Prof. Dr. Jürgen Oechsler WS 2015/16 Ausformulierte Lösung zu dem in der Vorlesung besprochenen Fall 2 Nutzen Sie den Text zu folgender Klausurübung: 1. Laden Sie sich zunächst die im Powerpoint-Format gestellte Lösungsskizze aus der Klausur herunter und lesen Sie diese durch. 2. Nehmen Sie sich dann 1h 30min Zeit, um die Lösung auszuformulieren! Bei dieser Lösung geht es allein um die Klausurtechnik, nicht um das positive Wissen! Viel Erfolg, J. Oechsler 1 Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (BGH NJW 2003, 1040): Manni (M) und Frauke (F) bilden ein seit Jahren international erfolgreiches Eislaufpaar. M wird bei einem Straßenverkehrsunfall am Bein verletzt, weil X innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit 75 km/h fuhr. M fällt wegen der anschließenden Heilbehandlung für 1 Jahr aus. X hat M deswegen Schadensersatz geleistet; dazu zählte auch entgangener Gewinn in Höhe von 30.000 Euro. Jetzt fordert auch F von X 30.000 Euro; Begründung: Durch die Verletzung des M entgehe auch ihr Gewinn, weil sie auf den Wettkämpfen ja nicht alleine auftreten könne und deswegen die Sponsoren- und Preisgelder zurückgingen. 1. Muss X der F diesen Schaden nach § 823 Abs. 1 BGB ersetzen? 2. Muss X der F diesen Schaden nach § 823 Abs. 2 BGB ersetzen? Hinweis: § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO lautet: Die Höchstgeschwindigkeit beträgt auch unter günstigsten Umständen in geschlossenen Ortschaften für alle Kraftfahrzeuge 50 km/h. Auf §§ 7, 18 StVG brauchen Sie nicht einzugehen. Lösungshinweise 1. Frage: § 823 Abs. 1 BGB (Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) F könnte gegenüber X ein Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 823 Abs. 1 i.V.m. 252 BGB zustehen. I. Absolut geschütztes Rechtsgut 1. Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb a) Gewerbebetrieb Als verletztes Rechtsgut kommt ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht. 2 Hinweis: Beachten Sie noch einmal den Subsumtionsaufbau. Der Text ist zur Veranschaulichung der Zusammenhänge stärker gegliedert, als dies in einer Klausur geboten erscheint: (1) Genaue Herausarbeitung der Rechtsfrage (2) Definitionsschritt, d.h. Erarbeitung der allgemeinen rechtlichen Grundlagen für die Beantwortung der Rechtsfrage. (3) Anwendung des unter (2) erarbeiteten Begriffsverständnisses auf den Fall. (4) Ergebnis. (1) Fraglich ist allerdings, ob ein Eislaufpaar überhaupt einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs betreibt. (2) Der im Gesetz selbst nicht vorgesehen Rechtsbegriff wurde durch die Rechtsprechung geschaffen. Legt man in einem ersten Schritt seine semantische Bedeutung zurgrunde, kommt as Eislaufpaar kaum als Gewerbetrieb in Betracht. Historisch wurde die Lehre jedoch in Gestalt einer Rechtsanalogie vom zu dem Zweck entwickelt, um fahrlässige primäre Vermögensschäden eines Unternehmens liquidieren zu können. Erforderlich wurde dies, weil das BGB in diesem Bereich eine Regelungslücke aufweist. Wird ein reiner Vermögensschaden nämlich nur fahrlässig zugefügt, finden die §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 sowie § 826 BGB regelmäßig keine Anwendung. Diese Problematik ist auch vorliegend zu Lasten der F berührt: Durch die Handlung des X entsteht ihr ein Verdienstausfall i.S.d. § 252 BGB. Dieser bedeutet aber einen reinen Vermögensschaden, der nicht nach den §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2, 826 BGB ersetzt werden kann. (Beachten Sie: Innerhalb der Argumentation muss teilweise zwischen Ebene 2 (Definitionsschritt) und Ebene 3 (Anwendung auf den Sachverhalt) gewechselt werden. Um die Überlegungen zur historisch-systematischen Bedeutung der