaft, S. 20) wurden nicht erkannt und angesprochen (dazu unten IX. Verletzung militärischer Organisationsprinzipien als Teilursache der «Luftschloss-Armee»). Die eingenommenen Standpunkte wurden nicht gestützt auf militärische Erfordernisse und Überlegungen vertreten, was darauf zurückzuführen ist, dass alle Votanten nur einen ungenügenden 21 oder gar keinen militärischen Schulsack haben. Bei den Voten einzelner Ständeräte kann sich der aufmerksame Leser des Protokolls nicht des Eindruckes erwehren, dass sie im Zeitpunkt ihres Statements den Kern der geplanten «Weiterentwicklung der Armee» noch nicht erfasst hatten. Denn sie erklärten, sie würden sich zu einer starken Armee bekennen und die weiterentwickelte Armee sei im Sinne von Art. 58 Abs. 2 BV verfassungskonform. Dies bedeutet nichts anderes, als dass diese Votanten davon ausgingen, die weiterentwickelte (halbierte) Armee sei gemäss Verfassungstext in der Lage, Land und Bevölkerung zu verteidigen, wozu nicht einmal die aktuelle Armee in der Lage ist. Diese falsche Vorstellung erklärt auch, weshalb das ungelöste und unlösbare Problem eines Armeeaufwuchses durch «Antizipation» zur Wiedererlangung der Verteidigungsfähigkeit nur am Rande erwähnt und überhaupt nicht diskutiert wurde. Bundesrat Maurer war nicht in der Lage, zu diesem zentralen Punkt aufgrund der Halbierung der angeblich weiterentwickelten Armee eine auch nur ansatzweise überzeugende Antwort zu geben. Seine oben zitierte Stellungnahme verdient das Prädikat «erbärmlich» (s. S. 19f.). Er konnte die gewünschte Antwort nicht einmal für eine Erhöhung der Armeestärke auf 120‘000 Angehörige geben. Dabei ist zu bedenken, dass in der Botschaft betreffend Armee 1995 vom 8. September 1993 im Zusammenhang mit dem Verteidigungsfall noch festgehalten wurde (a.a.O., S. 8): «Für die Erfüllung des Auftrages der Armee ist ein Bestand von 400‘000 Armeeangehörigen … erforderlich und angemessen. Damit können Land und Volk auch im schlimmsten Fall verteidigt werden.» Diskussionen über 22 den «Aufwuchs durch Antizipation» – einer der zentralen Schwachpunkte der Armeereform» – müssen tunlichst vermieden werden. Andernfalls wird das vom Bundesrat mit der Armeeführung errichtete Armee-Reform-Kartenhaus erschüttert und fällt in sich zusammen. Es ist keineswegs respektlos, zu sagen, die Debatte im Ständerat habe sich durch Oberflächlichkeit ausgezeichnet. Oberflächlichkeit ist häufig die Zwillingsschwester der Inkompetenz, von der die Mitglieder der Eidgenössischen Räte aber nichts zu befürchten haben (dazu Schaub, Rudolf P., Fahrlässige Sicherheitspolitik – ohne Haftungsrisiko der Verantwortlichen). Als Schweizerin und Schweizer darf und muss man sich die Frage stellen, ob die Eidgenössischen Räte überhaupt in der Lage seien, die Oberaufsicht über das VBS gemäss Art. 169 BV auszuüben. V. Fähigkeiten der WEA-Schrumpf-Armee Die «WEA-Schrumpf-Armee» ist aufgrund ihrer Grösse, ihrer Gliederung und ihrer Bewaffnung nicht mehr in der Lage, gemäss Art. 58 II BV einen Beitrag zur Kriegsverhinderung und zur Erhaltung des Friedens zu leisten sowie das Land und seine Bevölkerung zu verteidigen. Deshalb wird gemäss Doktrin die ehemalige «Verteidigungsfähigkeit» zu Gunsten einer «theoretischen Verteidigungskompetenz» im Sinne von «savoir faire» aufgegeben (vgl. Curtenaz/Currit/ Lanz/Rieder/Abegglen, Doktrin, S. 53 und 58). Das Verteidigungs-Know-how soll primär durch zwei unvollständig ausgerüstete Mechanisierte Brigaden erhalten werden. Diese «üben das Gefecht der verbundenen Waffen bis Stufe Brigade» (Botschaft, S. 15). In diesem Zusammenhang ist aber zu berücksichtigen, dass der «Kampf Brigade gegen Brigade» nicht geübt werden kann, weil in der «WEA-Schrumpf-Armee» gemäss Botschaft weder genügend Kampfpanzer noch genügend Schützenpanzer vorhanden sind, um die verbliebenen beiden Mechanisierten Brigaden gleichzeitig etatmässig vollständig auszurüsten (dazu oben, S. 8f.). Zudem fehlt eine Feuerunterstützung in den Bataillonen, bis die neuen 12 cm Panzermörser bei der Truppe eingeführt sein werden. Es ist damit zu rechnen, dass künftig erforderliche Beschaffungen für die beiden Mechanisierten Brigaden aus finanziellen Gründen nicht in der erforderlichen Menge oder überhaupt nicht getätigt werden können (vgl. Botschaft, S. 27). Zudem ist auch mit «qualitativen Beschränkungen» zu rechnen, da «wo immer möglich bei Systemerneuerungen nur ein mittleres Technologieniveau ange- strebt wird» (Botschaft, S. 27). Im Sicherheitsbericht 2010 äusserte sich der Bundesrat noch anders (S. 36; HS): «Die Armee muss die zentralen Fähigkeiten zur Führung militärischer Verteidigungsoperationen erhalten und weiterentwickeln, qualitativ hochstehend, aber quantitativ begrenzt.» Eine laufende Reduktion der Anforderungen, welche die Bewaffnung und Ausrüstung der Armee zu erfüllen haben, gehört offensichtlich zu den Legislaturzielen des Bundesrats. Ob es gelingen wird, mit den verbliebenen beiden Brigaden die erforderliche Verteidigungskompetenz zu erhalten, ist aufgrund der dargestellten Fakten mehr als fraglich. In einigen Jahren könnten der Bundesrat und die Eidgenössischen Räte – nebenbei bemerkt – sogar zum Schluss gelangen, auch die «teure» Erhaltung der theoretischen Verteidigungskompetenz erübrige sich, weil die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Angriffs auf die Schweiz für die absehbare Zeit weiterhin gering sei und mit einem Krieg aufgrund der jüngeren Geschichte gar nicht mehr gerechnet werden müsse. Mit der Verteidigungskompetenz könne man sich bei einer solchen Sachlage wieder beschäftigen, wenn durch «Antizipation» erkannt worden sei, dass ein (theoretisches) VerteidigungsKnow-how nötig werden könnte. Bei solchen Annahmen und einer leeren Bundeskasse dürfte es für Bundesrat und Parlamentsmehrheit einmal mehr naheliegend sein, «das Verhältnis zwischen den für die Sicherheit des Landes notwendigen Leistungen der Armee und den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen in ein nachhaltiges Gleichgewicht zu bringen» (vgl. Botschaft, S. 8). Es könnte auf die Verteidigungskompetenz mit dem 23 Argument verzichtet werden, es werde bloss eine «bewährte Praxis» fortgeführt und der Art. 58 Abs. 2 BV bedürfe auch keiner Änderung. Es könnte zudem wie bei der jetzt geplanten «Weiterentwicklung» der Armee beteuert werden, es bestehe «weder die Notwendigkeit noch eine Absicht des Bundesrates, die Armeeaufgaben in Frage zu stellen» (Botschaft, S. 8). In der Armee 61 zeichneten sich die Panzertruppen durch eine hohe Motivation, eine solide Beherrschung ihres anspruchsvollen Handwerks und einen besonderen Stolz aus. Sie bildeten den grossen «Hammer», mit dem die Kommandanten der Feldarmeekorps und der Felddivisionen eine Entscheidung herbeiführen konnten. Die Infanteristen hinterliessen mit ihrer Ausrüstung gegenüber den Panzerbesatzungen auf den ersten Blick einen eher Mitleid erregenden Eindruck. Gemäss den von jüngeren Panzeroffizieren erhaltenen Auskünften soll die oben vorgenommene Charakterisierung der Panzertruppen in der Armee 61 für die heutige Situation nur noch beschränkt zutreffen. Der Verfasser kann sich zu dieser Einschätzung mangels eigener Erfahrungen nicht äussern. Hingegen ist er überzeugt, dass eine weitere Abnahme der früheren Qualitäten der Panzertruppen keineswegs erstaunlich wäre. Denn die blosse Erhaltung einer theoretischen Verteidigungskompetenz mit sog. Fähigkeitslücken wird an der Leistungsbereitschaft der Truppe nagen, dies umso mehr als die Fähigkeitslücken durch die «Classe politique» bewusst in Kauf genommen werden und eingestanden wird, daraus ergäben sich Unsicherheiten für die Ausbildung; denn es sei unklar, über welche Mittel die Armee verfügen bzw. nicht verfü24 gen werde (Armeebericht 2010, S. 23). Ernst argumentierte verantwortungsbewusster, als er schrieb (Konzeption, S. 402): «Es ist eine Illusion, zu glauben, Aktionen, die im Frieden nie eingeübt werden können, würden im Krieg gelingen.» Diese Tatsache veranlasste Ernst auch zur Forderung (a.a.O., S. 423), die Kontinuität im Bereich der Landesverteidigung müsse gewahrt bleiben – Lücken könnten nicht von einem Augenblick auf den anderen geschlossen werden. Ernst warnte zudem (a.a.O., S. 421): «Die Vernachlässigung der Ausbildung lässt sich in einem Milizheer auf lange Zeit hinaus nicht mehr korrigieren.» Schliesslich ist zu bedenken, dass die Erhaltung theoretischer Kenntnisse über den Verteidigungskampf kein absolutes, sondern nur ein eingeschränktes Engagement der Truppe verlangt. Auf besonders unangenehme Aktivitäten, die nun einmal zur militärischen Ausbildung zwecks Kriegstauglichkeit gehören, kann verzichtet werden, weil es bloss um die Erhaltung des «savoir faire» und nicht um das Bestehen der Truppe im brutalen Ernstfall geht. Mit einem solchen ist gemäss Botschaft in der absehbaren Zukunft ja nicht zu rechnen. Die Ausbilder in der Armee dürften in der gegebenen Situation jedenfalls dann auf die Durchsetzung harter, aber nötiger Ausbildungsforderungen verzichten, wenn sie damit negative Medienberichte auslösen und ihre Beförderungschancen gefährden könnten. Sie müssen dabei nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben; denn sie wissen, dass die Verteidigungsfähigkeit für einen echten Verteidigungsfall eine viel härtere Ausbildung erfordern würde. Das angestrebte «savoir faire» ist somit durchaus vorhanden. Die verbliebenen 16 Infanteriebataillone in den Territorialdivisionen (leider konnte der Schreibende nicht verlässlich ausfindig machen, ob es tatsächlich 16 Bataillone sind) «trainieren die Überwachung, die Sicherung und den Schutz von Verkehrsachsen, wichtigen Objekten, Räumen und Grenzabschnitten, aber auch wie Stellungen gehalten und Durchgänge gesperrt werden» (Botschaft, S. 15), sofern sie nicht Assistenzdienst leisten müssen. Dieser wird in normalen Zeiten eher die Ausnahme bilden, so dass die Infanteriebataillone die oben genannten Tätigkeiten üben können. Für den Assistenzdienst im Sinne von «Schaufel und Pickel-Einsätzen» muss und kann die Truppe gemäss den Erfahrungen des Schreibenden nicht ausgebildet werden. Bei solchen Diensten sind die geforderten Detachemente gemäss den bekannt gegebenen Kriterien zur Verfügung zu stellen (Holzer-Wiederholungskurs des Füs Bat 102 nach dem Sturm «Vivian» (1990) mit Kompanien in den Kantonen Glarus, Uri, Schwyz und Obwalden: Bildung von Detachementen mit Forstpersonal und/oder Landwirten zum Fällen von Bäumen oder zum Zersägen umgestürzter Bäume, von Detachementen mit Bauarbeitern zum Entasten von gefällten Bäumen sowie von Detachementen mit Angehörigen anderer Berufsgattungen als Hilfspersonal zur Ausführung der ungefährlichsten Arbeiten). Die unterschiedlichen Detachemente wurden durch die zuständige zivile Behörde fachtechnisch instruiert und während ihrer Arbeit überwacht. Bei der Leistung von Assistenzdienst sollte nur ein (kleiner) Teil des Kaders mit der Truppe abkommandiert werden. Mit dem Rest kann auf Stufe Bataillon (oder Kompanie) intensiver Kaderunterricht be- trieben werden. Damit wirkt sich der Assistenzdienst wenigstens für das Kader bezüglich Stand der Ausbildung positiv aus, sofern Gefechts- und Scharfschiessübungen auf Stufe Gruppe und Zug in den Einsatzbereichen gemäss Botschaft (s. S. 15) möglich sind. Problematisch ist der personelle Bestand der Infanterie in der weiterentwickelten Schrumpf-Armee. Er genügt überhaupt nicht, um Land und Bevölkerung (zusammen mit den zwei vorgesehenen Mechanisierten Brigaden) gemäss Art. 58 II BV zu verteidigen. Die Armee 61 hatte neben den Grenz-, Reduit- und Festungsbrigaden drei Gebirgsdivisionen, sechs Felddivisionen und drei Mechanisierte Divisionen mit einem Sollbestand von 625‘000 Armeeangehörigen. Ernst bemerkte in diesem Zusammenhang (Konzeption, S. 420): «Die Auflösung einer einzigen Division würde im Falle der Rundumabwehr einen erfolgreichen Widerstand im Sinne der ‹Area Defence› ausschliessen. Wir wären also gezwungen, den Bestandesrückgang durch den Übergang zur ‹Mobile Defence› auszugleichen. Das hiesse: Beschaffung von Angriffswaffen und Aufstellung von Verbänden, die einen Bewegungskrieg zu führen vermöchten. Eine solche kleine, aber technisch hochgezüchtete Armee würde ein Vielfaches unserer Milizarmee kosten.» Die Armee 61 haben wir nicht mehr, und eine analoge Armee wird aufgrund der politischen Gegebenheiten kaum wieder aufgebaut werden können. Eine technisch hochgezüchtete Armee zur «Mobile Defence» haben wir aber auch nicht, und sie wird aufgrund der politischen Gegebenheiten wie eine (neue) flächendeckende Milizarmee im Sinne der Armee 61 ein Wunschtraum bleiben. Die ge25 schilderte Situation ist das Resultat davon, dass Bundesrat und Parlament seit dem Ende des Kalten Krieges die Armee sträflich vernachlässigt haben, um exzessive «Friedensdividenden» an das Volk (und einen zunehmend aufgeblähten Beamtenapparat) auszuschütten. Deshalb behaupteten vier Damen und drei Herren – ohne jeden militärischen Sachverstand und mit ungenügenden Geschichtskenntnissen – kühn (Bericht Sicherheitspolitik 2010, S. 12f.): «Eine militärische Bedrohung für die Schweiz, sei sie direkt gegen die Schweiz gerichtet oder Folge bewaffneter Konflikte in oder zwischen anderen Staaten, hat gegenwärtig eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit. Niemand erwartet, dass Staaten im Umfeld der Schweiz sie militärisch angreifen werden.» Nicht einmal fünf Jahre später müssen und dürfen zu dieser Einschätzung der politischen Wetterlage bereits fett gedruckte Fragezeichen gesetzt werden. Es drängt sich heute durchaus die Frage auf, ob ein «Armee-Aufwuchs» in Anbetracht seiner Dauer bereits angebracht sei. Für die grosse Mehrheit der «Classe politique» sind die zitierten Behauptungen des Bundesrates aber nach wie vor eine in Stein gemeisselte Tatsache, welche es erlaubt, mit der Schweizer Armee eine weitere Abmagerungskur durchzuführen, so dass sie nur noch über Muskeln wie die magersüchtigen Models auf den Laufstegen der grossen Pariser Modeschauen verfügt. Gemäss einem «Zusatzbericht zum Armeebericht 2010», datiert 4. April 2011, soll mit den für Bewachungsaufträge vorgesehenen Truppen der «Schrumpf-Armee» von 100‘000 Angehörigen folgendes in «Mischformen» möglich sein, wobei aus dem Bericht nicht hervorgeht, was wirklich möglich ist: 26 Objektschutz Überwachung von 45 mittleren Objekten + 15 sipol Objekten Sicherung von 15 – 22 mittleren Objekten + 5 – 8 sipol Objekten Bewachung von 8 – 15 mittleren Objekten + 3 – 5 sipol Objekten Transversalen Überwachung von 900 km Sicherung von 900 km Bewachung von 100 km Grenzabschnitt Überwachung von 750 km Sicherung von 250 km Bewachung von 85 km Die einzelnen angegebenen Werte sind sehr grosszügig bemessen, insbesondere auch für den Fall, dass ungünstige Bedingungen herrschen. Zudem werden sie massiv kleiner, wenn einzelne Truppenkörper aus dem Dienst entlassen werden müssen. 37‘000 Armeeangehörigen können nicht verpflichtet werden, die «Schweiz» während Monaten oder Jahren zu «bewachen», während sich die restliche Bevölkerung ausserhalb der Armee den ihr zusagenden (einträglichen oder vergnüglichen) Beschäftigungen widmet. Es sei hier an Art. 59 I BV erinnert, wonach jeder Schweizer verpflichtet ist, «Militärdienst zu leisten». Die «WEA-Schrumpf-Armee» lässt sich im Verteidigungsfall mit der zitierten Verfassungsbestimmung nicht vereinbaren und verletzt die «Wehrgerechtigkeit». Mit Bewachungstruppen von maximal 37‘000 Armeeangehörigen dürfte die Schweiz ein Paradies zur Durchführung von wir- kungsvollen Sabotage- und Terroraktionen bilden. Für diese werden unzählige unbewachte bestens geeignete Objekte zum Auswählen bereitstehen: 130 Unterwerke mit den sie verbindenden Hochspannungsleitungen, 70 Tanklager für Benzin, Dieselöl und Heizöl, 4 SBB Verkehrsleitstellen (welche den Zugsverkehr in ihren Regionen regeln, indem sie unzähligen wichtigen Stellwerken die elektrischen Impulse zur Steuerung der Weichen und Signale in den Bahnhöfen und auf den Strecken geben), Wasser- und Gasversorgungsanlagen, öffentliche Gebäude, militärische Einrichtungen, Industrieanlagen mit grossem Immissionspotential im Brandfall (beispielsweise im Raum Basel) und vieles mehr. Bei Sabotage- und Terroraktionen spielt die Überraschung eine entscheidende Rolle. Sie ergibt sich aus der Wahl des Ortes (bzw. des Objektes), des Zeitpunktes und des Vorgehens sowie aus dem Ausmass der Aktion (s. TF 82, Ziff. 145). Bewachungskonzepte können immer ausgetrickst werden, indem eine Aktion dort durchgeführt wird, wo auf Bewachung aus irgendwelchen Gründen verzichtet worden ist oder wo sie ungenügend dotiert worden ist und deshalb nur eine Überwachung stattfindet. Je kleiner die für Bewachungsaufträge zur Verfügung stehenden Truppen sind, desto mehr Bewachung erheischende Objekte bleiben unbewacht oder ungenügend bewacht, und desto besser werden die Chancen von SabotageVerbänden, spektakuläre Aktionen mit grosser psychologischer und / oder materieller Wirkung erfolgreich durchzuführen. Aus den bisherigen Darlegungen ergibt sich, dass die geplante Schrumpf-Armee nicht einmal in der Lage ist, ihre wichtigsten Aufträge gemäss Botschaft zu erfüllen. Sie wird den rechtzeitigen Aufwuchs durch Antizipation zu einer Verteidigungsarmee für den realen Verteidigungsfall aufgrund der politischen Gegebenheiten und der Schwierigkeiten bei der Realisierung von Rüstungsprojekten bei einer sich abzeichnenden Bedrohung nicht schaffen (s. oben, S. 11ff.). Sie wird aufgrund des personellen Bestandes auch nicht in der Lage sein, die gefährdeten Infrastrukturen des Landes und das Volk vor Sabotageaktionen und Terroranschlägen nachhaltig zu schützen. Am Tag, an dem die Armee zur Verteidigung des Landes und der Bevölkerung antreten sollte, wird sie qualitativ und quantitativ ungenügend ausgerüstet und bewaffnet sein. Sie wird auch ungenügend ausgebildet sein und höchstwahrscheinlich nicht gemäss den bestehenden Anforderungen geführt werden. Dies dürfte die Eidgenössischen Räte oder den Bundesrat aber nicht davon abhalten, die Armee aufzubieten und in einem chancenlosen Kampf gegen einen weit überlegenen Gegner untergehen zu lassen. Denn wer eine Armee seit Jahren skrupellos in einen desolaten Zustand gespart hat, empfindet auch keine