Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II für Wirtschaftsjuristen Fallbesprechung IX Philipp Ziegler 23.06.2016 Fallbesprechung IX Sommersemester 2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler Sachverhalt: Glasermeister G entdeckt, dass bei seinem verreisten Nachbarn N die Fensterscheibe an der Terrasse eingeschlagen ist. Als er nachsehen will, was geschehen ist, wird er von dem Einbrecher E niedergeschlagen. G muss sich von seinem Arzt behandeln lassen; dies kostet 200 €. Um Wasserschäden durch Regen an der Einrichtung zu verhindern, setzt G am nächsten Tag eine neue Scheibe ein. Sein Sohn S, 16 Jahre alt, stellt fest, dass einige Blumenbeete völlig zertreten sind. Er kauft neue Blumen und richtet alles wieder her. 1) G verlangt von N nach dessen Rückkehr 300 € für die Scheibe, 100 € Werklohn und die Arztkosten. 2) S verlangt von N Ersatz des Kaufpreises für die Blumen und 40 € für seine Mühen. Bearbeitervermerk: Muss N jeweils bezahlen? 23.06.2016 Fallbesprechung IX Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler A. Ansprüche gegen N I. Ansprüche aus Vertrag? (-) II. Aufwendungsersatzanspruch G geg. N i.H.v. 600€ aus GoA, §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB 1. Geschäftsbesorgung, § 677 I BGB • Def.: Jede wirtschaftliche Tätigkeit, d.h. sowohl Vornahme von Rechtsgeschäften, als auch tatsächliche Handlungen gleich welcher Art; nicht: bloßes Unterlassen, Dulden, Gewährenlassen etc. 2. Fremdes Geschäft, § 677 BGB a) b) 23.06.2016 Art des Geschäfts: objektiv fremdes Geschäft? – Überprüfung des Hauses und Einbau des Fensters sollen weitere Schäden am Haus des N verhindern; Geschäft fällt in den Geschäftskreis des Eigentümers Fremdgeschäftsführungswille (+) (wird vermutet) Fallbesprechung IX Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler 3. Kein Auftrag oder sonstige Berechtigung a) Auftragsverhältnis, § 677 BGB b) Sonstige Berechtigung? – Problem: Nachbarschaftliches Gemeinschaftsverhältnis? – Nach Rspr. besondere Ausprägung von § 242 BGB, aus der gegenseitige Rücksichtnahmepflichten entspringen können; aber kein gesetzliches Schuldverhältnis, daher keine Rechte und Pflichten zum Handeln im Fremdinteresse 4. Berechtigung, § 683 S. 1 BGB • • Entspricht Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des N, § 683 BGB? Berechtigte GoA (+), wenn die Geschäftsübernahme objektiv im Interesse des GH lag und subjektiv seinem wirklichen oder mutmaßlichen Willen entsprach; h.M.: objektives Interesse nur subsidiär, d.h. bei Auseinanderfallen von Wille und Interesse geht der Wille vor 23.06.2016 Fallbesprechung IX Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler • 5. Hier: Wirklicher Wille nicht feststellbar, N hätte Reparatur wohl gewollt, damit berechtigte GoA Rechtsfolge: Aufwendungsersatz, § 670 BGb • a) b) 23.06.2016 Def: Aufwendungen sind freiwillige Vermögensopfer Ausgaben für die Scheibe – Sind gemacht worden, dürfen für erforderlich gehalten werden – Wertersatz i.H.v. 300€ Ersatz der Arbeitskraft? – Beauftragter wird grdsl. unentgeltlich tätig, § 662 BGB – Kein Wertersatz über § 670 BGB – Ausnahme nach h.M.: Soweit Tätigkeit in die berufliche Sphäre des Geschäftsführers fällt, sind die Aufwendungen ersetzbar, G kann nach h.M. 