Lehre vom euaG zu verdeutlichen, wird die Problematik kurz am Sachverhalt verdeutlicht. Jetzt springt die Argumentation wieder auf Ebene 2 (Definitionsschritt) zurück und es folgt das teleologische Argument: Für die Einbeziehung spricht schließlich auch der Normzweck. Denn letztlich geht es dieser Lehre um den Schutz unternehmerischer Investitionen vor einer fahrlässig begangenen reinen Vermögenschädigung. Geht man davon aus, handelt es sich beim Gewerbebetrieb um die Organisation von Personen, Sachen und Vermögen zu einem wirtschaftlichen Zweck. Im Ergebnis zielt das Institut auf den Schutz der zgurunde liegenden organisatorischen Leistung vor primären Vermögensschäden ab. Entsprechend kommt es für die Anwendung der Lehre 3 nicht auf die äußeren Umstände (Ladenlokal, Fabrikhalle usw.) an, sondern allein auf das Vorhandensein schützenswerter Investitionen in eine unternehmerische Organisation. (3) M und F sind dauerhaft tätig; ihre Tätigkeit ist zudem auf die Erzielung eines Einnahmeüberschusses gerichtet. Dafür treiben sie einen schützenswerten organisatorischen Aufwand (Trainingsstunden, Aufwendungen usw.). (4) Ein eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb liegt daher vor. b) Betriebsbezogenheit und Subsidiarität Hinweis: Gliedern Sie den folgenden Text einmal selbst nach den vier Subsumtionsschritten! Fraglich ist allerdings, ob X in den Gewerbebetrieb von M und F eingegriffen hat. Dabei kommt es insbesondere auf die sog. Betriebsbezogenheit an. Das Unternehmen kann nicht in seinem gesamten Wirkungsbereich vor Beeinträchtigungen geschützt werden; gerade im Wettbewerb mit anderen muss es Behinderungen hinnehmen. Inbesondere können dem Unternehmensträger Erfolg und Gewinne nicht auf der Grundlage des § 823 Abs. 1 BGB garantiert werden. Folglich findet die Lehre vom eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nur Anwendung, wenn sich die Beeinträchtigung zielgerichtet und unmittelbar gerade gegen das Unternehmen richtet und dieses nicht nur reflexartig berührt. Der Bundesgerichtshof hat dies vorliegend schon deshalb in Zweifel gezogen, weil sich der Eingriff nur gegen Einzelteile des Betriebes, nämlich konkret das Bein des M, richtet. Bei dieser Betrachtungsweise vermengen sich Überlegungen zur Betriebsbezogenheit mit der Lehre von der Subsidiarität des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs. Diese Lehre ist nämlich in Rechtsanalogie entstanden und findet dort keine Anwendung, wo es keine Regelungslücke zu schließen gilt, weil § 823 Abs. 1 BGB infolge der Verletzung eines absolut geschützten Rechtsgutes anwendbar ist. Beachte: In der Praxis wird häufig nicht genau zwischen Betriebsbezogenheit und Subsidiarität unterschieden! Die Lehre ist deshalb nicht anwendbar, wenn der Eingriff Einzelteile des Betriebs betrifft, die selbst über § 823 Abs. 1 BGB geschützt sind. Hier liegt zunächst nur ein Eingriff in Körper und Gesundheit des M vor. Diese Verletzung eines absolut geschützten Rechtsgutes wirkt sich erst in einem zweiten Schritt auf den Gewerbebetrieb von M und F aus. Dann erscheint der Eingriff aber – wie im Legebatterienfall1 – nicht betriebsbezogen, sondern auf die Gesundheit und den Körper des M bezogen. Daran könnte man wiederum gerade aus Sicht der F zweifeln. 