Skrupel, die kaputt gesparte Armee in einem sie überfordernden Verteidigungskampf zu «verheizen». Davon abzusehen, wäre zum vorneherein das klare Eingeständnis, eine falsche Sicherheitspolitik unter Verletzung des unmissverständlichen Auftrages in Art. 58 II BV betrieben zu haben. Der Bundesrat weist in seiner Botschaft sogar darauf hin, dass er bereit ist, die «WEALuftschloss-Armee» trotz ihrer Unfähigkeit, das Land zu verteidigen, in einen Verteidigungskampf zu befehlen. Er erklärt (S. 8f.): «Trotzdem kann die die ganze Armee in der Verteidigung eingesetzt werden.» Gemäss 27 Botschaft (S. 9) muss die Armee «im Interesse der Handlungsfreiheit beides können: Allein kämpfen und mit anderen Streitkräften zusammen kämpfen». VI. Auswirkungen der Schrumpf-Armee auf die Kampfführung im Verteidigungsfall Erhält die oberste Armeeführung den Auftrag, die Schweiz und ihre Bevölkerung gemäss Art. 58 II BV zu verteidigen, bleibt ihr wegen der viel zu kleinen Armee nichts Anderes übrig, als «Mobile Defence» anstatt «Area Defence» zur Auftragsausführung zu betreiben (vgl. Ernst, Konzeption, S. 420). Die unumgängliche «Mobile Defence» ist eine Folge davon, dass die Armee im Unterschied zur Armee 61 nicht in der Lage ist, den Kampf gegen den Aggressor flächendeckend im ganzen Land oder in wesentlichen Teilen davon, an topographisch vorteilhaften Orten mit (primär) statisch eingesetzten und für ihren Auftrag gut bewaffneten und ausgebildeten Truppen zu führen. Die Schweizer Schrumpf-Armee muss – sinnbildlich ausgedrückt – dem Gegner in einem künftigen Verteidigungsfall «entgegen- oder hinterherfahren». In der Botschaft (S. 11) wird dies angedeutet: «Die Armee muss operative Schwergewichte bilden, was nur dann möglich ist, wenn die Verbände rasch und geschützt verschoben werden können.» Beim Leisten von Assistenzdienst oder bei Einsätzen zu Gunsten von Konferenzen müssen keine operativen Schwergewichte gebildet werden, die rasche und geschützte Verschiebungen von Verbänden erfordern. In solchen Fällen genügen die DUROS, die mit Kosten von CHF 250‘000.00 pro Fahrzeug mit neuen Motoren und Getrieben sowie einigen anderen Verbesserungen ausgestattet werden (Rüstungsprogramm 2015+). Auf das Erfordernis rascher und geschützter Verschiebungen zur Bildung ope- 28 rativer Schwergewichte wird unten ausführlicher eingetreten. Fest steht allemal, dass die verfügbaren Kampftruppen von bestenfalls 57‘000 Armeeangehörigen auch für eine «Mobile Defence» zahlenmässig viel zu schwach und höchstwahrscheinlich nicht einmal vollständºig ausgerüstet sein werden (s. oben, S. 8ff.). Auch im Falle der «Mobile Defence» gilt die mit der Weiterentwicklung der Armee missachtete Warnung von Ernst (Konzeption, S. 351): «Wenn wir auf ein ausgewogenes Verhältnis von Kampfkraft und Raum verzichten, setzen wir den Erfolg unseres Widerstandes aufs Spiel.» Die in der Botschaft vorgesehene «Mobile Defence» scheitert aber nicht nur wegen des ungenügenden personellen Bestandes der Armee bzw. ihrer Kampftruppen. Auch andere grundlegende Voraussetzungen für eine bewegliche Kampfführung sind nicht erfüllt (dazu unten VII.). VII. Fehlende Voraussetzungen für eine mobile Kampfführung im Verteidigungsfall Wer «Mobile Defence» betreiben oder – mit anderen Worten – den Verteidigungskampf beweglich führen will, muss heute und in Zukunft den Luftraum über dem und um das Kampfgebiet einschliesslich Verschiebungswege am Boden wegen der «Luft-Boden-Abstandswaffen» weiträumig beherrschen. Dies steht bereits seit der Endphase des Zweiten Weltkrieges fest, als die Alliierten Italien und Frankreich befreiten. Gemäss dem international anerkannten englischen Kriegshistoriker Liddel Hart «lähmten» in diesen Kämpfen die überlegenen «Tiefflieger» der Alliierten (u. a. Jagdbomber North American P-51 Mustang) die Deutschen Bodentruppen geradezu und fügten diesen mit ihren 12.7 mm Maschinengewehren und Bomben laufend schwere Verluste zu (Geschichte des Zweiten Weltkrieges, S. 679f., 685, 812, 879; s. auch Wikipedia, North American P-51). Bekanntlich wurde sogar Feldmarschall Erwin Rommel auf einer Dienstfahrt in seinem Fahrzeug bei Caen beschossen und schwer verwundet. Die Gefahren aus der Luft sind für die heutigen Bodentruppen – insbesondere bei Verschiebungen mit Fahrzeugen aller Art – noch grösser geworden, weil die Bewaffnung der heutigen Erdkampfflugzeuge und Kampfhelikopter erheblich wirkungsvoller geworden ist (Einsetzbarkeit Tag/Nacht/Nebel, Einsatzdistanz, Treffgenauigkeit, Wirkung im Ziel). Die Schweizer Luftwaffe mit ihrem Restbestand von 32 F/A-18 vermag – trotz ihrer hervorragenden Piloten – die unerlässliche Luftherrschaft für eine «Mobile Defence» nicht 29 nachhaltig zu gewährleisten und müsste (massiv) aufgestockt werden, um dazu in der Lage zu sein. Dieser Auffassung ist sogar der Bundesrat, der in der Botschaft (S. 33) immerhin ausführt, die Lücke in den Fähigkeiten der Luftwaffe bestehe nach dem GripenDebakel weiter und müsse mit der Zeit [sic!] geschlossen werden: 32 Kampfflugzeuge (die F/A-18 Flotte) genügten nicht. Man darf gespannt sein, ob Bundesrat und Parlament überhaupt den Mut haben, diese gravierendste Fähigkeitslücke zu schliessen und wie viel Zeit verstreicht, bis wir neue Kampfflugzeuge gemäss heutigem Standard in Europa am Schweizer Himmel sehen. Mit der aktuellen Luftwaffe ist die «Mobile Defence» eine Illusion. Die Aussage des Bundesrates in der Botschaft (S. 11), die Bildung von operativen Schwergewichten durch die Armee sei nur möglich, wenn die Verbände «geschützt» verschoben würden könnten, ist grundsätzlich richtig. Der Bundesrat scheint sich aber nicht bewusst zu sein, was «geschützt» wirklich bedeutet. Denn anschliessend hält er fest (a.a.O., S. 11): «Heute bieten Transportmittel einen sehr guten Schutz. Sie machen damit zu einem gewissen Grad feste Anlagen unnötig.» Dies mag für einzelne Bedrohungsformen durchaus zutreffen. Aber Ketten- und Radpanzer bieten keinen sehr guten Schutz, wenn sie durch Erdkampfflugzeuge oder Kampfhelikopter mit den dafür bestimmten Waffen beschossen werden. Dies ist heute möglich, ohne dass die Mitglieder der Besatzungen, die aus den Lucken nach Erdkampfflugzeugen oder Kampfhelikoptern Ausschau halten, die Angreifer jemals sehen oder hören. Bei Angriffen aus der Luft sind 30 Kampf- oder Schützenpanzer sowie gepanzerte Artilleriegeschütze genauso verletzlich wie ein Saurer 2 DM, mit dem in der Armee 61 ein Füsilier Zug von 37 Mann zum Stellungsbau an seinen Einsatzort transportiert wurde. Der heutige Infanteriezug von 50 Mann verschiebt normalerweise nicht mehr auf einem Lastwagen, sondern in sechs Radschützenpanzern. Diese sind auch beweglicher und nicht auf Strassen angewiesen, können aber aus der Luft wie ihr Vorgänger 2 DM problemlos beschossen und vernichtet werden. Sehr guter Schutz für sich bewegende Motorfahrzeuge und Panzer aller Art bedeutet deshalb nichts Anderes als Luftherrschaft der eigenen Luftwaffe im gesamten Luftraum, aus dem die Panzer oder Fahrzeuge durch gegnerische Erdkampfflugzeuge oder Kampfhelikopter beschossen werden können. Diese unerlässliche Luftherrschaft hat die Schweizer Schrumpf-Armee für die «absehbare Zukunft» – um ein wichtiges Wortpaar der Botschaft zu verwenden – ohne Beschaffung neuer Kampfflugzeuge nicht. Deshalb ist es vorderhand gerechtfertigt, von einer «WEA-Luftschloss-Armee» zu sprechen. Der fehlende robuste «Luftschirm» ist aber nicht der einzige Grund, welcher diese Qualifikation rechtfertigt. In der Armee 61 hatte die Infanterie der Feldarmeekorps im Mittelland die Aufgabe, einen eingedrungenen Aggressor aus Sperren und Stützpunkten mit ausgebauten Stellungen in Zugs- oder Kompaniestärke, allenfalls verstärkt mit Grenadier-, Minenwerfer- oder Panzerabwehrzügen, zu stoppen und zu vernichten. Solche Sperren und Stützpunkte hätten sich jeweils in «Hinterhängen» im Infanterie- oder Panzer-/Infanteriegelände befunden, wenn immer möglich mehrere hintereinander in der Tiefe des Raumes, um den Gegner fortgesetzt auf Minenfelder auffahren zu lassen und zu vernichten (s. TF 82, Ziff. 297, S. 80, Bild 26). Die Infanterie hätte keinen weiträumigen Bewegungskrieg führen können. Realistisch waren einzig eingeübte bewegliche Einsätze auf kurze Distanzen wie Gegenstösse zu Gunsten von Sperren und Stützpunkten der eigenen Kompanie oder einer Nachbarkompanie, die entweder durch den Gegner erobert oder massiv geschwächt worden waren, so dass mit einer endgültigen Einnahme zu rechnen war. Bei günstigen Verhältnissen wären unter Umständen auch vorbereitete Angriffe mit kurzen Verschiebungen in Deckungen möglich gewesen. Natürlich gab es in der Armee 61 auch Kommandanten bis auf Divisionsstufe, welche diese taktischen Vorgaben nicht genügend verinnerlicht hatten und sich in entscheidenden Momenten nicht mehr daran erinnerten. Ernst kritisierte dies scharf (Konzeption, S. 355): «Oft wurden infanteristische Verbände in Manövern am heiterhellen Tage in Räumen eingesetzt, in denen sie von feindlichen Panzern ohne weiteres zusammengeschossen und überrannt worden wären. Ganze Regimenter fuhren auf Lastwagen verladen umher, als ob es keine gegnerischen