Rede MM Vatikan Rom - Brief der kath. Bischöfe - 26.10

Rede auf der internationalen Konferenz der polnischen Botschaft am Vatikan zum 50.
Jahrestag des Briefes der polnischen Bischöfe beim Vatikanum II
Der Brief der polnischen Bischöfe und der deutsch-polnische Versöhnungsprozess
Rom, den 26.10.2015
Markus Meckel
Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge eV
Anrede
Zuerst möchte ich Ihnen für die Einladung danken. Es ist schon bemerkenswert, dass Sie zu
dieser Konferenz mit mir einen Deutschen und einen Protestanten nach Rom einladen. Gern
bin ich dieser Einladung gefolgt!
Der Brief der polnischen katholischen Bischöfe an ihre deutschen Amtskollegen vor 50
Jahren war damals ein Paukenschlag, ein historisches Ereignis von bis heute ungebrochener
Bedeutung. Diesem Brief steht historisch zu Seite die Ostdenkschrift der evangelischen
Kirchen in Deutschland, die wenige Wochen vor dem Brief in die Öffentlichkeit kam.
Insofern geht es hier um einen doppelten Paukenschlag, der damals die Gesellschaft in beiden
Ländern erschütterte. Der Breslauer Kardinal Kominek, der eigentliche Initiator und Verfasser
des Briefes, hat sich später dazu bekannt, dass die Denkschrift, die er gründlich studiert habe,
eine wichtige Ermutigung für seine Initiative war. Sie hat damals wesentlich dazu
beigetragen, dass die Hoffnung groß war, dass die deutschen katholischen Bischöfe ebenso
mutig und klar reagieren würden – doch wir wissen, diese Hoffnung wurde dann enttäuscht.
Zu sehr war die katholische Kirche in Deutschland mit der Regierung Adenauer verbunden,
die in der Grenzfrage keine Bereitschaft zum Entgegenkommen zeigte. So hat später auch
Richard von Weizsäcker, selbst an der Entstehung der Ostdenkschrift beteiligt, bekannt, dass
er und seine Mitstreiter den Brief der katholischen Bischöfe als „kraftvolle Antwort auf
unsere Erklärung“ empfanden. Für die katholischen Bischöfe aber waren sie gewissermaßen
„die Falschen“. Man hatte auf ein klares Wort der deutschen Katholiken gehofft.
Beide, die Ostdenkschrift und der Brief, hatten viel miteinander gemein: Beide widersprachen
nämlich damals dem mehrheitlichen Denken in ihren Ländern, im kommunistischen Polen
wie in der Bundesrepublik Deutschland. In Westdeutschland rührte die Denkschrift an ein
Tabu, eine Lebenslüge. Damals war die Grundhaltung in der deutschen Bevölkerung noch
stark von dem Bewusstsein bestimmt, dass Deutschland 1945 vor allem ein Opfer war und der
Verlust der Ostgebiete ein Unrecht sei. Die Lebenslüge bestand darin, dass der Glaube genährt
wurde, die Oder-Neiße-Grenze sei vorläufig. Bischof Hanns Lilje aus Hannover beschrieb das
in seinem Bericht vor der Synode im November 1965 so: „In meiner täglich einlaufenden
Post macht fast Dreiviertel der Eingänge der Protest gegen diese Denkschrift aus. (…) Dies
gehört nun zu den geheimnisvollen Dingen der heutigen deutschen Mentalität. Dem normalen
deutschen Mann kann man drei Sachen nicht sagen: Man kann mit ihm nicht über die Juden
reden, man kann mit ihm nicht über den 20. Juli 1944 reden, und man kann mit ihm nicht über
die Kapitulation von 1945 reden. Das ist eine Schwäche, die auf die Dauer eines Volkes wie
des unseren nicht würdig ist.“ So Bischof Lilje 1965.
Beide, Denkschrift und Brief, setzten sich faktisch heftiger Kritik der jeweils Regierenden
aus. Das war natürlich besonders schwerwiegend in Polen. Hier sah Gomulka sich in seinem
Monopol angegriffen, Außenpolitik zu machen – und als außenpolitisches Signal verstand er
diesen Brief, was ja auch nicht ganz unrichtig war. In der Folge sah er gleichzeitig die
Chance, die unvorbereitete polnische Bevölkerung, für die dieser Brief auch schwer zu
akzeptieren war, gegen ihre Kirche in Stellung zu bringen. Das ist ihm dann aber schließlich
doch nicht gelungen.
Die Kritik an der Denkschrift war in Deutschland ebenfalls heftig – doch war die
Bundesrepublik eben ein demokratisches Land und damit eine solche Diskussion möglich.
Immer wieder war aber auch hier von „Verrat der Landesinteressen“ die Rede. Der Kirche
wurde vielfach die Legitimation zu solchen politischen Botschaften abgesprochen. Der Bund
der Vertriebenen (BdV) lief Sturm gegen die Denkschrift und eine Anerkennung der Grenze
an Oder und Neiße. Man muss sich ja deutlich machen, dass es noch 20 Jahre brauchte, bis
Bundespräsident Richard von Weizsäcker in der Bundesrepublik das Verständnis des
Kriegsendes 1945 als Befreiung etablieren konnte!
