Medienmitteilung, 9. Mai 2015 Bitte beachten Sie die Sperrfrist bis 9. Mai 2015, 10.15 Uhr Dies academicus 2015 Kurzansprache von Shin Szedlak (es gilt das gesprochene Wort) Die Zukunft der Lehre Sehr geehrter Herr Bundesrat, Eure Durchlaucht, sehr geehrte Universitätsräte, sehr geehrter Herr Rektor, Repräsentantinnen und Repräsentanten des Kantons, der Stadt und der HSG, liebe Studierende, liebe Gäste Die Universität St.Gallen ist eine sehr alte Institution. Im Jahr 1898 wurde die damalige Handelsakademie ins Leben gerufen und war damit eine der ältesten Schulen dieser Art weltweit. Damals befand sich die Akademie noch in der Innenstadt von St.Gallen und die Ausbildung fokussierte sich auf Handel, Verkehr und Verwaltung. Im Jahr 1911 fanden der Namenswechsel zu «Handels‐Hochschule» und der Bezug neuer Räumlichkeiten an der Notkerstrasse 20 statt. Erst 1963 situierte sich die HSG auf dem Rosenberg in den Räumlichkeiten des heutigen Hauptgebäudes und so begann der Campus zu entstehen. Später im Jahr 1985 hiess das Volk den Neubau des Bibliotheksgebäudes gut und 1995 erlangte die HSG ihren jetzigen Namen: «Universität St.Gallen – Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG)». Aber warum erzähle ich Ihnen von der Vergangenheit, wenn es in meinem Vortrag doch um die Zukunft geht? Die handfesten und physischen Bedingungen haben sich während dieser mehr als 100 Jahre stetig verändert, so wurde oft am Namen gefeilt, mehrere Umzüge fanden statt und wieder ist ein neuer Campus in Planung. Doch auch die Inhalte der Ausbildung haben erst nach unzähligen Reformen die heutigen Strukturen erlangt. Mehrere Studiengänge, wie z.B. die Ausbildung in Rechtswissenschaften oder in internationalen Beziehungen kamen hinzu. Ausserdem bedient sich die heutige Lehre ganz anderen Mitteln als dies vor 100 Jahren noch der Fall war. Dennoch lässt mich die Vermutung nicht los, dass die Lehre an vielen Universitäten den Wandel der Zeit nicht mitgeht. Der Vergleichswert ist für mich persönlich wohl eher klein, da ich erst 1991 geboren wurde, doch das birgt den Vorteil, dass ich den heutigen v.a. technologischen Wandel aus erster Hand mitbekomme. Für mich als Student der Universität St.Gallen stellt sich aus diesem Grund mehr denn je die Frage: Wie soll die Zukunft der Lehre an der HSG aussehen? Was wollen wir als Studierende, was will der Arbeitsmarkt, was wollen die Rankings und schliesslich: An wem soll sich die Universität dabei orientieren? Ich habe die Ehre gehabt, das Amt des Präsidenten der Studentenschaft ein Jahr zu bekleiden und konnte während dieser Zeit verschiedene Perspektiven einnehmen. Durch diverse Einsitze in Gremien und Kommissionen der Universität konnte ich sehen, in welche Richtung sich meine Ausbildungsstätte orientieren will. Als Student erlebe ich jeden Tag in den Vorlesungen die Vor- und Nachteile der heutigen Lehre. Ausserdem ist die Synthese dieser beiden Perspektiven eine grosse Aufgabe der Studentenschaft als Interessensvertretung aller Studierenden der HSG. All diese Eindrücke und meine Gedanken haben mich dazu bewegt, heute über dieses komplexe Thema zu sprechen. Wenn sich die Lehre an der HSG und grundsätzlich an Universitäten nicht neu definiert, dann verlieren sie einen Teil ihres Sinngehalts. Vor allem in Bezug auf die HSG scheint dies eine gewagte Aussage zu sein, denn offensichtlich geht es ihr gut. Die Studierendenzahlen wachsen, auf den Rankings verbessert sie sich stetig und der Arbeitsmarkt ist mit den Absolventinnen und Absolventen seit Jahren zufrieden. Doch ist dieser Erfolg gleichzusetzen mit einer guten Lehre? Wenn man etwas genauer hinschaut, dann keineswegs. Wenn wir die Studierendenzahlen betrachten, könnte dies mehr als Last als Segen empfunden werden. Es ist nunmehr eine riesige Herausforderung geworden, 8000 Studierende individuell zu betreuen. Zudem zeichnet sich die HSG immer noch mit ihrer familiären Atmosphäre aus, welche durch diese Gegebenheiten hart auf die Probe gestellt werden. Bisher ist es jedoch gelungen diese Identität zu wahren. Der Blick auf die Indikatoren und die Methodik von Rankings zeigt ausserdem auf, dass sich diese Ranglisten in erster Linie an der Forschung orientieren. Es geht dabei um die Anzahl und Qualität der Forschungsergebnisse einer Fakultät. Die HSG ist dabei die renommierteste Wirtschaftsuniversität im deutschsprachigen Raum und auch europaweit die klare Nummer eins