mechanisierten Kräfte gäbe.» Ernst hätte der Vollständigkeit halber noch darauf hinweisen können, dass diese Regimenter im Ernstfall auch aufgrund von Fliegerangriffen für die letzte Ruhe auf einem Soldatenfriedhof prädestiniert gewesen wären. Er liess es aber nicht bei blosser Kritik bewenden, sondern verabschiedete den betreffenden Divisionskommandanten Ende Jahr vorzeitig. Wenn es nur noch um die blosse Erhaltung einer theoretischen Verteidigungskompetenz im Sinne von «savoir faire» geht, dürfte die angeordnete Entsorgung des Divisionärs mit gravierenden taktischen Bildungslücken als unverhältnismässig betrachtet werden. Die einzigen Kampftruppen, die in der Armee 61 bei entsprechendem Raumschutz der Fliegertruppen mit den Tigern F-5 «herumfahren» durften und mussten, waren die Panzertruppen, welche Gegenschläge auszuführen hatten, und die mechanisierte Artillerie, welche ihre Stellungsräume wechseln musste. Auch diese Einsätze wurden eingeübt und mit den davon tangierten Infanteristen abgesprochen. Die vorgesehene mehrheitlich statische und vorbereitete Kampfweise von (kompakten) Füs bzw. S Kompanien und Bataillonen und die vorbereiteten Panzergegenschläge ermöglichten es, vom störanfälligen Funk zurückhaltend Gebrauch zu machen und die Kommunikation bis zum Feindkontakt bzw. bis zum unmittelbaren Angriffsbeginn mit entsprechenden Telefonverbindungen sicherzustellen. Es galt jeweils der Funkbereitschaftsgrad «Funkstille». Die angenehmen Funkgeräte durften nicht benutzt werden, weil man befürchtete, durch das Funken eigene Dispositionen, Absichten oder eingeleitete Aktionen zu verraten. In Manövern wurde die Einhaltung der Funkbereitschaftsgrade überwacht. Bei festgestellten Verstössen wurden die Fehlbaren bestraft. Ebenso wurde der Funk durch Störung regelmässig unbrauchbar gemacht, um die Führung in entscheidenden Momenten zu erschweren oder zu verunmöglichen. Dies wäre ein erstrangiges Ziel der elektronischen Kriegführung eines allfälligen Aggressors gewesen. 31 Eine «Mobile Defence» mit Bildung von Schwergewichten auf Armeestufe durch rasche Verschiebungen von Truppenkörpern (Botschaft, S. 11) funktioniert mit dem «Funkregime» der «Funkstille» gemäss Armee 61 in einem künftigen Verteidigungsfall nicht. Die mechanisierten Bataillone und die mobilen Infanteriebataillone lassen sich während raschen Verschiebungen nur mit Funk bzw. (jederzeitiger) «Funkbereitschaft» führen. Selbstverständlich können dabei auch zur Verfügung stehende Kabel- und Richtstrahlverbindungen genutzt werden. Es bleibt aber stets eine Schlussstrecke, die mit einer Funkverbindung überbrückt werden muss. Bei der im Falle der «Mobile Defence» unerlässlichen Führung durch Funk ist nicht zu befürchten, dass der Gegner den Inhalt der Funksprüche erfährt bzw. rechtzeitig entschlüsseln kann. Die Verschlüsselungstechnik in der Schweizer Armee befindet sich auf einem Stand, der die Entschlüsselung von Funksprüchen auf taktischer Stufe nicht in einer Zeitspanne zulässt, dass die gewonnenen Informationen auf dem Gefechtsfeld rechtzeitig zur Verfügung stehen. Hingegen bestehen zwei andere Gefahren: Ein allfälliger Gegner würde den Funk zwischen den Sende- und Empfangsstationen durch Störung («Jamming») unbrauchbar machen oder aufgrund des Funkverkehrs die Sendeund Empfangsstationen orten und dann mit Artilleriefeuer oder Angriffen aus der Luft ausschalten. Beides ist möglich, wenn die Schweizer Luftwaffe den Luftraum nicht beherrscht. In diesem Falle können die gegnerischen «EKF-Flugzeuge» den Funkverkehr wirkungsvoll stören oder die Funkstationen orten und die zur Vernichtung nötigen Informationen über Bodenstationen oder di32 rekt an angriffsbereite Erdkampfflugzeuge weiterleiten. Zusammenfassend ist festzuhalten: Entweder funktioniert der für die «Mobile Defence» unerlässlich Führungsfunk wegen Störung durch die gegnerischen EKFFlugzeuge nicht oder er funktioniert nicht mehr, weil die georteten Sende- und Empfangsstationen durch Erdkampfflugzeuge zusammengeschossen worden sind. Den geschilderten Gefahren scheinen sich auch Amstutz/Schmon bewusst zu sein. Denn sie schreiben (Flab/BODLUV, S. 23; HS): «Die vernetzte Operationsführung erhöht Effizienz, Effektivität und Handlungsfreiheit. Was aber, wenn die anspruchsvollen Anforderungen an die Datenkommunikation zeitweilig unterbrochen werden, aus technischen Gründen partiell ausfallen oder gar als Folge von Cyberbedrohung nicht zuverlässig funktionieren?» VIII. FIS-Heer als untaugliches Hilfsmittel zur Führung von mobilen Truppeneinsätzen Am 24. Juni 2015 verkündete Korpskommandant Blattmann im bereits erwähnten Gastkommentar mit dem Titel «Weiterentwicklung der Armee ist dringend» in der «bz Basel Überregional» zudem folgendes (s. oben, S. 6; HS): «In verschiedenen Medien wird leider immer wieder kolportiert, dass FIS nicht funktioniere. Das ist definitiv falsch. FIS Heer funktioniert. Die im vergangenen Jahr durchgeführte Sicherheitsverbundübung 2014 (SVU 14) hat das einmal mehr bestätigt. Der Schlussbericht SVU 14 hält unmissverständlich fest, dass Führungsund Einsatzfähigkeit der Armee jederzeit und umfassend gegeben war. Es wäre schön, wenn das gelegentlich breit zur Kenntnis genommen würde.» Noch viel schöner wäre es, wenn Herr Korpskommandant Blattmann als Gastkommentator von «bz Basel Überregional» keine falschen Aussagen machen würde. Bei der SVU 14 handelte es sich um eine Stabsübung, die sich mit dem «Szenario Stromausfall und langandauernde Strommangellage überlagert von einer Grippepandemie» auseinandersetzte (Toni Frisch, Projekt und Übungsleiter, Schlussbericht SVU 14, S. 6). Die Armee führte eine sog. Stabsrahmenübung durch, was bedeutet, dass keine Mechanisierte Brigade an der Übung teilnahm (Schlussbericht SVU 14, S. 46). «Assistenzdienst» war das Thema der Stabsrahmenübung, nicht die Verteidigung des Landes mit mobilen Einsätzen von Truppenkörpern der Armee. Deshalb spielten die beim FIS Heer nicht funktionierenden Funkverbindungen zur Datenübermittlung keine Rolle. Logischerweise wurden auch keine gegnerischen EKF-Einsätze simuliert, welche die ohnehin nicht funktionierenden Funkverbindungen beim FIS Heer gestört oder unterbrochen hätten. Die Stabsrahmenübung SVU 14 war von vorneherein nicht geeignet, die (umfassende) Funktionstauglichkeit von FIS Heer gemäss den Vorstellungen beim Beschaffungsentscheid zu bestätigen. Im gleichen Gastkommentar erklärte Korpskommandant Blattmann sinngemäss, das FIS Heer sei unverzichtbar mit folgender Begründung: «Die Alternative dazu wäre die Rückkehr zu Filzstiften, Packpapier und Plastikfolie. Erfolgreich wären wir damit nicht mehr.» Interessant im Zusammenhang mit den zitierten Aussagen von Korpskommandant Blattmann ist die Antwort von Bundesrat Maurer in einem allerdings älteren Interview im Tages-Anzeiger (7. Oktober 2010, S. 3) auf die Frage, wie es beim Führungsinformationssystem (FIS) Heer aussähe, für das bereits 900 Millionen Franken ausgegeben worden seien und das kaum funktioniere: «Aus heutiger Sicht würde ich das FIS Heer nicht mehr beschaffen. Die Armee weiss immer noch nicht genau, wie sie es einsetzen soll.» Vielleicht weiss sie es jetzt, falls sie endlich zur Kenntnis genommen hat, dass es im mobilen Truppeneinsatz nicht bestimmungsgemäss verwendet werden kann. Jedenfalls lohnt es sich aber, das Projekt FIS Heer unter die Lupe zu nehmen. Es handelt sich um das schlimmste Beschaffungsdesaster der Armee, das die sog. Mirage-Affäre bei weitem in den Schatten stellt. Bei dieser wurde der bewilligte Rüstungskredit für die Beschaffung von 33 100 Mirage-Kampfflugzeugen erheblich überschritten, was zu einer Reduktion der Mirage-Flotte auf 57 Maschinen zur Folge hatte. Aber immerhin hatte die Luftwaffe mit dem Mirage IIIS ein hervorragendes Jagdflugzeug und mit dem Mirage IIIRS ein hervorragendes Aufklärungsflugzeug erhalten. Beide waren dem durch die Bundesrepublik Deutschland gleichzeitig gekauften Starfigther überlegen und konnten mit normalem Absturzrisiko geflogen werden. Trotzdem wurde der damalige Luftwaffenchef Etienne Primault entlassen. Generalstabschef Jakob Annasohn und Bundesrat Paul Chaudet mussten zurücktreten. Mit dem FIS Heer verfügt die Armee hingegen vorläufig über nichts Brauchbares für ihren mobilen Einsatz, das den ursprünglichen Vorstellungen und den vertraglichen Spezifikationen entspricht. Für das WEF, allfällige OSZE-Konferenzen und Assistenzdienstleistungen ist das FIS Heer ein verschwenderischer Luxus (gl.M. Müller, Führungsinformationssystem Heer – FIS, datiert 15. Mai 2007, S. 2), der aufgrund der Ausrüstungslücken und den ungenügenden finanziellen Mitteln der Armee nicht zu rechtfertigen ist. Interessanterweise wird im Reglement 53.005.01 d «Einsatz der Infanterie», Teil 1: Führung und Einsatz des Bataillons, betreffend «Unterstützungs- und Sicherungseinsätze» erklärt (Ziff. 343): «Da zur militärischen Leistungserbringung keine taktische Verbandsleistung benötigt wird, sind Kommandanten, Zug- und Gruppenführer in Unterstützungs- und Sicherungseinsätzen primär in den Bereichen Disziplin, Ordnung und Organisation gefordert» (vgl. oben, S. 25). Dafür