Gesund werden im Hotelzimmer

Neue Zürcher Zeitung vom 10.08.2015, Seite 7:
Gesund werden im Hotelzimmer
Neue Angebote kantonaler Spitäler im Hotelbereich und
Bemühungen von Hotelleriesuisse für die Beherbergung von
Patienten
Die touristische Ausrichtung auf medizinische Angebote gilt als grosser Trend. Nun werden dafür
Hotelklassifikationen angepasst. Gleichzeitig planen Spitäler eigene Hotels.
Davide Scruzzi
Die Gesundheit ist für Schweizer Touristiker kein neues Feld, wenn man an die lange Tradition
der Thermalbäder denkt. Derzeit erhält dieser Bereich aber neue Konturen. Jüngstes Beispiel ist
die Anpassung der Hotelklassifizierung des Branchenverbands Hotelleriesuisse. Sie soll auch
eine bessere Anbindung an Angebote privater und kantonaler Spitäler ermöglichen.
Potenzial für 150 Betriebe
Der bisher unmittelbar mit dem Vorhandensein von Schwimmbädern gekoppelte Hotelbegriff
«Wellness» wird neu definiert: mit einer für verschiedene Dienstleistungen offenen Bezeichnung
«Wellness» sowie mit dem neuen Begriff «Medical Wellness». Während sich blosse WellnessHotels auf einer allgemeineren Ebene für die Gesundheit der Gäste empfehlen werden, sollen die
neuen Medical-Wellness-Hotels auf medizinische Leistungen ausgerichtet sein, «erbracht durch
Ärzte oder medizinische Fachleute», so der neue Hotelleriesuisse-Kriterienkatalog.
Als Paradebeispiel gilt das «Grand Resort Bad Ragaz», in dessen Räumen 70 Ärzte ihre Dienste
anbieten. Die Palette reicht von plastischer Chirurgie über Orthopädie und Hilfe bei unerfüllten
Kinderwünschen bis hin zu Ernährungsoptimierung und seelischer Gesundheit. Thomas
Allemann von Hotelleriesuisse schätzt, dass es ein Potenzial für rund 150 Betriebe gibt, die sich –
auch mit einem kleineren Angebot – als Medical-Wellness-Hotels positionieren könnten. Wichtig
sei auch die Vernetzung mit Kliniken. Hotels könnten sich darauf spezialisieren, Personen, die in
ambulanter oder stationärer Behandlung in Kliniken sind, weitere Betreuung zu bieten und auch
Angehörige zu beherbergen. Um diese Vernetzung von Hotellerie und Kliniken mit
Kombiangeboten voranzutreiben, trifft sich Allemann nun mit Vertretern der Plattform Swiss
Health, die 2010 von Schweiz Tourismus und der Standortförderung des Bundes gegründet
wurde, um international für Kliniken zu werben.
Es gibt auch regionale Initiativen. So in der Zentralschweiz mit der von der Wirtschaftsförderung
Luzern vor fünf Jahren mitbegründeten Koordinationsstelle Lucerne Health, die für einige
Abteilungen des Luzerner Kantonsspitals, der Hirslanden- und der Cereneo-Klinik wirbt.
Die vier Angestellten von Lucerne Health übernehmen die Betreuung der Gäste, die in Hotels
und Kliniken residieren; dazu gehören auch Übersetzungsdienste. In Luzern regte sich anfangs
Widerstand gegen einen finanziellen Beitrag der Stadt an Lucerne Health. Die SP befürchtete
eine Vernachlässigung einheimischer Patienten. Walter Stalder, Präsident von Lucerne Health,
spricht von bis zu hundert Personen, die jährlich betreut werden.
Das klingt nach wenig, beschert aber viel Wertschöpfung, kosten doch Behandlung und Logis oft
mehrere hunderttausend Franken pro Person. Das einstige Ziel von rund 300 Patienten im Jahr
erweist sich aber als schwer erreichbar. Die Zahlen schwankten stark, so Stalder. Zu Jahresbeginn
habe die Frankenstärke das Geschäft behindert; viele Patienten seien in Euro-Länder
ausgewichen. Zahlreich seien russische Gäste. Zudem gebe es auch Personen aus Nahost, wenn
die medizinische Versorgung unter Konflikten leide. Aus China registriert Stalder erste Anfragen.
In den 16 Kliniken der Hirslanden-Gruppe lassen sich jährlich 4000 «internationale Patienten»
behandeln. Sie sorgen für vier Prozent des Umsatzes. Die Leute stammten vorwiegend aus
Deutschland, Russland sowie dem Nahen Osten, sagt Claude Kaufmann von der Hirslanden AG.
Am häufigsten seien Behandlungen in der Onkologie, Orthopädie, Kardiologie und Urologie. In
den letzten Jahren gab es eine Zunahme; nun spürt man die Euro-Schwäche. Die Patienten
kommen aufgrund von Bemühungen via Swiss Health sowie dank ausländischen Agenturen und
Kontakten mit Ärzten im Ausland.
Laut Conrad Engler vom Spitalverband H+ kommen Ausländer nicht nur wegen der Qualität der
Behandlung: «Ein wichtiger Faktor ist auch die Diskretion abseits der Heimat, was nicht nur bei
psychischen Leiden für viele wichtig ist.» Statistisch lasse sich der Medizintourismus kaum
beziffern, weil die häufigen ambulanten Behandlungen vom Bund nicht erhoben würden.
Drei-Sterne-Haus neben Spital
Die neuen Konzepte für Patientenhotels in Basel und Genf deuteten aber auf eine steigende
Bedeutung ausländischer Patienten hin, so Engler. Die Verantwortlichen vor Ort relativieren dies.
Das Universitätsspital Basel prüft für die Realisierung eines Patientenhotels die Zusammenarbeit
mit privaten Partnern. Es gelte, für einen Teil der Spitalaufenthalte die Hotelunterbringung als
Ergänzung oder komfortablere wie auch günstigere Alternative zur stationären Behandlung
einzuführen. Patienten aus dem Ausland seien aber nicht die Hauptzielgruppe, heisst es.
Inwieweit die Krankenversicherungen dann auf solche Modelle bei Schweizer Grundversicherten
eingehen, sei noch abzuklären, erklärt Sabina Heuss vom Universitätsspital. Man behandle jedes
Jahr etwa 50 Patienten aus dem Ausland, allerdings oft für mehrere Behandlungen. Die teilweise
sehr reichen Patienten residierten mit ihren Angehörigen während der meisten Zeit in
Luxushotels.
In Lausanne wird beim Universitätsspital ein Drei-Stern-Hotel mit 115 Zimmern realisiert, wo ab
nächstem Jahr Patienten mit geringeren Pflegebedürfnissen samt Angehörigen einen Teil des
Spitalaufenthaltes verbringen können. Das Projekt, das von einem privaten Partner, der Reliva
Patientenhotel AG, mitgetragen werde, sei aber nicht auf Patienten aus dem Ausland ausgerichtet,
betont Spital-Sprecher Darcy Christen. – Laut Branchenkennern ist es für öffentliche Spitäler
weiterhin politisch heikel, Investitionen als gezielte Massnahmen für Patienten aus dem Ausland
zu deklarieren.