Die Dynamik in den nationalen Standardvarietäten des Deutschen Said Sahel Universität Bielefeld Die Untersuchung der Unterschiede zwischen den nationalen Varietäten des Standarddeutschen beschränkte sich bis vor kurzem auf die lexikalische Ebene (z.B. Variantenwörterbuch des Deutschen von Ammon/Bickel/Ebner (2004)). Erst in jüngster Zeit gerieten auch die grammatischen Besonderheiten der einzelnen nationalen Standardvarietäten in den Focus der Forschung (z.B. das Projekt Variantengrammatik des Standarddeutschen von Dürscheid/Elspaß/Ziegler). Analog zum Variantenwörterbuch des Deutschen von Ammon/Bickel/Ebner (2004) hat die geplante Variantengrammatik das Ziel, die Unterschiede zwischen den nationalen Varietäten des Standarddeutschen, hier auf der grammatischen Ebene, herauszuarbeiten. Eine solche Variantengrammatik ist überfällig, da sie jeder nationalen Standardvarietät ihre grammatischen Besonderheiten zugesteht und so die Stigmatisierung nationaler bzw. regionaler Varianten verhindert. Der Vortrag hat die grammatische Variation in den nationalen Standards von Deutschland, Österreich und der Schweiz zum Gegenstand. Anders als das Projekt von Dürscheid/Elspaß/Ziegler, das die grammatische Variation statisch erfassen will, möchte ich mich in meinem Vortag dieser Variation aus einem dynamischen Blickwinkel nähern. Es geht dabei um die Frage, ob sich die Grammatik dieser drei nationalen Standardvarietäten im gleichen Maße wandelt oder ob in dieser Hinsicht Unterschiede bestehen. Zu diesem Zweck wurde anhand ausgewählter grammatischer Bereiche für jede der drei nationalen Standardvarietäten untersucht, in welchem Ausmaß neben einer kodifizierten grammatischen Form (z.B. im Mai dieses Jahres) eine weitere, neue Variante (z.B. im Mai diesen Jahres) existiert. Die Datenbasis der Untersuchung bilden verschiedene, öffentlich zugängliche Korpora, die Zeitungstexte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz enthalten. Die Datenauswertung ergibt für die drei untersuchten Standardvarietäten kein einheitliches Bild. Der Anteil der neuen, (noch) nicht standardsprachlich anerkannten Variante ist in der deutschen Standardvarietät am höchsten, während diese Quote in der schweizerischen Standardvarietät am niedrigsten ist. Die österreichische Standardvarietät nimmt hier eine Mittelposition ein. Damit weist die Grammatik der deutschen Standardvarietät die größte Dynamik auf, während die schweizerische Standardvarietät eher durch ihre ausgeprägte Normtreue auffällt. Es wird argumentiert, dass diese Unterschiede mit der Nähe bzw. der Distanz zwischen der geschriebenen und gesprochenen Sprache in der jeweiligen Standardvarietät zurückzuführen sind. Die größere Dynamik in der Grammatik der deutschen Standardvarietät wird dadurch begünstigt, dass in weiten Teilen Deutschlands eine standardnahe Umgangssprache im Alltag gesprochen wird. Die Grenze zwischen der Alltagssprache und der geschriebenen Sprache ist dadurch durchlässig. Neuerungen gelangen daher leichter in die Schriftsprache. Aufgrund der Diglossie in der Schweiz bleibt die Grammatik des Standarddeutschen hingegen weitestgehend frei von Einflüssen der Alltagssprache. Ferner wird vor dem Hintergrund der Befunde diskutiert, inwiefern die schweizerische Standardvarietät den Status einer Quasi-Fremdsprache hat. Korpora COSMAS II (http://www.ids-mannheim.de/cosmas2/) Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (www.dwds.de) Schweizer Text Korpus (www.dwds.ch/) Literatur Ammon, Ulrich/Bickel, Hans/Ebner, Jakob (2004). Variantenwörterbuch des Deutschen: Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. Berlin [u.a.]: De Gruyter. Bickel, Hans (2000). „Deutsch in der Schweiz als nationale Varietät des Deutschen“. In: Sprachreport, Heft 4, S. 21-27. Dürscheid, Christa/Elspaß, Stephan/Ziegler, Arne. Variantengrammatik des Standarddeutschen. Projekt: http://www.variantengrammatik.net/. Hägi, Sara/Scharloth, Joachim (2005). Ist Standarddeutsch für Deutschschweizer eine Fremdsprache? Untersuchungen zu einem Topos des sprachreflexiven Diskurses. In: Linguistik online 24, 3/05.
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