ist das FIS Heer, welches 34 bereits Hunderte von Millionen Franken gekostet hat, nicht erforderlich. Die Abwicklung des Projektes «FIS Heer» ist selbst für jeden eingefleischten Armeebefürworter als Steuerzahler eine Zumutung, was mit den folgenden Ausführungen erhärtet wird. In der Botschaft zum Rüstungsprogramm 2006 (BBl 2006, 5347) wurden die «mobilen Führungs- bzw. Führungsinformationssysteme» bzw. das FIS Heer als «Kernstück der Investitionen bis 2011» bezeichnet. Gemäss Botschaft waren die Hauptaufgaben von FIS Heer die «Unterstützung und Sicherstellung des Führungsprozesse in der Einsatzplanung und Einsatzführung von Territorialregionen, Einsatzverbänden, Bataillonen und/oder Kampfgruppen und besonderen Einsatzdetachementen bei Operationen zur Raumsicherung und Abwehr eines militärischen Angriffs sowie bei subsidiären Einsätzen». Für die erste Tranche gemäss Rüstungsprogramm 2006 wurde ein Kredit von 424 Millionen Franken beantragt. Ausgerüstet werden sollten Teile des Heeresstabes, des Stabes einer Territorialregion, ein Einzelstab auf Brigade-Stufe, zwei Führungsunterstützungsbataillone, je ein Infanterie-, Panzer- und Aufklärungsbataillon sowie Elemente der militärischen Sicherheit. Damit sollte ein erster Führungsverbund aufgebaut werden mit der Fähigkeit zur vernetzten Operationsführung in allen Lagen, zur Sicherstellung der subsidiären Einsätze und zur Schulung der Abwehr eines militärischen Angriffs. Mit dem ersten Ausbauschritt sollten auch die Umrüstung von Fahrzeugen beginnen, welche der Truppe als mobile Arbeitsplätze für Stäbe auf Stufe Brigade und Bataillon, als Kommando-, Aufklärungs-, Sa- nitäts- und Verbindungsfahrzeuge dienten (zum Ganzen FIS HE-Bericht, S. 5). Das Parlament stimmte der beantragten Beschaffung zu. In der Botschaft zum Rüstungsprogramm 2007 vom 28. Februar 2007 (BBl 2007, 1829) wurde ein zweiter Ausbauschritt des FIS Heer mit einem Kredit von 278 Millionen Franken beantragt und ein dritter Ausbauschritt angekündigt. Der zweite Ausbauschritt wurde durch das Parlament gutgeheissen. Zum angekündigten dritten Beschaffungsantrag kam es wegen der eingetretenen Schwierigkeiten nicht mehr. Hingegen wurden umfangreiche Prüfarbeiten in Auftrag gegeben (zum Ganzen FIS HE-Bericht, S. 6). Bundesrat Maurer liess in seinem Tages-Anzeiger Interview die Behauptung des Journalisten, für das FIS Heer seien bereits 900 Millionen Franken ausgegeben worden, ohne Widerspruch im Raum stehen (s. oben, S. 33). Somit dürfte der erwähnte Betrag jedenfalls nicht zu hoch sein. Ursprünglich waren für das FIS Heer Gesamtkosten von 1.5 – 1.8 Milliarden Franken veranschlagt worden. Personen, welche den FIS Heer-Sumpf überblicken, beziffern die bisher aufgelaufenen Kosten auf 1.3 Milliarden Franken. Der gravierendste Mangel des Führungssystems besteht darin, dass der erforderliche Datenverkehr bei mobilen Einsätzen der Truppe nicht funktioniert. Gemäss dem Inspektorat VBS (FIS HE-Schlussbericht, S. 9) wurde schon bereits in einer ersten Berichterstattung darauf hingewiesen, dass sich die Schwierigkeiten mit der Datenübertragung erst durch die Beschaffung einer neuen Generation von Funkgeräten beheben liessen. Das Inspektorat VBS bemängelt allerdings, dass der viel wichtigere Aspekt, wie das Problem der Datenübertragung konkret gelöst werden könnte, nicht dargestellt wurde. Gemäss FIS HE-Schlussbericht (S. 16 und 20) waren vor dem Beschaffungsentscheid folgende wichtige Tests nicht durchgeführt worden: Datenreplikation, Funk mit SE 240, mobiler Betrieb, Hard- und Software-Funktionalitäten und Betriebssicherheit, was bei der Beschaffung eines EDV-Systems sträfliche Unterlassungen sind. Man kaufte die Katze somit im Sack. Schliesslich enthält der Bericht des VBS Inspektorats folgende vernichtende Gesamtbeurteilung des FIS HeerBeschaffungsprozesses (S. 22): «Das Inspektorat VBS stellt fest, dass die Beschaffungsreife für das FIS HE ohne die Voraussetzungen, wie sie im Management System, der Armasuisse vorgeschrieben und im Art. 19 der Verordnung über die Beschaffung von Armeematerial spezifiziert sind, genehmigt wurde. Die verantwortlichen Unterzeichner des Dokuments wurden dazu nicht befragt, sie sind bereits aus dem VBS ausgeschieden bzw. pensioniert» (vgl. in diesem Zusammenhang Schaub, Fahrlässige Sicherheitspolitik – ohne Haftungsrisiko der Verantwortlichen, S. 8ff.). Den Sicherheitspolitischen Kommissionen wurde in der Zusammenfassung des FIS HEBerichts folgendes mitgeteilt (S. 3): «Die Beschaffung von FIS HE erfolgte alles andere als optimal. Zwar wurde eine gut funktionierende und für die Bedürfnisse der Armee nützliche Soft- und Hardware gekauft, doch blieb bei der Planung und Beschaffung des Systems der Aspekt der Telekommunikation zur Schaffung eines Netzes aus den Einzelstationen vernachlässigt. Entgegen der bei 35 der Beschaffung geäusserten Absicht können die Systeme bis heute nicht zu einem Netz verbunden werden, ausser sie seien an einem festen Standort an einem fixen Kommunikationsnetz angeschlossen. Der Nutzen von FIS HE im mobilen Einsatz ist so kaum gegeben.» Diese Situation hat sich bis dato nicht geändert. Denn die nötigen neuen BreitbandFunkgeräte sind gemäss den seit 2012 publizierten Rüstungsprogrammen noch nicht beschafft worden. Es liegt auch keine Botschaft mit einem entsprechenden Beschaffungsantrag vor. Der FIS HE-Bericht an die Eidgenössischen Räte verdient die Qualifikation «geschönt», denn die gekaufte – angeblich gut funktionierende und nützliche – Software musste wegen schwerwiegender Programmierungsfehler – vollständig neu konzipiert – neu geschrieben werden. Mithin kann keine Rede sein von einer gut funktionierenden und nützlichen Software. Diese Neu-Programmierung geschah auf Kosten des VBS, ohne dass das VBS Eigentümerin des SourceCodes der neuen Software geworden ist, was zurückhaltend kommentiert, unverständlich ist. Selbst wenn es gelingen sollte, die funktechnischen Probleme von FIS Heer beim mobilen Einsatz der Armee mit der Beschaffung neuer Funkgeräte zu lösen, zeugt die Aussage von Korpskommandant Blattmann, das FIS Heer funktioniere definitiv, von einem ungerechtfertigten Optimismus. Denn es ist nach wie vor zu bezweifeln, dass das FIS Heer im Ernstfall unter feindlicher Einwirkung tatsächlich funktionieren wird. FIS Heer generiert im mobilen Truppeneinsatz einen pausenlosen, höchst intensiven Funkverkehr, der die bereits oben unter Ziff. VII. 36 (s. S. 31f.) erwähnten Gefahren mit sich bringen wird. Entweder stört oder unterbricht der Gegner den Funkverkehr mit seinen überlegenen EKF-Mitteln. Der ständige Funkverkehr zur Abstimmung der Breitbandfunkgeräte ermöglicht es ihm aber auch, die Funkstationen zu peilen bzw. zu orten, womit er in der Lage ist, diese und weitere Führungsinstallationen in ihrem Umfeld mit Angriffen aus der Luft zu vernichten. Es ist eigenartig, dass die Armeeführung in einer Zeit, in welcher Cyber-War und elektronische Kriegführung (EKF) als wichtigste Bedrohungen beurteilt werden, die Führung der Armee im Verteidigungskampf «in extremis» von elektronischen Hilfsmitteln und Funkverbindungen abhängig macht und somit «in extremis» dem gegnerischen CyberWar bzw. der Elektronischen Kriegführung (EKF) aussetzt. Das logische Denken scheint sich wie ein fauler Rekrut im Gebüsch «verschlauft» zu haben – etwas salopp formuliert. Elektronische Führungssysteme entsprechend dem FIS Heer mögen in Afghanistan gute Dienste leisten, weil der Taliban weder elektronische Kriegführung betreibt noch über eine Luftwaffe verfügt. Der Schreibend hat grösste Zweifel, dass die eindrücklichen «Wagen- und Containerburgen», die für den Betrieb des FIS Heer jeweils aufgebaut werden, in einem Verteidigungskampf der Schweiz lange Bestand haben werden. Die Liquidation der Festungsminenwerfer wegen ihres verringerten Kampfwerts infolge moderner Präzisions- und Abstandswaffen (Armeebericht, S. 31) ist lächerlich in Anbetracht der «Wagen- und Containerburgen», die heutzutage bei Demonstrationen des FIS Heer zur Schau gestellt und offensichtlich als nicht problematisch betrachtet werden. Sie laden Erdkampfflugzeuge zu Angriffen geradezu ein, während die unauffälligen Deckel der Festungsminenwerfer (Fläche ca. 1 m2) – in unübersichtlichem Gelände gut versteckt – von den Piloten nicht ausgemacht werden können. Im Unterschied zu den «Wagen- und Containerburgen» lassen sich die Deckel der Festungsminenwerfer auch bestens tarnen und gegen einen allfälligen Beschuss wirkungsvoll schützen. Dieses Know-how scheint zusammen mit der Armee 61 liquidiert worden zu sein. Mit dem FIS Heer soll die zu kleine Armee effizienter und schlagkräftiger gemacht werden. Der Schreibende hält nichts von der konkreten Umsetzung dieser Idee. Die Nachteile einer zu schwachen Armee können nicht mit «Mikro-Management» oder «militärischer Planwirtschaft» aus fernen Kommando-Bunkern wettgemacht werden. Die Informationen über die Gefechtslage, die in die Führungsbunker gelangen, werden nicht nur unvollständig, sondern teilweise auch falsch oder ungenau sein. Sie lassen keine sachgerechten Lagebeurteilungen, Entschlüsse und Befehle weit ab vom