24 Stunden im Leben von Maude Vuilleumier, 29 Jahre alt, Szenografin Erwachen und aufstehen am Morgen ist eine mühsame Angelegenheit. Zwar versucht mich der Wecker um 7.30 Uhr zu wecken. Dies gelingt jedoch meist nicht auf Anhieb. Beim zweiten und dritten eindringlichen Klingeln schaff ich es dann, aus dem Bett zu steigen und mich für den neuen Tag bereit zu machen. Das Frühstück bleibt Nebensache. Das Tram bringt mich entweder zum Opernhaus oder dann zur Probebühne im Schiffbau, wo ich für eine Spielzeit als Ausstattungs-Assistentin arbeite. Alle sechs Wochen wird im Zürcher Opernhaus ein neues Stück einstudiert. Für viele Produktionen kommt eine Crew mit eigenem Regisseur, Bühnen-, Kostümbildner, Assistenten und natürlich Sängern und Musikern, die mit dem Ensemble in Zürich zusammenarbeiten. Meine Aufgabe ist es, den Proben beizuwohnen und genau aufzupassen, wenn es in der Ausstattung Änderungen gibt. In meinem Skizzenbuch mache ich mir Notizen. Manchmal muss ich auch den Platz für den noch nicht probenden Chor oder für Statisten auf der Bühne einnehmen, wie beispielsweise bei Christoph Marthalers „Sale“, wo ich zehn Personen gleichzeitig vertreten musste, zum Glück ohne Ton. Ich bin die Ansprechperson für die ganze Ausstattungscrew und schaffe die Verbindung von den auswärtigen zu den Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Wenn für den „Fliegenden Holländer“ historische Seekarten gesucht werden, verbinde ich mich mit der entsprechenden Abteilung im Opernhaus oder suche gleich selbst Karten im Internet oder in der Zentralbibliothek. Ich halte die technischen Ablaufpläne à jour, denn jede Probe wird genau dokumentiert und zum Schluss archiviert. Wenn der „Fliegende Holländer“ später in Mailand und Oslo aufgeführt wird, müssen die Vorgaben bekannt sein, damit alles wieder am gleichen Platz steht, wo es hingehört. Jede neue Produktion ist eine Herausforderung. Es sind ja nicht nur neue Künstler, auch die Musik ändert sich, wie z.B. in dieser Saison Bernstein, Händel, Wagner und jetzt gerade Verdi. Geprobt wird ein Stück nicht schön der Reihe nach, sondern einmal dritter Akt zweite Szene oder erster Akt letzte Szene. Es ist für mich am Anfang immer schwierig, den Zusammenhang eines Stücks zu erfassen. Aber je weiter die Proben voranschreiten, um so besser komme ich in den Ablauf und in die Musik hinein. Bei der Generalprobe und Première habe ich dann in etwa alles verstanden und bin erfüllt von dem Werk. Aber am Montag drauf erwartet mich bereits wieder ein neues Stück, neue Musik, neue Crew. Langweilig wird es mir nicht, obwohl ich manchmal mehr tun möchte als „nur aufmerksam zuschauen“ und ja nichts verpassen, wenn es in der Ausstattung kleine Änderungen gibt. Seit September bin ich am Opernhaus. Mit Opern habe ich mich bisher nur am Rande beschäftigt. Ansonsten bin ich im Masterstudium an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK und studiere Szenografie, d.h. Bühnenbild und bereite meine Masterarbeit vor. Nach meinem Engagement im Opernhaus rückt nächsten Herbst die Masterarbeit wieder ins Zentrum. Das Theater begleitet mich schon seit meiner Kindheit. Mit Zwölf habe ich angefangen, im Kinder- und Jugendtheater in Turgi Theater zu spielen. Als ich später Theaterschneiderin lernte, war ich dort lange Zeit Kostümbildnerin für die Kinder. Als Theaterschneiderin habe ich am Städtebundtheater in Biel-Solothurn vier Jahre lang gearbeitet. Aber ich wollte mehr als nur Kostüme nähen. Deshalb habe ich auch die gestalterische Berufsmaturität und später den Vorkurs absolviert. Als Studentin der ZHdK bin ich aktiv in der freien Szene tätig. Hier muss man einfach alles tun. Nebst Kostümen entwickeln und nähen, Bühnenraum gestalten und bauen, am Inhalt und Text mitarbeiten, selber mitspielen, die ganze Technik bewältigen und auch finanzielle Mittel suchen. Da mein in diesem Oktober leider viel zu früh verstorbener Vater im Theater gearbeitet hat - früher als Theaterleiter an der „Winkelwiese“ in Zürich, später als Theaterpädagoge im Schultheater - bin ich mit dem Theater von klein auf eng verbunden. Es gibt für mich gar nichts anderes, als in diesem Bereich zu arbeiten. Die freie Szene ist meist chaotisch und aufreibend, darum ist die Assistenz am gut durchorganisierten Opernhaus für mich fast eine Erholung, auch mit Sechstagewoche und unregelmässigen Arbeitszeiten oft bis in die Nacht hinein. Es ist spannend, hier auf so viele unterschiedliche Menschen zu treffen - auch auf berühmte Stars, die mir als liebenswürdige Menschen begegnen sowie auf meine Kolleginnen und Kollegen von Ausstattung und Technik, von denen ich viel lerne. Text: Ruth Vuilleumier-Kirschbaum, 66, Kunsthistorikerin, Killwangen
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