aller öffentlichen Universitäten. Dies ist eine Tatsache, auf die man zweifellos stolz sein kann. Zudem zeigen diese Ergebnisse auch, dass es hier sehr viele aussergewöhnliche Professorinnen und Professoren gibt, von denen wir viel profitieren können. Dennoch muss beachtet werden, dass bei diesen Ausführungen die Forschung im Zentrum steht und nicht die Lehre. Obwohl man stets von einer forschungsnahen Lehre spricht und forschende Dozierende ihre Leidenschaft den Studierenden weitergeben können, ist es klar erkennbar, dass Forschung und Lehre nicht immer Hand in Hand gehen: Eine hervorragende Forschung kostet, genau wie eine ausserordentliche Lehre, Geld und Zeit, wobei beide Faktoren ein rares Gut sind. Wie viel Geld soll nun die Universität in die Lehre fliessen lassen? Und wie sieht die zeitliche Allokation der Dozierenden aus? Es braucht also eine ausgeglichene Verteilung der finanziellen Mittel und eine adäquate Motivation der Dozierenden, ihr Wissen weiterzugeben, um in der Lehre von der Forschung zu profitieren. Aus diesem Blickpunkt erscheint diese Konkurrenzsituation als problematisch, weswegen an dieser Stelle festzuhalten ist, dass eine herausragende Forschung nicht zwingend eine gute Lehre zur Folge haben muss. So hat die Universität in den letzten 12 Jahren ihren Fokus auf die Forschung gelegt, wobei die Weiterentwicklung der Lehre beinahe naturgemäss in den Hintergrund gerückt ist. Die Resultate, welche daraufhin in der Forschung erzielt wurden, sind denn auch durchaus bemerkenswert. Und obwohl ich nun immer betone, dass die Qualität der Lehre nicht von der Reputation abhängt, zeigt sich eben dennoch, dass die Arbeitgeber sehr gerne HSG-Studierende aufnehmen. Woher kommt das? Einerseits möchte ich auf keinen Fall den Teufel an die Wand malen, denn die Lehre an der HSG ist so vielfältig, dass sie sich keineswegs simpel in «gut» oder «schlecht» klassifizieren lässt. Andererseits muss hier aber auch der Faktor der Selektion aufgeführt werden. Bei der Auswahl von ausländischen Studierenden und im berüchtigten Assessment-Jahr werden die leistungsfähigen Studierenden herausgefiltert, welche ihr Studium an der HSG absolvieren können. Selektion in dieser Form ist auch durchaus ein probates Mittel, um die Qualität der Studierenden an einer Universität aufrecht zu erhalten und ein Leistungsniveau sicherzustellen. Dennoch darf die Selektion nicht mit der Qualität der Lehre verwechselt werden, denn grundsätzlich hängen diese Faktoren nur bei der Abnehmerseite miteinander zusammen. Als Zwischenfazit lässt sich also sagen: Wir haben hervorragende Forschungsergebnisse, leistungsfähige Studierende, eine starke Identität und eine hohe Reputation. Diese Fakten sind bemerkenswert und sollten beibehalten werden, doch über die Qualität der Lehre sagen sie eher wenig aus. Und so nähern wir uns mittlerweile auch der eigentlichen Grundfrage an: Was ist diese «gute» Lehre überhaupt? Wie zeichnet sie sich aus und was sollte sie beinhalten? Innerhalb dieses Jahres haben wir einige Umfragen durchgeführt, wobei sich herausgestellt hat, dass aus Studierendensicht mehr Reflexion und Diskussion begrüssenswert wäre. Reflexion bedeutet, dass nicht nur Wissen akquiriert werden sollte, sondern eben die aktive Auseinandersetzung mit dieser den gewünschten Mehrwert bringt. Diskussion erfordert zudem eine angemessene Grösse der Kurse, den richtigen didaktischen Rahmen und die aktive Partizipation der Teilnehmenden. Die Voraussetzungen sollten von der Universität und vor allem den Dozierenden geschaffen werden und die Studierenden müssen bereit sein, darauf einzugehen. Diese Umfragen haben in dem Sinne nichts Neues ergeben. Wir befinden uns an einer der renommiertesten Wirtschaftsuniversitäten Europas. Einige von uns werden in der Lage sein die Zukunft mitzugestalten und weitreichende Entscheidungen zu treffen. Bereits aus diesem Gesichtspunkt ist es nicht nur der Anspruch, sondern die Verpflichtung der Universität St.Gallen als öffentliche Institution nicht nur zukünftige Funktionsträger auszubilden, sondern reflektierte Menschen, die reflektiert ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrnehmen. Aber auch abgesehen von der gesellschaftlichen Verantwortung, findet aktuell weltweit eine Entwicklung der Digitalisierung statt, welche wohl gewaltige Auswirkungen auf jede Ausbildungsstätte hat. Mittlerweile ist fast jegliches Fachwissen umsonst auf dem