Gefechtsfeld zu. Die Aussage von Korpskommandant Blattmann, das FIS Heer sei unser «Newsroom», die Alternative dazu wäre die Rückkehr zu Filzstiften, Packpapier und Plastikfolie, erfolgreich wären wir damit nicht mehr, ist Quatsch. Der Armeechef scheint bei den Flabtruppen nicht gelernt zu haben, dass schon bei Truppenübungen unter widrigen Verhältnissen in Friedenszeiten nur das Einfache und Robuste zuverlässig funktioniert. Diese Erfahrung machte jedenfalls der Schreibende, der sich als Zugführer und Kompaniekommandant der Infanterie bei Befehlsausgaben meistens in eher dunklen Kellern ohne ausreichende Beleuchtung und ohne Stromstecker aufhielt, seine Absichten mit ein paar Filzstift-Strichen auf Packpapier aufzeichnen und seine Befehle mündlich erteilen musste. Das entsprach der früheren «Doktrin»; denn gemäss TF 82, Ziff. 113, waren die Befehle – wenn immer möglich – mündlich zu erteilen. Bei wichtigen Befehlen war eine schriftliche Bestätigung allerdings geboten. Heute soll im Kompaniekommandoposten mit Power Point etc. gearbeitet werden (dazu aufschlussreich Reglement 53.005.02 Einsatz der Infanterie, Teil 2: Führung und Einsatz der Kompanie, Ziff. 1071 – 1092). In den erwähnten Wagen- und Containerburgen ist dies vielleicht eine gewisse Zeit möglich, spätestens nach dem ersten Flugzeug- oder Kampfhelikopter-Angriff wird wieder mit Filzstift und Packpapier im Keller gearbeitet werden müssen, falls noch geeignete Offiziere mit den genannten Utensilien arbeitsfähig sind. Gemäss dem Reglement «Führung und Einsatz der Kompanie» gelten auch sehr hohe Anforderungen für die Räumlichkeiten eines Kommandopostens. Es soll beispielsweise einen «Vor- und Nachbearbeitungsraum» eingerichtet werden zur Durchführung von «Gesamtbefehlsausgaben vor versammelter Mannschaft». Dieser Vor- und Nachbearbeitungsraum hat «eine Amphitheaterbestuhlung» aufzuweisen, welche «die Sicht auf das Geländemodell für Zuschauer resp. Mannschaft gewährleisten» muss (a.a.O., Ziff. 1077/1078). Als der Schreibende diese Bestimmungen das erste Mal gelesen hatte, war er sprachlos. Mittlerweile ist 37 er in Reglementen der US Army auf Bestimmungen gestossen, welche solche LuxusKommandoposten für die grossen Truppenlager in Afghanistan definieren. Die Aussenposten sollen aber im Unterschied zu den «luxuriösen» Truppenlagern äusserst spartanisch sein. Vor- und Nachbearbeitungsräume, in denen Kompanie-Kommandanten der Schweizer Infanterie ihre Befehlsausgaben mit Power-Point-Präsentationen an ihre Offiziere, Unteroffiziere in bequemer Amphitheater-Bestuhlung mit Sicht auf ein Geländemodell durchführen können, werden im realen Verteidigungskampf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Fata Morgana bilden. In einer Armee, die finanziell auf dem «Zahnfleisch» marschiert, sind die im Reglement betreffend Führung der Infanteriekompanie geäusserten Vorstellungen über die Ausgestaltung der Kommandoposten realitätsfremd, ja geradezu grotesk. Zur These der Schweizer Luftschlossarmee sei schliesslich an ein auf der Frontseite der ASMZ 05/2015 publiziertes, vielsagendes Bild mit dem Titel «Der moderne Soldat» erinnert. Bei den beiden abgebildeten Infanteristen mit einem Busch im Hintergrund dürfte es sich um zwei FIS Heer-Soldaten handeln. Jeder hat ein robustes feldgraues Notebook vor sich und trägt eine Funksprechgarnitur. Beide FIS Heer-Soldaten blicken in die Ferne. Der eine scheint gleichzeitig irgendeine Nachricht mit dem ZehnFinger-System in sein Notebook zu tippen. Der andere hält sein Funkgerät. Offensichtlich herrscht gutes Wetter mit Sonnenschein, denn das Bild zeigt helle Stellen im Sonnenlicht und dunkle Stellen im Schatten. Das gefällige Bild liess beim Verfasser sein letztes 38 Kompaniegefechtsschiessen mit der Schützen Kompanie III/4 auf dem Glaubenberg im Gedächtnis aufleben. Es fand im Spätherbst bei wechselhaftem Wetter statt. Die Temperatur war bei Tagesanbruch bzw. Angriffsauslösung um Null Grad. Schneefall und Regen lösten sich ab. Der Verfasser persönlich und der bei ihm liegende Minenwerfer-Beobachter wie alle anderen Übungsteilnehmer in der Nähe froren nach dem beschwerlichen Anmarsch mit vollständiger Ausrüstung und Munition durch unwegsames Gelände und hatten in den gefassten Fausthandschuhen der Armee klamme Finger. Gelegentlich klapperten Zähne. Der Minenwerfer-Beobachter hatte grösste Mühe, mit dem Kompass benötigte Azimute zu bestimmen, nötige Aufzeichnungen zu vorzunehmen und sein Funkgerät zu bedienen. Aufgrund seiner Bilder im Gedächtnis fragt sich der Verfasser, wie die fotografierten FIS Heer-Soldaten – im Regen oder Schneetreiben, durchnässt, frierend oder sogar schlotternd und mit steifen Fingern – ihre Aufgabe erfüllen können. Vielleicht ist dies möglich, da die Armee in der Lage ist, die FIS Heer-Soldaten nicht nur mit einem absolut wetterfestes Notebook, sondern auch mit speziell isolierten und elektrisch beheizten Fingerhandschuhen aus geschmeidigem Kalbsleder auszurüsten. Sonst besteht ein sehr hohes Risiko, dass die abgebildeten «modernen Soldaten» ihre wichtigen Funktionen ausserhalb der geheizten FIS Heer-Fahrzeuge und -Container bei unwirtlichem Wetter von Ende Oktober bis Ende April nicht ausüben können. Auch hier scheint die Vorstellungen, was auf dem realen Gefechtsfeld zuverlässig funktioniert und was nicht, abhandengekommen zu sein. Man lebt in einer Traumwelt dahin, ohne die immer wieder nötige Frage zu stellen: Funktioniert das in allen möglichen Situationen zuverlässig? Ist das kriegstauglich? Ernst warnte mit guten Gründen (Konzeption, S. 399): «Nicht alles Neue ist vernünftig. … Wir sollten uns hüten, auf militärischem Gebiete der Mode folgend blosser Neuerungssucht nachzugeben.» Auch Heinz Häsler äussert sich zu diesem Apekt unmissverständlich (Der Stellenwert der Miliz / Grundsätzliche Überlegungen eines ehemaligen Generalstabschefs, S. 108): «Das Kopieren und kritiklose Verwenden von Aufbau und Vorschriften ausländischer Berufsstreitkräfte kann nicht die Lösung sein. Was z.B. bei den US-Streitkräften als völlig selbstverständlich gilt, ist in vielen Fällen kaum für die Einführung bei unserer Armee geeignet.» Die Professionalisierung der Schweizer Armee, die vor einigen Jahren als nötig und vorteilhaft propagiert wurde, hat bis dato wenig Überzeugendes hervorgebracht und muss stets mit kritischem Auge verfolgt werden. IX. Verletzung militärischer Organisationsprinzipien als Teilursache der «Luftschloss-Armee» In einer Vereinbarung vom 1. Juni 2005 zwischen dem damaligen Kommandanten der Luftwaffe, Oberstkorpskommandant Hansruedi Fehrlin, und dem Chef der Logistikbasis der Armee, Divisionär Werner Bläuenstein, wurde neu eine Aufgabenteilung zwischen der Luftwaffe und der Logistik Basis der Armee festgelegt (s. Schlussbericht Militärflugplätze, S. 11). Gemäss Vertrag übernahm die Logistikbasis der Armee von der Luftwaffe in einer ersten Phase per 1. Januar 2006 die Verantwortung für den Betrieb der Infrastruktur, für die Materialwirtschaft sowie für die Bereitstellung und den Betrieb der Spezialfahrzeuge der Luftwaffe. Im Betrieb der Infrastruktur waren Räumung und Reinigung der Pistensysteme eingeschlossen (Schlussbericht Militärflugplätze, S. 11). In einer zweiten Phase, d.h. per 1. Januar 2008, sollte die Logistikbasis der Armee zudem auch Instandhaltungstätigkeiten A bei den Luftwaffensystemen (Flugzeuge, Radar, Kabelfangnetze etc.) übernehmen. Dies wurde mit einer Änderungsvereinbarung zwischen dem (neuen) Kommandanten der Luftwaffe, Korpskommandant Walter Knutti, und dem Chef der Logistikbasis der Armee per 1. Juni 2007 widerrufen (a.a.O., S. 11). Der Schreibende war aufgrund seiner Berufserfahrung bass erstaunt, als er von diesen Vereinbarungen erfuhr. Einen solchen Vertrag hatte er vorher unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht für möglich gehalten. Hier sind aber keine rechtlichen, sondern nur militärische Aspekte zu erörtern. Auch sie führen bei jeder Person mit militärischem Sachverstand 39 zu Kopfschütteln. Die Vereinbarung vom 1. Juni 2005 verstösst gegen das fundamentale militärische Prinzip «ein Raum, ein Auftrag, ein (verantwortlicher) Chef». Dieses Prinzip sollte bei der komplexen Luftwaffe, die als «Totalunternehmerin» – ohne auf Dritte angewiesen zu sein – rasch und wirkungsvoll handeln können muss, besondere Beachtung finden. Offensichtlich ist diese Auffassung in der Zeit zwischen dem Ende des Kalten Krieges 1990 und Juni 2005 aus den Köpfen der Verantwortlichen entwichen. Wie es zu erwarten war, kam es beim Vollzug der Vereinbarung zu völlig unbefriedigenden, ja untragbaren Verhältnissen, weshalb das Inspektorat VBS mit der Vornahme von Abklärungen und der Erstattung eines schriftlichen Berichtes Anfang 2011 beauftragt wurde. In seinem Bericht schilderte das Inspektorat VBS die Zustände wie folgt (Schlussbericht Militärfluplätze, S. 13 und 14; zitierter Text in fetter Kursivschrift): • Die für den Einsatz bedeutenden Ressourcen sind nicht mehr alle in der Hand des Flpl Kdt. Er kann somit keine einsatzrelevante Priorisierung vornehmen. Damit ist die Führung unter erschwerten Bedingungen nicht möglich. … Bei