1 BGHZ 41, 123 – Legebatterien: Verletzung des Eigentums an den Eiern durch Stromunterbrechung bei Legebatterien geht dem Eingriff in den Gewerbebetrieb vor. 4 Denn schon nach dem Wortlaut des § 823 Abs. 1 BGB stehen dieser als mittelbar Geschädigter keine Ansprüche wegen der Körperverletzung des M zu. Gerade um diese Beschränkung geht es aber dem BGH bei seiner Konkretisierung der Subsidiarität der Lehre vom Gewerbebetrieb. Die Lehre vom Gewerbebetrieb soll einem mittelbar Geschädigten wie F entgegen den Wertungen des § 823 Abs. 1 BGB keine Möglichkeit eröffnen, den eigenen Schaden als Folgeschaden der Körperverletzung einer anderen zu liquidieren. Dies würde für den Schädiger zu unübersehbaren Haftungsrisiken führen, weil die Beeinträchtigung der Integritätssphäre einer Person zu Ersatzansprüchen einer Vielzahl anderer Personen führen könnte. Bedenkt man zu welchen Weiterungen eine andere Betrachtungsweise führen würde – Verletzung eines zentralen Musikers in einem hundertköpfigen Orchester –, leuchtet diese Beschränkung ein. Aus diesem Grund dürfte die Lehre vom Gewerbebetrieb als subsidiär zurücktreten. c) Ergebnis Eine Verletzung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs kommt nicht in Betracht. 2. Körperverletzung des M Eine Körperverletzung des M liegt vor. 3. Rechtswidrigkeit und Schuld auf Seiten des X sind ebenfalls zu bejahen. 4. Fraglich ist nur, ob der Schaden der F in den Schutzbereich des § 823 Abs. 1 BGB fällt. (Hinweis: Die Lehre vom Schutzbereich wird in den nächsten Stunden noch ausführlicher vorgestellt) Zunächst wurde X i.S.d. Äquivalenztheorie für den Schaden der F kausal, weil sein Handeln nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Schaden der F entfällt. Dies allein genügt für die Zurechnung jedoch nicht. Zusätzlich muss der Schaden in persönlichen und sachlichen Schutzzweck der verletzten Norm – hier: § 823 Abs. 1 BGB – fallen. Problematisch ist vorliegend insbesondere, ob F in den persönlichen Schutzzweck der Norm fällt. (Beachte im Folgenden, wie der Savignysche Auslegungskanon (Wortlaut, System und Zweck) unaufdringlich und präzise zur Problemlösung eingesetzt wird. Wir befinden uns auf der Ebene des Definitionsschritts) Bereits der Normwortlaut „Wer“ spricht gegen diese Möglichkeit. Danach kann nämlich nur der unmittelbar von der Rechtsgutsverletzung Betroffene den daraus resultierenden Schaden 5 liquidieren, nicht aber ein sog. mittelbar Geschädigter. Für diese Betrachtungsweise spricht auch ein systematisches Argument: Nur im Fall der Tötung einer Person sieht § 844 BGB einen Schadensersatzanspruch Dritter, gerichtet auf Beerdigungskosten und entgangenen Unterhalt) vor. Schließlich spricht auch das(!) Telos (der Zweck) des § 823 Abs. 1 BGB gegen die Einbeziehung der Vermögensopfer mittelbar Geschädigter. Denn auf diese Weise entstünde ein für den Schädiger unübersichtliches Haftungsrisiko. Hier greifen ähnliche Überlegungen wir die oben im Rahmen der Betriebsbezogenheit bzw. Subsidiarität bereits dargelegten. Die Einbeziehung des Verdienstausfalls der F in den Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB kommt danach nicht in Betracht. II. Ergebnis Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB scheidet aus. Hinweis: § 845 BGB greift nicht, da M nicht „kraft Gesetzes“ Leistungen gegenüber F erbrachte. Auch § 7 Abs. 1 StVG kommt hier ebenfalls nicht in Betracht, weil keines der dort genannten absolut geschützten Rechtsgüter verletzt worden ist. Frage 2: In Betracht kommt ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO liegen vor. Fraglich ist nur, ob die Norm auch den Schutz der F bezweckt. Dies ließe sich nur bejahen, wenn der eingetretene Schaden unter den persönlichen und sachlichen Schutzzweck der Norm fiele. § 3 StVO soll indes nur Verkehrsteilnehmer vor Gesundheits- und Vermögensschäden schützen. F war aber keine Verkehrsteilnehmerin, sondern allenfalls Unternehmenspartnerin eines Verkehrsteilnehmers. Ihr Schaden wird daher von § 3 StVO nicht erfasst. Ergebnis: Ein Anspruch kommt nicht in Betracht. 6
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