GELDANLAGE 29 Neuö Zürcör Zäitung Montag, 26. Oktober 2015 STANDPUNKT Anlagerisiken mit Modellen und Augenmass erfassen Wer sich noch die bisherigen Garantie-Verzinsungen bei Lebensversicherungen sichern will, muss sich sputen. ARNO BALZARINI / KEYSTONE Wer an Lebensversicherung denkt, muss jetzt handeln Zum Jahreswechsel ordnet die Finma eine tiefere Garantieverzinsung an Die Lebensversicherung hat schon viel an Beliebtheit eingebüsst. Nach dem 1. Januar könnte sich dieser Trend noch beschleunigen. WERNER GRUNDLEHNER Die Lebensversicherung war lange Zeit für viele ein wichtiges Element der privaten Altersvorsorge. Der Gesetzgeber fördert dieses Absicherungs- und Sparinstrument durch steuerliche Erleichterungen bei verschiedenen Vorsorgeformen, zum Beispiel der gebundenen Vorsorge 3a. In jüngster Zeit hat die Beliebtheit aber gelitten. Die Gelder sind lange gebunden, und ein vorzeitiger Ausstieg wird kostspielig. Der Steuervorteil ist ebenfalls oft teuer erkauft, denn Versicherungslösungen sind vielfach teurer, intransparenter und weniger flexibel als andere Anlageformen. Das grösste Handicap sind jedoch die tiefen Renditen, welche die Lebensversicherungen offerieren. Fix für ganze Laufzeit Der Ertrag für den Versicherungsnehmer setzt sich bei kapitalbildenden Lebensversicherungen aus Mindestzins und Beteiligung an den Überschüssen zusammen. Die Mindestverzinsung (Garantiezins) ist fest und für die gesamte Vertragsdauer garantiert, im Lebensversicherungsbereich können das über 40 Jahre sein. Auf einen derartig langen Zeithorizont haben auch kleine Veränderungen in der Verzinsung, we- gen des Zinseszins-Effekts, einen gravierenden Einfluss. Auf Jahresbeginn 2016 verschlechtert sich die Lage für die Versicherungsnehmer weiter. Auf Geheiss der Finanzmarktaufsicht (Finma) müssen alle in der Schweiz tätigen Lebensversicherer den jährlichen Garantiezins von derzeit maximal 1,25% auf 0,75% senken. Bei Policen gegen Einmalprämien gilt ab dem Jahreswechsel ein noch tieferer Satz von maximal 0,5%. Wohlgemerkt: Dabei handelt es sich um den höchsten Satz, den eine Versicherung als Garantiezins anbieten darf – tiefere Mindestverzinsungen sind aber möglich. Die meisten Versicherungen offerieren ihren Versicherten jedoch den maximalen Satz. Die Finma legt eine Zinsobergrenze fest, damit sich die Versicherungen im Konkurrenzkampf um möglichst attraktive Konditionen nicht übernehmen und in Existenzgefahr geraten. Die Lage für die Institute ist bereits so herausfordernd genug: Im Bestandesdurchschnitt und je nach Unternehmen liegen die gegebenen Zinsgarantien schätzungsweise zwischen 2,5 und 3,5%. Die Erwirtschaftung dieser langfristigen Zinsgarantien ist abseits des schwierigen Kapitalmarktumfelds durch die Einführung weitreichender Solvenzbestimmungen und die dabei gestiegenen Kapitalanforderungen zusätzlich erschwert. Wer zur Überzeugung gelangt, dass eine Lebensversicherung nötig ist, um die eigenen Vorsorgebedürfnisse zu decken, der muss sich beeilen. Die meisten Anbieter werden erfahrungsgemäss bis zum 1. Januar mit der Anpassung warten, einzelne Anbieter werden aber die Verzinsung vorher senken oder haben dies bereits getan. Und wer glaubt, dass eine Zinssenkung um 0,5 Prozentpunkte wenig ausmacht, der irrt. Immerhin wird die Mindestverzinsung um 40% gesenkt. Weil Lebensversicherungen eine lange Laufzeit aufweisen, geht es darum, mehrere tausend Franken zu haben oder nicht zu haben. Fast ein Zehntel weniger Der Vergleichsdienst Moneypark zeigt mit einem Rechenbeispiel, wie die finanziellen Folgen aussehen (vgl. Grafik). Familie Muster hat sich nach einem sprunghaften Anstieg der Verschuldung wegen eines Hauskaufs entschlossen, das finanzielle Risiko eines Verdienstausfalls durch Unfall oder schwere Krankheit abzufedern. Die Familie entscheidet sich für eine gemischte Lebensversicherung mit periodischer Einzahlung in die Säule 3a; diese kombiniert die