Die Autoren der Denkschrift und viele kirchenleitenden Persönlichkeiten verteidigten diese
gegen alle Angriffe mit großem Engagement. Ludwig Raiser, einer der maßgebenden Autoren
und früher schon einer der Autoren des „Tübinger Memorandum“ sprach vom „Realismus als
Gebot der deutschen Politik“, zu der die Kirchen die Gesellschaft herausforderten.
Schon in den Jahren zuvor hatte es in der deutschen Gesellschaft verschiedene Initiativen
gegeben, das blockierte Verhältnis zu Polen aufzubrechen. 1964 gab es eine erste Pax-ChristiWallfahrt nach Polen. Im gleichen Jahr versuchte eine kleine Gruppe evangelischer
Jugendlicher aus der DDR, organisiert durch die 1958 von Lothar Kreyssig gegründete
„Aktion Sühnezeichen“, nach Ausschwitz zu fahren. Sie wurde von den kommunistischen
Behörden jedoch daran gehindert, so dass die Fahrt erst im nächsten Jahr zustande kam.
Stanislaw Stomma und Tadeusz Mazowiecki, beide der SNAK-Gruppe im Sejm angehörig,
bekamen Kontakt mit den deutschen Initiatoren, so dass hier kleine Netzwerke entstanden.
Besonders wichtig für die polnische katholische Kirche wurde dann aber der Bensberger
Kreis, eine Gruppe katholischer Intellektueller, deren Erklärung 1968 dann in Polen als die
eigentliche Antwort auf den Brief der katholischen Bischöfe empfunden wurde – nur eben
nicht von den offiziellen Repräsentanten der deutschen Katholiken geschrieben…
Erst mit dem Wahlsieg der sozial-liberalen Koalition in Bonn im Jahr 1969 konnten diese
gesellschaftlichen Versöhnungsinitiativen dann ihre politische Wirkung entfalten. Willy
Brandt, mit dem ich 1991 noch darüber sprach, bekannte mir gegenüber, dass die Denkschrift
eine ganz wesentliche Grundlage für die Mehrheitsfähigkeit seiner neuen Ostpolitik und des
Warschauer Vertrages von 1970 in der westdeutschen Gesellschaft geschaffen hat.
Willy Brandts Politik wurde auch von der Bevölkerung in der DDR in hohem Maße begrüßt.
Man erinnere sich nur, wie ihm die DDR-Bürger in Erfurt zujubelten. Durch seine Politik
wurde die Grenze durchlässiger, der Zusammenhalt der Deutschen in Ost und West durch
vielfältige Begegnungen gestärkt – und es begann der Versöhnungsprozess mit den östlichen
Nachbarn, insbesondere mit Polen. Beim Kniefall Willy Brandts gab es insbesondere in den
Kirchen der DDR das tiefe Bewusstsein: Er kniet dort auch für uns!
Diese neue Ostpolitik Willy Brandts konnte nur in einem heftigen innenpolitischen Streit
durchgesetzt werden. Umso mehr ist es diesem Kanzler anzurechnen, dass er um dieses
Versöhnungsprozesses willen bereit war, seine politische Existenz aufs Spiel zu setzen!
Im Gefolge des Warschauer Vertrages von 1970 gab es dann vielfältige gesellschaftliche
Aktivitäten und Versuche, ihn mit Leben zu erfüllen. In Westdeutschland gründeten sich
„Deutsch-Polnische Gesellschaften“, die dann vielfach die gesellschaftlichen Träger von neu
geschlossenen Städtepartnerschaften wurden. Als eine der ersten und wichtigsten sei hier die
zwischen Bremen und Danzig genannt. 1972 begann eine Schulbuchkommission ihre Arbeit,
um die völlig gegenläufigen Geschichtsinterpretationen anzunähern. Eine große Wirkung in
die polnische Gesellschaft hinein hatte dann nach dem Kriegsrecht 1981 die breite
gesellschaftliche Solidarität aus Westdeutschland mit der unabhängigen Gewerkschaft
Solidarnosc und der ganzen polnischen Bevölkerung. In Polen war es besonders auch die sich
in der „Solidarnosc“ sammelnde Opposition, die Versöhnung mit Deutschland suchte.
Erwähnt sei hier nur das Buch von Jan Jozef Lipski „Zwei Vaterländer – Zwei Patriotismen.
Bemerkungen zum nationalen Größenwahn und zur Xenophobie der Polen“ (1981), das sich
heute noch zu lesen lohnt.