Engpässen bestimmt die LBA die Prioritäten bezüglich des Einsatzes ihres Personals auf dem Flpl, ohne mit dem Flpl Kdo Rücksprache zu nehmen. • Die Befehlsgebung bei einem Einsatz an die Teilbereiche der LBA ist langwierig und zeitraubend. Dies ist beispielsweise für den Flugdienstleiter problematisch, wenn er eine Pistenräumung/Pistenreinigung anordnen muss, die Mitarbeitenden aber nicht dem Flpl Kdo unterstellt sind. Eine 40 weitere Schnittstellenproblematik ist der mangelnde Informationsfluss. Dies hatte … zu Einsatzausfällen für die LW geführt, da … verpasst wurde, die Schneeräumung durchzuführen. • Bei ausserordentlichen Aktivitäten werden Arbeiten nicht ausgeführt, weil Mitarbeitende der Meinung sind, dass sie nicht in ihr Aufgabengebiet gehören. Oder es führt zu Ineffizienz, weil Arbeiten oft doppelt in Angriff genommen werden. • Die Mitarbeitenden der LBA sind zwar dem Flpl Kdo leistungsmässig zugewiesen, aber die Entscheide über Personaleinsätze, Prioritäten, Ersatzanstellungen, Personalabbau und -umbau werden an anderer Stelle bei der LBA getroffen. • Dem Flpl Kdo fehlt ein direkter Ansprechpartner mit Befehlsgewalt und Weisungsbefugnissen für die direkte Führung der LBA-Mitarbeitenden auf Platz. Damit können flugsicherheitsrelevante Störungen nicht mit der nötigen Priorität für die LW behoben werden (bspw. bei Radar, Barrieren und Flugplatzanlagen). Bei einem Ausfall dieser Systeme kann nicht mehr geflogen werden, da sie Safety-relevant sind. Zusammenfassend hielt das Inspektorat VBS in seinem Bericht fest (S. 15): Das Inspektorat VBS ist der Meinung, dass dem Kdt Flpl entscheidende Elemente zur Bewältigung seines umfassenden Luftwaffenauftrages entzogen wurden. Es liegt auf der Hand, dass eine schnelle und kompromisslose Führung des Ereignisses für den Erfolg entscheidend ist. Dies funktioniert mit Sicherheit nicht, wenn das nötige Personal und das Material der Unterstützungsorgane von verschiedenen Organisationen befehligt werden. Weitere Zitate aus dem Bericht über die grotesken Zustände auf den Militärflugplätzen erübrigen sich. Einsparungen wurden und werden mit der vereinbarten «Chaos-Organisation» mit friktionsträchtigen Schnittstellen und absurden Kommunikationswegen verständlicherweise nicht realisiert. Dies wurde vor einiger Zeit sogar durch einen höheren Berufsoffizier, der es wissen muss, in einer Mitteilung an Interessierte bestätigt. Im Schlussbericht wurde völlig zu Recht verlangt (S. 18), dass sämtliche einsatzrelevanten Supportaufgaben aus dem ehemaligen Bereich «Support Luftwaffe», welche für die zeitkritische Auftragserfüllung zu Gunsten der Luftwaffe nötig sind, wieder durch das Flugplatzkommando wahrgenommen werden müssen. Der gleiche Unsinn wie die Auslagerung der einsatzkritischen Arbeiten auf den Flugplätzen in die Logistikbasis der Armee ist die Auslagerung der Sensoren wie FLORAKO und TAFLIR in die Führungsunterstützungsbasis der Armee. Auch sie müssten zur Luftwaffe gehören, damit diese ihre Aufgabe als «Totalunternehmerin» zuverlässig und effizient nach dem Grundsatz «ein [Luft]Raum, ein Auftrag und ein (verantwortlicher) Chef» erfüllen könnte. Der Schlussbericht Militärflugplätze hat allerdings bis heute nichts bewirkt. Der Chef der Armee hat gegen die ihm bekannte Chaos-Struktur aus dem Jahre 2005 bis zur Drucklegung dieser Schrift nichts unternommen. Seine Untätigkeit ist schon erstaunlich in Anbetracht des Umstandes, dass Bundesrat Maurer bei seinem Amtsantritt im Dezember 2008 lautstark verkündete, die Schweizer Armee solle die «beste Armee der Welt» werden. Diese Forderung, die von BR Maurer wiederholt ausgesprochen wurde, hätte den Chef der Armee nach Kenntnisnahme vom Schlussbericht zur sofortigen Korrektur der untragbaren Zustände im Sinne der Forderungen des VBS Inspektorats veranlassen müssen. Eine Luftwaffe mit einem ungenügenden Bestand an Flugzeugen, muss diese wenigstens effizient und ohne zeitliche Verzögerungen einsetzen können. Den Schweizerinnen und Schweizern sei die Frage erlaubt, ob ein derart untätiger Chef der Armee, der aber beinahe im Tages-Rhythmus Kolumnen für Boulevard-Blätter schreibt, der richtige Chef zur Führung der Armee sei. Mit der geplanten Weiterentwicklung der Armee soll die wichtige Luftwaffe in eine noch prekärere Situation gebracht werden, indem sie dem Chef Operationen unterstellt wird und ihr Kommandant eine Herabstufung zum Divisionär erfährt (ebenfalls ablehnend Müller, Beurteilung und Vorschläge, S. 10f. wegen der Wichtigkeit der Luftwaffe; dazu TF 82, Rdz. 46/1). Hingegen soll die Logistikbasis der Armee, von deren Diensten die Luftwaffe seit dem Jahr 2006 extrem abhängig ist, dem Chef der Armee unterstellt sein. Der bedauernswürdige Kommandant der Luftwaffe, bei dem sich ein Flugplatzkommandant über ungenügende Dienstleistungen der Logistikbasis beschwert, ist somit gezwungen, die erhaltene Beschwerde auf dem Dienstweg über den Chef Operationen, den Chef der Armee, den Chef Unterstützung* und den Chef Logistikbasis an den Vorgesetzten des verantwortlichen Missetäters zu 41 richten (vgl. dazu Botschaft, S. 20; * Ergänzung durch das Parlament). Es ist mehr als erstaunlich, dass der Chef der Armee eine derartige Struktur (höchstwahrscheinlich gegen den Willen des Luftwaffenchefs) vorgeschlagen hat. Und nicht weniger erstaunlich ist es, dass dieser Vorschlag durch Bundesrat Maurer akzeptiert worden ist. Als Schweizerin und als Schweizer darf man sich ohne weiteres fragen, weshalb Bundesrat Maurer den Chef der Armee, der den Kommandanten der Luftwaffe in der WEASchrumpfarmee weiter entmachten will, nicht längst zu einer «Befehlsausgabe» über die umgehende Behebung der organisatorischen Mängel im Bereich der Luftwaffe aufgeboten hat. Entweder ist Bundesrat Maurer nie ein Radfahrer mit der dieser Truppengattung nachgesagten Härte gewesen, oder er leidet bereits jetzt an schwerer chronischer Altersmilde. Leider ist damit das Kapitel «Organisationsmängel» der WEA-Schrumpf-Armee noch nicht abgeschlossen. Gemäss Organigramm auf Seite 20 der Botschaft gibt es neu einen Lehrverband Fliegerabwehr / Führungsunterstützung im Bereich Ausbildung. Die Flabtruppen sollen somit dem Chef Ausbildung unterstellt sein, obwohl zwischen der Luftwaffe und der terrestrischen Fliegerabwehr im Verteidigungsfall eine engste Zusammenarbeit unerlässlich ist. Die Flieger- und Flabtruppen müssen deshalb eine gemeinsame Einsatzdoktrin haben. Dafür plädiert auch der Verein «Sicherheitspolitik und Wehrwissenschaft» in seiner Broschüre «Sicherheitspolitische Information» vom April 2014 nachdrücklich, indem er warnt (S. 8): «Mit 42 einer Trennung von Führung und Ausbildung drohen … zwei verschiedene Doktrinen zu entstehen. Das erschwert es, Personal bedarfsgerecht in die Truppe zu übernehmen. Gerade für Milizkommandanten ist es zentral wichtig, dass ihre Truppen einheitlich funktionieren.» Mithin müsste die Ausbildung der Fliegerabwehr logischerweise in bzw. mit der Luftwaffe erfolgen, was aktuell noch der Fall ist. In diesem Sinne bestimmt Art. 48 I MG, dass die Truppenkommandanten für die Ausbildung und den Einsatz der ihnen unterstellten Truppen verantwortlich sind. Art. 48 I MG soll zwar auch in der weiterentwickelten Schrumpf-Armee unverändert gelten. Denn in der Botschaft wird keine Änderung beantragt. Trotzdem war in den bisherigen parlamentarischen Debatten die Trennung der Flabtruppen von den Fliegertruppen während der Ausbildung kein Diskussionspunkt. Im erwähnten Organigramm der Botschaft fehlt allerdings ein Hinweis auf die Unterstellung der ausgebildeten und aus ihrem Lehrverband ausgeschiedenen Fliegerabwehrtruppen. Jedenfalls sind sie weder beim Heer, noch bei den Territorialdivisionen noch bei der Luftwaffe als Verband auszumachen. Bei dieser wird zwischen «Einsatz» und «Luftwaffen-Ausbildungs- und Trainingsbrigade» unterschieden. Allerdings stösst der aufmerksame Leser der Botschaft unter Ziff. 1.1.11 Entwicklungslinien Luftwaffe auf den Unterabschnitt «Entwicklungslinien der bodengestützten Fliegerabwehr» (S. 34). Man darf deshalb annehmen, die Fliegerabwehr sei nach wie vor ein Bestandteil der Luftwaffe. Sie müsste deshalb in bzw. mit dieser ausgebildet werden. Auch in der Aus- bildung und Führung darf es analog dem Prinzip «ein Raum, ein Auftrag, ein (verantwortlicher) Chef» keine geteilte Verantwortung geben. Diese würde dem Chef im Kampf die Möglichkeit verschaffen, seine Niederlage mit dem schlechten Ausbildungsstand der Truppe zu entschuldigen, und der Ausbilder könnte die Niederlage der durch ihn falsch ausgebildeten Truppe mit der schlechten Führung des Chefs im Kampf begründen. Bemerkenswert ist übrigens, dass Amstutz/Schmon an der heutigen Flab-Organisation folgendes bemängeln (Flab/BODLUV, S. 22; Hervorhebung durch den Verfasser): «Die heutigen Fliegerabwehr-Systeme wirken bis auf 3000 Meter über Grund. Darüber sind die luftgestützten Mittel für die Luftverteidigung zuständig. Zudem sind die Flab-Sensoren von der Luftraumüberwachung separiert. Sie leisten somit keinen Beitrag zur zentral erkannten und identifizierten Luftlage, was ein Nachteil ist.» Die bemängelte Separierung der Flab-Sensoren von der Luftraumüberwachung erstaunt in Anbetracht der Tatsache, dass der erste Chef der Armee – Korpskommandant Keckeis – als Pilot von der Luftwaffe kam und der aktuelle Chef der Armee immerhin eine 20 mm Flab Abteilung kommandierte. Die Luftwaffe und die terrestrische Luftabwehr müssen als «Totalunternehmer» agieren können, was die beklagte «Separierung» ausschliesst. Gemäss Erinnerung des Verfassers waren die FlabTruppen in der Armee 61 nicht von der Luftraumüberwachung durch FLORIDA (= halbautomatisches Luftüberwachungs- und Führungssystem der Flieger- und Fliegerabwehrtruppen für Flugzeuge und Fliegerabwehrlenkwaffen) abgeschottet. Wer sich über weitere organisatorische Mängel der WEA- Schrumpf-Armee orientieren will, stösst bei Müller auf weitere Kritikpunkte (Beurteilung und Vorschläge, S. 10f.), die hier aus Platzgründen unerwähnt bleiben. 