SYMPOSIUM Das 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 Ursache - Anlass - Folgen Wir laden zur Diskussion! Termin: 14. und 15. Dezember 2015 Ort: Georg-Friedrich-Händel-Halle Salzgrafenplatz 1 06108 Halle (Saale) Veranstalter: Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Sachsen-Anhalt und Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt in Kooperation mit Christa Wolf Gesellschaft und Friedrich-Wolf-Gesellschaft Leitung: Prof. Dr. Frank Hörnigk, Dr. Therese Hörnigk, Paul Werner Wagner Als „Kahlschlag-Plenum“ ist nach 1990 zurecht jenes „11. Plenum“ des Jahres 1965 bezeichnet worden. Der Parteiapparat demonstrierte seine Macht als kunstrichterliche Instanz! Aus einer ursprünglich zu ökonomischen Problemen geplanten Beratung des Zentralkomitees wurde ein Partei-Tribunal gegen eine große Zahl bedeutender Kulturschaffender des Landes als geistige Brandstifter, dessen Auswirkungen auf die Partei bald schon selbst zurückschlagen sollte. Denn hier war leichtfertig ein Bündnis aufgekündigt worden, das einst zum Gründungsversprechen der DDR gehörte und aus dem gemeinsamen Kampf gegen Faschismus und Krieg hervorgegangen war. In ideologischer Blindheit war ohne wirklichen Grund eine kritische, aber gerade darin sozialistische Kunst gemaßregelt oder verboten worden, die auf die wirklichen Verhältnisse des Landes verwies und diese als gemeinsame Herausforderung zur künftigen Veränderung der Gesellschaft angenommen hatte – sich dabei bisher immer an der Seite der Partei verstehend. Rückblickend begründet sich mit dem Plenum nichts weniger als der ideologische Anfang vom Ende der DDR. Denn immer mehr Künstler reagierten entschlossen, aus der Vormundschaft der SED endgültig herauszutreten, sich zu emanzipieren. Die aus dieser Erfahrung gewachsenen Beispiele einer neuen Kunstöffentlichkeit in der DDR nach 1965 weisen bis heute über die Verhältnisse hinaus, unter denen die Werke einst entstanden – und fordern zur kritischen Diskussion nicht nur über Vergangenes heraus. Montag, 14. Dezember 2015 17:00 Begrüßung Einführung Dr. Ringo Wagner (FES) und Maik Reichel (LzfpB) Paul Werner Wagner 17:30 "Strafgericht über die volkseigene Moderne" Prof. Dr. Wolfgang Engler (Kultursoziologe, Rektor der Schauspielschule "Ernst Busch" Berlin) Das 11. Plenum bedeutete eine Zäsur im Streit zweier Modernisierungskonzeptionen der DDR. Die Moderne von oben zielte auf die Einbeziehung breiterer Bevölkerungsschichten in den sozialistischen Aufbau, wobei die autokratischen Machtverhältnisse unangetastet bleiben sollten. Diese aufzubrechen war der Moderne von unten aufgegeben, die auf einem informellen Bündnis vielfältigster sozialer Gruppierungen beruhte. Ausbau der Machtbasis vs. Demokratisierung, das war der Kern des Streits. 19:00 KARLA (DEFA 1965/90) Gesprächspartner: Jutta Hoffmann und Dr. Ralf Schenk Karla, Pädagogik-Absolventin, tritt voller Ideale ihre erste Stelle als Lehrerin an. Sie möchte ihre Schüler zu kritischen, selbstständig denkenden Menschen erziehen, wird aber sehr bald von Direktor Hirte, einem Altkommunisten, in die Schranken des Lehrplanes und der Grundsätze sozialistischer Erziehungsziele verwiesen. Ein Schüler meint den Direktor aus einem alten Foto in SA-Uniform erkannt zu haben und versucht ihn damit bloßzustellen. Auch Karla ist unsicher, muss aber klein beigeben, als sich herausstellt, dass das Foto von einer Laienspielgruppe des Jahres 1948 stammt. Ihre Beziehung zu dem "ausgestiegenen" Journalisten Kaspar ist der Schulbehörde ein weiterer Dorn im Auge. Karla wird schließlich an eine andere Schule versetzt." Regie. Herrmann Zschoche, Drehbuch: Ulrich Plenzdorf, Kamera: Günter Ost, Darsteller: Jutta Hoffmann, Jürgen Hentsch, Hans Hardt-Hardtloff, Inge Keller, Rolf Hoppe, Herwart Grosse, Dieter Wien, Jörg Knochée Dienstag, 15. Dezember 2015 9:00 Das 11. Plenum des ZK der SED – eine „Siegesfeier des gewöhnlichen Sozialismus“ und seine Folgen Prof. Dr. Frank