Internet frei verfügbar. Sobald man einen Internetzugang hat, hat man Zugang zu beinahe unbegrenztem Wissen. Bildungsstätten wie sie die HSG eine ist, stehen dadurch vor einer Herausforderung. Welchen Mehrwert bietet die Universität gegenüber dem Open Source? Weswegen sollen wir unsere Studiengebühren zahlen und uns jeden Tag den Hügel hochquälen? Die Uni St.Gallen hat hier den Vorteil, dass sie ein sehr ausgeprägtes Campusleben hat und das studentische Engagement besser pflegt, als die meisten anderen Hochschulen. Dennoch wäre es verfehlt zu glauben, dass solche kulturellen Faktoren langfristig diesem Megatrend entgegenwirken können. Was es braucht ist ein Mehrwert in der Lehre, welcher nicht durch Bücher oder Internetportale abgedeckt werden kann. Ein Mehrwert, wie er nur durch Diskussionen, unersetzliches Expertenwissen und die aktive Auseinandersetzung mit den gelernten Inhalten generiert werden kann. Die Studierenden müssen wieder vermehrt die intrinsische Motivation aufbringen, am Kontaktstudium teilzunehmen, denn dies ist der ursprünglichste und sollte nach wie vor der wichtigste Zweck des Ganges auf den Campus sein. Mal abgesehen von schwammigen Begriffen wie Reflexion und Diskussion; welche konkreten Massnahmen könnten uns weiterbringen? Selbstverständlich können Videovorlesungen und andere technologischen Mittel helfen, doch ein Jahr als Präsident der Studentenschaft, ein Jahr wertvollster Erfahrung in diesem Bereich hat gezeigt, dass es vor allem zwei Hebel gibt: Zum einen ist das Generieren von selbständigem Output als Prüfungsleistung. Indem ich ein Papier schreibe, eine Präsentation halte oder auch einen Film drehe, setze ich mich aktiv mit dem Stoff der Vorlesung auseinander. Ich erarbeite selbst ein Resultat, welche meine Kritik und Überlegungen mit dem Grundlagenwissen verknüpfen. Dies hat zur Konsequenz, dass das selbst Erarbeitete wiederum kritisch hinterfragt werden sollte. Deswegen ist der zweiten Hebel das Feedback. Prüfungsleistungen sind nicht nur da, um sie abgelegt zu haben. Entsprechend braucht es zwingend eine Rückmeldung durch die Dozierenden, welche die Arbeit beurteilen. Eine blanke Note hilft dabei wenig. Nur ein ausführliches schriftliches oder mündliches Feedback hilft dabei, die eigenen Leistungen stetig zu verbessern, denn solange ich nicht weiss was falsch ist, weiss ich auch nicht, was ich beim nächsten Mal besser machen kann. In den letzten Jahren begann ein Umschwung in der Lehre an der HSG. Vieles von dem was ich gerade erwähnt habe, befindet sich in der Startphase oder wurde bereits teilweise umgesetzt. Nebst der bereits bestehenden und stark verankerten Praxisorientierung wurden diverse Projekte gestartet, um den heutigen Anforderungen gerecht zu werden. Zurzeit liegt der Fokus auf der technologischen Weiterentwicklung in den Lehrmethoden. Aus meiner Sicht ist das grundsätzlich nicht falsch, solange die Technologie nur als Mittel zum Zweck genutzt wird, einen tatsächlichen Mehrwert für Studierende zu generieren. Auch die Reform im Kontextstudium, welcher doch 25% unseres Pensums ausmacht, setzt den Fokus nun vermehrt auf schriftlichen Arbeiten. All diese Punkte geben Raum für Hoffnung. Ausserdem ist die Studentenschaft an der Universität St.Gallen unglaublich stark in die universitären Prozesse eingebunden. So können wir der studentischen Stimme Gewicht verleihen und auch unsere Perspektive in Gremien integrieren. Ich bin stolz ein Student der Universität St.Gallen zu sein, denn die Möglichkeiten, die sich hier bieten, sind unglaublich und sollten geschätzt werden. Doch bei aller Praxisorientierung, den unbegrenzten Möglichkeiten in den Austausch zu gehen, an Jobbörsen ein Praktikum zu erhalten und beim Unisport alle möglichen und unmöglichen Sportarten auszuprobieren, darf der Blick auf das für uns Studierende wesentlichste und wertvollste Gut verloren gehen: Die Lehre. Wenn ich diese Universität verlasse, möchte ich eine reflektierte und kritische Person sein, die sich mit dem gelernten Stoff auseinandergesetzt hat. Diesen Anspruch habe ich an mich selbst, aber auch an meine Ausbildungsstätte und dies sind wohl die beiden Instanzen, welche über Erfolg und Scheitern entscheiden. Und deswegen sage ich, dass die Zukunft der Lehre eng mit folgenden drei Stichworten verknüpf werden sollte: Reflexion, Diskussion – und vor allem – Feedback.
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