Unter Beobachtung

20 DER DEUTSCHE MITTELSTAND
MONTAG, 30. MÄRZ 2015, NR. 62
DER DEUTSCHE MITTELSTAND 21
MONTAG, 30. MÄRZ 2015, NR. 62
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MARKTPLATZ
Insolvenz als
Befreiungsschlag
Kreativprojekt zum
100. Geburtstag von
Uzin Utz: Der Spezialist
für Bodenbeläge will
mit Hilfe von Beratern
Prozesse erst transparent machen und dann
optimieren.
S
MELSUNGEN. Der Medizintechnikhersteller B. Braun Melsungen
hat sein Jubiläumsjahr 2014 mit
einem Umsatz- und Ergebnisrekord abgeschlossen. Die Erlöse
lagen bei 5,43 Milliarden Euro
und damit fünf Prozent über dem
bisherigen Höchstwert von 2013.
Mit 316,3 Millionen Euro blieben im Jahr des 175. Bestehens
unter dem Strich allerdings nur
800 000 Euro (0,3 Prozent) mehr
übrig als 2013. Negative Effekte
aus Wechselkursänderungen hätten sich im Ergebnis widergespiegelt, sagte Vorstandschef HeinzWalter Große am Freitag in Melsungen. B. Braun stellt unter
anderem Kanülen und chirurgische Instrumente her. dpa
Viele Mittelständler stehen Beratern skeptisch gegenüber. Der Bauzulieferer
Uzin Utz zahlt zum Beispiel nur, wenn sein Gewinn auch langfristig steigt.
Martin Buchenau, Joachim Hofer
Stuttgart, München
A
uf dem Bau will niemand
akademische Ausführungen
hören. Thomas Müllerschön
ist Vorstand des Ulmer Bauzulieferers Uzin Utz und versteht es, die Dinge auf den Punkt zu bringen: „Wenn jemand abnehmen möchte,
ist die Waage das wichtigste Instrument“,
sagt der Manager.
Müllerschön will, dass sein Unternehmen abnimmt. Dafür hat er sich Unternehmensberater ins Haus geholt. Aber
keine gewöhnlichen. Der 46-jährige
Schwabe hat die Münchener Keylens engagiert – ein mittelständisches Consultinghaus, das sich für ein dreijähriges Engagement verpflichtet hat. Rein, umstrukturieren und wieder raus, das
wollte Müllerschön nicht. „Die anfänglichen Schritte sind einfach. Doch mir ist
es wichtig, dass der Partner dabeibleibt,
wenn es kritisch wird“, betont der Betriebswirt.
Daher hat Müllerschön einen nicht
ganz alltäglichen Vertrag geschlossen:
Keylens bekommt eine eher bescheidene Grundvergütung. Dafür sind die Berater prozentual an der Gewinnsteigerung
beteiligt, die das Projekt bringen soll. Im
Klartext: Nur wenn das Konzept auf Dauer aufgeht, lohnt sich die Sache auch für
die Berater.
Wie Uzin Utz werden immer mehr Mittelständler bei Beratern wählerisch –
auch aus Enttäuschung über die Großen
der Branche. Bei ihm komme kein Berater einer großen Strategieberatung mehr
ins Haus, denn deren Ziele seien nicht
seine Ziele als Unternehmer gewesen,
sagt etwa Ralf Schmid, Chef und Eigentümer von Uniwheels, mit sieben Millionen Einheiten einer der größten Hersteller von Leichtmetallrädern in Europa.
Dem Mittelständler mit zuletzt 400 Millionen Euro Umsatz ist besonders ein
Dorn im Auge, dass große Beratungen
die Unternehmen auf Dauer von sich abhängig machen wollen.
Mit der Kritik steht er nicht allein. „Da
wechselt ein Berater ins Unternehmen
und zieht immer mehr andere Ex-Berater nach. Das ist schon fast sektenähnlich“, sagt ein anderer Unternehmer erbost, der lieber nicht namentlich genannt werden will.
Uniwheels-Chef Schmid jedenfalls holte sich den Stuttgarter Berater Horvath.
Da würden die Strukturen von Unternehmen und Beratung allein größenmäßig
besser zueinanderpassen. Horvath löse
bei Uniwheels klar umrissene und begrenzte Aufgaben.
Anders Uvex-Gesellschafter Michael
Winter. Er habe nichts gegen die großen
Berater, meint der Chef des Herstellers
Je mehr die Berater
bekommen, desto
zufriedener
können wir
sein.