100€ für seine Arbeitskraft verlangen Fallbesprechung IX Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler c) Ersatz der Arztkosten? – Kein freiwilliges Vermögensopfer, daher keine Aufwendung im klassischen Sinn – H.M.: Ersatz auch solcher Schäden über § 670 BGB möglich, die typischerweise mit Übernahme des Geschäfts verbunden sind (risikotypische Schäden) – Untersuchung des Hauses weg. eingeschlagener Fensterscheibe mit dem Risiko verbunden, auf Einbrecher zu stoßen (freiwillige Übernahme d. Schadensrisikos) – Ersatz der Arztkosten (+), aber kein Schmerzensgeld, da kein Vermögensschaden Ergebnis: G hat gegen N einen Aufwendungsersatzanspruch i.H.v. 600€ III. Anspruch G geg. N auf Wertersatz für die eingebaute Scheibe nach §§ 951, 812 BGB – Nein, da berechtigte GoA einen Rechtsgrund i.S.d. § 812 I BGB darstellt 23.06.2016 Fallbesprechung IX Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler B. Ansprüche S gegen N I. Ansprüche aus Vertrag? (-) II. Aufwendungsersatzanspruch S geg. N aus GoA, §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB 1. Geschäftsbesorgung, § 677 I BGB • Def.: Jede wirtschaftliche Tätigkeit, d.h. sowohl Vornahme von Rechtsgeschäften, als auch tatsächliche Handlungen gleich welcher Art; nicht: bloßes Unterlassen, Dulden, Gewährenlassen etc. • Hier: Herrichten der Blumenbeete 2. Fremdes Geschäft, § 677 BGB a) b) 23.06.2016 Art des Geschäfts: objektiv fremdes Geschäft? – Überprüfung des Hauses und Einbau des Fensters sollen weitere Schäden am Haus des N verhindern; Geschäft fällt in den Geschäftskreis des Eigentümers Fremdgeschäftsführungswille (+) (wird vermutet) Fallbesprechung IX Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler 3. Kein Auftrag oder sonstige Berechtigung (+) 4. Wirksame Übernahme eines Geschäfts durch einen Minderjährigen? • (P): Kann der Minderjährige an sich Geschäftsführer jedweder GoA sein? a) E.A.: Übernahme sei wegen §§ 104 ff. BGB unwirksam » Geschäftsübernahme = rechtsgeschäftsähnliche Handlung » Rechtsgedanke des § 682 BGB -> GF habe keinen Anspruch aus § 683 BGB b) H.M.: Keine entsprechende Anwendung der §§ 104 ff. BGB » Minderjähriger kann sich selbst nicht verpflichten: Beinhaltet die GF einen Vertragsabschluss, ist dieser nach §§ 107 ff. BGB sowieso unwirksam » Beinhaltet GoA Vertreterhandeln des Minderjährigen: Handeln als Vertreter ohne Vertretungsmacht für Mj wegen § 179 III S. 2 BGB ungefährlich » GH wird über erforderliches Interesse nach § 683 BGB 23.06.2016 Fallbesprechung IX Wintersemester 2014/2015 geschützt Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler Zwischenergebnis: Minderjähriger kann GoA-Geschäftsführer sein 5. Berechtigung, § 683 S. 1 BGB • • Entspricht Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des N, § 683 BGB? Berechtigte GoA (+), wenn die Geschäftsübernahme objektiv im Interesse des GH lag und subjektiv seinem wirklichen oder mutmaßlichen Willen entsprach; h.M.: objektives Interesse nur subsidiär, d.h. bei Auseinanderfallen von Wille und Interesse geht der Wille vor Zwischenergebnis: Berechtigte GoA (+) 6. Rechtsfolge: Aufwendungsersatz (+) a) Kaufpreis der Blumen (+) b) Arbeitskraft (-), Tätigkeit gehört nicht zum Beruf des S (h.M.) Ergebnis: S kann von N nur Ersatz des Kaufpreises der Blumen verlangen 23.06.2016 Fallbesprechung IX Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler Hilfsgutachten bei Ablehnung einer wirksamen GoA wegen Minderjährigkeit des S: III. Anspruch aus § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB 1. 