Versicherung mit einem Sparprodukt. Jeden Monat über die Vertragslaufzeit von 35 Jahren wird ein Betrag von 400 Fr. einbezahlt – im Jahr entsprechend 4800 Fr. Die Reduktion des Garantiezinses um 40% von 1,25% auf 0,75% hat in diesem konkreten Fall zur Folge, dass nach den 35 Jahren über 18 000 Fr. weniger als garantierter Sparbetrag ausbezahlt werden: Die Versicherung verspricht nicht mehr eine Auszahlung von fast 210 000 Fr., sondern lediglich eine von knapp über 191 000 Fr. Das entspricht einer Reduktion um fast 9%. Der garantierte Zinsertrag sinkt durch diese Massnahme von über 42 000 Fr. auf nur noch knapp 24 000 Fr. nomischen Modellen und an einem auf ihnen aufbauenden computerbasierten Anlage-Risikomanagement ist spätestens in der Finanzkrise von 2007/08 laut geworden. Doch was bedeutet es für das Risikomanagement, wenn Risiken nicht mehr bloss mit den Wertschwankungen von Anlagen gleichgesetzt werden? Und wenn diese Schwankungen in Heftigkeit und Häufigkeit nicht länger der Einfachheit halber als normalverteilt angenommen werden dürfen? Und wenn die Einsicht besteht, dass Computermodelle oft bloss Trends fortschreiben und darum nur für einen bestimmten Zeitraum aussagekräftig sind? Gutes Risikomanagement arbeite mit einer Mischung aus Fakten – die oft von Modellen erarbeitet werden – und menschlicher Erfahrung, erklärt Alain Barthel, Chef für institutionelle Kundschaft bei Goldman Sachs Asset Management. Der im Investment Banking gross gewordene US-Finanzkonzern ist heute unter anderem einer von etlichen Anbietern von Asset- und RisikoManagement-Dienstleistungen für externe Kunden wie Pensionskassen oder Versicherungen. Die Zeiten seien vorbei, in denen die Finanzberater den Kunden erklärt hätten, was «Risiko» für sie bedeuten müsse. Heute definiere man gemeinsam mit jedem einzelnen Kunden, was Risiko für ihn heisse, sagt Barthel. Manche haben künftige Verpflichtungen, für die sie regelmässig fixe Cashflows generieren müssen, können aber Wertschwankungen im Portfolio tolerieren. Andere Kunden können nur kleine Wertschwankungen ertragen usw. Anhand diesem zusammen mit dem Kunden definierten Massstab werde dann errechnet, welche Abweichungen in Rendite oder Wert das Portfolio maximal generieren dürfe, und zwar in Franken, nicht bloss in Prozenten. Die möglichen Investments würden sodann auf ihre «Abweichungsgefährdung» geprüft. Es werde im Portfolio eine Mischung von Anlagen zusammengestellt, welche das gesamte Risikobudget mutmasslich nicht überschreiten wird, und anschliessend laufend überprüft. Bei jeder Anlageklasse werde mit dem Kunden darüber diskutiert, welche Gefährdungen möglich seien: bei Obligationen zum Beispiel, wie viel Geld der Kunde mit dem Schuldner-Risiko, dem Kursrisiko usw. verlieren könne. Wichtig sei auch, dass die subjektive «Schmerzempfindlichkeit» des Kunden diagnostiziert werde. Nicht bei jeder Pensionskasse etwa, die theoretisch vorübergehend einen Wertverlust ihrer Anlagen von 10 Mio. Fr. verschmerzen könnte, sei die Verwaltung auch bereit, einen solchen Verlust vor den Kontrollgremien zu rechtfertigen. Solchen individuellen Umständen müsse von Anfang an Rechnung getragen werden. Die Modelle allerdings, welche z. B. die maximal möglichen Verluste errechneten, könnten immer nur das tun, was man ihnen auftrage, sagt Barthel. Sie funktionierten immer nur während einer gewissen Zeit und in einem gewissen Umfeld. Es brauche Menschen mit Erfahrung, die nicht nur bestimmten, WAS BANKEN RATEN Bei Lebensversicherungen sinkt der Garantiezins 2016 Unschöner Zinseszinseffekt Guthaben am Jahresende bei 1,25% Guthaben am Jahresende bei 0,75% Rentenversicherung (Abschlussdatum) In % In Fr. 209718 200000 191435 2,0 1,5 100000 1,0 50 000 0 3,0 2,5 150000 Jahr Technischer Zinssatz im Sinkflug Kapitalversicherung (Abschlussdatum) 0,5 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 0 1970 1980 1990 2000 2010 2016 Legende: Ein Versicherter zahlt über 35 Jahre einen monatlichen Betrag von 400 Fr. ein, der garantierte Sparbetrag sinkt um über 18 000 Fr. QUELLE: MONEYPARK NZZ-Infografik/cke. Credit Suisse erwartet weitere Erholung feb. Die Credit Suisse sieht eine steigende Wahrscheinlichkeit, dass sich die jüngste Erholung an den Aktienbörsen zum Jahresende hin fortsetzen wird. Am Markt herrsche bisher noch kein übertriebener Optimismus, teilten die Analytiker der Grossbank mit. Der amerikanische Leitindex S&P 500 bewege sich weiterhin deutlich unterhalb seiner Tiefs vom Monat Juli. Gemessen an den kumulierten Daten für kotierte Indexfonds (ETF) stiegen die Mittelzuflüsse in die Aktienmärkte an. Kurzfristig ge- was die Modelle überhaupt messen sollen, sondern auch ständig die Wirksamkeit der Modelle hinterfragten. Sei diese nicht mehr gegeben, müssten die Modelle erneuert werden. Es sei auch möglich, dass man Kunden eine Portfolio-Umschichtung empfehle, weil die Modelle erneuert worden seien und zu anderen Erkenntnissen über Gefahren geführt hätten. Der rasante technische Fortschritt und die Veränderungen an den Märkten hätten die Lebensdauer der Modelle enorm reduziert. Sie seien heute aber auch einfacher konstruiert und hätten überdies im Zuge der Technologisierung nicht länger nur die Aufgabe, die Märkte zu beobachten und deren Verhalten zu prognostizieren. Sie müssen nun auch riesige Datenmengen filtern, um weitere nützliche Informationen zu gewinnen: zum Beispiel weltweit alle Analytikerberichte in allen Sprachen zu einem «Heute definieren die Investoren, was Risiko für sie bedeutet.» PD Claudia Gabriel Die Kritik an den öko- Alain Barthel Goldman Sachs Asset Management Unternehmen sammeln und aus den subtilen Veränderungen der sprachlichen Formulierungen erkennen, wenn die Einschätzungen der Analytiker kritischer werden, ohne dass diese bereits ihre Empfehlung revidieren. Es brauche aber zuerst Menschen, welche Ideen generierten, was sich zu analysieren lohne, und dann «von Auge» kontrollierten, ob das Modell praxistauglich sei. Im technologischen Wettrüsten mit den anderen Marktteilnehmern einen Schritt voraus zu sein, sei daher eine zentrale Aufgabe. Damit das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine sowie Mensch und Mensch zu einem guten Risikoverhalten führe, sei es wichtig, dass die Mitarbeiter sich gegenseitig hinterfragten und auf kollegiale Art herausforderten. Wer die Modelle erstelle, müsse im Kontakt stehen mit den Praktikern und umgekehrt – beide machten immer wieder nützliche Beobachtungen. Es sei wichtig, dass es auf allen Ebenen Risikospezialisten gebe, die sich stets einbrächten und die auch gehört würden. Dabei sei es besonders wichtig, dass keine Geheimniskultur und kein Starkult in einem Unternehmen herrschten. Was ist zu tun, wenn man sich eingesteht, dass nicht jedes Risiko vorhersehbar ist? Besteht nicht die Versuchung, immer mehr und exotischere Gefahren zu wittern, bis das Risikomanagement ineffizient wird? Er nehme am liebsten eine Haltung von realistischem Optimismus an, sagt Barthel. Das menschliche Gehirn suche ohnehin immer nach Gefahren und neige dazu, die an sich viel häufigeren guten Gelegenheiten zu übersehen. Dieser Neigung müsse man entgegenwirken, um gut zu investieren. sehen bestehe aber auch Grund zur Vorsicht. Die Berichtssaison der US-Unternehmen laufe uneinheitlich, eine Zinserhöhung der Federal Reserve noch in diesem Jahr könnte bremsend wirken. M&G Investments setzt auf Unternehmensanleihen msf. Die Anleihe-Experten des Fondsanbieters M&G Investments halten Staatsanleihen von Industrieländern zwar für teuer. Dort mit aller Macht auf sinkende Kurse bzw. steigende Renditen zu setzen, sei jedoch nicht ratsam. Vernünftige Opportunitäten sehen sie jedoch bei Unternehmens- und Hochzinsanleihen, wo derzeit attraktive Risikoprämien bezahlt werden.
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