Thomas Müllerschön
Vorstand Uzin Utz
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von Sicherheitsausrüstung für Beruf
und Sport. Nur: Als Mittelständler könne er sie sich schlicht nicht leisten. Daher vertraut auch Winter auf kleinere
Berater, die er mitunter auch erfolgsabhängig bezahlt.
Bei Uzin Utz ist das mit Keylens erarbeitete Vorhaben im vergangenen Sommer gestartet, der Name ist Programm:
„Ebit +“. Müllerschön will mehr Gewinn,
will wachsen, aber gleichzeitig im ganzen Haus sparen, und zwar durch jeden
einzelnen Mitarbeiter. Die Keylens-Experten haben sich daher alle Arbeitsplätze und Abläufe angeschaut und für jeden
Beschäftigten eine sogenannte Potenziallandkarte gezeichnet. Das Motto: Wo
lässt sich mit weniger mehr herausholen?
„Die kleinen Dinge sind wichtig“, erklärt Vorstand Müllerschön; er will keinen großen Kahlschlag, er will nicht am
Personal sparen, eher das Alltägliche optimieren. 2 700 Verbesserungsvorschläge haben die Mitarbeiter inzwischen gemacht, 1,5 Millionen Euro werden
jjetzt weniger ausgegeben als
v
vorher.
Niemand muss sich bei
dem Hersteller von Bodensystemen komplett umstellen, die knapp 1 000
Mitarbeiter sind allenfalls
angehalten, ein bisschen
nachzudenken. Zum Beispiel, wann sie die Tankstellen
ansteuern: Seit neuestem
g
gibt
es die Anweis
sung,
Stoßzeiten
z meiden und, so
zu
w
weit
möglich, zu
t
tanken,
wenn der
Sprit günstig ist. Bei 800 000 Litern im
Jahr komme da ganz schön was zusammen, hofft Müllerschön. Inzwischen
sind Übernachtungen im Hotel nur noch
gestattet, wenn die Kollegen weit weg
von zu Hause sind. Termine im Ausland
werden jetzt besser koordiniert, damit
weniger Flüge anfallen. Müllerschön
selbst reist eben nicht mehr jedes Jahr
zur Vertriebstagung in die USA, sondern
ließ zuletzt einen kleinen Film produzieren, mit dem er sich seinen Leuten präsentiert. Das sei gut angekommen, behauptet er.
Manchmal ist eben schon etwas gespart,
wenn der Chef zu Hause bleibt. Das Ergebnis kann sich in jedem Fall sehen lassen: Die Umsatzrendite des börsennotierten Mittelständlers ist laut Müllerschön von 3,1 auf 4,9 Prozent gestiegen.
Doch damit ist das Projekt noch nicht
vorbei. „Wir sind auch jetzt noch regelmäßig an zwei, drei, manchmal auch
vier Tagen vor Ort“, sagt Keylens-Chef
Stephan Schusser.
Vorstand Müllerschön ist begeistert
und zahlt die Erfolgsbeteiligung für Keylens gern: „Je mehr die Berater bekommen, desto zufriedener können wir
sein“, betont der Manager. Details nennen beide Seiten jedoch nicht.
Für Müllerschön persönlich hat sich
die Sache in jedem Fall gelohnt: Zum
Jahreswechsel steigt er zum Vorstandschef auf. Und auch für Keylens ist Uzin
Utz ein Erfolg: „Gerade erst haben wir
eine Ausschreibung gegen große Berater gewonnen“, freut sich Schusser.
„Weil wir eben nicht nur die Strategie
machen, sondern für drei Jahre dabeibleiben.“
Da kriegt man
feuchte Augen,
wenn man das mal
durchlebt hat.
Michael H. Fischer
Geschäftsführer und Mitinhaber der
Fischer-Gruppe
PR
Unter Beobachtung
s war der zweite Banktermin im
vergangenen Frühjahr nach der Insolvenz, der Michael H. Fischer die
Luft zum Atmen nahm: „Es sieht böse
aus für Ihr Unternehmen“, hieß es bei
der Sparkasse. Dabei hatte Fischer gedacht, er und Finanzchef Klaus Elsasser
bekämen das 1919 gegründete Glas- und
Porzellan-Handelsunternehmen FischerGruppe in Bamberg wieder in den Griff.