2. Etwas erlangt (+), Arbeitsleistung, Eigentum an den Blumen Durch Leistung • Eigentumsübertragung erfolgt durch (dinglichen) Vertrag nach § 929 S. 1 BGB, die dort erforderliche Willenserklärung ist im Fall der Minderjährigkeit des Veräußerers – da die Eigentumsübertragung für diesen rechtlich nachteilhaft ist – wegen § 107 BGB schwebend unwirksam. S konnte also hier RECHTSGESCHÄFTLICH kein Eigentum auf N übertragen. Folge: Nur die Arbeitsleistung und der Besitz an den Blumen wurde geleistet. 3. Ohne rechtlichen Grund (+) • Nur berechtigte GoA stellt einen Rechtsgrund dar 23.06.2016 Fallbesprechung IX Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler 4. Rechtsfolge: • § 818 II: Wertersatz eigentlich (+), da Arbeitsleistung selbst nicht mehr herauszugeben • ABER: Wertungswiderspruch zu §§ 683, 670:Der Minderjährige würde über § 812 BGB etwas erhalten, was er über § 683 BGB nicht erhalten würde (bei § 683 BGB kein Ersatz für Arbeitsleistung) Ergebnis: Kein Anspruch des S gegen N auf Ersatz der Arbeitsleistung, § 812 BGB subsidiär ggü. §§ 683, 670 BGB IV. Anspruch S geg. N aus §§ 951 I S. 1, 812 I S. 1 Alt. 2 BGB aufgrund Eigentumsverlusts bezüglich der Blumen 1. 2. 3. S war Eigentümer der Blumen Eigentumsverlust gem. §§ 946, 93, 94 I BGB (+) Etwas erlangt (+) -> Eigentum 23.06.2016 Fallbesprechung IX Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler 4. In sonstiger Weise auf Kosten des S: • 5. 6. Gem. § 946 BGB, also durch Gesetz, nicht durch Leistung des S Ohne Rechtsgrund (+) Rechtsfolge: §§ 951 I S. 1, 818 II BGB: Entschädigung in Geld Ergebnis: Anspruch des S gegen N (nur) auf Ersatz des Kaufpreises für die Blumen 23.06.2016 Fallbesprechung IX Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler Hilfsgutachten bei Ablehnung der GoA mangels Interesses des N: §§ 684 S. 1, 812 ff. BGB (Fortsetzung von B II.) 5. 6. Die Übernahme des Geschäfts entspricht nicht dem Interesse oder Willen des N, eine Genehmigung durch N gem. § 684 S. 2 BGB liegt nicht vor -> unberechtigte GoA Rechtsfolge: Ersatzanspruch nach Bereicherungsrecht (Rechtsfolgenverweisung), § 684 S. 1 BGB (Beginn direkt mit der Rechtsfolgenprüfung der §§ 818 ff. BGB) a) Arbeitsleistung: § 818 II BGB (Wertersatz), aber: – Aufgedrängte Bereicherung? » Dann ist nicht der obj., sondern subj. Nutzen herauszugeben » Wenn N das normalerweise in seiner Freizeit macht (Pflanzen), dann ist der Nutzen gleich Null, also kein Wertersatz 23.06.2016 Fallbesprechung IX Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler b) Hinsichtlich Kaufpreis der Blumen – Durch die Geschäftsführung erlangt -> entweder Gestattung, dass S die Blumen wieder ausgraben kann oder Wertersatz – Aufgedrängte Bereicherung -> nur Erstattung des subjektiven Nutzens, der gleich Null ist Ergebnis: Anspruch auf Ersatz des Kaufpreises für die Blumen (+), wenn die Bereicherung nicht aufgedrängt ist 23.06.2016 Fallbesprechung IX Wintersemester 2014/2015
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