Mit dem Sieg von Freiheit und Demokratie im Zentrum Europas galt es dann 1989/90, die
Früchte dieser langen Prozesse zu ernten. Allen ist das Foto vor Augen, als Helmut Kohl und
Tadeusz Mazowiecki sich in Kreisau direkt nach dem Fall der Mauer das Versöhnungszeichen
geben. Doch war diese Umarmung eben Teil der katholischen Messe – mehr Hoffnung als
politische Tat. Helmut Kohl war dann auch keineswegs bereit, schnell und ohne Verzug die
Grenze anzuerkennen. Er hatte – im Jahr vor der Bundestagswahl – die Vertriebenen im Blick
und wollte deren Stimmen nicht verlieren. So versuchte er, die Entscheidung über die
Grenzfrage so weit wie möglich nach hinten zu schieben. Die polnische Regierung unter
Mazowiecki dagegen drang auf eine möglichst schnelle Anerkennung der Grenze.
Diese Grundhaltung bestimmte auch mich, als 1989/90 nach dem Fall der Mauer und mit der
Frage der deutschen Einheit die Grenzfrage dauerhaft zu regeln war. Noch im Dezember 1989
bekräftigen wir, d.h. die neu gegründete sozialdemokratische Partei in der DDR, die
Notwendigkeit einer schnellen und bedingungslosen dauerhaften Anerkennung der OderNeiße-Grenze. Diese Haltung wurde dann von der frei gewählten Volkskammer der DDR in
ihrer Erklärung vom 12. April 1990 ausdrücklich bekräftigt. In dieser Erklärung stellten wir
Ostdeutschen uns in die aus unserer Vergangenheit her rührende Verantwortung, welche von
der SED über die Jahrzehnte geleugnet worden war.
Als Außenminister der DDR trat ich für den Vorschlag des polnischen Ministerpräsidenten
Tadeusz Mazowiecki ein, dass wir in Dreiergesprächen (Polen und die beiden deutschen
Staaten) einen Grenzvertrag ausarbeiten und signieren - und dieser dann unmittelbar nach der
staatlichen Einheit vom gesamtdeutschen Parlament ratifiziert wird. Wir begannen auf meine
Initiative hin diese Gespräche auf Staatssekretärsebene – doch wurden diese schließlich von
Kanzler Kohl unterbunden. So verschob er, als der Grenzvertrag dann nach der deutschen
Einheit endlich zustande kam, noch einmal die Ratifizierung im Deutschen Bundestag auf die
Zeit nach der Wahl und sprach von der Anerkennung der Grenze als „Preis der deutschen
Einheit“ - eine in meinen Augen völlig unangemessene Perspektive, war diese Grenze doch
eine Folge des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Verbrechen. In meinen Augen war es
damals auch wichtig, das auch klar so zu benennen, weil nur so das geeinte Deutschland das
nötige Vertrauen erwerben würde. Durch die Verzögerung einer schnellen Grenzanerkennung
verweigerte Deutschland damals Polen – und insbesondere seinem Ministerpräsidenten, der
so viel für die Versöhnung mit Deutschland getan hatte - in einer schwierigen Zeit die
notwendige Solidarität. Ich habe das damals mit großem Schmerz – und Ärger – erlebt.
Glücklicherweise erfüllten sich danach die Befürchtungen nicht, die wir damals hatten. Es
bewahrheitete sich die Erfahrung, dass erst wirklich anerkannte Grenzen auch zu
durchlässigen Grenzen werden. Auf diesem Weg sind wir heute weit vorangeschritten.
Helmut Kohl erwarb sich dann ab 1991 gegenüber Polen große Verdienste, da er in der
Europäischen Union zum engagierten Anwalt der künftigen Mitgliedschaft Polens und der
anderen neuen Demokratien wurde.
Heute sind Deutschland und Polen nicht nur beide demokratische Staaten und Partner in
Europa und in der Nato. Die verlässlichen Beziehungen beider Länder sind gesellschaftlich
tief verankert. Das gegenseitige Vertrauen ist immer tiefer geworden. Wir wissen auf beiden
Seiten der Grenze, dass die Gestaltung eines freiheitlichen Europa unsere gemeinsame
Herausforderung ist. Auf dem Weg dahin wurde der von der Ostdenkschrift der EKD und
dem Brief der polnischen Bischöfe im Jahr 1965 auf den Weg gebrachte Versöhnungsprozess
zwischen unseren Völkern das immer stabiler werdende Fundament.
Heute wird international häufig auf das Beispiel der Versöhnung zwischen Deutschland und
Polen geschaut, ja, dieser Versöhnungsprozess wird regelrecht als ein Modell angesehen.
Angesichts der gegenwärtigen Partnerschaft in Europa sind wir heute nun herausgefordert,
anstehende Probleme aus dem Geist dieser Vergangenheit zu bewältigen. Das gilt aktuell ganz
besonders für die Flüchtlingsfrage. Solidarnosc ist das polnische Wort, das in der Welt jeder
kennt, ein Wort, das vielfältige theologische und auch politische Dimensionen hat. Es wäre
ein tiefgreifendes Erlebnis, wenn die Kirchen beider Länder heute in der Lage wären, ihren
Regierungen in dieser Thematik aus dem Horizont der Solidarität ein Orientierung gebendes
Wort zu sagen!
Ich danke Ihnen!
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