Rund 60 Millionen Euro hatte die
Gruppe mit allen Töchtern im Jahr 2000
noch umgesetzt, bis zum Jahr 2014 war
der Umsatz kontinuierlich auf 18 Millionen Euro geschrumpft. Zermürbende
Verhandlungen in der Familie, Großväter, die noch immer die Richtung bestimmten, auch wenn Söhne und Enkel
etwas verändern wollten, und Kunden,
die immer fordernder wurden, bereiteten den Boden für die Insolvenz.
Doch es gab einen Plan, ausgearbeitet
von Beratern, auf denen die Bank bestanden hatte. Sie hatten wochenlang
die Bücher gewälzt: Das Unternehmen
sei zu retten, wenn die Bank das Geld
gibt, lautete die Erkenntnis von 300 Seiten und 50 Manntagen. Doch die Bank
gab das Geld nicht.
Michael H. Fischer fühlte sich total „erschossen“. Er hatte in den vergangenen
Wochen erleben müssen, wer Freund
und wer Feind ist im oberfränkischen
Bamberg. Der 33-Jährige kämpfte seit
2007 für das Familienunternehmen, zunächst bei einer Tochterfirma, später in
der Gruppe. Und er wollte auch jetzt
nichts unversucht lassen und rief schließlich einen Schulfreund an, der in der Private-Equity-Branche arbeitet. Vielleicht
gab es einen Investor? Der Freund wollte
Zahlen, Fischer lieferte. Nach zwei Stunden rief der Freund zurück. Die schlechte Nachricht: Ein Investor fand sich auf
die Schnelle nicht. Die gute: „Ich kenne
da einen, der kann das Unternehmen retten.“
Der eine war Marcus Linnepe. Einst
selbst Unternehmersohn, danach Restrukturierungsinvestor, heute mit seinem Unternehmen Canei Sanierungsberater für mittelständische Unternehmen
mit gerade einmal sieben Mitarbeitern –
und gerade wieder einmal wenig Zeit.
Doch er schaute sich unterwegs die BWA
(betriebswirtschaftliche Auswertung)
an: Das operative Geschäft war gut, die
Kostenstruktur passte nicht, und die
Strategie musste zugespitzt werden, lautete seine Erkenntnis. Vereinbart wurde
eine erste Telefonkonferenz an einem
Samstag, weil es dringend war. Und da
sagt Linnepe den erlösenden Satz: „Das
kriegen wir hin.“ Doch ohne Vorkasse
ging es nicht: „Ich wollte 20 000 a conto“, sagt Linnepe. Finanzchef Elsasser
war dagegen: Nicht noch ein Berater! Also zahlte Fischer privat.
Und dann kam Linnepe gar nicht
selbst nach Bamberg, er schickte seinen
Mitarbeiter Atilla Gümüs. Die Enttäuschung war groß bei Fischer. Doch nach
vielen Litern Kaffee und einigen Schachteln HB war Gümüs schon mittendrin im
Ich habe der Bank
vorgerechnet, dass
sie ihre Sicherheitenposition völlig
falsch einschätzt.
Marcus Linnepe
Geschäftsführer Canei GmbH & Co KG
PR
Braun
Melsungen
mit neuem
Rekord
E
obs/Uzin Utz AG/Amtico
Handelsblatt
-Redakteurin
Anja Müller
Die Fischer-Gruppe war bereits insolvent. Viele externe Experten
hatten lange wenig bewirkt. Dann nahm Michael H. Fischer
privates Geld, um ein letztes Mal einen Berater zu bezahlen.
Anja Müller
Bamberg
Uzin Utz AG
ehr selten lassen sich Mittelständler in die Zahlen
schauen, noch seltener,
wenn es ihnen nicht gut geht.
Michael H. Fischer aber hat es
getan. Im nebenstehenden Artikel erzählt er von guten und
schlechten Erfahrungen, die er
mit Beratern gemacht hat. Ebenso interessant war eine andere
Aussage. Mit der Insolvenz im
Gepäck musste Fischer mit Kunden und Lieferanten neu verhandeln. Oder besser: Er konnte neu verhandeln – und erlebte
Erstaunliches. Einige Kunden
hätten sich sogar bei ihm entschuldigt: „Wir sind auch mitverantwortlich, wir haben Sie jedes Jahr ausgequetscht und
Preiserhöhungen nicht akzeptiert“, hätten sie zu ihm gesagt,
erzählt Fischer. Zuvor sei es bei
vielen Großkunden nur um
„Preis, Preis, Preis!“ gegangen.