43 X. Schlussbemerkungen Den gegenwärtigen und künftigen Armeeangehörigen darf es nicht verübelt werden, wenn sie die angebliche Weiterentwicklung der Armee gemäss Botschaft als (weiteren) Affront empfinden und ihre Wiederholungskurse und anderen Dienste nur noch mit mässigem Einsatzwillen oder sogar widerwillig leisten oder alles daran setzen, überhaupt nicht zu Dienstleistungen in Schulen und Kursen der Armee aufgeboten zu werden. • Die Armee soll von 200‘000 auf einen Sollbestand von100‘000 Angehörigen halbiert werden, damit allen Armeeangehörigen wieder eine persönliche Ausrüstung abgegeben werden kann. Damit soll die Armee an Schlagkraft gewinnen. • Die halbierte Armee soll aber weiter die im Vordergrund stehende staatliche Institution zum Sparen sein. Die geplanten Armeeausgaben der reichen Schweiz sollen aufgrund der «zur Verfügung stehenden Mittel» noch ca. 0.8 % des BIP betragen. Damit wird die Schweiz – bisher nur geografische Nachbarin von Österreich – zur lächerlichen CoTrittbrettfahrerin der traditionellen sicherheitspolitischen Minimalistin in Europa. Die übrigen europäischen Länder geben – daran sei erinnert – im Durchschnitt 1.8 % des BIPs für ihre Armeen aus. • Die Armee soll neue Waffensysteme zur Verteidigung – wenn überhaupt – aus Spargründen nur noch in geringer Stückzahl und mit qualitativen Beschränkungen beschaffen, damit wenigstens das erforderliche Ausbildungsmaterial für die einzelnen Truppen in den Wiederholungskursen zur Verfügung steht. In der Armee sollen «Fähig44 keitslücken» und die dadurch entstehenden Unsicherheiten in Kauf genommen werden. • Die Armee, die ihren Auftrag, Land und Bevölkerung zu verteidigen, nicht mehr erfüllen kann, bietet ihre Angehörigen in Zukunft zu Dienstleistungen auf, damit sie ein theoretischen Verteidigungs-Know-hows erhalten kann. Für die kleine Minderheit der noch Militärdienst leistenden Armeeangehörigen besteht in einem Verteidigungsfall das Risiko, rücksichtslos «verheizt» zu werden, während der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung nicht gehalten sein wird, das Leben für die Gemeinschaft zu opfern. Diese Gründe allein genügen, um die Weiterentwicklung der Armee gemäss Botschaft abzulehnen. Die in der vorliegenden Schrift aufgezeigten gravierenden organisatorischen Mängel der Armee, die weitgehend auf Fehlentscheidungen der Armeeführung beruhen, sollen mit der angeblichen Weiterentwicklung der Armee nicht korrigiert, sondern zementiert und dazu mit weiteren unzweckmässigen Lösungen ergänzt werden. Auch das ist ein guter Grund zur Ablehnung der Vorlage. Diese ist auch deshalb unakzeptabel, weil sie unter rechtlichen Gesichtspunkten bedenklich ist. Wenn die Armee nur noch über eine theoretische Verteidigungskompetenz (savoir faire, anstatt pouvoir faire) verfügt, kann sie ihren Auftrag gemäss Art. 58 II BV nicht mehr erfüllen. Art. 58 II BV spiegelt etwas vor, was nicht der Realität entspricht, und ist deshalb entsprechend den neuen Gegebenheiten im Verfahren der Verfassungsänderung anzupassen. Die Vorlage ist schliesslich eine «Mogelpackung», weil sie unterstellt, bestimmte rechtliche Bestimmungen bedürften einer An- passung, obwohl dies für die angestrebte Änderung gar nicht nötig ist. Alle unter militärischen Gesichtspunkten sinnvollen Reformen zur Korrektur von früher initiierten Fehlentwicklungen, welche ohne Gesetzesänderung möglich sind, hätten längst vorgenommen werden können und müssen. Sie dürfen jetzt nicht missbraucht werden, um ein unappetitliches Menü schmackhaft zu machen. Mit der Rückweisung der Vorlage an ihre Autoren ist es allerdings nicht getan. Wer eine Führungsstruktur der Armee gemäss Botschaft (s. S. 20) vorschlägt und bestehende organisatorische Missstände zementieren bzw. neue einführen will, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht geeignet, Führungsstrukturen auszuarbeiten. Gemäss Müller ist die in der Botschaft wiedergegebene Führungsstruktur einseitig auf die «Schönwetterlage» ausgerichtet und «viel zu kompliziert aufgebaut» (Beurteilung und Vorschläge, S. 10). Müller spöttelt, der Chef der Armee führe keine Einsätze [der Armee], sondern lasse führen (a.a.O., S. 10). Wäre der scharfsinnige und sich pointiert äussernde Hans Bachofner noch am Leben, würde er die vorgeschlagene Führungsstruktur wie den «Armeeaufwuchs» (s. a.a.O., S. 10) als «bizarr», «weltfremd» und «bürokratisch» bezeichnen. Die Armee ist aufgrund der herrschenden politischen Verhältnisse in einer äusserst prekären Lage. In dieser Situation muss sie wenigstens eine Führungsstruktur haben, die sich über Jahrzehnte bewährt hat und gewährleistet, dass in der Armee keine ChaosKommandostrukturen aufrecht erhalten oder neu geschaffen werden. Deshalb ist zum früheren System der «Landesverteidigungs- kommission» (LVK) gemäss Vorschlag von Müller zurückzukehren (s. a.a.O., S. 11). Dieses System mag etwas schwerfälliger sein. Es verhindert aber Fehlentwicklungen, wie sie durch die Korpskommandanten Keckeis und Blattmann als Chefs der Armee mitinitiiert worden sind. Es stellt eine breit abgestützte und sorgfältige Meinungsbildung sicher, welche geeignet ist, sachgerechten Entscheidungen zu bewirken (in diesem Sinne schon Ernst, Die Leitung des Wehrwesens im Frieden, in: Civitas 22 (1966/67), S. 760). Solche können von Einzelpersonen, die im Alleingang handeln, weniger erwartet werden, auch wenn sie Gespräche mit (unterstellten) Mitarbeitern bzw. Beratern führen. Vorurteile und persönliche Animositäten werden in einem grösseren Gremium eliminiert oder wenigstens abgeschwächt. Ein allenfalls schwacher Chef VBS kann weniger einfach einen ihm genehmen und willfährigen Chef der Armee bestimmen, welcher es wegen des «absoluten Vorrangs der Politik» nie wagt, wenigstens unangenehmen Forderungen zu stellen oder dezidierten Widerspruch zu erheben. Nicht einmal die Streitkräfte der USA, die laufend in Kriege verwickelt sind, werden durch einen «Chef der Armee», sondern durch die «Joint Chiefs of Staff» geführt. Die Schweiz, die gemäss Bundesrat in absehbarer Zeit mit keinem Angriff rechnen muss, kann sich in der Armee ein etwas schwerfälligeres Führungsgremium mit qualitativen Vorteilen durchaus leisten, ja sie muss es sich aufgrund der in den letzten Jahren gemachten Erfahrungen leisten. Walchwil, im September 2015 Rudolf P. Schaub 45 Dr. iur. Rudolf P. Schaub Oberstleutnant a D, ehemaliger zugeteilter Stabsoffizier Infanterieregiment 24 (Aargau) Militärische Laufbahn: 1968 Rekrutenschule 1969 Unteroffizierschule/Offiziersschule/Zugführer Füs Kp I/46 (Leutnant) 1975 Kommandant a i S Kp III/4 (Oberleutnant) 1977 Kommandant S Kp III/4 (Hauptmann) 1979 Kommandant Füs Stabskp 46 1982 zugeteilter Hauptmann Füs Bat 46 1984 Offizier z V Kdt Inf Rgt 24 1987 Kommandant Füs Bat 102 (Major) 1991 zugeteilter Stabsoffizier Inf Rgt 24 (Oberstleutnant) 1995 Entlassung aus der aktiven Dienstpflicht 46 Bisherige Publikationen: - Hochseilakt der Schweizer Armee mit Absturzgefahr (Gruppe Giardino / Schweizer Soldat) - Verfassungs- und völkerrechtswidrige Sicherheitspolitik von Bundesrat und Parlament (Gruppe Giardino / Pro Libertate) - Fahrlässige Sicherheitspolitik – ohne Haftungsrisiko der Verantwortlichen (Gruppe Giardino / Pro Libertate) - Recht und Pflicht von Armeeangehörigen zur Befehlsverweigerung in einem künftigen Verteidigungsfall / Konsequenzen einer grobfahrlässigen Sicherheitspolitik (Gruppe Giardino / Pro Libertate / AUNS) - Referendumsdrohung von «Giardino» gegen die «Weiterentwicklung» der Armee gemäss Botschaft des Bundesrates vom 3. September 2014 (Gruppe Giardino) - Reglement «Führung und Stabsorganisation der Armee 17» (FSO 17) – Untauglich als Lehrmittel und Führungshilfe zur Sicherstellung der «Verteidigungskompetenz» im Sinne von «savoir faire» (Gruppe Giardino) Bildnachweis: Frontseite: http://willyloman.wordpress.com/2014/08/16/about-that-russian-military-convoy-russia-is-to-kiev-as-isis-is-to-baghdad/ 47 Impressum Redaktion: Oberst Thomas Fuchs, Grossrat und alt Nationalrat, Bern Geschäftstelle: Schweizerische Vereinigung PRO LIBERTATE Postfach 587 3052 Zollikofen Tel. 031 332 57 84 Fax 031 332 57 85 [email protected] Spenden: PC 30-26847-0 www.prolibertate.ch
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