Hörnigk (Literaturwissenschaftler) Es waren die ideologisch gängigen Verdrängungsstrategien der Macht, die sich in der Groß-Inszenierung des 11. Plenums des ZK der SED Ende 1965 gegenüber einer breiten Kunstöffentlichkeit der DDR in Szene setzten und politisch zu diesem Zeitpunkt noch durchsetzbar waren. Insofern erscheint es nur folgerichtig, das Plenum nicht (wie oft geschehen) lediglich als herausgehobenen Sonderfall, sondern vielmehr als einen Regelfall konsequenter Ausblendung aller wirklichen Erfahrung zu verstehen, wo immer diese Praxis dem Dogma der „wahren Lehre“ nicht entsprach. Zum Sonderfall wurde das Plenum erst in seinen Auswirkungen. Mitte der 60er Jahre war es der kollektiv zu verantwortende, gesamtgesellschaftlich desillusionierte Erfahrungsraum DDR in seinen ökonomisch dramatisch stagnierenden sozialen Verhältnissen, der von allen Beteiligten gleichermaßen bewusst, aber in denkbar unterschiedlicher Weise reflektiert worden war. Auf der einen Seite das Ausschauhalten nach dem geradezu sehnsüchtig beschworenen „Staatsfeind“ (Heiner Müller), auf der anderen Seite eine wachsende kritische Öffentlichkeit besonders innerhalb der kulturellen Kommunikationsverhältnisse des Landes. „Exil der Künste“ – entscheidende Wirklichkeitserfahrung aller Kunst. 9.40 Alles schon gesagt? Neue Perspektiven auf das 11. Plenum - Bedeutung für die DDR-Geschichte Dr. Andreas Kötzing (Historiker, Hannah-Ahrend-Institut Dresden) Kaum ein Ereignis in der DDR-Kulturgeschichte wurde so intensiv untersucht wie das Kahlschlag-Plenum. Dennoch gibt es wichtige Bereiche, die eine Neubetrachtung lohnenswert machen. Regionale Quellen zeigen u.a., dass die künstlerische "Aufbruchsstimmung", die häufig mit der Zeit vor dem 11. Plenum assoziiert wird, sehr unterschiedlich ausgeprägt war. Auch die "Umsetzung" des Plenums erfolgte nicht in allen Kultureinrichtungen mit der gleichen Konsequenz. Offen ist die Frage, an welche realpolitischen Grenzen die SED-Führung mit ihrem Herrschaftsanspruch stieß. Neu aufgefundene Dokumente belegen u.a., dass der sowjetische Einfluss auf den "Kahlschlag" größer war als bislang angenommen. 10:20 Kaffeepause 11:00 Die zwei Gesichter des 11. Plenums: Empfindliche Niederlage und Teilsieg der reformerischen Kräfte Prof. Dr. Jörg Roesler (Wirtschaftshistoriker) Das 11. Plenum war als Wirtschaftsplenum geplant, auf dem entsprechend der Vorgaben von Ulbricht und seinen Wirtschaftsreformern weitere Schritte zur Dekonzentration der Wirtschaftsmacht beschlossen werden sollten. Von anderen Teilen der SED-Führung (Gruppe um Honecker) wurde in den Reformen eine Schwächung der Macht der Partei gesehen und damit einhergehende Liberalisierungstendenzen zum Anlass genommen, Ulbrichts Gesellschafts- und Wirtschaftsreformpolitik anzugreifen. Die Gruppe um Honecker verbuchte auf dem 11. Plenum einen Sieg im Bereich der Kultur und eine Niederlage im Bereich der Ökonomie. Für den Sturz Ulbrichts wurden die Prager Ereignisse 1968 und die Überbeanspruchung von Wirtschaft und Gesellschaft in der dritten Etappe der Wirtschaftsreform (1968-1970) genutzt. 11:40 „Der Frühling und die Welt. Zwölf Verbotsfilme der DEFA 1965/66“ Dr. Ralf Schenk (Vorstand der DEFA-Stiftung) Die – fast komplett verbotene – Jahresproduktion der DEFA 1965/66 offerierte nicht nur politisch spannende Versuchsanordnungen, sondern wagte sich mit Filmen wie JAHRGANG 45, WENN DU GROSS BIST, LIEBER ADAM, FRÄULEIN SCHMETTERLING oder DER VERLORENE ENGEL auch auf ästhetisches Neuland. Auf verschiedene Weise griff das DDR-Kino die filmische Moderne, die „Neuen Wellen“ aus Ost und West auf und machte sie für ihre eigenen Geschichten nutzbar. Ralf Schenk untersucht, wie sich die Filmproduktion der DEFA in Richtung Welt zu öffnen versuchte und auch aus diesem Grunde von den Gralshütern der reinen sozialistischen Lehre ausgebremst wurde. 