Fischer hat es dann „überwältigt, dass Kaufland, Kaufhof und
Rewe so zu einem mittelständischen Großhändler stehen“. Bis
auf einen Lieferanten und einen
Kunden hat Fischer keine Geschäftspartner verloren. Sanierungsberater Marcus Linnepe
sieht die Insolvenz daher auch
als Chance: „Unternehmer sollten keine Angst davor haben,
diesen Schritt zu gehen, er wirkt
als absolute Befreiung.“
[email protected]
Gerettet nach Akontozahlung
Fünfjahresplan der Fischer-Gruppe und
in den eng verflochtenen Unterfirmen
samt Gewinn-und-Verlust-Rechnung
und Bilanz. Am Abend waren die Fischers ganz glücklich mit Gümüs. Erst
einen Tag später kam auch Linnepe
nach Bamberg. Er schloss sich mit seinem Mitarbeiter und den Firmeninhabern ein und simulierte mit einem Planungstool Ein- und Verkauf.
Die Grundidee der Sanierung: den Insolvenzverwalter einbinden, die Bank
ins Boot holen und ihre Forderungen
kaufen (Factoring) – und dadurch Cash
generieren. Ein Schlüssel zum Erfolg
war zudem der Rückkauf ihres Warenbestands vom Insolvenzverwalter im
mittleren einstelligen Millionenbereich
zu einem deutlich niedrigeren Preis. Mit
diesem Deal war das Unternehmen
„hochprofitabel und leistungsfähig, und
die Bank kann wieder finanzieren“, erklärt Linnepe. Und mit der Nutzung eines Factors hat das Unternehmen der
Bank die Forderungen abgekauft, um
der Bank dann wieder 20 Prozent von
dem Geld zu geben, das das Unternehmen vom Factor bekommt. Das sind im
Schnitt 80 bis 90 Prozent der Forderungsbeträge.
Und dann tat Linnepe etwas, das er
gern tut: Er traf Bank und Insolvenzverwalter zum Einzelgespräch. „Ich will
mich nicht überraschen lassen“, nennt
er das. Die Anspannung der Firmeninhaber war dennoch groß, als nun der
dritte Banktermin begann. Linnepe redete, Fischer nickte. Nach vier Stunden
nickten auch Bank und Insolvenzverwalter. „Da kriegt man feuchte Augen,
wenn man das mal durchlebt hat“, sagt
Michael H. Fischer.
Doch warum schaffte Berater Linnepe
etwas, was anderen Beratern und Beteiligten unmöglich schien? Der heutige
Co-Firmenchef Christoph Fischer und
Onkel von Michael H. Fischer stellt
nüchtern fest, dass ja alle Zahlen auf
dem Tisch gelegen hätten – „aber es
muss einer ein Mosaik draus machen“.
Ein Mosaiksteinchen laut Linnepe: „Am
einfachsten bekommt man das notwendige Geld von denen, die schon investiert sind, und wenn man hier andere
Rückzahlungsmodalitäten verhandelt.“
Und: „90 Prozent ist Verhandlung und
Psychologie.“ Linnepe spricht auch gern
vom „GMV“, er meint damit den gesunden Menschenverstand. Der Berater
glaubt, dass 25 bis 30 Prozent der Insolvenzen vermieden werden könnten,
wenn man verhandeln würde.
Und so hat Linnepe der Bank „erläutert, dass sie ihre Sicherheitenposition
völlig falsch einschätzt“. Nicht die Immobilie sei das Filetstück aus der Insolvenzmasse, machte Linnepe klar. Bank
und Verwalter würden nur dann nichts
verlieren, wenn sie das Unternehmen
nicht zerstückeln. Tatsächlich konnte
für die beteiligte Bank und die Lieferanten „eine überdurchschnittliche Befriedigungsquote erreicht werden“, bestätigt Insolvenzverwalter Matthias Reinel.
Zudem sei hervorzuheben, dass die
Bank „weiter engagiert bleibt“. Das sei
selten, darüber hinaus hätte Linnepe
„wirtschaftlich darstellbare Lösungen
eingebracht“. Bei den Arbeitnehmern
sei die Bilanz naturgemäß gemischt, ergänzt Reinel, „weil sie ihre Arbeitsplätze
im Zuge der Sanierung zum Teil verloren
haben“.
Heute liegt die Fischer-Gruppe leicht
über Plan. Das Erfolgshonorar ist bezahlt, aber Linnepe kommt noch einmal pro Quartal, dann gibt er Tipps, berät und kritisiert. Natürlich auch mit
GMV.