12:20 Diskussion 13:00 Mittagspause 14:20 Die Buchzensur und das 11. Plenum Prof. Dr. Siegfried Lokatis (Historiker, Universität Leipzig) Die (vergleichsweise weltoffen-liberale) Zensurpolitik der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Ministerium für Kultur hatte vor wie auch (nun viel strenger) nach dem 11.Plenum deutliche Auswirkungen auf die Buchzensur und stellte einen klaren Einschnitt dar. Vor allem gilt es einige paradoxe Entscheidungen Mitte der sechziger Jahre zu klären: hier wurde ein Buch druckgenehmigt, aber der Film verboten, dann wieder gab es den Film, aber das Buch konnte nicht erscheinen. Entsprechend umstritten und klärungsbedürftig ist die Rolle des damaligen Chefzensors Bruno Haid. 15:00 "aber schreiben kann man dann nicht" (C. Wolf, Rede auf dem 11. Plenum 1965) Literatur als Sündenbock für eine verfehlte Gesellschaftspolitik oder Über die Auswirkungen politischer Eingriffe in künstlerischer Prozesse Dr. Therese Hörnigk (Literaturwissenschaftlerin Künstler und Wissenschaftler wie Werner Bräunig, Stefan Heym, Wolf Biermann oder Robert Havemann u.v.a, die sich in den frühen sechziger Jahren mit widerständigen Texten zu Wort gemeldet hatten, wurden in einer Art Scherbengericht als "ständig negative Kritiker in der DDR" gebrandmarkt. Ermutigt von Konrad Wolf und dem Schriftstellerehepaar Jeanne und Kurt Stern opponierte Christa Wolf in einem durch Zwischenrufe aus dem Präsidium mehrfach unterbrochenen Diskussionsbeitrag gegen offiziell vorgenommene Bewertungen von Künstlern und Kunstwerken. Mit dem Abstand der Jahre kann der damalige kulturpolitische Kahlschlag neu betrachtet werden. In den Folgejahren entstanden Stücke wie Heiner Müllers "Philoktet" oder "Germania Tod in Berlin"(1956/71), Volker Brauns "Hans Faust" (1968), Prosa wie Christa Wolfs "Juninachmittag" (1967) und "Nachdenken über Christa T." (1968) u.v.m. und markierten den Aufbruch aus der Unmündigkeit. 15:40 "Yeah-yeah-yeah und wie das alles heißt…" - Jugendkultur und Musik im Fokus der SED Prof. Dr. Peter Wicke (Musikwissenschaftler, Humboldt Universität Berlin) Mit dem 11. Plenum des ZK der SED wurde die Phase der Liberalisierung in der Musik im Dezember 1965 ebenso abrupt wieder beendet wie sie zwei Jahre zuvor eingeleitet worden war. Vorangegangen war dem im Herbst 1965 eine kalkulierte Zuspitzung der Situation durch die Sicherheitsorgane der DDR, die mit einer beispiellosen Verbotswelle der gerade eben noch von der FDJ im Rahmen ihrer "Gitarrenbewegung" geförderten Beatgruppen einherging und im Oktober 1965 in Leipzig die größte ungenehmigte Demonstration in der DDR seit dem 17. Juni 1953 auslöste. Diese als "Leipziger Beat-Demonstration" in die Analen eingegangene Aktion bot den willkommenen Anlass für eine radikale Kehrtwende in der Kultur- und Jugendpolitik, hinter der freilich eine grundlegende Auseinandersetzung um Ulbrichts Modernisierungskurs stand. Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Rockmusik und Jugendkultur für die Inszenierung von Konflikten missbraucht wurden, die für Stellvertreterkriege um Richtungsfragen innerhalb des politbürokratischen Apparates herhalten mussten. 17:00 Kaffeepause 17:30 ABSCHLUSSPODIUM Gesprächspartner: Volker Braun (Schriftsteller), Dr. Gunnar Decker (Autor), Wolfgang Kohlhaase (Drehbuchautor), Prof. Ronald Paris (Maler) und B. K. Tragelehn (Regisseur) Moderation: Prof. Dr. Frank Hörnigk und Paul Werner Wagner Fünfzig Jahre nach dem 11.Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 scheint die Erinnerung an den kulturellen „Kahlschlag“ angesichts des Endes dieser Gesellschaft und wenig später des gesamten sozialistischen Weltsystems allenfalls von marginaler Bedeutung – und am ehesten noch als Gegenstand zeitgeschichtlicher Forschungen zu taugen. Dennoch, statt eines Nachrufs: „...der Dialog mit den Toten darf nicht abreißen, bis sie herausgeben, was an Zukunft mit ihnen begraben worden ist." (Heiner Müller im Gespräch mit Wolfgang Heise 1986). ca. 19:15 Ende
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